Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und die SPD-Mitglieder im Berliner Senat werden aufgefordert, ein konkretes Reformkonzept zur Weiterentwicklung der Berliner Drogenpolitik vorzulegen und in Zusammenarbeit mit Expert*innen ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren anzustoßen. Bei notwendigen Anpassungen des Bundesrechts werden entsprechende Bundesratsinitiativen angestoßen, um insbesondere das Betäubungsmittelgesetz weiterzuentwickeln.
Dieses Konzept soll folgende Punkte enthalten:
- Parallel zu den bundespolitisch bevorstehenden Regelungen für den Erwerb von Cannabis wird unter Beteiligung der Zivilgesellschaft, beispielsweise Präventionsinitiativen oder Vertretungen von Suchtbetroffenen und unter Einbezug von Erfahrungen Konsumierender ein Konzept für staatliche kontrollierte Abgabe von Drogen an Suchtbetroffene entwickelt. Der Besitz solcher Mengen zum Zweck des Eigenbedarfs wird dann nicht strafrechtlich verfolgt werden, anhängige Verfahren werden dann nicht weiterverfolgt werden, auch bekannt als Entkriminalisierung.
- Beschlusslagen zum sog. Drug Checking, d.h. der Vor-Ort- und Ad-hoc-Prüfung von Drogen auf ihre Zusammensetzung werden endlich umgesetzt und ausreichend finanziert.
- Gesundheits- und Suchtberatung sowie zielgruppenorientierte Informationskampagnen werden ausgebaut und ausreichend finanziert
- Alle Einsatzfahrzeuge der Rettungsdienste werden mit Medikamenten, bspw. Naloxon- oder Adrenalinspritzen, ausgestattet und die Diensttuenden in ihrer Verabreichung geschult, um bei Fällen von Überdosis schnell helfen zu können. Eine Abgabe durch Apotheken an Suchterkrankte mit entsprechender Anleitung zur Nutzung wird geprüft. Schulungen zum Umgang mit Überdosisfällen sollen in Drogenpräventionsarbeit eingebaut werden.
- Der Fokus der Strafverfolgung liegt auf der Ermittlung gegen Großdealende und nicht auf Konsumierenden. Entsprechende Anordnungen und Erlasse werden daraufhin überprüft und angepasst und Schulungen für alle Mitarbeitenden durchgeführt.
- Die Einrichtung von Drogenkonsumräumen soll weiter durch den Senat vorangetrieben werden. Der künftige Schwerpunkt liegt hier neben der Anzahl der Standorte vor allem in der Erweiterung der Öffnungszeiten. Knappe personelle Ressourcen müssen vor allem hierfür mobilisiert werden, denn Drogenkonsum und seine negativen Folgen im Straßenbild findet an sieben Tagen in der Woche statt.
Diese Reforminitiative verfolgt folgende Ziele und folgt folgenden Grundannahmen:
- Grundsätzlich gilt: Ziel zeitgemäßer Drogenpolitik ist der akzeptierende Umgang mit der Sucht selbst sowie eine Austrocknung der Renditechancen illegalen Drogenhandels. Die staatliche Abgabe von Drogen, die nicht aus den Strukturen der organisierten Kriminalität stammen, ist daher geeignet, sowohl die gesundheitlichen Konsumrisiken zu verringern als auch die organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Deshalb ist darauf zu achten, die Fehler niederländischer Drogenpolitik nicht zu wiederholen: Nicht nur die Abgabe bzw. der Verkauf, sondern auch Herstellung und Distribution müssen den Renditeerwartungen krimineller Strukturen entzogen werden. Drogenkonsum ist eine Realität in Berlin, die wir anerkennen müssen. Dies gilt sowohl für aktuell „legale“ und „illegale“ Drogen. Das bedeutet vor allem, dass wegschauen, verleugnen und gewaltvolles Vorgehen nicht erfolgreich sein kann. Die Reform soll dazu beitragen, dass Drogenkonsum sicherer, Ausstieg einfacher und Prävention nachhaltiger wird. Hierbei ist klar, dass es zwischen gelegentlichem Freizeitkonsum und verfestigten Suchtkrankheiten signifikante Unterschiede gibt, die unterschiedlich betrachtet werden müssen, bspw. wo und ich welcher Form der Konsum stattfindet. Wir betrachten dies als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf Basis von Ehrlichkeit und Fakten angegangen werden muss. Durch die Entkriminalisierung des Besitzes kleinerer Mengen von kontrollierten Substanzen zum Eigenbedarf wird Präventionsarbeit und medizinische Notfallversorgung deutlich erleichtert. Menschen müssen nicht aus Angst vor Strafverfolgung auf den Notruf oder Hilfsangebote verzichten.
- In Bezug auf das Erkennen und richtiges Handeln bei einer Überdosis herrscht oft große Unwissenheit und mangelnde Sensibilität: Schnelle, effektive Hilfe kann im Ernstfall Leben retten und das hat für uns oberste Priorität. Hieran soll sich zukünftig der öffentliche und politische Diskurs orientieren.
- Suchtkrankheiten stehen selten allein. Sie finden sich oft im Zusammenhang mit sozialen Härten. Nur wenn professionelle Behandlung stattfindet, kann anderen Faktoren nachhaltig begegnet werden. Gleichzeitig können Suchtkrankheiten nicht nachhaltig behandelt werden, wenn soziale Härten bestehen.
- Die Bezirke leisten z.B. durch ihre Präventionsarbeit gute Arbeit, da sie die Menschen dort erreichen, wo sie sind. Zusätzlich zu stärkerer Zusammenarbeit müssen hier finanziell und personell Planungssicherheit herrschen und ausreichende Mittel sichergestellt sein.
- Drogenkriminalität bekämpfen bedeutet die Netzwerke in den Fokus zu nehmen, die im Hintergrund agieren und große Mengen umsetzen. Die Ressourcen der strafverfolgenden Behörden sollten hierhin umgeleitet werden. Die Verfolgung von Konsumierenden und Kleindealenden hat vergleichsweise kosmetische Wirkung.
Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)
PDF:
Stellungnahme(n):
Stellungnahme Senat 2024:
Erledigt, da der Senat Drogenkriminalität auf mehreren Ebenen und mit differenzierten Zielrichtungen verfolgt, Naloxon- und Adrenalinpräparate auf den Rettungsmitteln der Notfallrettung seit einigen Jahren vorhanden sind sowie ärztliches und nicht ärztliches Personal im Umgang geschult ist. Insgesamt handelt es sich um ein gesellschaftliches Problem, das sich nicht allein mit polizeilichen Mitteln lösen lässt. Die Richtlinien der Regierungspolitik enthalten daher eine Vielzahl weiterer Maßnahmen, u.a. zur Suchtprävention.
Stellungnahme AH-Fraktion 2024:
Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD und die aktuellen Richtlinien der Regierungspolitik stellen im Bereich der Drogen- und Suchtpolitik vor allem Maßnahmen der Suchtprävention und des verbesserten Gesundheitsschutzes in den Vordergrund. Ziel dieses Präventionsansatzes ist es, Suchterkrankte zu schützen, aufzuklären und die gesundheitlichen Gefahren des Drogenkonsums möglichst abzumildern. Einige der im Antrag geforderten Maßnahmen werden bereits im Zuge dieser Politik in Berlin erfolgreich umgesetzt bzw. weiter ausgebaut:
So ist im Koalitionsvertrag ein Modellprojekt inklusive anschließender Evaluierung für ein Drugchecking-Projekt festgehalten, welches perspektivisch auch erweitert werden soll. Drogenkonsumräume sollen laut Koalitionsvertrag hinsichtlich Anzahl und Öffnungszeiten ausgebaut werden. Zudem soll die Gesundheits- und Suchtberatung maßgeblich durch die Fachstelle für Suchtprävention unterstützt und durch einzelne Präventionsprojekte gestärkt werden.
Die SPD-Fraktion Berlin hat in ihrer Fraktionsresolution „Sicherheit an öffentlichen Orten“ diese grundlegenden Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag bekräftigt und einigen dieser Forderungen Nachdruck verliehen. Ausgangspunkt dafür war die Tatsache, dass im Zusammenhang mit Drogenhandel und -konsum eine besondere Gefährdung der Sicherheit an öffentlichen Orten Berlins entstanden ist. Sozialdemokratische Sicherheitspolitik sollte daher auf mehr Sozialarbeit und Angebote für Drogenkonsumenten und -verkäufer setzen und durch mehr Polizei den Druck auf die Szene hochhalten.
In der Fraktionsresolution wurde ein ganzes Maßnahmenbündel und eine ressortübergreifende berlinweite Strategie beschrieben, um der Problematik zu begegnen: Gesundheits- und Sozialprävention, Personal- und Sachkosten für Drogenkonsumräume und -mobile sowie aufsuchende Sozialarbeit und Mittel für Drogentherapien, unabhängig vom Versicherungsstatus über das Angebot der Clearingstelle für Nichtversicherte. Diese Präventionsmaßnahmen wurden nach dem Sicherheitsgipfel im Doppelhaushalt 2024/25 verankert und werden in Berlin nun umgesetzt. Gleichzeitig kommt in der Fraktionsresolution aber auch zum Ausdruck, dass es einiger Sicherheitsmaßnahmen und städtebaulicher Kriminalprävention bedarf, um den illegalen Drogenhandel und die Begleitkriminalität vor Ort zu bekämpfen.
Für eine neue Richtung in der Drogenpolitik, die Drogenkonsum weitergehend akzeptiert und der organisierten Kriminalität durch staatliche Abgabe wirksam die Renditemöglichkeiten entzieht, fehlen in der aktuellen Koalitionskonstellation die entsprechenden Mehrheiten. Zudem stellt dies eher eine bundespolitische Aufgabe dar. Die Mitglieder der SPD-Fraktion und des AK1 werden sich aber zukünftig weiter für das Anliegen des Antrags einsetzen.
Überweisungs-PDF: