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Antrag 185/I/2018 Rechtschaffenheit kennt keine Altersgrenze – Lehren aus dem „Koblenzer Neo-Naziprozess“

30.04.2018

Im Jahr 2012 begann der „Koblenzer Neo-Naziprozess“ gegen die rechtsterroristische Vereinigung Aktionsbüro Mittelrhein am Landgericht Koblenz. Den damals 26 Angeklagten wurde auf über 900 Seiten Anklageschrift u.a. die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Brandstiftung vorgeworfen. Die Angeklagten sollen Andersdenke bedroht und Hakenkreuze gesprüht haben. Der Hass der angeklagten Nazis soll in gewalttätigen Überfällen gegen Linke gegipfelt haben, wie z.B. auf das linksautonome Wohnprojekt Praxis in Dresden-Löbtau im Februar 2011, auf linke Aktivist*innen beim Verteilen von Flugblättern in Wuppertal im Januar 2011 und in Bad Neuenahr im Mai desselben Jahres.

 

An über 300 Verhandlungstagen wurde reichlich Beweismaterial vorgetragen. Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht. Das Verfahren wurde im Mai 2017 endgültig eingestellt – weil der Vorsitzende Richter laut Landesrichtergesetz wegen Vollendung seines 65. Lebensjahres in Pension treten musste und ein neues Verfahren nicht begonnen wurde. Letzteres wurde damit begründet, dass ein neues Verfahren womöglich zehn Jahre dauern würde und daher unverhältnismäßig lang sei. Zwar hat das Oberlandesgericht Koblenz im Dezember 2017 entschieden, dass der Prozess fortgesetzt werden muss. Da die zuständige Kammer jedoch in neuer Besetzung verhandeln wird, muss die Beweisaufnahme wieder von vorne beginnen.

 

Auch in Berlin treten Richter*innen gem. § 3 Berliner Richtergesetz mit Ende des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet haben, in den Ruhestand. Dies darf ausdrücklich nicht hinausgeschoben werden. Dass laufende Strafverfahren abgebrochen werden und neu beginnen müssen, weil eine Richterin oder ein Richter pensioniert wird, kommt zwar nicht häufig, aber trotzdem immer wieder vor. Bei der Geschäftsverteilung achten die Gerichtspräsidien auf anstehende Pensionierungen und ergreifen entsprechende Maßnahmen. Dies beruht auf einer Prognose, wie lange bestimmte Strafverfahren wohl dauern werden. Gerade bei unerwartet „komplizierten“ Prozessen kann diese Prognose aber auch falsch sein. Insbesondere im Bereich des Rechtsterrorismus, aber auch bei anderen schweren Gewalttaten schwächen diese Ausnahmefälle das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat massiv.

 

Ein Prozessabbruch kann am effektivsten vermieden werden, wenn zu Beginn eines Strafverfahrens eine weitere Richterin oder ein weiterer Richter hinzugezogen wird, der den Prozess nach der Pensionierung seiner Kollegin bzw. seines Kollegen übernehmen kann. Das Institut des Ergänzungsrichters bzw. der Ergänzungsrichterin (§ 192 GVG) wird aufgrund knapper personeller Ressourcen und der hohen Belastung der Gerichte jedoch nur selten genutzt.

 

Um Prozessabbrüche vollständig zu vermeiden, fordern wir daher:

  1. Eine deutliche Verbesserung der personellen Ausstattung der Gerichte – nicht nur in der Strafgerichtsbarkeit. Dazu gehört die Schaffung zusätzlicher Richter*innenstellen, aber auch zusätzliches Personal in den Geschäftsstellen. Die Hinzuziehung einer Ergänzungsrichterin oder eines Ergänzungsrichters darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil gerade keine personellen Kapazitäten dafür vorhanden sind.
  2. Eine Änderung des § 192 GVG. Bisher heißt es dort, dass Ergänzungsrichter*innen bei Verhandlungen längerer Dauer hinzugezogen werden können. Der Wortlaut soll zukünftig lauten: „Unter Berücksichtigung der Zahl der Angeklagten und des Umfangs einer Sache sollen Ergänzungsrichter[*innen] bestellt werden“.
  3. Der Landesgesetzgeber soll darüber hinaus prüfen, ob § 3 des Berliner Richtergesetzes um eine Ausnahmeregelung ergänzt werden kann, die Richter*innen in bestimmten Fällen ein Hinausschieben ihrer Pensionierung ermöglicht, ohne das Recht auf den gesetzlichen Richter anzutasten. Es muss sichergestellt sein, dass die Justizverwaltung, welche über die Verlängerung zu entscheiden hat, den Vorgang nicht dazu nutzen kann, die Besetzung eines Spruchkörpers zu beeinflussen.

 

Antrag 149/I/2018 “Mein Körper geht nur mich etwas an!”: Stop Fatshaming!

30.04.2018

Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten beschäftigen wir uns mit verschiedenen Formen der Diskriminierung. In unserer Gesellschaft ist seit jeher zu beobachten, dass die Akzeptanz verschiedener Körperformen sowie deren Freiheit, selbst darüber verfügen und entscheiden zu können, umstritten ist. Alles was nicht der Norm entspricht, wird angeschaut und verurteilt. Die Gesellschaft verkörpert ein Körperideal, welches es einzuhalten gilt und propagiert, dass ein gesunder Körper ein schlanker Körper ist. Doch kann ein Mensch in dieser Abhängigkeit selbstbestimmt leben? Und ist diese Gesellschaftsform ein Abbild unserer vielfältigen Gesellschaft? Nein! Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten beginnt Selbstbestimmung bei jeder*jedem Einzelnen, die*der aus eigener Überzeugung heraus freie Entscheidungen trifft. Besonders Frauen* und queere* Menschen müssen sich immer wieder Räume für ihren eigenen Körper erstreiten.

 

Oft sind sie Stigmatisierungen und Ausgrenzung ausgesetzt. Dabei steht jedem Menschen das Recht auf ein Leben unabhängig gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu.

 

Jedoch wissen wir, dass dieser Weg noch erkämpft und verteidigt werden muss. Aus diesem Grund wollen wir uns als SPD eingehend mit Gewichtsdiskriminierung auseinandersetzen, es in die SPD sowie in die Gesellschaft tragen und die Gesellschaft dahingehend verändern, dass Diskriminierung aufgrund des Gewichts bekämpft und die Diversität der Körperformen akzeptiert wird.

 

Analyse der derzeitigen Situation

Gegenwärtig befinden wir uns in unruhigen Zeiten, in dem der Wegfall bestehender Bezugspunkte, Identitätsprobleme auf den Körper übertragen. Daneben ist unsere schnelllebige und moderne Gesellschaft stark von visuellen Medien geprägt. Durch diese Prägung gewinnt der Körperkult zunehmend an Bedeutung und wird als Symbol der Klassenidentität wahrgenommen, wodurch Menschen und insbesondere Geschlechter ihrer Körperform nach in gesellschaftliche Schichten kategorisiert werden: Dünnen und schlanken Körpern werden Adjektive wie gesund, fit, fleißig und zielstrebig zugesprochen. Dicken und hochgewichtigen Körpern hingegen werden Eigenschaften wie unsportlich, krank, unmotiviert und faul verknüpft. Im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) ergab eine repräsentative Umfrage, dass zwei Drittel der befragten Personen Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihres Gewichts und ihres äußerlichen Erscheinungsbildes in den entscheidenden Lebensbereichen wie dem Arbeitsmarkt, Bildung, Mobilität, Freizeit, Privatleben, Gesundheit und Pflege machten. Vor allem im Bereich Gesundheit und Pflege kritisierten die befragten Personen die mangelhafte Ausstattung der Krankenhäuser im Gesundheitssystem und die herablassende Äußerungen durch das Krankenhauspersonal.

 

Bereits Kinder und Jugendliche werden insofern sozialisiert, dass sie andere dicke und hochgewichtige Kinder und Jugendliche ausgrenzen. Diskriminierung aufgrund eines hohen Körpergewichts passiert somit täglich, überall und betrifft immer mehr Menschen. Die negativen sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen von Gewichtsdiskriminierung führen zu gesellschaftlicher und sozialer Ausgrenzung. Zudem führen Stress und Ausgrenzung zu Körperbildstörungen, Essstörungen und Depressionen. Besonders Frauen* und queere* Menschen sind von dieser Art der Diskriminierung betroffen, die neben intersektioneller Diskriminierung wie der Herkunft, des sozialen Standes, der Hautfarbe, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Religionszugehörigkeit, der körperlichen Verfassung oder des Alters, weit verbreitet ist.

 

Studien besagen, dass Frauen* ihrem Körper eine weitaus höhere Bedeutung für das eigene Selbstbild zuschreiben als Männer*. Auslöser dieser verzerrten Wahrnehmung ist, dass Frauen* stärker von gesellschaftlichen Zwängen betroffen sind. Die sexistische Mode- und Schönheitsindustrie bekräftigt diese Zwänge, die das Bild der perfekten und makellosen Figur mit entsprechender Kleidergröße sowie den permanenten Druck des Diäthaltens als Lebensmittelpunkt der Frau* propagieren.

Gewichtsdiskriminierende Werbung auf den bezirkseigenen Werbeflächen verbieten

Mehreren Berliner Bezirken liegen Beschlüsse vor, die „diskriminierende, frauen*feindliche und sexistische Außenwerbung“ auf den bezirkseigenen Werbeflächen untersagen. Der Begriff „diskriminierend“ schließt in diesem Fall eine Diskriminierung anhand von Gewicht nicht ein. Da in unserer Gesellschaft und Medienlandschaft das Schönheitsideal im weiblichen* Geschlecht verankert ist, werden vor allem Frauen*, die diesem Schönheitsideal nicht entsprechen, benachteiligt und sind in hohem Maße von zugespitzter und sexistischer Werbung betroffen.

 

Aus diesem Grund fordern wir die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung auf, gewichtsdiskriminierende und sexistische Außenwerbung flächendeckend im Land Berlin zu untersagen.

 

Anonymisierte Bewerbungsverfahren für die Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst bis 2020

Ein Foto im Lebenslauf ruft bekanntlich Vorurteile hervor. Vor allem bei dicken und hochgewichtigen Menschen senkt ein Foto die Chance, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, erheblich. Das zeigt eine Studie der Universität Tübingen, in der dicke Frauen* besonders bei Personalentscheidungen schlecht abschnitten: 98 Prozent der befragten Personalleiter*innen trauten dicken Frauen* keine prestigeträchtigen Berufe in Führungspositionen wie Ärztin* oder Architektin* zu. Anonymisierte Bewerbungsverfahren können dafür sorgen, dass dicke und hochgewichtige Menschen in der Vorauswahl für ein Bewerbungsgespräch nicht aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes aussortiert werden. Bereits von März 2014 bis März 2015 wurde im Rahmen des Berliner Pilotprojekts Vielfalt fördern das Verfahren der anonymisierten Bewerbung getestet.

Wir fordern die Senatskanzlei und die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf, das im Pilotprojekt getestete Verfahren der anonymisierten Bewerbung in der öffentlichen Verwaltung und den Landesbetrieben flächendeckend bis 2020 einzuführen.

Verbeamtung für Menschen mit hohem Körpergewicht erleichtern

Gemäß Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzbuches (GG) muss eine Person nach Ermittlung ihrer*seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichberechtigten Zugang zur Verbeamtung haben. Die besagte Eignung einer Person für den öffentlichen Dienst wird u. a. in Form/ mit Hilfe einer amtsärztlichen Untersuchung ermittelt. Da das Körpergewicht im medizinischen Kontext oft voreilige und denunzierende Schlüsse auf den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit einer Person zieht, erhalten dicke und hochgewichtige Verbeamtungskandidat*innen nach dieser Untersuchung häufig einen negativen Bescheid. Seit einem richtungsweisenden Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2013 hat dieser diskriminierende und negative Bescheid der amtsärztlichen Untersuchung keinen Bestand mehr. Leider findet diese Rechtsprechung weder im Berliner Kammergesetz noch in der Weiterbildungsordnung der Berliner Ärztekammer Geltung.

 

Daher fordern wir die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und die Berliner Ärztekammer auf, die Weiterbildungsordnung um das Merkmal der Gewichtsdiskriminierung auszuweiten. Durch intern organisierte Fort- und Weiterbildungen sollen Amtsärzt*innen über die Diversität der Körperformen aufgeklärt und sensibilisiert werden.

 

Gleichzeitig fordern wir die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung auf,im Bereich der gesundheitlichen Versorgung die Sensibilisierungsmaßnahme von Ärzt*innenschaft sowie das Gesundheitspersonal für Diskriminierung des Körpergewichts gesetzlich zu verpflichten und diese Vorgabe in die Berufsordnung zu übernehmen.Des Weiteren fordern wir, dass entsprechende medizinische Geräte in Krankenhäusern und Arztpraxen angeschafft werden, damit die notwendigen Untersuchungen von dicken und hochgewichtigen Menschen gewährleistet werden.

 

Erweiterung des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) um das Merkmal Gewicht

Darüber hinaus muss der Zuständigkeitsbereich der Landesantidiskriminierungsstelle (LADS) um Diskriminierungen dicker und hochgewichtiger Menschen erweitert werden.

Die Arbeit der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung ist auf die in §1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie auf die in Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 der Berliner Verfassung genannten Diskriminierungsmerkmale ausgerichtet und ist in den folgenden Berliner Landesgesetzen festgeschrieben:

  • Berliner Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG)
  • Berliner Landesgleichstellungsgesetz (LGG)
  • Berliner Partizipations- und Integrationsgesetz (PartIntG)
  • Berliner Seniorenmitwirkungsgesetz (BerlSenG)
  • Gesetz zur Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher sexueller Identität (SexGlBerG).

 

Da bisher Gewichtsdiskriminierung weder in den oben genannten Berliner Landesgesetzen berücksichtigt wird noch unter keine der im Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) genannten Merkmale vollständig eingliedern lässt, fordern wir hiermit die Aufnahme und Ausweitung der Berliner Landesgesetze auf das Merkmal Gewicht.

 

Die Lücke im Diskriminierungsschutz des Landes Berlin muss endlich geschlossen werden, sodass Klagen aufgrund von Diskriminierung des Körpergewichts rechtswirksam sind.

Antrag 133/I/2018 Keine Geburtskliniken schließen!

30.04.2018

Die SPD setzt sich auf allen Ebenen dafür ein, dass nicht noch mehr kleinere Geburtskliniken aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden. Der Status quo muss im Interesse einer wohnortnahen und qualitativ hochwertigen Geburtshilfe dringend aufrechterhalten werden. Mindestmengen für Geburten, die aus ökonomischen Gründen für Geburtskliniken erhoben werden, lehnen wir ab.

Antrag 123/I/2018 § 219a StGB jetzt abschaffen – für Informationsfreiheit und sexuelle Selbstbestimmung

30.04.2018

Wir fordern die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dazu auf, den von der SPD-Bundestagsfraktion am 11.12.2017 eingebrachten Gesetzentwurf auf Abschaffung des § 219a StGB in dieser Form weiter zu verfolgen und für sexuelle Selbstbestimmungsrechte einzustehen! Wir sprechen uns gegen eine Kompromisslösung aus, die nicht die vollständige Streichung des §219a StGB vorsieht.

Antrag 129/I/2018 Ausführliche Kennzeichnung von Lebensmitteln

30.04.2018

Die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass in deutschen Handelseinrichtungen auf den Verpackungen von Lebensmitteln und bei Losewahren an den Auslagen sämtliche enthaltenen Inhaltsstoffe eindeutig angegeben werden müssen. Zurzeit sind nicht immer alle Inhaltsstoffe (vollständig) auf / bei allen Lebensmitteln angegeben.