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Antrag 271/I/2024 Es klappert die Mühle am rauschenden Bach – doch wem gehört der Bach?

21.04.2024

Shocking Fact: Wasser ist wichtig und wird knapper

Der 3. Juli 2023 war der weltweit heißeste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1880. Dass solche Negativrekorde immer häufiger auftreten, zeigte sich in diesem Sommer kurz darauf: Einen Tag später, am 4. Juli, wurde dieser Rekord wieder gebrochen. Unwahrscheinlich, dass die Durchschnittstemperatur von 17.18°C der letzte Negativrekord bleiben wird.

 

In Zeiten steigender Temperaturen sind Hitzeperioden kein seltenes Phänomen. Die Folgen der Klimakrise wirken sich unlängst auf sämtliche Lebensbereiche aus. So wurden in den letzten Jahren die Herausforderung auf die Wasserwirtschaft immer größer. Wasserknappheit wird dadurch immer öfter saisonal und regional zu einem Problem und einer großen Gefahr für viele Gruppen der Gesellschaft. Immer mehr Nutzer*innen werden zukünftig über die knapp werdende Ressource Wasser konkurrieren. Diese Konflikte können auf das internationale Parkett kommen, wie bei dem Beispiel von Äthiopiens Staudamms für den Oberlauf des Nils, wodurch Ägypten die Wasserversorgung bedroht sieht oder beim Staudamm der Türkei vom Euphrat und Tigris, wodurch ähnlicher Ärger in Syrien und Irak aufgekommen ist. Die Sorge vor den viel zitierten Kriegen um Wasser wächst durch die Klimakrise.

 

Doch auch ohne die Androhung von Gewalt steigt der Konflikt, wenn der Grundwasserspiegel weiter sinkt und sich große Unternehmen den Zugriff auf das immer knapp werdende Wasser werden wollen. Unlängst sind die Beispiele wie das von Nestlé bekannt, in denen der Konzern die Wasserrechte von staatlichen Wasserbehörden kauft. Das erlaubt dem Unternehmen, Wasser direkt aus dem Grundwasser (unterhalb der Erdoberfläche) abzupumpen. Die lokale Bevölkerung geht oft leer aus oder muss horrende Preise fürs abgepackte Wasser zahlen.

Die Vereinten Nationen haben das das Recht auf „einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung“ als ein Menschenrecht eingestuft- zwar erst seit 2010. Doch dieser UN-Beschluss ist nicht bindend für die Mitgliedsstaaten. So haben laut UN-Weltwasserbericht immer noch rund 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer sicheren Trinkwasserversorgung.

 

Bei starker Hitze ist nicht nur genügend Trinkwasser besonders entscheidend. Auch der Zugang zum Wasser in Form von Seen und Flüssen ist wichtig, um dort die Möglichkeit einer Abkühlung und Erholung zu ermöglichen. Gerade in Zeiten steigender Preise und finanzieller Unsicherheiten ist für viele Menschen die örtlichen Naherholungsgebiete die einzige Möglichkeit zur Abkühlung.

 

Doch auch hier zeigt der Kapitalismus sich wieder von seiner hässlichsten Seite: Viel zu oft ist der Zugang zu Seen oder Flüssen stark eingeschränkt oder komplett unmöglich, weil angrenzende Grundstücke privatisiert oder verpachtet wurden. Es scheint, dass der öffentliche See nur für diejenigen zugänglich wird, die viel Geld haben. Während die Reichen ihre Privilegien genießen, wird die Klimakrise für arme Menschen immer mehr zu einer Bedrohung.

 

Rechtsprechung: It’s complicated

Der Druck, die Wasserversorgung innerhalb der EU zu privatisieren, nimmt zu. Lobbygruppen und Konzerne setzen sich seit Jahren dafür ein. Doch warum das eine schlechte Idee ist, haben unfreiwillige Reallabore längst gezeigt:

Die Euphorie der Privatisierungen in den 1990er Jahren hat auch Berlin erfasst, als unter Senatsführung der CDU die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert wurden. Statt wie versprochen neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurden viele Arbeitsplätze eingestampft. Gleichzeitig zogen die Wasserpreise an. In Berlin hat sich die Bevölkerung gewehrt – das Wasser ist jetzt wieder in öffentlicher Hand und die Preise für das Trinkwasser sind wieder zurückgegangen.

 

Auch in der portugiesischen Stadt Pacos de Ferreira steig der Trinkwasserpreis nach der Privatisierung in sechs Jahren um 400 % an.

Wie drastisch die Lage auf nationaler Ebene werden kann, zeigt Chile, wo die Wasserversorgung seit 1981 nahezu vollständig privatisiert wurde. Mittlerweile konzentrieren sich die Besitzverhältnisse auf wenige mächtige Großunternehmen, die Preise diktieren können und den Spekulationsmarkt boomen lassen. Die extremen Dürren, unter denen Chile oft leiden muss, werden dadurch immer schwieriger zu bewältigen – insbesondere für die ärmeren Gruppen der Bevölkerung auf dem Land, die sich das Wasser nicht mehr leisten können.

 

2014 ist die EU-Kommission mit einem Versuch gescheitert, die Privatisierung der Wasserversorgung über die so genannte Konzessionsrichtlinie voranzutreiben. Für Wasserversorgung und -entsorgung sollte jede Verfügungsbewilligung EU-weit ausgeschrieben werden. Schon damals wurde deutlich, dass dadurch Gemeinden unter Preisdruck von global agierenden Konzernen geraten würden, wodurch auf massiven öffentlichen Druck Wasser aus der Richtlinie ausgenommen wurde – vorerst. Eine EU-weite Regelung über die Verhinderung der Privatisierung von Wasser gibt es dementsprechend nach wie vor nicht.

 

Für die Bürger*innen der Bundesrepublik folgt aus dem Grundrecht auf Leben und Gesundheit und dem Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz ein Anspruch auf qualitativ angemessene Versorgung mit Trinkwasser als Bestandteil des zu sichernden Existenzminimums. Die der Allgemeinheit dienende Wasserversorgung ist Aufgabe der Bundesländer und Gemeinden. Dabei können die Kommunen sich von privaten Unternehmen unterstützen lassen, solange sie die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen. Was bleibt, ist eine Hintertür für zukünftige Privatisierungen. Auch können schon jetzt einzelne Wasserquellen wie Brunnen in Privatbesitz gelangen. Schon jetzt kommt es zu ersten örtlichen Verteilungskonflikte zwischen Mineralwasserunternehmen und der lokalen Wasserwirtschaft über die Frage, wer bei der Nutzung lokaler Wasserressourcen den Vorrang hat.

 

Verteilungskämpfe zwischen den Bundesländern und Kommunen um die Ressource Wasser zeichnen sich bereits ab: Die Tagebaugruben der Lausitz werden aktuell mit Pumpen von Grundwasser trocken gehalten. Das Wasser aus den Tagebauen speist momentan die Spree. Wenn diese Tagebaue nun stillgelegt werden, wird die Senkung des Flusspegels zusätzlich zum allgemein sinkenden Grundwasserspiegel verstärkt.

 

Um den Flusspegel der Spree und damit den Trinkwasserhaushalt Berlins zu sichern, ist ein „Überlaufkanal“ zwischen Elbe und Spree geplant, der bei Wasserknappheit der Spree überschüssiges Wasser aus der Elbe in die Spree einleiten soll. Diese Vorschläge stoßen nicht bei allen Menschen in Sachsen und Südbrandenburg auf große Begeisterung. Ein Konflikt um die wenigen Wasserressourcen zeichnet sich bereits jetzt ab.

 

Auch die Verwendung des Wassers in den dann gefluteten Tagebaugruben der Lausitz ist nicht abschließend geklärt. Im schlimmsten Fall beanspruchen die Betreiber*innen der ehemaligen Tagebaue das Wasser und Kommunen müssen zur Verwendung des Wassers zahlen.

 

Auch der Zugang zum fließenden Wasser ist nur eingeschränkt möglich. Während des Gewässerbett nicht eigentumsfähig sein können, dürfen die angrenzenden Landflächen das sehr wohl sein. Der Zugang zum öffentlichen Wasser kann dadurch erheblich eingeschränkt werden, auch wenn rechtlich die Nutzung von oberirdischen Gewässern klar erlaubt ist.

 

Do it like Slovenia – Grundrecht auf Trinkwasser

Slowenien hat 2016 als erstes Land in der Europäischen Union das Recht auf Trinkwasser zur Verfassung hinzugefügt. Damit wird der Zugang zum „flüssigen Gold des 21. Jahrhunderts“ rechtlich gesichert. Insbesondere von Armut betroffene Gruppen der Gesellschaft haben damit einen Rechtsanspruch. Ebenso wird auch für die Zukunft verhindert, dass Wasser zur Ware wird und Wasserquellen privatisiert werden.

 

Eine Festschreibung des Grundrechts auf Zugang zum Trinkwasser auch in das Grundgesetz ist nur der logische Schritt.

 

Weg mit den Villen und rein ins Wasser

Den See sehend, aber nicht erreichend, ist bei hochsommerlichen Temperaturen ein bekanntes Ärgernis. Oft verhindern private Badebereiche und Privatgrundstücke Zugang zum Wasser, wobei der See öffentliches Gut ist. Hier muss sichergestellt werden, dass für die Mehrheit der Gesellschaft der Zugang nicht abgeschnitten werden kann. Ähnliches fordern unsere Genoss*innen der SPÖ mit einem „Recht auf Natur“ auf Verfassungsebene, damit sich in Zukunft nicht immer mehr Menschen auf wenige Quadratmeter quetschen müssen, während Reiche ihre eigenen Privatkilometer Zugang haben.

 

Water we waiting for?

Daher fordern wir:

  • Die Aufnahme des Grundrechts auf Trinkwasser ins Grundgesetzt nach slowenischem Vorbild, um die Vorrangstellung der Trinkwasserversorgung in Konkurrenz zu anderen Wassernutzungen ist klarzustellen sowie um eine Privatisierung von Trinkwasser zu verhindern.
  • Die Aufnahme des Rechts auf freie Natur im Grundgesetz, damit öffentliches Wasser nicht nur den Reichen zugänglich sein darf
  • Ein Vorkaufsrecht für Länder und Kommunen, um neue Flächen an Seezugängen zu erwerben und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dafür sollen ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Öffentliche Seegrundstücke gelten ab dann als unverkäuflich und dürfen nur im Rahmen der öffentlichen Zugänglichkeit verpachtet werden.
  • Bei Wasserflächen, wo aktuell kein bis kaum ein öffentlicher Zugang existiert, müssen Lösungen zugunsten der öffentlichen Zugänglichkeit gefunden werden. Auch vor Vergesellschaftungen darf nicht zurückgeschreckt werden.
  • Eine stärkere lokale, nationale und internationale Koordinierung zu faireren Wasserverteilung, um Engpässe zu vermeiden
  • Mehr Investitionen in die Infrastrukturen der Wasserwirtschaft und in den Naturschutz, um die Resilienz der Wasserwirtschaft zu stärken und damit der Grundwasserpegel nicht weiter sinkt.
  • Uns ist bewusst, dass es auf klimapolitische Herausforderungen nur globale Antworten geben kann. Daher bedarf es verbindliche Regelungen zur Privatisierung der Wasserversorgung. Als einen ersten Schritt fordern wir gesamteuropäische Lösungen für die Sicherstellung vom Grundrecht Wasser und den Zugang zum öffentlichen Gut.

 

Antrag 276/I/2024 Das sechste Massenaussterben verhindern – Wege gegen das Artensterben

21.04.2024

Wir leben in einer Zeit der multiplen ökologischen Krisen. Während die Klimakrise endlich einen wichtigen Platz in der öffentlichen Debatte gefunden hat, wird über die zweite große ökologische Krise kaum diskutiert: das Artensterben. Jeden Tag sterben derzeit 150 Tier- und Pflanzenarten für immer aus. Einmal ausgestorben, wird eine Art nie wieder zurückkehren.

 

Es gab in der Erdgeschichte fünf große Massenaussterben, bei denen jeweils ein großer Teil der Tier- und Pflanzenarten auf der Erde ausgestorben ist. Das Leben insgesamt ging zwar weiter, hat aber jeweils Millionen von Jahren gebraucht, um sich davon zu erholen. Das letzte große Massenaussterben fand vor 65 Millionen Jahren statt, als durch einen Meteoriteneinschlag unter anderem die Dinosaurier vollständig ausstarben. Die aktuelle Rate des Artensterbens hat eine Geschwindigkeit erreicht, dass Wissenschaftler*innen mittlerweile vom sechsten großen Massenaussterben der Erdgeschichte sprechen. Auf jeden Fall ist die Rate des Aussterbens mittlerweile so hoch wie seit 65 Millionen Jahren nicht mehr. Der Hauptgrund dafür ist ähnlich wie bei der Klimakrise der Mensch. Durch menschliches Handeln und unsere Art zu Leben und zu Wirtschaften schränken wir viele Tiere und Pflanzen in ihren Lebensräumen immer weiter ein und bedrohen so ihre Existenz. Daher müssen die Menschen auch ihren Teil zur Lösung des Problems beitragen.

 

Die Ökosysteme auf der Erde sind sehr komplex und aufeinander abgestimmt. Ein Wegfallen von Arten aus diesen kann zum Kollaps ganzer Ökosysteme führen und wird so zwangsläufig am Ende auch den Menschen selbst betreffen.

Artenschutz ist ein absolutes Querschnittsthema, dass sich durch alle Bereiche menschlichen Handelns und durch unser Verhältnis und unseren Umgang mit der Umwelt insgesamt zieht.

 

Artenschutz für alle

Einzelne Artenschutzprogramme wie das indische Programm zum Tigerschutz zeigen, dass es möglich ist, dass sich durch entsprechendes Eingreifen die Bestände bedrohter Arten erholen können. Während der Tigerbestand dort zum Minimum nur noch bei 1400 freilebenden Tieren lag, sind es mittlerweile, gut 10 Jahre später, wieder über 3600. Auch weitere Projekte dieser Art zeigen Erfolge.

 

Es ist aber klar, dass es sich dabei nur um einzelne Leuchtturmprojekte handelt, die lediglich einzelne Arten schützen. Bei 150 aussterbenden Arten täglich ist dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Artenschutz muss weitergedacht werden. Durch Schutzprogramme für Einzelarten kann das Massenaussterben nicht verhindert werden. Außerdem ist es wichtig, dass alle Tier- und Pflanzenarten geschützt werden. Hierbei darf es keine Priorisierung geben, wie attraktiv eine Art für den Menschen erscheint. Danach hätte immer der Schutz großer Säugetierarten Priorität. Es ist aber insbesondere der Schutz von Insekten- und Pflanzenarten wichtig, da diese oftmals entscheidend für das Funktionieren von Ökosystemen sind.

 

Wir fordern:

  • Artenschutz ganzheitlich zu denken, statt sich im Schutz einzelner Arten zu verlieren
  • dass insbesondere der Schutz von Pflanzen sowie von Insekten mitgedacht wird

 

Artensterben und Klimakrise – Die großen ökologischen Krisen gemeinsam denken

Die beiden großen ökologischen Krisen unserer Zeit verstärken sich gegenseitig. Durch die rasante Erhitzung der Erde verändern sich Ökosysteme so schnell, dass sich viele Arten nicht in ausreichender Geschwindigkeit daran anpassen können. Polkappen und Gletscher schmelzen, Meere erwärmen sich, Savannen verwüsten und Regenwälder werden geschwächt. All das führt zum Wegbrechen von Lebensräumen für die dort lebenden Arten. Daher ist Klimaschutz der beste Artenschutz.

 

Aber auch die Natur ist eine große CO2-Senke und bremst die Klimaerhitzung. Das Aussterben von Arten und der Kollaps von Ökosystemen können also einen Kipppunkt im Klimasystem darstellen und die Klimakrise vorantreiben.

 

Diese beiden Krisen müssen also zusammen gedacht und gelöst werden. Artenschutz ohne ein Bremsen der Klimakrise wird nicht funktionieren und Klimaschutz ohne ein Bremsen des Artensterbens führt zu schlechten Ergebnissen.

 

Ein scheinbarer Konflikt zwischen Klima- und Artenschutz stellt sich bei der Betrachtung von Windkraftanlagen. Von Kritiker*innen wird immer wieder das Argument hervorgebracht, dass Vögel in die Rotorblätter fliegen und so sterben könnten. Dieses Argument ist für uns nichtig, da es erstens durch Studien belegt ist, dass die Anzahl der Vögel, die auf diese Art sterben, gering ist. Zweitens überwiegen der Klimaeffekt durch Windräder und damit auch die Vorteile für den Artenschutz deutlich.

 

Wir erneuern daher alle unsere klimapolitischen Forderungen und fordern:

  • das Artensterben und die Klimakrise immer gemeinsam zu denken
  • eine ambitionierte Klimapolitik entlang der Leitlinien des Pariser Abkommens
  • eine bundesweite CO2-Neutralität bis spätestens 2040

 

Den menschlichen Fußabdruck in unserer Umwelt bedenken

Nicht nur die menschengemachte Klimaerhitzung setzt der Artenvielfalt zu, auch unser Umgang mit der Natur insgesamt hat viele negative Auswirkungen auf die Biodiversität. So sind es insbesondere menschliche Produkte, die wir in der Natur verteilen, wie Plastikmüll oder Düngemittel, die vielen Arten erheblich zusetzen. Hier muss stärker reguliert werden. Wir unterstützen daher Initiativen, die auf kommunaler, Landes-, Bundes- oder Europaebene versuchen, den Plastikmüll zu reduzieren. Wichtig ist, dass bei diesen Maßnahmen auch Mikroplastik berücksichtigt wird, da dieser vielen Tierarten besonders zusetzt.

 

Beim Einsatz von Düngemitteln oder Pestiziden muss genau darauf geachtet werden, wie weit diese Tier- und Pflanzenarten belasten und im Zweifel töten, gegen die das Mittel gar nicht wirken soll. Solche Kollateralschäden müssen vermieden werden. Bei der Zulassung dieser Stoffe muss das Vorsorgeprinzip gelten, d.h. dass Pestizide oder Dünger nur zugelassen werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie der Natur nicht übermäßig schaden, genauso wie auf die potentiellen Schäden für die menschliche Gesundheit geachtet werden muss. Eine Zulassung darf nicht auf Verdacht erfolgen, solange, bis die Schädlichkeit bewiesen ist.

 

Wir fordern also:

  • konsequentere Maßnahmen zur Vermeidung von Plastikmüll, inklusive durch ambitioniertere Mehrweg- und Recyclingstrategien, einen Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, sowie weitestgehende Verbote des Einsatzes von Mikroplastik in Alltagsprodukten wie Kosmetik und Waschmitteln und von Einwegplastik
  • Investitionen in Forschung und Technologien zum Rausfiltern von Mikroplastik durch Kläranlagen sowie direkt an den Verschmutzungsquellen
  • dass Pestizide und Düngemittel nur zugelassen werden, wenn sie nachweislich keinen oder nur einen sehr geringen Effekt auf Tier- und Pflanzenarten haben. Hierbei muss das Vorsorgeprinzip gelten.

 

Artenschutz gegen Tierschutz

In vielen Fällen stehen sich leider der Artenschutz, also der Schutz ganzer Arten bzw. der Erhalt von Artenvielfalt und der Tierschutz, also der Schutz eines einzelnen Individuums, konträr gegenüber. Dies kann allen voran der Fall sein, wenn einzelne Tiere getötet werden müssen, um Ökosysteme zu erhalten und so den Bestand vieler Arten zu sichern. Für uns ist in diesen Fällen klar, dass der Artenschutz im Zweifel immer Vorrang vor dem Tierschutz haben muss. Dies kann auch Bestandskontrollen einzelner Arten in Ökosystemen beinhalten. Wie diese aussehen, ist im Einzelfall zu klären.

 

Ein weiteres Beispiel, bei dem Tier- und Artenschutz aufeinandertreffen, bilden Zoos. In diesen können Tiere nicht artgerecht gehalten werden, auch wenn Bemühungen, die Haltung so artgerecht wie möglich zu gestalten, unterstützenswert sind. Der Tierschutz und die Lebensqualität von Einzeltieren werden in Zoos zwangsläufig beeinträchtigt. Auf der anderen Seite führen Zoos immer wieder ihren Nutzen für den Artenschutz an, da in diesen Arten weiterleben, deren Bestand in freier Wildbahn zurückgeht. Dieser positive Effekt muss von Zoos aber nachgewiesen werden.

 

Wir fordern:

  • dass der Schutz ganzer Arten gegenüber dem Schutz von Einzeltieren im Zweifel Vorrang hat
  • dass Bestandskontrollen einzelner Arten zum Schutz anderer Arten hierfür grundsätzlich in Betracht gezogen werden
  • dass bei Bestandskontrollen genau auf die Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit geachtet wird. Im Zweifel kann beispielsweise eine Kontrolle über gezielte Kastrationen sinnvoller und verhältnismäßiger sein als Tötungen.
  • dass Zoos ihren positiven Effekt für den Artenschutz und wirklich artgerechte Tierhaltung klar nachweisen müssen. Ansonsten haben sie keine Existenzberechtigung.

 

Artenschutz lokal denken

Artenschutz fängt bereits auf der kleinsten Ebene, auf der Landes- oder kommunalen Ebene an. Die Wiederansiedlung einzelner Arten, wie beispielsweise des Wolfes in Deutschland heißen wir gut. Da es aber nur um wenige Arten und wieder vor allem um große Säugetierarten geht, wird hierdurch das Problem des Artensterbens nicht gelöst.

 

In Großstädten kann der Artenschutz durch einzelne ausgeschriebene Flächen wie die Berliner Wuhlheide geschehen, in denen die Biodiversität kontrolliert wird. Ansonsten sind auch kleine Projekte wie einzelne Wiesen oder Höfe begrüßenswert. Hierbei ist aber besonders auf die Zusammensetzung des Saatguts zu achten. Nicht jede bunte Blumenwiese verheißt zwangsläufig auch Biodiversität. Diese Aspekte und wissenschaftliche Erkenntnisse müssen bei der Auswahl berücksichtigt werden. Denn auch eine Wiese voller Insekten bedeutet nicht zwangsläufig eine hohe Biodiversität, da die Insektenarten auf dieser Wiese begrenzt sein können. Einige Bienenarten sind beispielsweise sehr beschränkt in der Wahl der Pflanzen, an denen sie anlanden. Um mehr von diesen kleinen Biotopen zu schaffen, ist es wichtig, gegenteilige Formen wie Schottergärten oder Rindenschrot zu verbieten und so Anreize zum biodiversen Bepflanzen zu schaffen.

 

Insbesondere in ländlichen Regionen ist es wichtig, dass ausreichend Naturschutzgebiete als wirklich wilder Raum existieren, in dem sich die Natur frei entfalten kann. Hier müssen in Deutschland deutlich mehr Flächen geschaffen werden.

 

Wir fordern daher:

  • die Einrichtung ausgeschriebener, geschützter Wildflächen im städtischen wie im ländlichen Raum, in denen die Natur sich frei entfalten kann
  • dass diese Flächen deutschlandweit bis 2030 mindestens 30% der Landfläche ausmachen
  • dass dies auch in den Meeren geschieht
  • im städtischen Raum mehr grüne Flächen mit Pflanzenartenvielfalt als Bestäubungsfläche für Insekten. Bei der Auswahl des Saatguts müssen Biodiversitätsaspekte und wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden.
  • ein Verbot von Schottergärten und biodiversitätsarmen Alternativen wie Rindenschrot

 

Artenschutz global denken

Artenschutz ist wie alle ökologischen Krisen ein globales Problem. Alle Länder der Welt müssen zusammenarbeiten, um wirksamen Artenschutz zu erreichen. Der bisher beste internationale Vertrag auf dem Gebiet ist das Montreal-Abkommen, das auf der UN-Biodiversitätskonferenz 2022 in Montreal verabschiedet wurde. Dieses Abkommen ist als analog zum Pariser Abkommen für den Klimaschutz zu betrachten, geht aber noch nicht weit genug. Wir fordern weitergehende, völkerrechtlich verbindliche Verträge auf künftigen Konferenzen dieser Art. Eine der zentralen Forderungen in der globalen Politik zum Artenschutz ist das 30by30-Ziel, wonach bis 2030 in jedem Land 30% der Land- und Seefläche als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden soll. Dieses Vorhaben unterstützen wir ausdrücklich.

 

Wichtig bei der globalen Betrachtung des Problems ist die Erkenntnis, dass Artenvielfalt auf der Erde extrem ungleich verteilt ist. Die artenreichsten Gegenden liegen dabei in den Tropen. Hier liegen vor allem Länder des globalen Südens, mit denen ein Austausch von Expertise und Ressourcen stattfinden muss. Zudem muss eine gerechte finanzielle Subvention von ökonomisch starken zu schwachen Ländern stattfinden, damit das gemeinsame Ziel unter Berücksichtigung der jeweiligen Kapazität erreicht werden kann. Wichtig ist bei den multilateralen Beziehungen hierbei eine Begegnung auf Augenhöhe, um postkoloniales Denken im Umgang mit den Ländern des globalen Südens aufzubrechen. Gerade die indigene Bevölkerung in den entsprechenden Ländern muss in die Verhandlungen mit einbezogen werden. Insbesondere bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten muss die Komponente Artenschutz eine wichtige Rolle spielen.

 

Wir fordern daher:

  • ein Agieren gemäß dem Montreal-Abkommen in Deutschland und auf internationaler Ebene
  • eine Verbesserung des Abkommens mit strengeren Maßgaben bei künftigen UN-Biodiversitätskonferenzen
  • eine Unterstützung des 30by30-Ziels
  • eine weitreichende, auch finanzielle Unterstützung von Staaten des globalen Südens, insbesondere in besonders artenreichen Regionen in den Tropen durch die reichen Staaten des globalen Nordens
  • eine Begegnung auf Augenhöhe mit Staaten des globalen Südens bei Verhandlungen zum Thema Artenschutz unter Einbeziehung der indigenen Bevölkerung
  • ein starkes Augenmerk auf das Thema Artenschutz beim EU-Mercosur-Abkommen

 

Antrag 184/I/2024 Kein Einfallstor für Bespitzelung und Rassismus durch den Paragraphen 129 zur Bildung einer kriminellen Vereinigung

21.04.2024

In letzter Zeit nimmt die öffentliche Debatte um den §129 Strafgesetzbuch zu. Besonders umstritten ist die Anwendung des Paragraphen auf die sogenannte “Letzte Generation”. Auch im Kontext der Verurteilung von Lina E. spielt der Paragraph eine zentrale Rolle, der seitens der Bundesanwaltschaft angeführt wurde, um u.a. die lange Untersuchungshaft gegen Lina E. zu rechtfertigen und auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat neuerdings Pläne mit dem Paragraphen.

 

Dieser Paragraph besagt, dass die Gründung oder Mitgliedschaft einer Vereinigung unter Strafe gestellt wird, deren Ziel es ist Straftaten zu begehen. Diese Straftaten müssen dabei mit mindestens zwei Jahren Haft bestraft werden können, das sind Bagatelldelikte wie Ladendiebstahl. Schon das Planen der entsprechenden Straftaten kann mit fünf Jahren Haft geahndet werden, wenn sie innerhalb einer „Kriminellen Vereinigung“ geschehen. Weiterhin ist der Begriff der “Vereinigung” definiert, diese muss auf längere Dauer angelegt sein, eine klare Struktur und Rollenverteilung bzw. Hierarchie aufweisen und die Mitglieder müssen sich einem übergeordneten Ziel verpflichtet fühlen. Eine Besonderheit des Paragraphen ist es, dass bereits der Verdacht ausreichend ist, um die Verdächtigen konspirativ zu überwachen. Das heißt, dass grundrechtsverletzende Maßnahmen, wie die Überwachung von Privatwohnungen, Telekommunikationen usw. eingesetzt werden dürfen. Das ist ein Grund, warum der §129 auch als „Gesinnungsparagraph“ bezeichnet wird, der genutzt wird, um über eine Bewegung oder Szene Informationen nach dem “Was man hat, hat man”-Prinzip zu gewinnen.

 

Dies geschah jahrelang bei den Ultras des Vereins “Chemie Leipzig” die jahrelang mit eigentlich grundgesetzwidrigen Mitteln überwacht wurden – und es am Ende nie zu einer Verdachtsbestätigung kam. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Webseite “linksunten.indymedia”. Auch gegen die Betreiber dieser Webseite wurde fast fünf Jahre u.a. wegen §129 StGB ermittelt – am Ende kam es auch hier nicht zu einer entsprechenden Verurteilung. Auch die sog. “Letzte Generation” wurde mit diesen Mitteln überwacht, auch als der Verdacht nicht rechtlich bestätigt war. Im Gegenteil: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat sogar einen Beschluss gefällt, dass die “Letzte Generation” keine kriminelle Vereinigung sei, was die Justizsenatorin Badenberg nochmal aus politischen Gründen überprüfen ließ. Solche politischen Eingriffe in Ermittlungen, die sich auf diesen Paragraphen beziehen, sind nicht überraschend, sondern zeigen vielmehr die politische Dimension des Paragraphens. Relevant ist hier, dass auch die bloße Unterstützung einer solchen Vereinigung nach §129 strafbar ist. Dies hat das Potential, Unterstützung für die “Letzte Generation” und auch Solidaritätsbekundungen mit Lina E. zu kriminalisieren. Im Falle der sogenannten “Letzten Generation” wurde dies deutlich, als die Bayerischen Ermittlungsbehörden einen entsprechenden Hinweis auf die mögliche Strafbarkeit der Unterstützung auf die beschlagnahmte Webseite der “Letzten Generation” schalteten.

 

Bis zu der Reform des Paragraphen 2017 galt, dass von einer kriminellen Vereinigung eine “erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit” ausgehen müsse, dies betraf Strafen, die mindestens mit fünf Jahren, nicht wie heute mit zwei Jahren Haft bestraft wurden.

 

Die „Letzte Generation“ wurde wegen des Strafbestands der “Nötigung” verfolgt, eine Tat, die “nur” mit einem Haftrahmen von bis zu drei Jahren verfolgt wird, ein Bagatelldelikt, aber keine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit”. Sich darauf zu stützen, dass die Vergehen eine gefühlte Bedrohung darstellen, das lehnen wir ab!

 

Durch die geringen Hürden zu einer „Kriminellen Vereinigung“ erklärt zu werden, ist der Paragraph uferlos geworden. Unserem liberalen Rechtsstaat steht es nicht gut zu Gesicht, wenn seine Paragraphen zu stark Auslegungssache sind, im Gegenteil, sie müssen engmaschig und eindeutig sein.

 

Nicht, dass das nicht schon schlimm genug wäre, nun plant Innenministerin Nancy Faeser noch eine Reform des Paragraphen zur Bekämpfung von „Clankriminalität“. Das ideologische Ziel der Vereinigungen soll nun wegfallen auch Wirtschaftskriminalität soll nun als ausreichend angesehen werden, wenn Angehörige eines angeblichen „Clans“ in einer solchen „Vereinigung“ Mitglied sind, dann sollen sie abgeschoben werden, ohne Verurteilung. Wie man in den bisherigen Fällen gesehen hat, reichen schon Chat-Nachrichten um solch einer Vereinigung anzugehören. Diesen schwammigen Kriterien nach sollen Menschen ohne Verurteilung nun also abgeschoben werden, nur weil sie einer Familie angehören, weil sie den falschen Nachnamen tragen. Diese restriktive und rassistische Politik lehnen wir ab.

 

Wir fordern eine Reform der § 129 ff. Strafgesetzbuch unter Berücksichtigung folgender Punkte:

  • 129 ist als Grundtatbestand neuzufassen und auf die Begehung von Straftaten mittlerer Kriminalität zu beziehen. Bagatelldelikte der leichten Kriminalität sind dabei grundsätzlich auszuschließen. Die Mindeststrafe für strafbestandserfüllende Taten soll bei mindestens fünf Jahren liegen (ohne die Erhöhung der Strafe, die durch das Begehen in einer Vereinigung miteinhergeht)
  • Es sind konkrete Vorgaben für die Organisation, Planung und Struktur einer Vereinigung zu entwickeln.
  • Die Strafandrohung (die mögliche Strafe) des § 129 neuer Fassung ist herabzusetzen.
  • Schwere Eingriffe in Grundrechte durch intensive Ermittlungsmaßnahmen, wie das Abhören von Kommunikation, dürfen nicht länger auf einem bloßen Verdacht der Gründung oder Beteiligung einer kriminellen Vereinigung beruhen. Dafür darf der Paragraph nicht mehr als sogenannte Katalogtat geführt werden.
  • Für schwerkriminelle Vereinigungen, die auf die Begehung schwerwiegender Taten organisierter Kriminalität wie Mord, Totschlag, Schutzgelderpressungen oder Geldwäsche gerichtet sind, soll ein eigener Straftatbestand (Qualifikation) geschaffen werden.
  • Von kriminellen wie terroristischen Vereinigungen muss eine erhöhte Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen.
  • Eine Reform wie von Nancy Faeser eingebracht ist abzulehnen

 

Antrag 185/I/2024 Sogenannte “Clankriminalität” aus den Köpfen streichen - für einen antirassistischen Kampf gegen organisierte Kriminalität

21.04.2024

Wo wir stehen

Immer wieder machen auch SPD-Politiker*innen Öffentlichkeitsarbeit mit Forderungen, härter gegen sogenannte “Clans” vorzugehen. Zuletzt heizte Nancy Faeser die öffentliche Debatte durch einen Vorstoß ihres Bundesinnenministeriums an, Angehörige von “Clans” auch dann abzuschieben, wenn diese selbst keine Straftaten begangen haben. Stimmen, die sich kritisch mit dem Begriff auseinandersetzen, sind in der deutschen Öffentlichkeit rar. Unsere Gesellschaft ist geprägt durch eine weiße Mehrheit, die für die strukturelle und institutionalisierte Unterdrückung von BIPoC verantwortlich ist. Diese Unterdrückung und das Bedürfnis von Kontrolle von BIPoC-Communities manifestiert sich insbesondere in dem Verhältnis von Staatsgewalt zu nicht-weißen Communities. Das ist für Betroffene deshalb besonders einschneidend, weil es die freie Persönlichkeitsentfaltung massiv einschränkt sowie Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie untergräbt. Daher muss unser antirassistischer Kampf in besonderem Maße an staatlichen Strukturen ansetzen, die Rassismus manifestieren und reproduzieren. Wir streben an, ebendiese Strukturen aufzubrechen und Awarenessarbeit in der weißen Mehrheitsgesellschaft über vorherrschende Diskriminierungsformen zu leisten.

 

Dabei ist für uns klar: Die Polizeiarbeit mit nicht-weißen Communities muss sich radikal ändern. Konzepte der sogenannten „Gefahrenabwehr“, die auf rassistischen und stigmatisierenden Vorurteilen beruhen, müssen der Vergangenheit angehören.

 

99 Problems mit sog. “Clankriminalität”

Eines der rassistischen Konzepte, welches oftmals von Bundeskriminalamt (BKA) und diversen Landeskriminalämtern, sowie in der innenpolitischen Debatte (auch von SPD-Politiker*innen) verwendet wird, ist das sogenannte Konzept der „Clankriminalität“. Im Bundeslagebild OK 2021 definiert BKA Clan dabei als „eine informelle soziale Organisation, die durch ein gemeinsames Abstammungsverständnis ihrer Angehörigen bestimmt ist. Sie zeichnet sich insbesondere durch eine hierarchische Struktur, ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsames Normen- und Werteverständnis aus.”

 

Diese Definition ist aus vielen Gründen problematisch. weil in ihr selbst ein rassistisches Weltbild inhärent ist. Während frühere Lageberichte noch von dem Begriff “Ethnie” sprachen, hat man sich zwar wegen vielfach geübter Kritik an dem Ethnizitätskonstrukt hiervon entfernt, aber auch “Abstammungsverhältnis” legt das rassistische Weltbild offen, das dem Verständnis der sogenannten Clankriminalität inhärent ist. Sie kontrastiert die angeblich gesellschaftlich abgeschotteten, implizit nicht-weißen, kriminellen “Ausländer” mit den weißen Deutschen und ihrer homogenen, erstrebenswerten Ordnung.  Das lässt sich schon daran festmachen, dass offensichtlich auch Täter*innengruppen existieren, die ein „gemeinsames deutsches Abstammungsverständnis“ haben und auch ansonsten die BKA-Clan-Definition erfüllen, aber nicht gemeint sind. Es ist auch deshalb grotesk, da etwa die Hälfte der im Lagebericht des BKA aus dem Jahre 2021 genannten Täter*innen die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

 

Zudem ist das Konzept rechtsstaatlich problematisch, weil damit eine Klammer um verschiedenste Straftaten gebildet wird, die diese nur deshalb in einen Zusammenhang setzt, weil der*die Beschuldigte nicht weiß ist und eine von der weißen Mehrheit abweichende kulturelle Prägung hat.  Neben diesen Bedenken ist die Klammerwirkung der “Clankriminalität” auch deshalb problematisch, weil der Begriff damit konturlos wird: Falschparken kann genauso Grund für die Einstufung als “Clankriminalität” gelten wie ein Mord. Gleichzeitig impliziert das Konzept mit dieser Klammerwirkung der Einwanderungsfamilie einer*eines Beschuldigten, dass bestimmte kulturelle Prägungen eine besondere Nähe zu Kriminalität aufweisen. Die Behauptung, dass es “Gruppen mit gemeinsamem Abstammungsverhältnis” gebe, deren Kriminalitätsneigung im Vergleich zur deutschen Mehrheitsgesellschaft per se gesteigert sei, ist vielfach wissenschaftlich widerlegt und steht in der Tradition der “Rassenforschung”. Praktisch fördert dieses Verständnis Racial Profiling massiv. Ein solch rassistisches Verständnis von Gesellschaft und die dem Konzept zugrundeliegende Ethnisierung von Kriminalität lehnen wir entschieden ab.

 

Eine weitere Ebene, die in innenpolitischen Debatten um sog. “Clankriminalität” oft ausgespart wird, ist die individuelle. Mitglieder bestimmter Familien mit bekannten Nachnamen werden durch die rassistischen Zuschreibungen zu ihrem Familiennamen in nahezu allen Bereichen des (öffentlichen) Lebens diskriminiert. Die pauschale gesellschaftliche Ausgrenzung, die ihnen widerfährt, wäre zu kritisieren, selbst wenn eine Mehrheit der Familienmitglieder kriminell wäre. Die Realität ist aber, dass die große Mehrheit der Familienmitglieder mit kriminellen Strukturen nichts zu tun hat bzw. selbst nie straffällig wird. Die Erwartung ihrer Straffälligkeit begleitet sie aber oft das ganze Leben. Kindern aus entsprechenden Familien wird laut Betroffenenberichten oftmals schon in der Schule eine zukünftige kriminelle Karriere bescheinigt. Das führt bei den betroffenen Schüler*innen oft zu Demotivation, schlechten schulischen Leistungen, starker sozialer Isolation und einem Mangel an Möglichkeiten, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten. Beim Einstieg in das Berufsleben haben es junge Menschen mit Nachnamen angeblicher arabischer “Clans” ebenfalls ungleich schwerer: Oft finden sie keine*n Arbeitgeber*in, der*die sie aus Angst um fälschlicherweise vorverurteilten kriminelle Hintergründe nicht einstellen will. Auf dem Mietmarkt, der Mieter*innen auf Wohnungssuche in urbanen Ballungsräumen ohnehin schon verzweifeln lässt, haben Menschen mit bekannten Nachnamen kaum eine Chance und sind oft gezwungen, ihre Kieze zu verlassen. All diese Formen gesellschaftlicher Diskriminierung und sozialer Isolation führen oft dazu, dass Mitglieder entsprechender Familien das Gefühl haben, sich in allen Bereichen des Lebens nur aufeinander und ihre Familienstrukturen verlassen zu können.

 

Der wahre Grund für Kriminalität: Staatliches Versagen

Die politische und gesellschaftliche Debatte zum Thema der sog. “Clankriminalität” lässt oft aus, was der wahre Grund dafür ist, dass es hohe Kriminalitätsraten unter Familien gibt, die in den 1980er Jahren infolge des libanesischen Bürgerkriegs nach Deutschland geflohen sind. Viele dieser Menschen sind als staatenlose arabische und palästinensische Geflüchtete nach Deutschland gekommen und waren jahrzehntelang in Kettenduldungen gefangen. Sie bekamen keine Arbeitserlaubnis, was es ihnen kaum möglich machte, in dieser Gesellschaft anzukommen und Fuß zu fassen. Die Kinder aus diesen Einwanderer*innenfamilien waren nicht schulpflichtig. Kurzum war dem deutschen Staat daran gelegen, dass sie hier gerade kein neues Zuhause fanden. Der Gedanke hinter der nicht vorhandenen Integrationspolitik war, dass sie nach dem Krieg im besten Fall schnellstmöglich wieder gehen sollten und bis dahin war dem deutschen Staat egal, was mit ihnen passierte. Derselbe deutsche Staat, dem also massive Versäumnisse im Umgang mit den Geflüchteten aus dem libanesischen Bürgerkrieg anzulasten sind, veranstaltet Razzien in Shishabars, moniert Parallelgesellschaften, entwickelt pauschalisierende Konzepte um sog. Clankriminalität zu bekämpfen, statt sich dem eigenen Versagen kritisch auseinanderzusetzen. Auch die Sozialdemokratie geht an dieser Stelle nicht reflektiert genug vor, betont die Repression gegen sog. Clans, statt den Fokus auf Prävention, aufsuchende Sozialarbeit und eine veränderte Polizeiarbeit zu legen

 

Diesen Umgang mit Kriminalität lehnen wir ab. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir organisierte Kriminalität und patriarchalisch hierarchische Strukturen tolerieren. Diese müssen auch aus antirassistischer und feministischer Grundhaltung bekämpft werden, richtet sie sich doch überproportional oft gegen nicht-weißen Communities und FINTA-Personen, also gesellschaftlich ohnehin schon marginalisierte Gruppen. Die unter dem Stichwort der “Clankriminalität” geführten Verkehrsdelikte oder Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz helfen für die Bekämpfung von organisierter Kriminalität jedoch nicht weiter.

 

Moderne Innenpolitik geht mit links

Wir stehen ein für eine moderne Innenpolitik, die organisierte Kriminalität bekämpft, ohne in Rassismen zu verfallen. Dafür brauchen wir aufsuchende Polizeiarbeit, die mit den Communities auf Augenhöhe kooperiert, statt sie als Feind*innen dieser Gesellschaft zu sehen. Reaktionäre Impulse im Umgang mit BIPoC und Kriminalität müssen insbesondere in der SPD der Vergangenheit angehören. Eine alternative Herangehensweise bietet hierbei das Konzept des Community Policings. Hierbei ist das Agieren der Polizei- und Sicherheitsbehörden auf enge und nachhaltige Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen der Kommune bzw. des Kiezes ausgerichtet. Lokalen Behörden interagieren dabei mit der Öffentlichkeit und entwickeln gemeinsam Strategien zur Verringerung von Kriminalität. Traditionell wird es von den lokalen Strafverfolgungsbehörden eingesetzt, die sich in erster Linie mit der Prävention und Lösung von Sicherheitsproblemen befassen, welche sich sichtbar auf das tägliche Leben der Bürger*innen vor Ort auswirken und das subjektive Sicherheitsgefühl erhöhen können.

 

Wir fordern daher:

  • das Konzept der Clankriminalität in der behördlichen und polizeilichen Arbeit aufzugeben und durch Konzepte der Banden- und der Organisierten Kriminalität bzw. der Netzwerk-Kriminalität zu ersetzen,
  • Die Erhöhung der Mittel für aufsuchende Sozialarbeit für Menschen aus Einwander*innenfamilien,
  • das Konzept des Community Policings flächendeckend zu implementieren

 

Antrag 140/I/2024 Lehren aus der Krankenhausbewegung - Neuanfang in der medizinischen Versorgung gemeinwohlorientiert gestalten

21.04.2024

Das Gesundheitswesen zeigt, was passiert, wenn Bereiche der Daseinsvorsorge kapitalistischer Ausbeutung unterworfen werden. Nicht erst seit der Coronapandemie stehen alle Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens und Patient*innen unter dem enormen Druck der finanziellen Grundsätze des Gesundheitswesens, welches Profitmaximierung über menschliches Wohlergehen stellt. Die geplante Pflegereform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach hält weiterhin an den kapitalistischen Grundsätzen des jetzigen Systems fest und kann uns deshalb nicht zufriedenstellen.

 

Hinzu kommt die Krankenhausbewegung, die gerade von uns als Arbeiter*innenpartei unterstützt werden muss. Hierbei geht es unter anderem um bessere Arbeitsbedingungen und faire Löhne sowohl für medizinisches Personal, als auch für andere Angestellte im Gesundheitswesen (Reinigungskräfte, Essensversorger*innen, Laborant*innen, etc) und zuletzt auch in Studium und Ausbildung. Die Folgen der Überlastung der im Gesundheitswesen Beschäftigten und des Gesundheitssystems sind spätestens seit dem „Schwarzbuch Krankenhaus“, ein kollektives Netzwerk, das Erfahrungsberichte aus dem Arbeitsalltag im Gesundheitssystem sammelt, die zumeist erschreckend negativ ausfallen, für jeden nachlesbar und unterstreichen die Dringlichkeit von Veränderung.

 

Da das Ziel eines nicht-profitorientierten Gesundheitssystems jedoch noch in der Ferne liegt, müssen wir Lösungen für die aktuell konkreten Probleme des medizinischen Personals erarbeiten und uns auch in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften für flächendeckende Tarifbindung und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen.

 

Auch Ärzt*innen haben ein Recht auf eine Work-Life-Balance!

Unbezahlte Überstunden, unfaire, auf ein oder wenige Jahre befristete Verträge und die daraus resultierende nicht existente Work-Life-Balance sind längst der Normfall für Ärzt*innen außerhalb von Leitungspositionen. Dazu kommt: Wer nicht täglich länger bleibt hat weniger Chancen auf beruflichen Aufstieg.

 

Durch Regelungen wie das Opt-Out, mit dem es möglich ist, die wöchentliche Arbeitszeit von Ärzt*innen auf 60h/Woche zu erhöhen, wird der Beruf zur Belastung. Offiziell ist das Unterschreiben dieses Vertrages freiwillig, doch viele Arbeitgeber*innen drängen dazu. Dadurch wird sowohl die Gesundheit der Patient*innen durch verringerte Konzentrationsfähigkeit der Ärzt*innen, als auch die Gesundheit der Ärzt*innen selbst aufs Spiel gesetzt. Der Streik im letzten Jahr hat zu einer Tarifeinigung zwischen Marburger Bund (der größten Ärzt*innengewerkschaft) und der Charité geführt. Dabei gab es zumindest Teilerfolge bspw. wurden die sogenannten Kombidienste verboten – eine Kombination aus normalem Dienst, Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst.

 

Auch wenn es mittlerweile mehr Regelungen gibt, berichten Mediziner*innen, dass sich einige Kliniken noch nicht einmal an die jetzt schon eher dürftigen Regeln halten und selbst die ordentliche Dokumentation der Arbeitszeiten verhindern. Regeln müssen durchgesetzt werden! Dafür braucht es regelmäßige, qualitativ hochwertige Kontrollen, auch und gerade bzgl. einer richtigen Dokumentation der realen Arbeitszeiten.

 

Der Trend geht verstärkt zu mehr Leistung in immer weniger Zeit, die Patient*innendichte nimmt zu, die Anzahl der Ärzt*innen ab und die Dienste selbst werden immer arbeitsintensiver. Für die mentale und physische Gesundheit ist es jedoch unerlässlich, richtige Ruhezeiten zu haben. In vielen Gesundheitszentren ist es bei den aktuellen Zuständen und dem hohen Patien*innenaufkommen aber schlichtweg nicht möglich, einfach mal Pause zu machen oder die (wenn überhaupt geregelten) Pausenzeiten einzuhalten. Durch die profitorientierte Denkweise leiden viele Beschäftigte im Gesundheitssektor an Burn-Out und Überlastungssymptomen und müssen ihren Job aufgeben – Ein Verlust, den man sich angesichts des Fachkräftemangels und der Überlastung der Gesundheitssysteme nicht leisten kann. Ärzt*innen haben zudem ein 50% höheres Risiko, an Suizid zu versterben. Bei Ärztinnen ist dieses Risiko verglichen mit der weiblichen Allgemeinbevölkerung sogar vervierfacht. Auch andere psychische Erkrankungen, wie bspw. Suchterkrankungen, Burnout und Überlastungsreaktionen sind im medizinischen Sektor häufiger als anderswo. Hier muss präventiv mit Angeboten entgegengewirkt werden und auch hier würde eine regelmäßige Auszeit vom Beruf helfen.

 

Daher fordern wir:

  • Eine gesetzliche Regelung zur Abschaffung der Opt-Out-Regel bzw. Regelungen, die nicht gültige Mehrarbeit möglich machen
  • Eine Pflicht der Erbringung von Arbeitszeitnachweisen von Ärzt*innen durch die Kliniken und eine geregelte Kontrolle dieser
  • Ein Ausbau der Gesundheitsprogramme für alle Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen, die aktiv die körperliche und mentale Gesundheit fördern und so verhindern, dass Menschen an ihrem Arbeitsplatz kaputt gehen
  • Die Einführung einer Arbeitsgruppe beim Zoll, die ihren Fokus auf die Überprüfung der Einhaltung von Arbeitsrecht im Krankenhaus legt
  • Die Anpassung des § 118 BetrVG muss vorgenommen werden

 

Die Sonderstellung kirchlicher Träger*innen beenden!

Im Kampf für mehr Tarifbindung und bessere Konditionen für Arbeitnehmer*innen in den Tarifverträgen stellen sich kirchliche Träger*innen wie die Diakonie oder die Caritas oft quer. Das Staatskirchenrecht sichert kirchlichen Institutionen und Träger*innen eine Sonderrolle zu. Hierbei darf der Staat in bestimmte Bereiche kirchlicher Selbstbestimmung – wie z.B. das Arbeits- und Dienstrecht, die Regelung über Mitgliedschaften oder die Ordnung der Finanzen – nicht eingreifen. Das führt dazu, dass Menschen durch Dienstvorschriften diskriminiert oder durch schlechte Konditionen gegenüber Mitarbeitenden in anderen Bereichen der Pflege schlechter gestellt werden. In Zeiten des Fachkräftemangels und bei einem Flickenteppich aus Arbeitgeber*innen und Arbeitgeber*innenverbänden kann diese Sonderstellung der Kirchen nicht hingenommen werden.

 

Wir fordern:

  • die Anpassung von Art. 140 GG dahingehend, dass kirchliches Recht nicht vor staatlichem stehen darf
  • eine Überarbeitung und Neuformulierung des Staatskirchenrechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechte von Arbeitnehmer*innen, die für kirchliche Träger*innen arbeiten.
  • die Veränderung der Tariftreueregelung in der ambulanten und vollstationären Pflege dahingehend, dass die regional üblichen Entgeltniveaus abgeschafft werden, die AVR Diakonie und Caritas nicht als relevanter Tarifvertrag geführt wird und der Tarifvertrag öffentlicher Dienst immer angeboten werden muss
  • Außerdem bekräftigen wir unsere Forderung, dass Gesundheit zur öffentlichen Daseinsvorsorge und in öffentliche Hand gehört.