Nach dem dritten „historisch schlechten“ Bundestagswahlergebnis der SPD in Folge, sowie dem richtigen Schritt in die Opposition, liegt der größte Teil der Aufarbeitungsarbeit noch vor uns. Klar ist, dass eine SPD mit knapp über 20 Prozent der Wähler*innenstimmen nicht mehr die gesellschaftlich gestaltende Kraft sein kann, die sie sein müsste. In den letzten 20 Jahren hat die SPD die Hälfte ihrer Wähler*innenschaft und auch ihrer Mitglieder eingebüßt.
Ein Blick auf unsere europäischen Schwesterparteien zeigt, dass die SPD mit dieser Entwicklung nicht alleine dasteht: die Partei der Arbeit (PdvA) erlangte bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden 2017: 5,7%, die Sozialistische Partei (PS) bei den Parlamentswahlen in Frankreich 2017: 5,7%, die Vereinigte Linke (ZL) bei den Parlamentswahlen in Polen 2015: 7,6%, die Demokratische Koalition aus PASOK und DIMAR bei den Parlamentswahlen in Griechenland, September 2015: 6,28%.
Diese erschreckenden Zahlen führen deutlich vor Augen, dass auch bei knapp 20 Prozent der Sinkflug noch nicht abgeschlossen sein muss. Diese Reihe zeigt aber auch, dass auch wenn Debatten über einzelne Personen und Kampagnen wichtig sind, diese nur einen gewissen Anteil der Ergebnisse erklären können. Offenbar haben große Teile der Sozialdemokratie ein Problem, überzeugende Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden und schaffen es nicht, ihre Altlasten aus den 2000er- Jahren neoliberaler Verirrung glaubwürdig hinter sich zu lassen.
Auch in Deutschland konnten 80 Prozent der Wähler*innen nach dem Wahlkampf 2017 nicht sagen, was die SPD unter dem Begriff der „Sozialen Gerechtigkeit“ versteht.
Ein Potpourri an links angehauchten Forderungen reicht nicht aus um zu überzeugen, wie wir an den Wahlprogrammen 2013 und 2017 gesehen haben: sie enthielten viele gute Forderungen, doch weder waren diese besonders mutig, noch verband sie ein erkennbarer roten Faden.
Selbst bei hohen Zustimmungswerten zu einzelnen Reformvorhaben und einem sympathischen Kandidaten wissen die Menschen nicht, was für eine Gesellschaft die SPD eigentlich abstrebt. Reicht es ihr tatsächlich, wenn einige kleine Anpassungen im bestehenden System vorgenommen werden, und glaubt sie wirklich, damit soziale Gerechtigkeit herstellen zu können? Dieser Ansatz scheint aus der Zeit gefallen.
Wenn dieser Ansatz in den westdeutschen 70er Jahren vielleicht noch überzeugen konnte, so sollte spätestens nach den letzten Jahrzehnten mit neoliberalem Umbruch, Finanzmarktkapitalismus und der Entkernung von Sozial- und Lohnarbeitssystemen, endlich klar sein, dass es einen „Klassenkompromiss“ nicht geben kann. Wer soziale Gerechtigkeit will, muss den Mut haben, bestehende Besitz- und Ausbeutungsverhältnisse anzugreifen und eine Perspektive für mehr Freiheit und Selbstbestimmung, Gleichheit und soziale Sicherheit sowie (internationale) Solidarität zu bieten.
Die SPD braucht wieder eine progressive Gesellschaftsvision. Der demokratische Sozialismus als Gesellschaft der Freien und Gleichen ist weder Folklore noch unerreichbare Utopie, sondern Kern der sozialdemokratischen Bewegung. Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass eine Rückbesinnung auf diesen Kern für eine sozialdemokratische Partei durchaus lohnt und sie wieder zu einer Bewegung aufleben lassen kann. Auch die SPD braucht den Mut, diesen Weg wieder zu gehen.
Wir fordern daher:
- Die SPD muss in einem breit angelegten Prozess ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Dieses muss erkennbar mit der neoliberalen Agenda-Politik der 2000er Jahre brechen. Die gesellschaftliche Vision eines demokratischen Sozialismus muss wieder mit Leben gefüllt und glaubwürdig vertreten werden. Langfristige Ziele und konkrete Projekte zur Zielerreichung müssen klar ausdefiniert werden.
Die SPD braucht mit der inhaltlichen auch eine organisatorische und personelle Neuaufstellung. Auch das Führungspersonal muss glaubhaft für einen Neuanfang stehen. Wir als Parteimitglieder erwarten, in einen Prozess der Neuaufstellung einbezogen zu werden. Die Parteistrukturen sind zudem oftmals sehr steif und undurchlässig. Es ist schwierig für junge Menschen in Positionen zu kommen, in denen sie Verantwortung übernehmen können. Von den 125 SPD Bundestagsabgeordneten der neuen Wahlperiode ist niemand unter 30 Jahre alt und nur 12 unter 35 Jahre.
- Der SPD-Parteivorsitz soll zukünftig über ein verbindliches Mitgliedervotum gewählt werden.
- Bei der Neuaufstellung der SPD-Parteiführung sollten mindestens 50 Prozent der Posten mit neuem Personal besetzt werden. Die SPD-Spitze muss zudem weiblicher, jünger und linker werden.
- Die SPD muss sich dazu verpflichten, Jusos in allen geschäftsführenden Vorständen zu berücksichtigen. Wir sind Zukunft und Rückgrat der Partei und nicht nur zum Plakate hängen da!
- Bei der Aufstellung von Listen sollten mindestens ein Drittel der (aussichtsreichen) Listenplätze an neue Kandidat*innen vergeben werden, die vorher noch kein Mandat inne hatten.
Es müssen Angebote entwickelt werden, damit sich Mitglieder über Online-Formate in die Parteiarbeit einbringen können. Mitgliederbefragungen müssen künftig auch online durchgeführt werden.