Nicht erst seit der Corona-Pandemie haben es die Einzelhändler der Innenstädte und in den Kiezen schwer, sich gegen große Online-Plattformen zu behaupten. Während in manchen Orten die Innenstädte veröden, verwandeln sie sich andernorts weg von der Nahversorgung hin zu touristischen Hotspots mit entsprechenden auf Touristen zugeschnittenen Angeboten. Die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben diese Situation noch verschärft und teilweise zu einem verzerrten Wettbewerb zwischen stationärem Handel und Online-Handel geführt. Während letzterer von den Folgen der Pandemie weitestgehend verschont blieb, wurde der stationäre Einzelhandel massiv beeinträchtigt. Auch mit schrittweisen Lockerungen wird es für eine längere Zeit zu einem deutlich verminderten Kaufverhalten in den Ladengeschäften kommen. Es ist darüber hinaus auch davon auszugehen, dass ein Teil der Umsätze dauerhaft an den Online-Handel abgegeben und damit für den stationären Handel verloren sind. Der stationäre Einzelhandel war bereits vor der Corona-Krise im Wandlungsprozess begriffen. Diese Prozesse beschleunigen sich nun massiv und sind für viele Unternehmen nicht mehr zu bewältigen. Es drohen Unternehmensschließungen und Standortaufgaben.
Dabei hat der stationäre Einzelhandel neben der Grundfunktion der Nahversorung für alle Bevölkerungsteile auch eine soziale sowie eine touristische Funktion. Drastisch formuliert: „Stirbt der Handel, stirbt die Stadt“ (HDE Standortmonitor).
Ein starker lokaler Einzelhandel ist zudem nicht nur analog, sondern auch digital im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Ort wichtig. Neben der sozialen Funktion des Vor-Ort-Einkaufens profitieren Anwohnerinnen und Anwohnern von emissionsärmerem Lieferverkehr, der im Vergleich zu großen Plattformen deutlichen besseren Möglichkeiten, Beratung und Servicedienstleistungen wie Reparaturen mit dem bequemeren Onlineeinkauf zu verbinden sowie den sich aus der Nähe ergebenden Vorteilen in Bezug auf Schnelligkeit und Planbarkeit der Lieferungen.
Die Berliner SPD möchten der allgemeinen strukturellen Entwicklung der Nahversorgung durch Einzelhändler, die sich durch die Corona-Pandemie stark verschärft, etwas entgegensetzen und schlagen Maßnahmen zu dessen Unterstützung vor:
1. Unterstützt mit Fördermitteln des Senats, bspw. durch Förderprogramme der IBB und einer Machbarkeitsstudie sollen lokale Marktplätze (Online-Plattformen) entstehen, auf denen sich der lokale Einzelhandel präsentieren und seine Produkte anbieten kann.
Die Ziele einer Berliner Plattform bzw. „digitaler Einkaufsstraßen“ sind:
- Alle Einzelhändler der Region können die Infrastruktur dieser Plattformen für ihr jeweiliges Einzugsgebiet nutzen und ihre Waren zusätzlich online anbieten.
- Die Lieferung erfolgt durch einen gemeinsam von allen Händlern getragenen Lieferservice, der bevorzugt mittels (Lasten-)Fahrrad ausliefert und dessen Mitarbeiter*innen in guter Arbeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
2. Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wird aufgefordert, in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsverwaltung, mit dem Handelsverband und der IHK die Coaching-, Qualifizierungs- und Fortbildungsangebote für ArbeitnehmerInnen des Einzelhandels auszubauen und konsequent auf die Anforderungen des geänderten, digitalen Handels auszurichten.
- Hierbei soll auch geprüft werden, wie sich im Handel Ausbildungsverbünde schaffen und stärken lassen, welche mittelfristig den Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften sichern. Das Fachkenntnis und Warenkunde sowie die Qualität der Beratung im stationären Einzelhandel hierbei von herausragender Bedeutung sind, muss sich auch in der Ausbildung und in Qualifizierungsmaßnahmen niederschlagen.
3. Die Angebote und Unternehmenspräsentationen der lokalen Online-Marktplätze werden mit den Maßnahmen der Tourismusförderung und des Stadtmarketings verzahnt.
4. Der Senat ergänzt seine Konzepte zum Wirtschaftsverkehr (City-Logistik) um nachhaltige, emissionsfreie Ansätze
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- zur Schaffung/Ausbau von Pick-up-Strukturen (Punkt- statt Flächenzustellungen, Haltezonen, usw.)
- zur Steuerung der Zunahme bei KEP-Diensten/Einzelzustellungen und
- zur Steigerung der Aufenthaltsqualität in den Einkaufsquartieren. Das vorhandene Instrument der BIG (auch sogenannte Business Improvement Districts) soll dahingehend erweitert werden, dass die kapitalträchtige Errichtung von BIGs auch von kleinen, finanzschwachen Händlergemeinschaften möglich wird. Hierzu sind entsprechende Förderinstrumente zu schaffen.
KEP-Dienste sollen gezielt bei der Anschaffung von Lastenfahrrädern sowie beim Umstieg auf eine CO2-neutrale Flotte unterstützt werden. Der Einsatz von emissionsverursachenden Lieferfahrzeugen soll stufenweise sanktioniert und in der Zukunft dann gänzlich untersagt werden.
5. Die derzeitigen Förderprogramme der IBB werden dahingehend evaluiert, ob sie derzeit auf die Anforderungen des sich digitalisierenden Einzelhandels passend sind. So sollen nicht nur Produktinnovationen sondern auch Serviceinnovationen und die Umstellung auf digitale Werkzeuge gefördert werden. Zusammenschlüsse von HändlerInnen zu Arbeitsgemeinschaften (sogenannte „Einkaufsstraßen-Arbeitsgemeinschaften“) als lose Kooperationsformen sowie Genossenschaften sollen für Förderanträge antragsberechtigt sein.
Es sollen ferner höhere Fördermöglichkeiten für Projekte vorgesehen werden, die gemeinnützig sind bzw. ihre Arbeitsergebnisse unter freien Lizenzen (z.B. OpenSource) zur Verfügung stellen.