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Antrag 96/I/2021 Ernst machen mit der Mobilitätswende!

21.03.2021

Die Klimaschutzziele sind nur erreichbar, wenn auch im Verkehrssektor deutliche Fortschritte im Sinne einer nachhaltigen Mobilität erreicht werden.

 

Deshalb fordern wir die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung sowie die sozialdemokratisch geführten Landesregierungen auf, folgende Punkte umzusetzen:

  • Der Fußverkehr und der weitere Umweltverbund (ÖPNV, Radverkehr, Sharingangebote) haben Vorrang. Die Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in der Stadt- und Verkehrsplanung, in der Straßenverkehrsordnung und bei der Nutzung öffentlicher Flächen ist antiquiert und wird aufgehoben. Insbesondere in hochverdichteten urbanen Zentren hat die Reduktion von Kraftfahrzeugen (Kfz) oberste Priorität. Kommunen, Länder und der Bund müssen zusammenwirken, um die Innenstädte menschenfreundlich und nachhaltig umzugestalten.
  • Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sollen ab 2025 keine Zulassung erhalten. Deshalb ist es richtig, die Automobilindustrie auf eine rasche Transformation zu drängen, und – soweit erforderlich – auch weiterhin neue Technologien zu fördern. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind im Transformationsprozess besonders zu unterstützen, um ihre Fahrzeugflotte auf z.B. Elektroantrieb umzustellen. Der Ausbau einer einheitlichen öffentlichen Ladestelleninfrastruktur muss forciert werden.
  • Die SPD tritt für eine Mobilitätspolitik ein, die vor allem auch die Interessen der von Familien, Mobilitätseingeschränkten, einkommensschwachen oder hart arbeitenden Menschen sichert. Die technische, organisatorische und preisliche Gestaltung des Umweltverbundes muss diesem Ziel genügen.
  • Metropolen und Umland, z.B. Berlin und Brandenburg brauchen ein abgestimmtes Verkehrskonzept. Der MIV wird auf unbestimmte Zeit vor allem auf dem Lande und bei der Anbindung des Umlands an die Stadtzentren eine wichtige Rolle spielen. Die Politik muss sich diesen Anforderungen stellen und Lösungen finden, damit die Erreichbarkeit der Innenstädte für PendlerInnen und BesucherInnen diskriminierungsfrei gewährleistet bleibt und zugleich die Innenstädte entlastet. Der Ausbau insbesondere des Schienenverkehrs in Verbindung mit Park-and-Ride-Anlagen und Erste-Letzte-Meile-Angeboten muss daher forciert werden.

     

    Antrag 106/I/2021 Solidarität in der Krise: Vermögensabgabe jetzt!

    18.03.2021

    Soziale Ungleichheit bekämpfen

    Die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf die wachsende soziale Ungleichheit in unserem Land geworfen und diese weiter verschärft. Viele Menschen mit geringen und mittleren Einkommen gerieten durch die Pandemie in Existenznöte, während Großaktionär*innen von rasant steigenden Aktienkursen und Gewinnausschüttungen profitieren. So konnten die 119 deutschen Milliardär*innen ihr Vermögen während der Krise um rund 79 Milliarden Euro steigern. Gleichzeitig mussten viele Menschen trotz staatlicher Unterstützung auf ihre Ersparnisse zurückgreifen und Einkommensverluste hinnehmen. Das zeigt, wie massiv die Corona-Pandemie die Konzentration der Vermögen verstärkt.

     

    Wie eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, wirkt sich die Krise besonders belastend auf Menschen mit niedrigen Einkommen aus. Sie leiden am stärksten unter wirtschaftlichen Sorgen, vor allem, wenn sie über wenig Vermögen verfügen. Dabei waren bereits vor der Pandemie rund ein Fünftel der Deutschen nicht in der Lage, eigenes Vermögen aufzubauen. Denn nicht erst seit Corona besteht eine dramatische Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen die obersten ein Prozent 35 Prozent des gesamten Vermögens, während die unteren 90 Prozent nur über 33 Prozent des Vermögens verfügen. Diese Ungleichheit dürfen wir nicht hinnehmen. Menschen ohne Vermögen haben eine nachweislich geringere Lebenserwartung, sind vollständig abhängig von Lohnarbeit und somit oft im Niedriglohnsektor gefangen und können nicht im gleichen Maße am Gemeinwesen teilhaben, wie Vermögende. Dies führt langfristig auch zu einer erheblichen Verschiebung politischer und gesellschaftlicher Macht. Außerdem ist es für Kinder, deren Eltern kein Vermögen besitzen, erheblich schwieriger, selbst Vermögen aufzubauen, da sie nicht erben. Dadurch leidet die soziale Mobilität: Kinder aus armen Familien haben es ungleich schwerer, aufzusteigen.

     

     Gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren

     

    Wir stehen vor einer Zerreißprobe: Wenn wir eine solidarische Gesellschaft schaffen und erhalten wollen, dürfen tiefgreifende ökonomische und soziale Spannungen nicht unbeantwortet bleiben. Die Corona-Krise hat diese Spannungen weiter verstärkt. Dem müssen wir mit einer solidarischen Besteuerung entgegenwirken. Ein Teil davon sollte die Vermögensabgabe sein. Dafür kann der nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossene Lastenausgleich als positives Beispiel dienen, denn er linderte die sozialen Spannungen erheblich.

     

     In öffentliches Gemeinwesen investieren

     

    Neben den sozialen Spannungen hat die Corona-Krise auch den Investitionsstau in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Pandemie hat gezeigt, dass weitere öffentliche Investitionen zur Stärkung des sozialen Gemeinwesens unabdingbar sind. Der Sparzwang und die Profitmotive der vergangenen Jahrzehnte im Gesundheitswesen haben zu einem Rückgang an Intensivbetten und erheblichem Personalmangel geführt. Auch die öffentliche Verwaltung kann ihrem Anspruch, bedarfsgerecht und schnell zu agieren, aufgrund mangelhafter Ausstattung und fehlendem Personal zu oft nicht gerecht werden. Homeschooling und Home-Office haben darüber hinaus aufgezeigt, wie essentiell flächendeckende Breitbandanschlüsse und die technische Ausstattung zu Hause sind, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

     

    Bei all dem dürfen wir die größte Herausforderung unserer Zeit, den Klimawandel, nicht vergessen. Die vollständige Transformation unseres Lebens und unserer Wirtschaft erfordert immense finanzielle Anstrengungen: Allein die Energiewende wird nach Berechnungen des ifo-Institutes bis 2050 zwischen 500 und 3.000 Milliarden Euro kosten.. Diese finanziellen Aufgaben müssen gerecht verteilt werden.

     

    Es ist daher offensichtlich, dass wir einen handlungsfähigen und finanzkräftigen Staat brauchen, der darauf reagieren kann. Der Investitionsstau in der Verwaltung, dem Gesundheits- und Bildungssystem und in der öffentlichen Infrastruktur darf nicht weiter bestehen – hier besteht akuter Finanzierungsbedarf. Daher können wir uns keine erneute Austeritätspolitik wie nach den letzten Finanzkrisen leisten. Die notwendigen Investitionen dürfen auch nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer*innen finanziert werden, die in Kurzarbeit, mangelhaft ausgestatteten Home-Office oder unter widrigsten Arbeitsbedingungen in den Betrieben, Krankenhäusern und Schulen ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um während der Pandemie die Gesellschaft am Laufen zu halten.

     

    Die aktuelle Bundesregierung hat bereits während der Pandemie das Dogma der schwarzen Null aufgegeben und wieder Schulden aufgenommen, um die ausfallenden Steuereinnahmen, Hilfsprogramme und Investitionen zu finanzieren. Das ist in dem aktuellen Niedrigzinsumfeld absolut richtig. Doch die Schuldenaufnahme allein kann auf Dauer keine Lösung sein. Auch wenn die Wirtschaft wieder wachsen und die Schuldenquote dadurch sinken wird, braucht der Staat auf Dauer neue Einnahmequellen, um den Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte gerecht zu werden. Darüber hinaus wird Schuldenaufnahme nicht die eklatante Vermögensungleichheit und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft beheben.  Die gerechteste und ökonomisch sinnvollste Lösung ist daher eine Vermögensabgabe, mit der die reichsten Menschen unserer Gesellschaft ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise und der kommenden Herausforderungen leisten sollen.

     

    Wir fordern daher die Einführung einer Vermögensabgabe auf alle Privatvermögen ab 2 Mio. Euro und auf alle Unternehmensvermögen ab 5 Mio. Euro. Die Vermögensabgabe startet bei 10% und steigt linear-progressiv auf 30% ab einem Vermögen von 50 Mio. Euro an. Die Vermögensabgabe wird in jährlichen Raten über 20 Jahre gezahlt. Die Vermögensabgabe soll bei immobilem Kapital und Unternehmensbeteiligungen auch in Form von staatlichen Anteilen geleistet werden können. 

     

    Wir fordern, dass die Erlöse der Vermögensabgabe einem gesonderten Investitionsfonds zugeführt werden, um zu garantieren, dass die Mittel zweckgebunden für die gewünschten Investitionen genutzt werden und nicht, um Löcher im laufenden Bundeshaushalt zu stopfen. 

     

     Erhebliches Aufkommen trotz großzügiger Freibeträge

     

    Bei unserer Ausgestaltung orientieren wir uns an Simulationsrechnungen des DIW Berlin. Im Gegensatz zur Vermögenssteuer wird die Vermögensabgabe nur einmalig auf den Vermögensbestand erhoben.  Es ist uns dabei wichtig, dass nur die obersten Prozente der Vermögenden in Deutschland betroffen sind, um die gewünschte Umverteilungsdynamik zu erzielen. Familien mit Einfamilienhaus und kleine Betriebe werden durch die Freibeträge geschützt. Verluste durch die Corona-Krise sollen ebenfalls berücksichtigt werden. Da die Vermögen in Deutschland sehr stark auf die oberen 10 Prozent konzentriert sind, kann die Vermögensabgabe trotz der hohen Freibeträge ein erhebliches Aufkommen generieren. Die Berechnung des DIW geht für unser Modell von einem Aufkommen von 338 Milliarden Euro aus. Indem wir den Stichtag für die Bemessung des Vermögens in die Vergangenheit (den Start der Corona-Pandemie) legen, verhindern wir, dass Vermögende der Abgabe ausweichen.

     

     Konkretes Konzept und Ausgestaltung 

     

    Abgabepflichtig sind alle individuellen natürliche Personen. Natürliche Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Inland sind unbeschränkt abgabepflichtig. Beschränkt Abgabepflichtig sind natürliche Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Ausland mit inländischem Vermögen. Eine gemeinsame Veranlagung von Ehepartner*innen oder Lebenspartner*innen ist nicht vorgesehen. Es wird kein Kinderfreibetrag gewährt. Juristische Personen sind grundsätzlich nicht abgabepflichtig.

     

    Die Bemessungsgrundlage der Vermögensabgabe ist das individuelle in- und ausländische Nettovermögen der natürlichen Person. Das Individuelle Nettovermögen errechnet sich aus der Differenz zwischen den abgabepflichtigen Vermögenswerten und darauf lastenden Verbindlichkeiten. Die Ermittlung und Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sollen sich grundsätzlich an den Vorschriften des Bewertungsgesetzes orientieren.

     

    Der Tarif der Vermögensabgabe soll linear-progressiv gestaltet sein: Dieser beginnt mit 10 Prozent und steigt mit höheren abgabepflichtigen Nettovermögen bis auf 30 Prozent. Ab einem abgabepflichtigen Nettovermögen von 50 Millionen soll der Spitzen- Abgabesatz von 30 Prozent einsetzen.

     

    Der persönliche individuelle Freibetrag beträgt zwei Millionen Euro vom abgabepflichtigen Vermögen. Für Betriebsvermögen und wesentlichen Beteiligungen (mindestens 25 Prozent) an Kapitalgesellschaften sind ein gesonderter Freibetrag in Höhe von fünf Millionen Euro vorgesehen. Es sollen die aktuellen Regelungen des Erbschaftsrechts analog für die Gewährung von Freibeträgen angewendet werden.

     

    Die Vermögensabgabe soll auf das abgabepflichtige Nettovermögen zum 01. Januar 2020 festgesetzt und erhoben werden. Auf Antrag kann als alternativer Stichtag der 01. Januar 2022 gewählten werden, sofern der Abgabepflichtige glaubhaft nachweisen kann, dass sein Vermögen seit dem 01. Januar 2020 im Zuge der Covid-Pandemie mittelbar gesunken ist und sein abgabepflichtiges Nettovermögen zum 01. Januar 2020 niedriger ist als zum 01. Januar 2020. Der Missbrauch dieser Ausnahmeregelung soll unterbunden werden. Die Steuerzahlung wird auf 20 Jahre gestreckt.

     

    Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass die derzeitigen Vermögensunterschiede moralisch nicht zu rechtfertigen sind. Wer betroffen von der Vermögensabgabe ist, hat diese Vermögen egal ob direkt durch Unternehmensbesitz, Immobiliengeschäfte oder Geschäfte auf dem Finanzmarkt, oder indirekt durch Erbschaft, als Resultat der gesammelten Arbeitskraft anderer erlangt . Die Vermögensabgabe kann nur der Startschuss für eine größer angelegte radikalere Umverteilung sein, die die kapitalistische Verteilungslogik in ihren Grundsätzen adressiert.

    Antrag 101/I/2021 Changing Climate - Changing Taxes: Für die sozial-ökologische Transformation die CO2-Steuer weiterentwickeln

    18.03.2021

    Mit dem Beginn der Covid-19 Pandemie im Frühjahr 2020 erlebten wir nicht nur eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit, die tausende Menschenleben kostete, für viele Personen schwere finanzielle Folgen hatte oder soziale Probleme verschärfte, sondern auch eine Dauerberichterstattung über die Pandemie. Eine andere globale Herausforderung, die dringendes Handeln in fast allen Lebensbereichen erfordert, geriet dabei fast schon in Vergessenheit. Die Folgen des Klimawandels und die damit einhergehenden Herausforderungen sind jedoch präsenter und dringender denn je. Die Temperaturen steigen weiter an, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre jagt einen jährlichen Höchstwert nach dem anderen und die Auswirkungen für die Menschen, die vom Klimawandel am meisten betroffen sind, werden immer drastischer. Steigende Meeresspiegel, Müllberge, Ressourcenkonflikte oder Wetterextreme dürften für niemanden mehr etwas neues sein.

     

    Wir Jusos sehen uns in der Verantwortung gegenüber der Umwelt als auch den Menschen, die aufgrund eines globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems die Auswirkungen durch den Klimawandel zu spüren bekommen, tätig zu werden und so fortlaufend unsere Positionen zur Bekämpfung des Klimawandels auszuweiten und zu vertiefen. Eine Anpassung der Art, wie wir wirtschaften und mit begrenzten Ressourcen umgehen, muss daher hinterfragt und geändert werden. Eine Bepreisung des CO2 sowie der CO2 Äquivalenten, die wir tagtäglich produzieren, ist daher eine der zentralen Möglichkeiten, diesen Ausstoß zu senken. Ebenso sehen wir als Jusos die Pflicht, dass die Kosten einer solchen Umstellung nicht auf niedrige Einkommen abgelagert werden. Der Kampf gegen den Klimawandel ist im Kern ein sozialistischer Kampf, da wir die Folgen des menschengemachten Klimawandels nur durch eine gerechte Umverteilung und die Überwindung des Kapitalismus erreichen.

     

     Verbesserter Emissionshandel

    Mit dem aktuell angewendeten Emissionshandel lassen sich in besonders stark emittierenden Sektoren CO2-Reduktionen erreichen. Die bisherigen Reduktionsziele der des EU-Emissionshandel (ETS) betrachten wir jedoch als zu wenig ambitioniert. Auch der Europäische Rechnungshof hat die Europäische Kommission bereits im September 2020 dazu aufgefordert, im Kampf für mehr Klimaschutz bei der Vergabe kostenloser Verschmutzungsrechte nachzuschärfen. Der europäische Emissionshandel umfasst derzeit nur 40% der gesamten europäischen Treibhausgasemissionen, da viele Industrien und Unternehmen keine Emissionszertifikate emittiert werden. Oft werden auch Gewinne durch das Handeln von kostenlosen Zertifikaten in klimaschädliche Projekte, wie die Sanierung bestehender Braun- oder Steinkohlekraftwerke verwendet. Durch kostenlose Zertifikate lassen sich eine zu niedrige Nachfrage an Zertifikaten nicht vermeiden. Dies hat zur Folge, dass mit einem Zertifikatüberschuss und zu niedrigen CO2-Preis, eine Reduzierung der Emission nur schwerer möglich ist. Wir fordern daher eine drastischere Reduzierung aller auf den Markt verfügbaren Zertifikate, um die CO2 Produktion herunterzufahren und die durch den Verkauf erbrachte Erlöse für soziale und nachhaltige Projekte zu nutzen. Ein gut funktionierender EU-Emissionshandel reicht jedoch nicht aus, um unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen, da er nur knapp die Hälfte der in der EU verursachten Treibhausgasemissionen ausmacht. Wir fordern daher unsere Positionen zu einer CO2-Steuer für die übrigen Sektoren ambitionierter und sozial-verträglicher zu gestalten, um unsere klimapolitischen Verpflichtungen einhalten zu können

     

    Dynamisches Steuerkonzept

    Der Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit betrug schon im Jahr 2016 ungefähr 1,1° C. Wenn wir nicht sofort handeln, sind die Chancen, die globale Erderwärmung bis 2100 selbst auf 2°C begrenzen, erschreckend gering. Die CO2-Steuer ist eine der wirkungsvollsten Instrumente, um die Einhaltung des 1,5° C Zieles des Pariser Klimaabkommens noch zu ermöglichen. Dazu muss die Steuer allerdings effektiv und hoch genug angesetzt werden, um einen spürbaren Unterschied auszumachen. Wir fordern daher ab sofort die Besteuerung von Kohlenstoffdioxid-Emissionen mit 80€ pro emittierter Tonne C02, welche bis zum Jahr 2025 kontinuierlich auf 180€ pro Tonne und bis zum Jahr 2030 stetig auf 205€ pro Tonne CO2 ansteigen soll. Dieser Bepreisungsfahrplan deckt sich zu Teilen mit den Forderungen des Umweltbundesamtes und mehreren Umweltorganisationen. Der im Vergleich mit anderen Konzeptpapieren hohe Einstiegspreis stellt den besten Kompromiss zwischen einer effektiven umweltpolitischen Forderung und der Vermeidung einer Kostenverteilung auf den Schultern von Leuten mit niedrigem sozio-ökonomischen Status dar.

     

    Wenig politische Themen haben so viel Dynamik wie die Klimadebatte. Um den aktuellen Stand der Forschung, neue nationale und internationale Entwicklungen und auch den sich stetig verändernden Konsens in Fachkreisen zu berücksichtigen, muss eine effektive CO2-Steuer flexibel und anpassbar sein. Wir fordern deshalb ein unabhängiges Expert*innengremium, welches, ähnlich wie die Mindestlohnkommission, die aktuelle Lage regelmäßig evaluiert und gegebenenfalls Anpassungen der Bepreisungen der Steuer an die Bundesregierung weitergeben kann. Diesem Expert*innengremium sollen ausschließlich Wissenschaftler*innen (explizit keine Wirtschaftsvertreter*innen) angehören. Die Berechnung und Anpassung der Steuer muss rein im Interesse des Klimaschutzes stehen. Die Berechnung muss mathematisch nachvollziehbar und wissenschaftlich begründet sein. Zusätzlich würde dieses Gremium frühzeitig einen mittel- oder langfristigen Plan für die Zeit nach 2030 entwickeln und die folgende Bepreisung der Steuer der klimapolitischen Situation sowie die positiven Feedback- Loops der Erderwärmung entsprechend berücksichtigen.

     

     CO2-Kennzeichnung

    Zusätzlich fordern wir eine konkret in Kilo angegebene Kennzeichnungspflicht des CO2 Fußabdrucks oder der CO2– Äquivalenz bei allen anderen Treibhausgasen auf allen in Deutschland vertriebenen Produkten, besonders aber bei Lebensmitteln und Alltagsprodukten. Diese Kennzeichnung kann auch noch durch ein farbiges Ampelsystem ergänzt werden. Damit werden nicht nur die Verbraucher*innen transparent in die Bemühungen einer CO2-Reduzierung involviert und die Kaufentscheidungen der Konsument*innen positiv zugunsten des Klimas beeinflusst, sondern wir erhoffen uns damit auch einen weiteren Ansporn für Hersteller*innen zu CO2-armen Produktionsmethoden. In Schweden wurde ein CO2-Kennzeichnungssystem mit konkreter Kilo-Angabe 2009 eingeführt, mit der Folge, dass sich klimafreundliche Produkte um 20 Prozent besser als vorher verkaufen.

     

    Soziale und finanzielle Ausgleichsmaßnahmen

    Dieses Konzept der CO2-Besteuerung mit einem Eingangssteuersatz von 80€ pro Tonne würde, bei einem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 8,89 Tonnen pro Jahr und Einwohner*in Deutschlands und ohne die sukzessive Verhaltensanpassung zu berücksichtigen, bis 2025 jährlich ein zusätzliches Steueraufkommen von 59,1 Milliarden Euro ergeben. Die zusätzlichen Geldbeträge sollen allerdings nicht im Gesamthaushalt verbucht werden, sondern direkt und mehrgleisig der Umverteilung und dem Klimaschutz dienen, indem sie durch die konkreten Maßnahmen, die wir beschreiben, in den Sozial- und Umweltsektor fließen. Obwohl es vor allem Menschen mit höherem Einkommen sind, die CO2-intensivere Güter und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, müssen Menschen mit geringerem Einkommen den größeren Prozentsatz ihres Einkommens steuerlich zusätzlich aufwenden. Um also diese Menschen zu entlasten und zunächst bestimmten besonders betroffenen Gruppen den Übergang zu erleichtern, schlagen wir eine Reihe von sozialen Ausgleichsmaßnahmen vor, die für eine höhere Bepreisung von CO2 und CO2-Äquivalenten zwingend erforderlich sind. Als primären Ausgleichsmechanismus fordern wir eine sogenannte Klimadividende in Kombination mit Senkungen von Steuern, die untere Einkommensschichten überproportional belasten, wie beispielsweise eine deutliche und dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer. Die Klimadividende soll automatisch einmal im Jahr direkt an alle Bürger*innen ausgezahlt- und nach dem Einkommen gestaffelt werden. Je niedriger das Einkommen, desto höher die Klimadividende. So wird der Umverteilungsmechanismus der CO2-Steuer am deutlichsten sichtbar und greifbar. Dies hätte das Ziel, die Kosten für Individuen abzufedern und auch die öffentliche Unterstützung einer CO2-Bepreisung zu generieren. Eine dieser obsolet werdenden Abgaben ist die EEG-Umlage, welche Haushalte mit geringeren Einkommen überproportional belastet. Als Härtefallregelung unterstreichen wir weiterhin unsere Forderung nach einem erhöhten Mindestlohn auf mindestens 13,50 Euro pro Stunde, um so eine finanzielle Entlastung für niedrige Einkommen, die besonders von einer CO2-Steuer betroffen wären, zu gewährleisten. Fahrten von Pendler*innen zu und von ihrer Arbeitsstätte sollen vorerst von der Steuer ausgeschlossen sein. Die Lasten der Bekämpfung der Klimakrise dürfen nicht zu großen Teilen von Arbeitnehmer*innen getragen werden. Außerdem sollen Menschen in ländlichen Gebieten nicht aufgrund großer Entfernungen und schlechter ÖPNV-Anbindung benachteiligt werden. Arbeitgeber*innen, welche sich jedoch für klimafreundliche Fahrtgemeinschaftsangebote einsetzen sollen staatlich gefördert werden, um den Umstieg des Pendelns von Individualverkehr auf kollektive Beförderungsmethoden einzuleiten. Anstelle der Umlagen auf den Strompreis wollen wir Energieinvestitionen steuerlich finanzieren, um Verteilungsgerechtigkeit zu ermöglichen. Zusätzlich zu einer direkten und indirekten Steuerumverteilung sollen Teile der zusätzlichen Gelder auch in Sozialprojekte für betroffenen Bevölkerungsgruppen, lokale und internationale Nachhaltigkeitsprojekte und den Ausbau eines kostenlosen ÖPNV in ganz Deutschland investiert werden. Um Unternehmen zu einer CO2-armen Produktionsweise anzureizen, sollen vor allem kleine regionale Unternehmen, die besonders CO2-arm produzieren, subventioniert werden. Mit dieser Investitionsoffensive sollen diese transformationsbereiten Unternehmen gerade in den Anfangsjahren gefördert werden, damit sie sich finanziell bewähren können. Mit dieser Investitionsoffensive sollen diese transformationsbereiten Unternehmen gerade in den Anfangsjahren gefördert werden, damit sie sich finanziell bewähren können.

     

    Ausgleiche sollen jedoch nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, sondern nur da angewendet werden, wo Bemühungen gezeigt werden und eine Unterstützung notwendig ist. Um ein “Carbon Leakage”, sprich das Auslagern von Emissionen von CO2 und CO2-Äquivalenten in Drittstaaten, zu verhindern, sollen die Vorschriften für die Industrie verpflichtend werden sowie möglichst zeitnah im internationalen Kontext angewendet werden und eine gemeinschaftliche Antwort bieten. Die Ausweitung des EU- Emissionshandel auf mehr beteiligte Länder (aktuell 31 Länder), muss daher Priorität haben.

     

    Um die Umgehung der CO2-Bepreisung, indem Güter von Drittstaaten importiert werden, in denen keine äquivalente CO2-Bepreisung herrscht, zu vermeiden, sollen Zölle bei Importen analog zu der von uns beschriebenen CO2-Steuer erhoben werden. Dies soll so lange geschehen, bis internationale Vereinbarungen greifen, die eine gemeinschaftliche CO2-Bepreisung vorsehen.

     

    Der Klimawandel ist ein internationales Problem, welches internationale Anstrengungen erfordert. Eine Koordination, die mindestens auf europäischer Ebene angesiedelt ist, setzen wir als Ziel. Wir erkennen jedoch, dass dies innerhalb weniger Jahre schwierig umzusetzen ist. Wir fordern daher die sozialdemokratischen Kommissionsmitglieder, MEPs und die nationalen Regierungen auf, sich für die Einführung einer ähnlichen Steuer in den EU-Mitgliedstaaten einzusetzen, damit diese mittelfristig auf europäischer Ebene weiter international koordiniert wird.

    Antrag 104/I/2021 Obdachlosigkeit beenden!

    18.03.2021

    Obdachlosigkeit und obdachlose Menschen gehören wie selbstverständlich zum Berliner Stadtbild. Auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, zum Ausbildungsplatz und in den öffentlichen Verkehrsmitteln begegnen sie uns, ohne dass wir uns weiter mit ihnen beschäftigen. Auch der Staat hat die Situation und die Probleme obdachloser Menschen viel zu lange unterschätzt und sie vor allem als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ begriffen, was dazu geführt hat, dass sich vor allem zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen um die Bedürfnisse und Sorgen obdachloser Menschen kümmern. Diese sind dabei chronisch unterbesetzt, haben finanzielle Probleme und könnten  ihre Angebote ohne das ehrenamtliche Engagement vieler Bürger*innen überhaupt nicht aufrechterhalten. Das muss sich ändern! Wir brauchen staatliche, auf die Bedürfnisse obdachloser Menschen zugeschnittene, barrierearme und garantierte Hilfsangebote!

     

    Zuständigkeit der Behörden

     

    Die Bekämpfung von Obdachlosigkeit und die politischen Maßnahmen, die dafür notwendig sind, liegen derzeit in der Zuständigkeit aller drei föderalen Ebenen: Bezirke, Land und Bund.

     

    Die Bezirke übernehmen dabei die Hauptverantwortung. Sie nehmen Anzeigen der Obdachlosigkeit von den Betroffenen auf (die bürokratische Grundvoraussetzung für den Zugang zu Unterkünften und weiteren Verwaltungsmaßnahmen), finanzieren und betreuen die gewerblichen, ehrenamtlichen oder städtischen Träger, die Unterkünfte betreiben und obdachlosen Menschen Angebote der Grundversorgung wie Nahrungsmittel oder Hygienemöglichkeiten zur Verfügung stellen, stellen Personaldokumente aus, stellen Beratungsangebote zur Verfügung und stellen Sozialarbeiter*innen ein.

     

    Das Land Berlin ist verantwortlich für die Finanzierung der Bezirke, die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf dessen Grundlage die Bezirke Obdachlosigkeit bekämpfen, und via seiner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auch für den staatlichen Wohnungsbau und die Zweckbindung landeseigener Wohnungen.

     

    Der Bund – genauer gesagt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales – ist gemeinsam mit den Bezirken zuständig für die Jobcenter. Das Sozialgesetzbuch II (SGB II) ist die bundesrechtliche Grundlage für die Grundsicherung und die Funktionsweise der  Jobcenter. Die Kosten für die Grundsicherung trägt der Bund, die Kosten für die Unterkunft von Grundsicherungsempfänger*innen teilen sich Bund und Bezirk.

     

    Aus diesen verschränkten Strukturen entstehen massive bürokratische Hürden – sowohl für Betroffene als auch für wirksame politische Lösungsansätze.

     

    Sucht eine obdachlose Person Unterstützung, ist dies der Start eines Marathons durch die Behörden. Für einen dauerhaften Zugang zu vielen Unterkünften bedarf es einer Anzeige der Obdachlosigkeit. Diese wird vom Bürger*innenamt aufgenommen. Um Zugang zur Grundsicherung zu erlangen, benötigen obdachlose Personen außerdem einen Personalausweis. Die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises kostet 10€ und erfolgt ebenfalls durch das Bürger*innenamt.

     

    Obdachlose Menschen können jedoch nicht zu einem beliebigen Bürger*innenamt gehen. Die Zuständigkeit für obdachlose Menschen ist unter den zwölf Berliner Bezirken nach Geburtsmonat der betroffenen Personen aufgeteilt, um die Kosten und den Aufwand gleichmäßig über die Bezirke zu verteilen. So kann es passieren, dass eine obdachlose Person, deren täglicher Alltag in Wilmersdorf stattfindet, für einen solchen Termin irgendwie nach Marzahn-Hellersdorf kommen muss. Und selbst wenn sie es schafft, kann es sein, dass das Bürgeramt zu hat, da die Sprechzeiten in jedem Bezirk unterschiedlich sind, und darüber Auskunft zu erhalten für eine obdachlose Person sehr schwer ist.

     

    Wenig überraschend funktioniert diese theoretisch-gleichmäßige Aufteilung der Betroffenen auf die zwölf Bezirke in der Realität kaum. Dazu kommt, dass viele Bezirke gar keine Obdachlosenunterkünfte betreiben und alle Bezirke im Bereich der Obdachlosenhilfe unterfinanziert sind. So konzentriert sich Obdachlosigkeit auf jene Hotspots, wo große soziale und gewerbliche Träger angesiedelt sind.

     

    Falls eine obdachlose Person zur richtigen Zeit im richtigen Bürgeramt gelandet ist und sich die 10€ Verwaltungsgebühr leisten konnte, muss sie nun zum Jobcenter gehen, um Grundsicherung zu beantragen, inklusive der dazu genauestens auszufüllenden Anträge. War dies erfolgreich, muss die Person eine Wohnung finden – als obdachloser Mensch auf dem aktuellen Berliner Wohnungsmarkt quasi unmöglich. Hat die Person einen Mietvertrag unterschrieben, muss sie mit diesem erneut zum Jobcenter, um die Übernahme der Kosten zu beantragen.

     

    Dieses hölzerne Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen entlarvt das eigentliche Kernproblem: Obdachlosigkeit wird nicht als ganzheitliches soziales Problem erfasst, dessen Lösung gezieltes Handeln erfordert. Keine politische Behörde ist dafür dezidiert verantwortlich. Stattdessen werden Teilbereiche des Problems auf verschiedene föderale Ebenen verteilt und in verschiedenen Gesetzestexten untergebracht, die mit Obdachlosigkeit eigentlich nichts zu tun haben.

     

    In Berlin ist Obdachlosigkeit im Allgemeinen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (ASOG) geregelt. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung müssen aber nicht vor obdachlosen Personen geschützt werden, ihnen muss geholfen werden!

     

    Auf Bundesebene wird Obdachlosigkeit in das Sozialgesetzbuch II und somit in die Grundsicherung und die Jobcenter eingegliedert. Instrumente, die sich um den Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit von Menschen mit Wohnraum drehen. Die Jobcenter und ihre Mitarbeiter*innen sind überhaupt nicht darauf ausgelegt oder dazu ausgebildet obdachlose Menschen zu unterstützen.

     

    Und in der Lösung der ganz materiellen, alltäglichen und grundlegendsten Herausforderungen obdachloser Menschen, verlassen sich die staatlichen Institutionen ganz auf die Arbeit ehrenamtlicher, sozialer oder gewerblicher Träger, die sie dazu auch noch schlecht finanzieren und bezahlen.

     

    Wir fordern daher eine ganzheitliche politische Herangehensweise, die Obdachlosigkeit als soziales Problem betrachtet, dessen betroffene gezielte Unterstützung benötigen, nicht als Gefahr für die öffentliche Ordnung oder ein bloßes Anhängsel anderer sozialpolitischer Themenfelder.

     

     Daher fordern wir:

    • Die Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen für obdachlose Menschen in allen Bürger*innenämtern. 
    • Die Zuständigkeit für die Betreuung, Versorgung und die Unterbringung nach dem ASOG soll auf Landesebene zentralisiert werden. Der Senat hat dabei sicherzustellen, dass Anlaufstellen über das gesamte Stadtgebiet verteilt und jeweils ortsnah zu erreichen sind. Die Zuordnung von obdachlosen Personen zu einem Bezirksamt nach Geburtsort ist im Gegenzug abzuschaffen. Hinsichtlich von Melde- und Ausweisangelegenheiten ist obdachlosen Personen – wie allen anderen Berliner*innen auch – freier Zugang zu den Bürger*innenämtern ihrer Wahl zu verschaffen.
    • Die Gebühr für die Ausstellung eines vorläufigen Personalausweises ist abzuschaffen.
    • Es soll ein Kooperationsabkommen zwischen dem Land Berlin und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales erzielt werden, um die Zuständigkeiten für die bezirkliche Dokumentenausstellung und die Beantragung und Verwaltung von Grundsicherungsleistungen für obdachlose Personen in einer Behörde zu bündeln und in einem Behördengang zu ermöglichen. Diese Behörde soll ebenfalls medizinische und psychologische Beratungsleistung und Betreuungsangebote durch Sozialarbeiter*innen vornehmen können.
    • Die Schaffung einer eigenen Landesbehörde für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit, welche bei der Senatsverwaltung für Soziales angesiedelt werden soll. Die gesetzliche Grundlage für diese Behörde soll in einem eigenen Obdachlosigkeitsgesetz geschaffen werden. Obdachlosigkeit soll nicht mehr im ASOG geregelt sein.
    • Massive Ausweitung der Finanzierung. Die Bezirke brauchen bedarfsgerechte und gesicherte Finanzierung für Sozialarbeiter*innen, Notunterkünfte und die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse von obdachlosen Menschen.

     

    Langfristig fordern wir die Schaffung eines neuen Sozialgesetzbuches XV auf Bundesebene eigens für die zielgerichtete Bekämpfung von Obdachlosigkeit als soziales Problem. Letztendlich soll die Zuständigkeit gänzlich aus den Jobcentern entfernt werden und bei einer eigenen Bundesbehörde zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit angesiedelt werden. Die Maßnahmen sollen von Bundesebene finanziell verstetigt werden, damit die neue Behörde die Kommunen und die Betroffenen bestmöglich, bedarfsgerecht, zielgerichtet und effizient unterstützen kann.

     

     Unterbringung

     

    Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es verschiedenen Angebote der Unterbringung für obdachlose Menschen. Auf der einen Seite stehen zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Berliner Obdachlosenhilfe, die Kältehilfe Berlin und die Berliner Stadtmission, all diese stellen in begrenztem Umfang Unterkünfte und Schlafplätze für obdachlose Menschen, teilweise auch exklusiv für Frauen, zur Verfügung und erhalten dafür staatliche Fördergelder.

     

    Für die Unterbringung von staatlicher Seite aus sind die jeweiligen Bezirksämter zuständig. In der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sind sechs Mitarbeitende hauptamtlich für die Betreuung angestellt, Hamburg hat bei nur einem Fünftel der obdachlosen Menschen acht Hauptamtliche, also deutlich mehr. Von staatlicher Seite werden zum aktuellen Zeitpunkt etwa 1.100 Notübernachtungsplätze angeboten, von denen einige frei bleiben. Darüber hinaus werden die U-Bahnhöfe Moritzplatz und Lichtenberg als Übernachtungsmöglichkeit offen gehalten.

     

    Unbeachtet von dieser Betrachtung bleiben hierbei Maßnahmen zur Unterbringung und Unterkünfte, die von den obdachlosen Menschen selbst organisiert werden, zum Beispiel in Parkanlagen, leerstehenden Häusern und Bahnhöfen.

     

    Problematisch bei der aktuellen Form der Unterbringung sind die jeweiligen Umstände, was dazu führt, dass nicht alle Plätze wahrgenommen werden und einige frei bleiben. So werden keine Einzelzimmer angeboten, was mit Blick auf Aspekte der Sicherheit und des Sicherheitsgefühls oft zu schwierigen Situationen führt. Darüber hinaus gibt es selten Unterkünfte für Paare oder ganz speziell und exklusiv für Frauen, sowie Unterkünfte für Halter von Haustieren, zu denen ein großer Teil der obdachlosen Menschen zählt. Ein anderer Punkt ist, dass einzelne Angebote oftmals schließen müssen, da ihnen zu wenig haupt- und ehrenamtliches Personal zur Verfügung steht, welches die Unterbringung durchführt und begleitet. Formen der selbstorganisierten Unterbringung von obdachlosen Menschen finden nur selten Anklang und werden ab einer gewissen Größe durch die Polizei und die Bezirksämter, nicht selten unter Einsatz von Gewalt, aufgelöst, wobei meist vor allem die „Ordnung im öffentlichen Raum” im Fokus steht, als vielmehr die Art und Weise der Unterbringung obdachloser Menschen. Ziel muss es sein, allen obdachlosen Menschen langfristig die Möglichkeit zu geben, eine Wohnung zu beziehen, die sich an ihren Bedürfnissen orientiert.

     

    Daher fordern wir:

    • So schnell wie möglich Notunterkünfte, zum Beispiel aus Containern oder in leerstehenden Hotels und Bürogebäuden,  die auf die grundlegenden Bedürfnisse (Privatsphäre, Barrierefreiheit, Haustiere, Partnerschaften, Sicherheit) obdachloser Menschen eingehen, zu bauen und zur Verfügung zu stellen.
    • In bereits bestehenden Unterkünften für obdachlose Menschen muss, wenn möglich, eine Unterbringung in Einzelzimmer gewährleistet werden. In neu zu bauenden Unterkünften muss eine Unterbringung in Einzelzimmer unter allen Umständen gewährleistet sein.
    • Modellprojekte – wie housing first – mehr in den Fokus zu rücken und diese auszuweiten.
    • Die bestehenden Unterkünfte durch geschultes und ausgebildetes Personal, sowie deutlich höhere Finanzmittel, zu unterstützen.

     

    Langfristig soll die Unterbringung obdachloser Menschen zentrale Aufgabe der von uns geforderten neuen Behörde werden.

     

     housing first

     

    Housing First Berlin ist ein an skandinavischen Modellen orientiertes Modellprojekt zur langfristigen Bekämpfung von Obdachlosigkeit in Berlin. Das Konzept basiert auf der unbefristeten Unterbringung Betroffener in Wohnraum mit einem eigenen Mietvertrag und professioneller Betreuung. Betroffene erhalten sofortigen, bedingungslosen Zugang zu Wohnraum. Die Unterbringung erfolgt vor einer potenziellen Behandlung – denn ein Zuhause ist eine wichtige Ressource für Genesung.  Das Projekt gewährleistet ein begleitetes Unterstützungsangebot und richtet sich an alleinstehende Erwachsene, die langjährig obdachlos sind. Die Teilnehmenden gehen eine niedrigschwellige Kooperationsvereinbarung ein und haben mindestens einen persönlichen Kontakt pro Woche mit dem Team. Derzeit sollen 25 Prozent der Teilnehmenden Frauen sein. Das Projekt kann bis zu 40 Wohnungen vermitteln – nach einem Jahr Projektlaufzeit konnten bereits 20 Wohnungen vermittelt werden: das Projekt ist erfolgreich. Jedoch sind 40 Wohnungen bei, nach letzten offiziellen (kritisierbaren) Zählungen 1976 Menschen ohne Obdach in Berlin, zu wenig!

     

    Das Konzept Housing First wird bereits international angewendet und ist evidenzbasiert. 70 bis 90 Prozent der Teilnehmenden können ihren Wohnraum langfristig halten; die Gesundheit der Betroffenen wird verbessert und das Konzept reduziert kostspielige Kontakte mit öffentlichen Dienstleistungen.

     

    Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht – jeder Mensch hat Anrecht auf angemessenen Wohnraum! Dennoch leben Menschen auf der Straße und es ist für viele schwer, Wohnraum zu finden. Der deregulierte Wohnungsmarkt wirkt sich am meisten auf psychisch kranke und arme Personen aus – sie finden keinen Wohnraum! Housing First kann nachweislich zu einer verbesserten Situation auf dem Wohnungsmarkt beitragen!

     

     Daher fordern wir: 

    • Das Projekt Housing First Berlin, welches nachweislich und nachhaltig wirksam ist, muss als Regelkonzept der Berliner Wohnungslosenhilfe über die ganze Stadt ausgeweitet werden.
    • Investitionen des Landes Berlin in das Unterbringungssystem müssen künftig in den Bau und die Bewirtschaftung bezahlbarer Wohnungen fließen.
    • Städtische Wohnungsbaugesellschaften (GEWOBAG, degewo etc.) müssen Soforthilfe leisten, mehr Wohnungen für das Projekt Housing First zur Verfügung stellen und neue Wohnungen hierfür bauen.
    • Von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung gestellte Wohnungen müssen verkehrsgünstig liegen.

     

     Frauen in Obdachlosigkeit

     

    Die Zahl der Obdachlosen Frauen in Deutschland wächst stetig. Waren in den 1990er- Jahren noch 15 Prozent der Obdachlosen in Deutschland weiblich, so sind es inzwischen 25 Prozent. Das bedeutet: über 70.000 Frauen. In Berlin leben Schätzungen zufolge 2.500 Frauen auf der Straße, doch wie viele es genau sind, weiß niemand.

     

    Viele wohnungs- und obdachlose Frauen teilen ähnliche Probleme: neben der Schwierigkeit einen geregelten Alltag zu führen, erleben Sie häufig Gewalt. Man kann davon ausgehen, dass jede obdachlose Frau in Berlin bereits Opfer sexueller Gewalt geworden ist. In den Wintermonaten stehen Frauen in sieben Notunterkünften 77 Betten zur Verfügung. Danach nimmt diese Zahl drastisch ab: Nur drei Notunterkünfte für Frauen haben das ganze Jahr geöffnet. 31 Betten können obdachlose Frauen in Berlin von April bis Oktober nutzen. Die derzeitigen Unterkünfte sind nicht von allen Stadtteilen aus erreichbar, ohne auf den kostenpflichtigen ÖPNV angewiesen zu sein. So gibt es derzeit keine einzige, ganzjährig geöffnete, Notunterkunft (Größe?) für Frauen in der City West.

     

    Selbst öffentliche Toiletten bieten obdachlosen Frauen keinen Schutz vor Gewalt, da diese nur kostenpflichtig betreten werden können. Neben diesen Punkten ist die Beschaffung von Hygieneprodukten ein großes Problem für obdachlose Frauen.

     

     Daher fordern wir: 

    • Die Durchführung einer geschlechtsspezifischen Datenerhebung.
    • Die Schaffung neuer staatlicher Unterkünfte für Frauen in allen Stadtteilen. Konkret: eine Notunterkunft für obdachlose Frauen in der City West.
    • Überwachung von Hotspots von sexuellen Übergriffen durch die verstärkte Präsenz von sensibilisiertem und geschultem Sicherheitspersonal.
    • Die Ermöglichung einer kostenfreien Nutzung aller Toiletten im öffentlichen Raum für Frauen.
    • Die Ausstattung von öffentlichen Toiletten mit kostenfreien Hygieneprodukten und Schwangerschaftstests.

     

     Migration und Obdachlosigkeit

     

    Obdachlosigkeit ist international. In der Berliner Stadtmission wurden im Winter 2017/18 Obdachlose Menschen aus insgesamt 90 Ländern, v.a. Polen, Rumänien und Bulgarien beherbergt. Schätzungen zufolge sind knapp die Hälfte der in Berlin lebenden Obdachlose aus Osteuropa, da diese in ihren Heimatländern zunehmend stigmatisiert und  gewaltsam verfolgt werden. So gilt in Ungarn ein Gesetz, das Obdachlosen verbietet, auf der Straße zu leben. Einen Anspruch auf soziale Unterstützung haben viele weder in Deutschland noch in ihren Heimatländern. Doch selbst wenn Ansprüche bestehen, dann sind diese aufgrund der Sprachbarriere und der Unübersichtlichkeit des deutschen Rechtssystems nur schwer durchzusetzen. Die betroffenen Menschen benötigen bei der Durchsetzung ihrer Rechte Unterstützung in ihrer Sprache.

     

    Daher fordern wir: 

    • Die Unterstützung der Berliner Obdachlosenhilfe durch die Anstellung von Menschen mit Sprachkenntnissen oder den Einsatz von Dolmetscher*innen.
    • Eine gesamteuropäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe.
    • “Housing First” als Förderprojekt bei der Kommission anzusiedeln. 
    • Die sozialdemokratischen Bundesminister*innen und Mitglieder der SPD-Fraktion im Bundestag setzen sich für die internationale Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte von obdachlosen Menschen ein, indem ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und eine Staatenklage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen regelmäßiger Verletzungen der Rechte von Obdachlosen eingeleitet wird

     

     Altersarmut und Obdachlosigkeit

     

    Ein relevanter Teil der Menschen, die täglich die Angebote von Suppenküchen, Hilfseinrichtungen und Organisationen der Obdachlosenhilfe in Anspruch nehmen, sind Rentner*innen, die über eine Wohnung verfügen. Aufgrund einer sehr niedrigen Rente werden diese Rentner*innen oftmals vor die Aufgabe gestellt, sich zwischen Geld für anstehende Mietkosten und Geld für Heizkosten und Lebensmittel zu entscheiden, wobei oftmals die Wahl auf das Geld für anstehende Mietkosten fällt, da sie Wohnungen, die sie zum Teil schon Jahrzehnte bewohnen, nicht verlassen wollen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt im Monat sind daher immer mehr Rentner*innen auf die kostenlosen Angebote der Hilfsorganisationen angewiesen, um ihr eigenes Überleben sichern zu können.

     Daher fordern wir:

    • Die Einführung von Hilfsangeboten im Rahmen der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Obdachlosenhilfe, welche auf die Bedürfnisse von Rentner*innen eingehen können und die sie bei Behördengängen, Besorgungen und auf der Suche nach ggf. günstigeren Wohnungen unterstützen.

     

     medizinische Versorgung

     

    Über 70 Prozent der obdachlosen Menschen leiden an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung – häufig Suchterkrankungen, Depressionen und Psychosen. Obdachlose Menschen sind jedoch selten krankenversichert, die Kostenübernahme in der medizinischen Regelversorgung  ist daher häufig schwierig.

     

    Einrichtungen wie die Ambulanz der Stadtmission und der Caritas bieten kostenlose medizinische Versorgung für obdach- und wohnungslose Menschen an. Die Ambulanz der Stadtmission wird von der Deutsche Bahn Stiftung unterstützt, sie erlässt der Ambulanz die Miete. Zudem arbeiten fast zwei Drittel des Personals in medizinischen Ambulanzen für obdachlose Menschen ehrenamtlich. Nur durch dieses gesellschaftliche Engagement kann die medizinische Versorgung obdachloser Menschen gestemmt werden! Denn allein Ärzt*innen arbeiten in den Einrichtungen über 2000 Stunden unbezahlt pro Monat.

     

    Der Senat unterstützt finanziell, jedoch können dadurch bei weitem nicht alle Kosten gedeckt werden. Die Einrichtungen sind auf Spenden angewiesen. Die Mitarbeiter*innen in den Hilfseinrichtungen fühlen sich von der Politik allein gelassen!

     

    Zudem ist die Versorgung obdachloser Menschen nach einem Klinikaufenthalt nicht ausreichend gewährleistet. Lange Wartezeiten auf einen Platz in therapeutischen Wohngemeinschaften und mangelnder Wohnraum führen dazu, dass die Menschen teilweise wieder zurück auf die Straße entlassen werden. Der deregulierte Wohnungsmarkt in Berlin wirkt sich am meisten auf psychisch kranke und arme Personen aus – sie finden keinen Wohnraum. Jedoch ist ein Zuhause eine wichtige Ressource für die Genesung der Patient*innen!

     

     Daher fordern wir: 

    • Mehr öffentliche Gelder für die Bezahlung von medizinischem Personal in Ambulanzen für obdachlose Menschen bereitzustellen.
    • Die Schaffung kostenloser ambulanter psychiatrischer Betreuung unabhängig von einer stationären psychiatrischen Behandlung und gleichzeitiger Unterbringung der Menschen in einem eigenen und sicheren Wohnumfeld. Das bedeutet, den Sozialpsychiatrischen Dienst auszuweiten, mehr Personal einzustellen und eine verstärke Zusammenarbeit von Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Psychiater*innen.
    • Ein Angebot sozialpsychiatrischer Gespräche in allen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen für obdach- und wohnungslose Menschen soll eingeführt und durch das Land Berlin finanziert werden, wobei die Inanspruchnahme der Hilfe durch Dolmetscher*innen immer möglich sein muss.
    • Die Schaffung und Finanzierung von mehr (therapeutischem) Wohnraum für die Zeit nach einem Klinikaufenthalt für obdachlose Menschen.
    • Eine unbürokratische allgemeine Krankenversicherung für obdachlose Menschen.

     

     mobile Hilfsangebote

     

    Im Rahmen der vielen verschiedenen Angebote der Hilfsorganisationen gibt es auch solche, die die Hilfsangebote zu Menschen bringen, die in Obdachlosigkeit leben und entweder durch Krankheit bedingt immobil oder in einem Maße den Kontakt zum gesellschaftlichen Leben verloren haben, dass dieser erst sehr langsam aufgebaut werden muss, bevor tradierte Hilfsmechanismen greifen können.

     

    Ein weiterer Bestandteil dieser mobilen Hilfe sind aber auch die sogenannten “Kältebusse”, die in den Wintermonaten warme Nahrung, warme Getränke und Schlafsäcke an obdachlose Menschen ausliefern, die sich abends außerhalb von Unterkünften Schlafplätze suchen. Diese sogenannte “mobile Einzelfallhilfe” liegt dabei zum jetzigen Zeitpunkt vollkommen in der Verantwortung zivilgesellschaftlicher Organisationen.

     

    Auch dieser Bereich der Hilfsangebote ist dabei nicht ausreichend mit hauptamtlichen Personal und Finanzmitteln, zur Finanzierung der Angebote aber auch zum Ausbau bestehender Angebote, ausgestattet, was dazu führt, dass die mobilen Hilfsangebote längst nicht alle Gäste und die ihnen bekannten auch nicht im notwendigen Maße unterstützen kann.

     Daher fordern wir:

    • Die finanzielle und personelle Ausstattung der mobilen Hilfsangebote deutlich auszubauen und staatliche Stellen, die die zivilgesellschaftlichen Angebote unterstützen, aufzubauen.
    • Die Aufnahme mobiler Hilfsangebote in das Portfolio bereits bestehender staatlicher Hilfsangebote.

     

     Sicherheit obdachloser Menschen

     

    Die Sicherheit von obdachlosen Menschen ist zu jeder Zeit gefährdet. Sie werden dadurch schnell zum Ziel gewalttätiger Angriffe, wie Raubüberfälle, Körperverletzung, sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung oder Totschlag. Vor allem Hunde bieten den obdachlosen Menschen Schutz und Gesellschaft, sind jedoch in den meisten Berliner Unterkünften verboten.

     

    Dies führt dazu, dass einige Menschen nicht die Unterstützung bekommen können, die sie eigentlich benötigen. Solange wir nicht alle obdachlosen Menschen in Unterkünften unterbringen können, müssen Polizei und Hilfseinrichtungen enger zusammenarbeiten, wobei der Schutz der Privatsphäre immer Priorität haben muss. Obdachlose Menschen haben meist schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht und das Vertrauen in den Erhalt effektiver Hilfe im Notfall verloren.

     

    Die Berliner Polizist*innen müssen für den Umgang mit obdachlosen Menschen sensibilisiert werden und Notunterkünfte durch, vom Land zur Verfügung gestelltes, geschultes Sicherheitspersonal unterstützt werden. Derzeit gibt es keine Anlaufstellen innerhalb der Polizei, an die sich obdachlose Menschen ohne Angst vor Repressionen, wenden können.

     

     Daher fordern wir:

    • Die allgemeine Öffnung der Notunterkünfte für Hunde oder separate Zimmer für Menschen mit Tieren.
    • Engere Zusammenarbeit der Berliner Polizei mit den Hilfseinrichtungen und deren geschultes Personal.
    • Sensibilisierung und Schulung der Berliner Polizist*innen im Umgang mit obdachlosen Menschen.
    • Eine anonyme Anlaufstelle innerhalb der Polizei, zu etablieren, damit obdachlose Menschen Unterstützung erhalten können.

     

     Drogenpolitik

     

    Anfang 2020 sprach sich die SPD-Bundestagsfraktion gegen eine „Kriminalisierung der   Konsument*innen“ aus, allerdings nur hinsichtlich von Cannabis. Wir begrüßen diesen Schritt fordern aber auch, die Entkriminalisierung für alle Drogenkonsument*innen auszuweiten.

     

    Drogenkonsum ist unter obdachlosen Menschen weit verbreitet, Schätzungen zufolge leiden 21% der Obdachlosen unter Suchterkrankungen. Diese Menschen werden noch zusätzlich von der Gesellschaft stigmatisiert. Hier muss geholfen werden, anstatt zu bestrafen. Wir fordern daher die Meldepflicht für Drogenbesitz in Einrichtungen aufzuheben. Derzeit befinden sich Mitarbeiter*innen dieser Einrichtungen stets in einem rechtlichen Graubereich, wenn diese Drogenfunde nicht zur Anzeige bringen. Dies muss aufhören!

     

    Zusätzlich fordern wir einen Ausbau der Möglichkeiten für obdachlose Menschen, legal zu konsumieren. Spritzenautomaten (z.B. am Bahnhof Zoo) gehen hier in die richtige Richtung, reichen aber bei weitem nicht aus. Diese kosten oft 50 Cent pro Spritze, was deutlich zu teuer ist. Außerdem reichen Automaten an sich niemals aus. Wir fordern daher einen massiven Ausbau von Konsumräumen in allen Berliner Bezirken insbesondere auch außerhalb des S-Bahnrings. Diese müssen niederschwellig zugänglich sein und von geschultem Personal betreut werden.

     

    Zusätzlich ist eine kompetente Drogenberatung durch speziell geschultes Personal in der Muttersprache, des hilfesuchenden Menschens unumgänglich. Hier darf sich das Land Berlin nicht allein auf ehrenamtliche Helfer*innen verlassen. Es müssen Stellen geschaffen werden, die aus dem Berliner Landeshaushalt finanziert werden.

     

     Daher fordern wir:

    • Die Aufhebung der Meldepflicht für Drogenbesitz in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe.
    • Den massiven Ausbau von Konsumräumen in allen Berliner Bezirken.
    • Eine kompetente Drogenberatung durch speziell geschultes Personal bei gleichzeitiger Unterbringung der Menschen in einem sicheren Wohnumfeld.
    • Den Ausbau des Angebotes an sogenannten Spritzenautomaten.

     

     Nutzung des ÖPNV

     

    Um einen vor Kälte und schlechtem Wetter geschützten Raum und Schlafplatz zu finden, nutzen viele obdachlose Menschen Bahnsteige, Haltestellen und Bahnhofshallen und halten sich in diesen auf. Den ÖPNV nutzen sie für Wege zu unterschiedlichen Behörden, Hilfseinrichtungen, Schlafplätzen und Unterkünften, sowie als Möglichkeit, um sich aufzuwärmen und Zeitungen zu verkaufen.

     

    Oftmals haben sie dabei  keine – oder nicht mehr gültige – Tickets für den ÖPNV und werden in den Bereichen der Bahnhöfe als “Sicherheitsproblem” verstanden, weshalb sie von Kontrolleur*innen wegen des “Schwarzfahrens” aufgegriffen und von Sicherheitspersonal dem Ort verwiesen werden.  Da obdachlose Menschen nur selten die hohen Strafzahlungen für das “Schwarzfahren” leisten können, droht ihnen bei Wiederholung eine mehrwöchige Freiheitsstrafe. Darüber hinaus werden im Rahmen von Umbau- und Renovierungsarbeiten sogenannte “dunkle Ecken” in den Bahnhöfen, in denen obdachlose Menschen, vom Personenverkehr abgeschirmt, Zuflucht suchen, immer mehr abgebaut, stärker beleuchtet und durch Kameras überwacht, was dazu führen soll. dass die obdachlosen Menschen aus den Bahnhöfen vertrieben werden.

     

     Daher fordern wir:

    • In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn und der BVG Konzepte zu entwickeln, die es obdachlosen Menschen auch weiterhin ermöglichen sollen, Bahnhöfe und Bahnhofshallen als Schlafplatz oder Zufluchtsort vor schlechtem Wetter zu nutzen.

     

     An der Forderung einer komplett entgeltfreien Nutzung des ÖPNV für alle Menschen
     halten wir fest.

     

     

     Verbesserung der Datenlage

     

    Statistiken zur Zahl und Charakteristika obdachloser Menschen sind wichtig, damit sich das Berliner Hilfesystem an ihre Bedürfnisse anpassen kann und beispielsweise ausreichend Schlafplätze sowie Hygieneartikel für Frauen* zur Verfügung stehen. Deshalb ist die Forderung nach einer zielführenden Obdachlosenstatistik bereits seit 2017 Beschlusslage der Jusos Berlin.

     

    In der Zwischenzeit wurde eine Zählung obdachloser Menschen unter dem Motto „Nacht der Solidarität“ durchgeführt. Die Durchführung sowie die daraus entstandene Statistik wurden von Sozialarbeiter*innen und der Selbstvertretung obdachloser Menschen in Berlin kritisiert. Es wird davon ausgegangen, dass die erfasste Zahl der obdachlosen Menschen viel geringer ist, als die tatsächliche Zahl. Für die kommende Zählung stellen wir deshalb die folgenden Forderungen:

     

    Aus methodischer Sicht wurde bemängelt, dass in einigen Parks und Grünanlagen, wie beispielsweise im Tiergarten oder im Grunewald, gar nicht oder nicht flächendeckend gezählt wurde. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl der obdachlosen Menschen in Berlin viel höher ist.

     

    Außerdem waren an der „Nacht der Solidarität“ viele freiwillige Helfer*innen beteiligt, die vorher keine Erfahrungen in der Arbeit mit obdachlosen Menschen hatten. Expert*innen gehen deshalb davon aus, dass viele der sogenannten verdeckten Obdachlosen in der Statistik nicht berücksichtigt werden. Beispielsweise halten sich viele Obdachlose in Fast-Food-Ketten auf, die rund um die Uhr geöffnet sind. Auch an diesen Orten wurde nicht gezählt. Nicht alle obdachlosen Menschen sind mit viel Gepäck unterwegs oder auf den ersten Blick als solche erkennbar.

     

    Auch auf die Kritik der Selbstvertretung obdachloser Menschen muss reagiert werden. Die Zählung ist würdelos, solange sie nicht mit konkreten Handlungsschritten verbunden ist.

     Daher fordern wir: 

    • Vor der nächsten Zählung muss klar zu kommunizieren, dass aus den erhobenen Zahlen ein entsprechender Ausbau der Unterbringungsmöglichkeiten folgt.
    • Bei der kommenden Zählung die Freiwilligen im Vorfeld intensiv von Expert*innen zu schulen. Gleichzeitig bessere Schätzmethoden zur Erfassung verdeckter Obdachlosigkeit zu entwickeln.
    • Das Zählen in unbeleuchteten Flächen und den Kontakt mit obdachlosen Menschen unter Berücksichtigung der Sicherheit der Zählenden zu gewährleisten, ohne hierfür Sicherheitskräfte einzusetzen.

    Antrag 92/I/2021 Zentrales Mahnmal mit Dokumentationszentrum in Berlin zur Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen

    18.03.2021

    Die deutschen Kolonialverbrechen haben unzählige Opfer gefordert. Allein bei den Völkermorden an den Herero und Nama, Damara und San verloren schätzungsweise 80.000 Menschen ihr Leben. An sie erinnert bisher einzig eine Gedenktafel auf dem Neuen Garnisonsfriedhof in Berlin-Neukölln, neben einem großen Stein aus dem Jahr 1907, welcher den Soldaten der deutschen „Schutztruppen“ gedenkt, die „am Feldzuge in Südwestafrika freiwillig teilnahmen und den Heldentod starben“.

     

    Diese Verbrechen wurden bisher nicht ausreichend aufgearbeitet, wie das Beispiel der Gedenktafel deutlich zeigt. In Berlin tragen Straßennamen zudem weiterhin die Namen deutscher Kolonialherren und in Museen befinden sich historische Objekte, deren genaue Herkunft ungeklärt ist und die vermutlich widerrechtlich in den deutschen Kolonien entwendet wurden. In deutschen Schulen kommt die deutsche Kolonialvergangenheit höchstens als Nebensatz vor. Veränderungen geschehen hingegen nur schleppend, was die vor kurzem beschlossene Umbenennung der M*- Straße zeigt. Bevor solche Veränderungen in Bewegung kommen, bedarf es meist erst eine Zivilgesellschaft die dies hart erkämpft. Doch wie gelingt es, ein stärkeres Bewusstsein für unsere Vergangenheit zu schaffen, wie schaffen wir es gegen das Vergessen anzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen?

     

    Kurz gesagt: Durch Aufklärung und aktiver Erinnerungsarbeit. Wichtige Bausteine für Aufklärungsarbeit stellen neben Schulen und Universitäten auch Lern- und Gedenkstätten dar. Gedenkstätten, die zum einen durch Forschung eine stärkere thematische Sichtweise in die Lehre bringen und zum anderen innerhalb der Gesellschaft Aufklärungsarbeit leisten und einen Erinnerungsort für alle Nachfahren von Ermordeten oder Ausgebeuteten schaffen, die nun in Deutschland leben oder zu Besuch kommen. Natürlich reichen Gedenkstätten und Mahnmäler alleine nicht aus, es bedarf einer ganzen Reihe von Maßnahmen, damit sich unsere Gesellschaft der vergangenen Taten und der daraus resultierenden Verantwortung bewusst wird. Doch sind Gedenkstätten wie auch Mahnmäler dabei ein wichtiger Motor und Begleiter.

     

    Dabei ist es unbegreiflich, dass es innerhalb Europas noch keine große Gedenkstätte zu den Kolonialverbrechen gibt. Gerade in Berlin, der ehemaligen Kolonialmetropole, prägen koloniale Orte das Stadtbild. Schon im 17. Jahrhundert spielte Berlin als Haupt- und Residenzstadt Brandenburgs, von seinem Stützpunkt Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana aus, eine entscheidende Rolle im transatlantischen Versklavungshandel.
     

     

    Als Hauptstadt des Deutschen Reiches und Veranstaltungsort der sogenannten „Kongo- Konferenz“ von 1884/85 stand die Stadt zudem im Zentrum europäischer Großmachtsträume, bei der die Aufteilung des afrikanischen Kontinents zwischen den Weltmächten ausgehandelt wurde und deren Auswirkungen noch heute den Alltag prägen. Weshalb es nicht nur richtig und wichtig wäre, sondern es zudem notwendig macht, eine Gedenkstätte sowie ein Mahnmal für die Kolonialverbrechen Deutschlands in Berlin zu errichten.

     

    Wir erhoffen uns von eines solchen Mahnmals mit Dokumentationszentrum, dass es als Anstoß für eine (bisher verpasste) Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen dient und das Thema in die Gesellschaft trägt. Das koloniale Erbe Deutschlands muss ebenso Teil deutscher Erinnerungskultur werden, wie es beispielsweise die NS-Vergangenheit ist.

     

    Die Art und Weise, wie wir mit der Vergangenheit umgehen, hat eine starke Auswirkung auf die Gegenwart und Zukunft. Das deutsche Afrika-Bild ist nach wie vor von kolonialistischen Klischees geprägt. Wie wenig Beachtung Afrika als zweitgrößter Kontinent mit über eine Milliarde Menschen in den deutschen Medien, Schulen und Öffentlichkeit spielt, ist auch darauf zurückzuführen.

     

    Der gegenwärtige Rassismus in unserer Gesellschaft ermahnt uns, bisherige Ansätze zum Umgang mit unserer Geschichte, insbesondere der deutschen Kolonialzeit, zu überdenken.

     

    Deshalb fordern wir, dass sich unsere Mitglieder des Abgeordnetenhauses, wie die Senatsverwaltung für Kultur und Europa sowie unsere Mitglieder des Deutschen Bundestages umgehend für die Errichtung einer zentralen Gedenkstätte bzw. eines zentralen Mahnmals, inkl. eines Lernortes und Dokumentationszentrums, der über die koloniale Verstrickungen Deutschlands informiert und an die Opfer deutscher Kolonialverbrechen erinnert, in Berlin einsetzen. Weiterhin fordern wir diese auf, Gelder sowie Aufträge dafür bereitstellen. Dabei soll mit Berliner 
Initiativen und Verbände wie bspw. Decolonize Berlin zusammengearbeitet werden und in die Prozesse miteingebunden werden.