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Antrag 70/I/2021 Antiziganismus und antiziganistisch motivierte Diskriminierung strukturell bekämpfen!

19.03.2021

Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja ist in unserer Gesellschaft tief verankert! Ein Beispiel: Am 6. Februar 2021 legten zwei Polizeibeamten einem Elfjährigen Handschellen an, verweigerten ihm den telefonischen Kontakt zu seiner Familie, drohten ihm und beleidigten ihn antiziganistisch. Der Rassismus gegenüber Sinti*zze und Rom*nja und Menschen, die dafür gehalten werden, wird in Deutschland nach wie vor offen ausgelebt.

 

Betroffene erleben täglich Anfeindungen und Diskriminierung in der Öffentlichkeit, in den Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden, in Schulen, bei Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Gütern. Betroffene haben mit Stigmatisierungen und strukturellen Nachteilen zu kämpfen und erleben ständige Benachteiligungen und Ausgrenzung. Circa die Hälfte der Deutschen teilt antiziganistische Einstellungen.

 

Es bedarf nach wie vor der Aufklärung und Sensibilisierung zum antiziganistischen Rassismus. Daher fordern wir:

  • Aufklärung über (die Geschichte) von Sinti*zze und Rom*nja und Antiziganismus in Schulcurricula stärker anbinden, insbesondere der Porajmos, also der Völkermord und die Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja in Zeiten des Nationalsozialismus
  • Zusätzlich sollen Bildungs- und Begegnungsprojekte für Jugendliche sowie Projekte in der Erwachsenenbildung zur Geschichte und Kultur von Sinti*zze und Rom*nja verstärkt gefördert werden
  • Regelmäßige Sensibilisierungsmaßnahmen und Workshops in Bundes- und Landesbehörden, u.a. zur Entstehung, Erscheinungsformen, Auswirkungen sowie zur Bekämpfung von Antiziganismus
  • Zusätzliche Maßnahmen zur Unterbindung von Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja in Form von racial profiling (Anlasslose Polizeikontrollen anhand rassistischer Zuschreibungen) bei den Sicherheits- und Polizeibehörden
  • Zivilgesellschaftliche Interessensvertretungen von Betroffenen und gegen Antiziganismus benötigen strukturelle und finanzielle Unterstützung in der sozialen Arbeit, Empowerment, Präventions- und Bildungsarbeit
  • Politik „mit“ statt „über“ Betroffene: Einrichtung von Sinti*zze und Rom*nja-Beiräte auf Bundes- und Landesebene zur Beratung und Unterstützung von politischen Entscheidungen zur Teilhabe und Partizipation von Sinti*zze und Rom*nja. Berlin hat in der Novellierung des Partizipations- und Integrationsgesetzes (PartIntG) einen guten Vorschlag gemacht.

Antrag 27/I/2021 Schüler*innenvertretungen im Land und Bezirk den Rücken stärken

18.03.2021

Auf Bezirks- und Landesebene sind Schüler*innen in ihrem demokratischen Engagement oft auf sich allein gestellt. Nur in wenigen Bezirken gibt es beispielsweise Kinder- und Jugendbüros, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, auch schulisches Engagement im Bezirk zu unterstützen. Oft folgt das Engagement dem Motto, hier habt ihre eure Gremien, hier habt ihr eure Partizipation. An nur zu wenigen Schulen wird die Rolle der Gremien erklärt und werden Schüler*innen zum Engagement empowert. Zudem fehlt es an Stellen im Bezirk, an die an die sich Schüler*innengremien in Konfliktfällen wenden können. Eine Vertrauensperson zum Beispiel in einem Kinder- und Jugendbüro kann hier helfen. Sie unterstützt die Bezirksschüler*innenausschüssen bei ihrer organisatorischen Arbeit und vermittelt bei Konflikten.

 

Viele Ideen, Veranstaltungen und Aufklärungskampagnen benötigen Geld. Dieses fehlt den bezirklichen und schulischen Gremien häufig. Daher unterstützen wir das vom Landesschüler*innenausschuss vorgeschlagene Berechnungsmodells für ein Gremienbudget. Die Vertrauensperson unterstützt die Gremien bei einer effizienten und sparsamen Mittelverwendung.

 

Besonders auch im Bezug auf Wahlen existieren viele Unterschiede, die sich nachteilig auf die Selbst- und Mitbestimmung der Schüler*innen auswirken. Lediglich für die Wahlen der Klassensprecher*innen gibt es eine gesetzliche Wahlpflicht. Zwischen den schulischen, bezirklichen und landesweiten Gremien kommt es damit häufig zu versetzen Legislaturperioden. Damit verlieren viele Vertreter*innen einfach über die Zeit einen Anschluss an die höhere Ebene. Zudem variiert das Wahlverfahren an vielen Schulen. Die Ernsthaftigkeit wird dadurch teilweise gefährdet. Eine Schulwahlverordnung kann hier Abhilfe schaffen.

 

Die sozialdemokratischen Mitglieder im Abgeordnetenhaus und Senat werden daher
 aufgefordert:

  1. Sich für die Einstellung einer Vertrauensperson im bezirklichen Kinder- und Jugendbüro einzusetzen, welche die Arbeit des Bezirks- bzw. Landesschüler*innenausschusses und hilfesuchender Gesamtschüler*innenvertretungen unterstützt. Die Unterstützung bezieht sich neben der organisatorischen Arbeit auch auf eine Konfliktvermittlung. Die Vertrauensperson soll mit bestehenden Unterstützungsformaten (Geschäftsstelle der bezirklichen Gremien, Kinder- und Jugendbeauftrage oder Beteiligungsbüros) personell und organisatorisch zusammengelegt werden, um Synergieeffekte bei der Demokratieförderung zu erreichen.
  2. Die Schüler*innenvertretungen, Bezirksschüler*innenausschüsse und der Landesschüler*innenausschuss sollen jeweils ein Budget von 0,10 € pro Schüler*in im Bezirk bzw. Land erhalten. Das entspricht dem vorgeschlagenen Berechnungsmodell des LSA.
  3. Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats sind aufgefordert von der in § 117 Abs. 7 BSchulG enthaltenen Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen und eine Schulwahlverordnung zu erlassen. Diese soll insbesondere abgestimmte Letztwahltermine für die schulischen, bezirklichen und landesweiten Gremien erlassen; das Verfahren zur Wahl der Klassen- Stufen und Schulsprecher*innen und eine Aufklärungspflicht über die Rechte und Pflichten vor den Wahlen regeln. Wahlen sollen frühestens eine Woche nach Schuljahresbeginn stattfinden.

Antrag 26/I/2021 Bildungsgerechtigkeit sicherstellen nach und mit Corona: Rahmenlehrpläne und Ferien anpassen!

18.03.2021

Die Pandemie hat gezeigt, dass ein großer Riss durch unsere Bildungslandschaft geht. Sie hat ein ums andere Mal bewiesen, dass die Bildungschancen an das Einkommen der Erziehungsberechtigte geknüpft sind. So warten immer noch manche Schüler*innen auf ihre internetfähigen Endgeräte und konnten dadurch in der Lockdownzeit nicht an den digitalen Bildungsangeboten partizipieren. Durch den Lockdown waren Kinder und Jugendliche, die sonst in angespannten Familien- und Wohnverhältnissen leben müssen, noch stärkeren psychosozialen Belastungen oder auch Missbrauch ausgesetzt und verloren so die Anschlussfähigkeit an den Unterricht.

 

Zusätzlich vom Haus der Erziehungsberechtigten haben auch die Schulen sehr unterschiedlich auf die neue herausfordernde Situation reagiert. So fand bei weitem nicht an allen Schulen durchgängiger Online- Unterricht statt und gerade an Grundschulen war dies auch teilweise schwer umsetzbar. Grundschüler*innen können die Lerninhalte durch digitalen Unterricht schwerer vermittelt werden, da die Konzentrationsspanne in diesem Alter noch nicht so lang ist. Auch die Anleitungen zur Bearbeitung der Wochenpläne schwankt dabei qualitativ stark zwischen den einzelnen Fächern und Lehrkräften.

 

Somit ist klar, dass viele Kinder und Jugendlichen während der Pandemie ihrem Bildungspotenzial beraubt wurden. Auch wenn es viele Berliner Schulen gab, die in dieser Zeit flexibel, schnell und auch mit Erfolg alternative Bildungsangebote geschaffen haben, ist doch auch klar geworden, dass digitale Angebote niemals den Präsenzunterricht ersetzen können.

 

Hinzukommt, dass wichtige Kompetenzen die während eines Präsenzunterrichts erlernt werden, wie dem respektvollen Miteinander, Teamfähigkeit und weiteren sozial Kompetenzen in dieser Zeit deutlich vernachlässigt wurden und eine Weiterentwicklung durch Unterstützung und Förderung wieder an den Erziehungsberechtigten hängen blieb.

 

Alles in allem lässt sich also festhalten, dass während der Schließung der Schulen Unterrichtsinhalte nicht ausführlich und umfangreich behandelt werden konnten, manche Schüler*innen nicht partizipieren konnten und der Wissen- und Kompetenzerwerb vernachlässigt wurde.

 

Deshalb fordern wir die SPD-Mitglieder im Abgeordnetenhaus und Senat dazu auf, freiwillige Ferienschulen für alle anzubieten. Wer nicht wiederholen will, kann dort den verpassten Schulstoff nachholen, alternativ soll die Möglichkeit von Wiederholungen des Schuljahres allen Schüler*innen grundsätzlich ermöglicht werden.

 

Die zusätzliche Schulzeit darf nicht auf dem Rücken der Lehrerinnen ermöglicht werden. Wir fordern deshalb die SPD-Mitglieder im Abgeordnetenhaus und Senat auf, sich für konkrete Maßnahmen zur Entlastung der Lehrerinnen einzusetzen.

 

Gerade unter den Einschränkungen der Pandemie und trotz des eingeschränkten Schulbetriebs bleibt Erholung für Schülerinnen wichtig. Darum fordern wir weiter, dass die Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie rechtzeitig vor den Sommerferien in Zusammenarbeit mit Einrichtungen und Trägern die bestehenden Konzepte für die Feriengestaltung von Kindern und Jugendlichen an die Bedingungen der COVID-Pandemie anpasst.

 

Gleichzeitig soll die Senatsbildungsverwaltung unverzüglich zur Durchführung von Kompetenz- und Vergleichstest zurückkehren um das tatsächliche Ausmaß der Pandemiefolgen sichtbar zu machen. Dies ist die Voraussetzung nachhaltige Unterstützungsangebote zu entwickeln. Gleichzeitig soll in der Kommunikation darauf geachtet werden, dass den Schüler*innen nicht die Schuld für ein schlechteres Abschneiden gegeben wird.

Antrag 76/I/2021 Für ein echtes Transparenzgesetz

18.03.2021

Eine funktionierende demokratische Gesellschaft ist abhängig von der aktiven Mitgestaltung der Gesellschaft durch die Bürger:innen. Grundvoraussetzung für die Teilhabe ist die Öffentlichkeit des staatlichen Handelns. Nur wer weiß, was Verwaltung und Politik tun, kann mitreden und aktiv werden. Eine bürger*innennahe Verwaltung handelt offen und nachvollziehbar – sie handelt transparent.

 

Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erlaubt den Berliner*innen seit 1999 auf Zugriff auf behördliche Informationen und Dokumente – allerdings nur auf Anfrage, verbunden mit Gebühren, langen Wartezeiten und weitgefassten Ausnahmen.

Die Initiative Volksentscheid Transparenz Berlin hat daher 2019 einen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt, um das IFG zu einem Transparenzgesetz fortzuentwickeln. Das Transparenzgesetz soll öffentliche Stellen verpflichten, alle wichtigen Informationen aktiv, zeitnah und gebührenfrei auf einem zentralen Transparenzportal des Landes zu veröffentlichen. Berlin würde damit dem Beispiel Hamburgs folgen, das 2012 ein solchen Transparenzportal eingeführt hat.

 

Nach einer erfolgreichen Unterschriftensammlung in der 1. Phase des Volksbegehrens nimmt der Senat nun seit 14 Monaten die „rechtliche Prüfung des Entwurfs“ vor. Am 02. März 2021 hat der Senat einen eigenen Gesetzesentwurf für ein Berliner Transparenzgesetz beschlossen. Dieser bleibt deutlich hinter den Forderungen der Initiative zurück. Insbesondere folgende Punkte betrachten wir als kritikwürdig:

 

  •  Weitgehende Ausnahmen:

Die Grundidee eines Transparenzgesetzes ist, dass alle Information und Dokumente, die nicht eines besonderen Schutzes bedürfen, öffentlich zugänglich sein sollen. Der Entwurf des Senats sieht dagegen weitgehende Ausnahmen von der Transparenzpflicht vor. So sind Hochschulen und Bildungseinrichtungen komplett ausgenommen, ebenso der Verfassungsschutz und fast der komplette Arbeitsbereich der Berliner Polizei. Schutzbedürftige Dokumente dürften auch mit dem Gesetzesentwurf der Initiative unter Verschluss bleiben. Sicherheitsbehörden von vornherein von den Transparenzpflichten auszunehmen ist nicht notwendig und schwächt das Vertrauen der Zivilgesellschaft in diese.

 

  •  Hohe Gebühren und lange Fristen:

Ein Kritikpunkt am aktuellen IFG ist, dass häufig Gebühren fällig werden. Dies ist auch dem Alter des Gesetzes geschuldet, 1999 war die Zustellung von digitalen Dokumenten per E-Mail noch nicht verbreitet. Auf politische Information muss jedoch die Allgemeinheit Zugriff haben könne – unabhängig von der Größe des eigenen Geldbeutels. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit muss auf die Erhebung von Gebühren verzichtet werden.

 

Zudem haben Behörden mit dem Senatsentwurf ein Vierteljahr Zeit, um Anfragen zu beantworten. Gerade für tagespolitische Themen ist diese Frist viel zu lang, um eine schnelle Meinungsbildung und zivilgesellschaftliche Kontrolle durch die Öffentlichkeit sicherzustellen.

 

  •  Zwang zur Identifikation:

Antragsteller*innen die Zugang zu Informationen begehren, können künftig gezwungen werden, eine Kopie eines Ausweisdokuments beizufügen. Wir sehen dies kritisch. Anfragen werden häufig Journalist:innen oder Bürgerrechtler:innen, gestellt, die oftmals eines besonderen Schutzes bedürfen. Es darf keine Möglichkeiten geben, zu überwachen, wer wie oft Informationen anfragt. Zudem stellt der Zwang zur Identifizierung eine unnötige Hürde dar. Wenn ein Antrag auf Einsicht in Dokumente positiv beschieden wird, so sollten sie ohnehin für die Allgemeinheit zu Verfügung gestellt werden, unabhängig davon, wer den Antrag ursprünglich gestellt hat.

 

  •  Missbrauchsklausel:

Der Entwurf des Senats enthält eine sog. Missbrauchsklausel, nach der Informationen nicht herausgegeben werden müssen, wenn ein Antrag missbräuchlich gestellt werden würde. Das Argument der „missbräuchlichen Anfrage“ wurde in der Vergangenheit von einigen Behörden gebraucht, um berechtigte Informationsbegehren anzulehnen. Langwierige Gerichtsverfahren waren die Folge, in der in aller Regel die Antragssteller:innen am Ende recht bekamen.

Behörden dürfen die Beantwortung berechtigter Anfragen nicht durch Beruf auf „missbräuchliche Verwendung“ verzögern oder ablehnen. Sind Bürger:innen besonders häufig an Auskünften zu bestimmten Themen interessiert, so sollte dies für die Behörde ein Indikator sein, dass man der eigenen Pflicht zur aktiven Schaffung von Transparenz nicht zu Genüge nachgekommen ist.

 

  •  Keine Stärkung der Informationsfreiheit

Der Entwurf der Initiative sieht weitgehende Maßnahmen zur Stärkung der Informationsfreiheit vor. So soll z. B. die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes umfangreiche Kontrollfunktionen erhalten. Solche Maßnahmen fehlen im Entwurf des Senats komplett.

 

 Wir fordern daher:

  • Der Gesetzentwurf muss, gemeinsam im Dialog mit der Initiative Volksentscheid Transparenz, im parlamentarischen Verfahren so abgeändert wird, dass tatsächliche Transparenz geschaffen wird, insbesondere indem folgende Änderungen vorgenommen werden:
    •  Im Gesetz dürfen keine pauschalen Auschlüsse vom Auskunftsanspruch enthalten sein.
    •  Für Anfragen sollen generell keine Gebühren erhoben werden dürfen.
    •  Die Pflicht von Antragssteller*innen zur Identifikation darf nur im Zusammenhang mit der Herausgabe von personenbezogenen Daten bestehen.
    •  Die Frist in der Behörden einen Antrag entscheiden müssen soll auf maximal wenige Wochen begrenzt werden. Entsprechendes Stellen müssen geschaffen werden.
    •  Streichung von Klauseln die auf die Sanktion „missbräuchlicher Verwendung“ abzielen.
    •  Das Amt der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit muss gestärkt werden und als Aufsichtsbehörde für die Transparenzpflicht etabliert werden.
  • Der Senat die rechtliche Prüfung des Volksbegehrens umgehend abschließt.

 

Antrag 106/I/2021 Solidarität in der Krise: Vermögensabgabe jetzt!

18.03.2021

Soziale Ungleichheit bekämpfen

Die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf die wachsende soziale Ungleichheit in unserem Land geworfen und diese weiter verschärft. Viele Menschen mit geringen und mittleren Einkommen gerieten durch die Pandemie in Existenznöte, während Großaktionär*innen von rasant steigenden Aktienkursen und Gewinnausschüttungen profitieren. So konnten die 119 deutschen Milliardär*innen ihr Vermögen während der Krise um rund 79 Milliarden Euro steigern. Gleichzeitig mussten viele Menschen trotz staatlicher Unterstützung auf ihre Ersparnisse zurückgreifen und Einkommensverluste hinnehmen. Das zeigt, wie massiv die Corona-Pandemie die Konzentration der Vermögen verstärkt.

 

Wie eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, wirkt sich die Krise besonders belastend auf Menschen mit niedrigen Einkommen aus. Sie leiden am stärksten unter wirtschaftlichen Sorgen, vor allem, wenn sie über wenig Vermögen verfügen. Dabei waren bereits vor der Pandemie rund ein Fünftel der Deutschen nicht in der Lage, eigenes Vermögen aufzubauen. Denn nicht erst seit Corona besteht eine dramatische Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen die obersten ein Prozent 35 Prozent des gesamten Vermögens, während die unteren 90 Prozent nur über 33 Prozent des Vermögens verfügen. Diese Ungleichheit dürfen wir nicht hinnehmen. Menschen ohne Vermögen haben eine nachweislich geringere Lebenserwartung, sind vollständig abhängig von Lohnarbeit und somit oft im Niedriglohnsektor gefangen und können nicht im gleichen Maße am Gemeinwesen teilhaben, wie Vermögende. Dies führt langfristig auch zu einer erheblichen Verschiebung politischer und gesellschaftlicher Macht. Außerdem ist es für Kinder, deren Eltern kein Vermögen besitzen, erheblich schwieriger, selbst Vermögen aufzubauen, da sie nicht erben. Dadurch leidet die soziale Mobilität: Kinder aus armen Familien haben es ungleich schwerer, aufzusteigen.

 

 Gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren

 

Wir stehen vor einer Zerreißprobe: Wenn wir eine solidarische Gesellschaft schaffen und erhalten wollen, dürfen tiefgreifende ökonomische und soziale Spannungen nicht unbeantwortet bleiben. Die Corona-Krise hat diese Spannungen weiter verstärkt. Dem müssen wir mit einer solidarischen Besteuerung entgegenwirken. Ein Teil davon sollte die Vermögensabgabe sein. Dafür kann der nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossene Lastenausgleich als positives Beispiel dienen, denn er linderte die sozialen Spannungen erheblich.

 

 In öffentliches Gemeinwesen investieren

 

Neben den sozialen Spannungen hat die Corona-Krise auch den Investitionsstau in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Pandemie hat gezeigt, dass weitere öffentliche Investitionen zur Stärkung des sozialen Gemeinwesens unabdingbar sind. Der Sparzwang und die Profitmotive der vergangenen Jahrzehnte im Gesundheitswesen haben zu einem Rückgang an Intensivbetten und erheblichem Personalmangel geführt. Auch die öffentliche Verwaltung kann ihrem Anspruch, bedarfsgerecht und schnell zu agieren, aufgrund mangelhafter Ausstattung und fehlendem Personal zu oft nicht gerecht werden. Homeschooling und Home-Office haben darüber hinaus aufgezeigt, wie essentiell flächendeckende Breitbandanschlüsse und die technische Ausstattung zu Hause sind, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

 

Bei all dem dürfen wir die größte Herausforderung unserer Zeit, den Klimawandel, nicht vergessen. Die vollständige Transformation unseres Lebens und unserer Wirtschaft erfordert immense finanzielle Anstrengungen: Allein die Energiewende wird nach Berechnungen des ifo-Institutes bis 2050 zwischen 500 und 3.000 Milliarden Euro kosten.. Diese finanziellen Aufgaben müssen gerecht verteilt werden.

 

Es ist daher offensichtlich, dass wir einen handlungsfähigen und finanzkräftigen Staat brauchen, der darauf reagieren kann. Der Investitionsstau in der Verwaltung, dem Gesundheits- und Bildungssystem und in der öffentlichen Infrastruktur darf nicht weiter bestehen – hier besteht akuter Finanzierungsbedarf. Daher können wir uns keine erneute Austeritätspolitik wie nach den letzten Finanzkrisen leisten. Die notwendigen Investitionen dürfen auch nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer*innen finanziert werden, die in Kurzarbeit, mangelhaft ausgestatteten Home-Office oder unter widrigsten Arbeitsbedingungen in den Betrieben, Krankenhäusern und Schulen ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um während der Pandemie die Gesellschaft am Laufen zu halten.

 

Die aktuelle Bundesregierung hat bereits während der Pandemie das Dogma der schwarzen Null aufgegeben und wieder Schulden aufgenommen, um die ausfallenden Steuereinnahmen, Hilfsprogramme und Investitionen zu finanzieren. Das ist in dem aktuellen Niedrigzinsumfeld absolut richtig. Doch die Schuldenaufnahme allein kann auf Dauer keine Lösung sein. Auch wenn die Wirtschaft wieder wachsen und die Schuldenquote dadurch sinken wird, braucht der Staat auf Dauer neue Einnahmequellen, um den Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte gerecht zu werden. Darüber hinaus wird Schuldenaufnahme nicht die eklatante Vermögensungleichheit und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft beheben.  Die gerechteste und ökonomisch sinnvollste Lösung ist daher eine Vermögensabgabe, mit der die reichsten Menschen unserer Gesellschaft ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise und der kommenden Herausforderungen leisten sollen.

 

Wir fordern daher die Einführung einer Vermögensabgabe auf alle Privatvermögen ab 2 Mio. Euro und auf alle Unternehmensvermögen ab 5 Mio. Euro. Die Vermögensabgabe startet bei 10% und steigt linear-progressiv auf 30% ab einem Vermögen von 50 Mio. Euro an. Die Vermögensabgabe wird in jährlichen Raten über 20 Jahre gezahlt. Die Vermögensabgabe soll bei immobilem Kapital und Unternehmensbeteiligungen auch in Form von staatlichen Anteilen geleistet werden können. 

 

Wir fordern, dass die Erlöse der Vermögensabgabe einem gesonderten Investitionsfonds zugeführt werden, um zu garantieren, dass die Mittel zweckgebunden für die gewünschten Investitionen genutzt werden und nicht, um Löcher im laufenden Bundeshaushalt zu stopfen. 

 

 Erhebliches Aufkommen trotz großzügiger Freibeträge

 

Bei unserer Ausgestaltung orientieren wir uns an Simulationsrechnungen des DIW Berlin. Im Gegensatz zur Vermögenssteuer wird die Vermögensabgabe nur einmalig auf den Vermögensbestand erhoben.  Es ist uns dabei wichtig, dass nur die obersten Prozente der Vermögenden in Deutschland betroffen sind, um die gewünschte Umverteilungsdynamik zu erzielen. Familien mit Einfamilienhaus und kleine Betriebe werden durch die Freibeträge geschützt. Verluste durch die Corona-Krise sollen ebenfalls berücksichtigt werden. Da die Vermögen in Deutschland sehr stark auf die oberen 10 Prozent konzentriert sind, kann die Vermögensabgabe trotz der hohen Freibeträge ein erhebliches Aufkommen generieren. Die Berechnung des DIW geht für unser Modell von einem Aufkommen von 338 Milliarden Euro aus. Indem wir den Stichtag für die Bemessung des Vermögens in die Vergangenheit (den Start der Corona-Pandemie) legen, verhindern wir, dass Vermögende der Abgabe ausweichen.

 

 Konkretes Konzept und Ausgestaltung 

 

Abgabepflichtig sind alle individuellen natürliche Personen. Natürliche Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Inland sind unbeschränkt abgabepflichtig. Beschränkt Abgabepflichtig sind natürliche Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Ausland mit inländischem Vermögen. Eine gemeinsame Veranlagung von Ehepartner*innen oder Lebenspartner*innen ist nicht vorgesehen. Es wird kein Kinderfreibetrag gewährt. Juristische Personen sind grundsätzlich nicht abgabepflichtig.

 

Die Bemessungsgrundlage der Vermögensabgabe ist das individuelle in- und ausländische Nettovermögen der natürlichen Person. Das Individuelle Nettovermögen errechnet sich aus der Differenz zwischen den abgabepflichtigen Vermögenswerten und darauf lastenden Verbindlichkeiten. Die Ermittlung und Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sollen sich grundsätzlich an den Vorschriften des Bewertungsgesetzes orientieren.

 

Der Tarif der Vermögensabgabe soll linear-progressiv gestaltet sein: Dieser beginnt mit 10 Prozent und steigt mit höheren abgabepflichtigen Nettovermögen bis auf 30 Prozent. Ab einem abgabepflichtigen Nettovermögen von 50 Millionen soll der Spitzen- Abgabesatz von 30 Prozent einsetzen.

 

Der persönliche individuelle Freibetrag beträgt zwei Millionen Euro vom abgabepflichtigen Vermögen. Für Betriebsvermögen und wesentlichen Beteiligungen (mindestens 25 Prozent) an Kapitalgesellschaften sind ein gesonderter Freibetrag in Höhe von fünf Millionen Euro vorgesehen. Es sollen die aktuellen Regelungen des Erbschaftsrechts analog für die Gewährung von Freibeträgen angewendet werden.

 

Die Vermögensabgabe soll auf das abgabepflichtige Nettovermögen zum 01. Januar 2020 festgesetzt und erhoben werden. Auf Antrag kann als alternativer Stichtag der 01. Januar 2022 gewählten werden, sofern der Abgabepflichtige glaubhaft nachweisen kann, dass sein Vermögen seit dem 01. Januar 2020 im Zuge der Covid-Pandemie mittelbar gesunken ist und sein abgabepflichtiges Nettovermögen zum 01. Januar 2020 niedriger ist als zum 01. Januar 2020. Der Missbrauch dieser Ausnahmeregelung soll unterbunden werden. Die Steuerzahlung wird auf 20 Jahre gestreckt.

 

Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass die derzeitigen Vermögensunterschiede moralisch nicht zu rechtfertigen sind. Wer betroffen von der Vermögensabgabe ist, hat diese Vermögen egal ob direkt durch Unternehmensbesitz, Immobiliengeschäfte oder Geschäfte auf dem Finanzmarkt, oder indirekt durch Erbschaft, als Resultat der gesammelten Arbeitskraft anderer erlangt . Die Vermögensabgabe kann nur der Startschuss für eine größer angelegte radikalere Umverteilung sein, die die kapitalistische Verteilungslogik in ihren Grundsätzen adressiert.