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Antrag 73/I/2023 Entwicklungspolitik partnerschaftlich gestalten: neue Instrumente zur Stärkung der Zivilgesellschaft im Globalen Süden und für die Zusammenarbeit mit der Diaspora

27.04.2023

Zivilgesellschaftliche Netzwerke und Organisationen sind wichtige Akteur*innen in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Während der Covid-19-Pandemie waren es beispielsweise vor allem lokale Akteur*innen, welche in den Partnerländern der deutschen EZ auf den Gesundheitsnotstand reagierten und wirksame Hilfe koordinierten. Netzwerke und Vereine der Diaspora in Deutschland leisten u.a. besondere Unterstützung bei der Integration von Geflüchteten und in der entwicklungspolitischen und antirassistischen Bildungsarbeit als auch der entwicklungspolitischen Arbeit ihrer Herkunftsländer. Die Potenziale von lokalen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und der Diaspora für die Förderung nachhaltiger Entwicklung und die Überwindung postkolonialer Strukturen werden jedoch in der deutschen EZ noch nicht ausreichend genutzt. Die feministische Entwicklungspolitik muss zum Ziel eines lokal gesteuerten Entwicklungsansatzes beitragen, der marginalisierte Menschen ins Zentrum stellt und soziale Ungleichheiten ganzheitlich angeht.

 

Wir fordern von der Leitung des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und den Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion:

  • die Zusammenarbeit mit der lokalen Zivilgesellschaft in den Partnerländern zu verstärken. Hierfür muss das BMZ eine eigene Strategie zur Lokalisierung verfassen, der ein Umsetzungsplan folgt – ähnlich dem Vorbild von USAID.  Echte partnerschaftliche Beziehungen müssen eine Übertragung von Entscheidungsmacht an lokale Akteur*innen beinhalten.
  • die direkte Finanzierung von lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu erhöhen. Der Rahmen, in dem dies mit Bundesmitteln möglich ist, muss geprüft und ggf neu angepasst werden. Die BMZ-Lokalisierungsstrategie muss ermitteln, welcher Anteil an Projektgeldern direkt an lokale Organisationen geht. Ein konkretes Ziel über dem aktuellen Niveau, z.B. 25% der Mittelvergabe an lokale Träger, muss festgelegt werden. Zur Umsetzung müssen vereinfachte Fördermöglichkeiten entwickelt werden.
  • die Unterschiedlichkeit der Akteur*innen der Zivilgesellschaft innerhalb der Partnerländer zu berücksichtigen und Machtasymmetrien, bspw. zwischen Stadt und Land, nicht zu verstärken. Besonders berücksichtigt werden marginalisierte Gruppen.
  • Eine Vernetzung lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen, über nationale Grenzen hinweg und vor allem Süd-Süd, muss gefördert werden.
  • die Expertise der Diaspora, und deren Zugang zu vielfältigen Ressourcen in Deutschland systematisch und frühzeitig in die Konzeption und Umsetzung der EZ-Strategie sowie Priorisierung der Themen und Nachhatligkeitsziele einzubeziehen, um die kulturellen Erfahrungen, vertrauensvolle Beziehungen zu lokalen Netzwerken und das Wissen über die Gegebenheiten vor Ort zu nutzen für nachhaltige Wirkung. Der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten muss erleichtert werden für inhaltliche und strukturelle Projekte. Dafür muss mit relevanten Akteur*innen der Diaspora eine eigene Förderstrategie des BMZ hierfür erarbeitet werden, der ein Umsetzungsplan folgt.

 

Antrag 72/I/2023 Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklungszusammenarbeit: Erkennen, verstehen, handeln!

27.04.2023

Seit Jahrzehnten fordern sowohl Akteur*innen als auch Organisationen der Zivilgesellschaft -vor allem aus dem Globalen Süden- eine Auseinandersetzung mit kolonialen Kontinuitäten in der praktischen Umsetzung von Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und humanitärer Hilfe. Die weltweiten Black Lives Matter Bewegungen haben diese Forderungen in die Mitte der Gesellschaft hineingetragen.

 

In den vergangenen drei Jahren erfolgten zu diesem Themenkomplex Publikationen von Nichtregierungsorganisationen, der Fachpresse, als auch Aktivist*innen, die kritisch und selbstreflexiv kolonialrassistische Strukturen in der EZ bekunden. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hielt Veranstaltungen zu diesem Thema ab. Das Komitee für internationale Zusammenarbeit des britischen House of Commons (Äquivalent zum Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung / AWZ im Deutschen Bundestag) veröffentlichte im Jahr 2022 einen Report mit Empfehlungen an die britische Regierung zum “Umgang mit Rassismus in der Entwicklungszusammenarbeit”.

 

Auch das Auswärtige Amt gibt Studien zur Diversität existierender Förder- und Kooperationsstrukturen in Auftrag. Die neue Afrikastratgie des BMZ sieht die Vermeidung rassistischer Strukturen und postkolonialer Kontinuitäten als ein Strang zur Beseitigung von Diskriminierung und Ungleichheit.

 

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung hält fest: „Wir wollen koloniale Kontinuitäten überwinden, uns in Partnerschaft auf Augenhöhe begegnen und veranlassen unabhängige wissenschaftliche Studien zur Aufarbeitung des Kolonialismus”. (S. 126 KOA Vertrag)

 

Eine sozialdemokratische und feministische Entwicklungspolitik ist auch eine antirassistische und dekoloniale Entwicklungspolitik.

 

Aus diesem Grund fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und das sozialdemokratisch geführte Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) dazu auf:

 

ein Berichtswesen in Auftrag zu geben, das sich mit kolonialen Kontinuitäten und Rassismus in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auseinandersetzt. Dieses soll sich inhaltlich an dem Bericht des britischen Unterhauses orientieren und wissenschaftlich unabhängig in Auftrag gegeben werden. Dieser regelmäßige Bericht soll sowohl die Praxis des Ministeriums, der Durchführungsorganisationen als auch weiterer Zuwendungsempfänger*innen – insb. internationaler Nichtregierungsorganisationen (INRO) – zum Gegenstand haben. Interne Arbeitsgruppen des Ministeriums sowie der Durchführungsorganisationen und der Zivilgesellschaft, die sich mit Kolonialrassismus auseinandersetzen, sollen in diesen Prozess genauso einbezogen werden wie externe Fachpersonen des Globalen Südens.

 

Konkrete Punkte und Analysegegenstand des Berichtswesens müssen u.a. sein:

  • antirassistischer Prüfstand der Praxis des Marketings von Zuwendungsempfänger*innen des BMZ im Bereich der EZ inklusive Patenschaftsmodellen zur Spendenmittelakquise
  • vergleich der Entlohnungsstrukturen von lokalen und internationalen Fachkräften als auch sozialen Sicherungssystemen bzgl. äquivalenter Kompetenz und Qualifikation
  • Zusammensetzung von Vorsitz und Vorstand von INROs hinsichtlich Diversität und Ursprungsländern Globaler Norden/Globaler Süden
  • Praxis der Wissensgenerierung und Wissenshoheit für Lösungsansätze in der EZ bezüglich ihres Ursprungs und Einbezuges Globaler Norden/Globaler Süden
  • Überprüfung von flexiblen Finanzierungsmechanismen für lokale und regionale Strukturen jenseits von Organisationen mit Sitz im Globalen Norden (“Lokalisierung”)
  • Prüfung von internen antirassistischen Beschwerdemechanismen und Standards von Ministerien, Durchführungsorganisationen und Zuwendungsempfänger*innen.
  • Kritische Auseinandersetzung von kolonialen Kontinuitäten in der Geschichte des BMZs – dies schließt Sprache und Verhalten vergangener Hausleitungen mit ein

 

Antrag 71/I/2023 Kolonialrassismus in der Entwicklungszusammenarbeit: Erkennen, verstehen, handeln!

27.04.2023

Seit Jahrzehnten  fordern sowohl Akteur*innen als auch Organisationen der Zivilgesellschaft – vor allem aus dem Globalen Süden –  eine Auseinandersetzung mit kolonialen Kontinuitäten in der praktischen Umsetzung von Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und humanitärer Hilfe. Die weltweiten Black Lives Matter Bewegungen haben diese Forderungen in die Mitte der Gesellschaft hineingetragen.

 

In den vergangenen Jahren erfolgten zu diesem Themenkomplex Publikationen von Nichtregierungsorganisationen, der Fachpresse, als auch Aktivist*innen, die kritisch und selbstreflexiv kolonialrassistische Strukturen in der EZ bekunden. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hielt Veranstaltungen zu diesem Thema ab. Das Komitee für internationale Zusammenarbeit des britischen House of Commons (Äquivalent zum Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung / AWZ im Deutschen Bundestag) veröffentlichte im Jahr 2022 einen Report mit Empfehlungen an die britische Regierung zum “Umgang mit Rassismus in der Entwicklungszusammenarbeit”.

 

Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung hält fest: „Wir wollen koloniale Kontinuitäten überwinden, uns in Partnerschaft auf Augenhöhe begegnen und veranlassen unabhängige wissenschaftliche Studien zur Aufarbeitung des Kolonialismus”. (S. 126 KOA Vertrag)

 

Eine sozialdemokratische und feministische Entwicklungspolitik ist auch eine antirassistische und dekoloniale Entwicklungspolitik.

 

Aus diesem Grund fordern wir die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und das sozialdemokratisch geführte Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) dazu auf:

 

ein Berichtswesen in Auftrag zu geben, das sich mit kolonialen Kontinuitäten und Rassismus in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auseinandersetzt. Dieses soll sich inhaltlich an dem Bericht des britischen Unterhauses orientieren und wissenschaftlich unabhängig in Auftrag gegeben werden. Dieser regelmäßige Bericht soll sowohl die Praxis des Ministeriums, der Durchführungsorganisationen als auch weiterer Zuwendungsempfänger*innen – insb. internationaler Nichtregierungsorganisationen (INRO) – zum Gegenstand haben. Interne Arbeitsgruppen des Ministeriums sowie der Durchführungsorganisationen und der Zivilgesellschaft, die sich mit Kolonialrassismus auseinandersetzen, sollen in diesen Prozess genauso einbezogen werden wie externe Fachpersonen des Globalen Südens.

 

Konkrete Punkte und Analysegegenstand des Berichtswesen müssen u.a. sein:

  • antirassistischer Prüfstand der Praxis des Marketings von Zuwendungsempfänger*innen des BMZ im Bereich der EZ inklusive Patenschaftsmodelle zur Spendenmittelakquise
  • Vergleich der Entlohnungsstrukturen von lokalen und internationalen Fachkräften als auch sozialen Sicherungssystemen bzgl. äquivalenter Kompetenz und Qualifikation
  • Zusammensetzung von Vorsitz und Vorstand von INROs hinsichtlich Diversität und Ursprungsländern Globaler Norden/Globaler Süden
  • Praxis der Wissensgenerierung und Wissenshoheit für Lösungsansätze in der EZ bezüglich ihres Ursprungs und Einbezuges Globaler Norden/Globaler Süden
  • Überprüfung von flexiblen Finanzierungsmechanismen für lokale und regionale Strukturen jenseits von Organisationen mit Sitz im Globalen Norden (“Lokalisierung”)
  • Prüfung von internen antirassistischen Beschwerdemechanismen und Standards von Ministerien, Durchführungsorganisationen und Zuwendungsempfänger*innen.
  • Kritische Auseinandersetzung von kolonialen Kontinuitäten in der Geschichte des BMZ – dies schließt Sprache und Verhalten vergangener Hausleitungen mit ein

Antrag 68/I/2023 Die Verteidigung unserer östlichen Nachbarn nachhaltig unterstützen!

27.04.2023

Mit dem erneuten russischen Angriff auf die Ukraine wurde uns klar, dass Russland Angriffskriege auch in Europa als Mittel der Politik sieht. Deutschland hatte die Augen davor verschlossen, als es sich um Georgien, Syrien oder östliche Teile der Ukraine handelte. Wir haben die juristische und moralische Verpflichtung, unsere Partner in der EU und der NATO zu verteidigen, die der­zeit von Russland bedroht sind.

 

Auch haben wir zusammen mit unseren Partnern die Entschei­dung getroffen, die Ukraine dabei zu unterstützen, ihre territoriale Integrität wiederherzustellen. Art und Umfang unserer Unterstüt­zung für die Ukraine beruhen auch auf ihrer demokratischen Ent­wicklung und ihrem Verhalten in den befreiten Gebieten.

 

Humanitäre Hilfe für die Ukraine ist wichtig und richtig. Sie ist aber nicht nachhaltig, wenn Russland gleichzeitig weiter Tod und Verwüstung bringt. Ein „eingefrorener“ Konflikt ist keine Lösung. Die Waffenstillstandsvereinbarungen in Transnistrien, im Kauka­sus oder in Donezk haben russisch kontrollierte Besatzungsre­gimes fortgeschrieben. Nach Bucha und nach Isjum kann das keine Alternative sein. Wir haben alle die Berichte gesehen, was eine russische Besatzung bedeutet. (Wir hätten gerne „mit Er­schrecken und Unglauben“ geschrieben, nach Tschetschenien und Syrien wäre das jedoch Selbstbetrug.)

 

Es ist zu hoffen, dass die russische Führung ihren Fehler einsieht und die Invasion beendet. Wir unterstützen Verhandlungen mit diesem Ziel. Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass das ohne weitere schwere Kampfhandlungen geschieht.

 

Wirksame moderne Waffensysteme, Munition und Ausrüstung haben lange Lieferzeiten. Waffenbestellungen für die Bundes­wehr im Rahmen des 100-Mrd.-Programms, durch unsere Ver­bündeten und durch oder für die Ukraine müssen deshalb durch die Bundesregierung langfristig koordiniert werden.

 

Damit bleibt die Frage, ob doch bitte andere westliche Staaten liefern sollen, ob die Ukraine direkt bei der deutschen Industrie bestellt oder ob die Bundesregierung eine zentrale Rolle ein­nimmt. Wir sehen hier Deutschland und die Regierung in der Pflicht.

Antrag 67/I/2023 Sozialdemokratische Friedenspolitik: Außen- und Sicherheitspolitik gestalten

27.04.2023

1. Unsere Ausgangslage

Der brutale Überfall Russlands auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 markierte eine Zäsur für die deutsche, europäische und internationale Außen- und Sicherheitspolitik. Der Krieg und die Verübung grausamer Kriegsverbrechen durch die russischen Besatzer führen dazu, dass Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen. Laut den Vereinten Nationen sind insgesamt rund acht Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Es gibt rund sechs Millionen Binnenvertriebene (jew. Stand 14.1.2023). Die russische Kriegsführung trifft zielgerichtet die ukrainische Bevölkerung und zerstört die zivile Infrastruktur. Es gilt – gemeinsam und abgestimmt im Verbund der EU und NATO – die Ukraine bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, der ukrainischen Bevölkerung zu helfen und Russland völkerrechtlich für seinen imperialistischen Angriffskrieg  zur Verantwortung zu ziehen.

 

Die durch den Angriffskrieg entstandenen Herausforderungen an Deutschland und seine Partner hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Begriff “Zeitenwende” betitelt. Zeitenwende wird hierbei als eine grundlegende Änderung der europäischen Sicherheitsordnung verstanden. Der Begriff Zeitenwende ist nicht unumstritten. Unstrittig dürfte jedoch sein, dass die Sozialdemokratie intensiver diskutieren muss, welchen außenpolitischen Weg sie in Zukunft einschlagen muss. Hierzu gehört unzweifelhaft nicht nur eine Aufarbeitung der Russlandpolitik, sondern auch eine kritische Überprüfung der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte. Hinterfragt werden muss das Hinnehmen des Sterbens von geflüchteten Menschen an Europas Außengrenzen. Auch Auslandseinsätze wie zum Beispiel in Afghanistan oder Mali müssen im Hinblick auf Zielsetzung, Folgen und Konsequenzen sowie die Qualität der nationalen und europäischen Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung analysiert werden.

 

Die SPD muss als Friedenspartei die Leitplanken und Möglichkeiten der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik überprüfen und festlegen, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufstellen möchte. Dieser Prozess muss durch einen umfassenden Diskussionsprozess in der Partei begleitet werden. Dieser Antrag ist ein Beitrag zur notwendigen breiten Debatte um die zukünftige Ausrichtung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik.

 

2. Unsere Säulen sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik

Die Friedens- und Sicherheitspolitik der Sozialdemokratie ruht auf einem festen Fundament, wie es in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit aller Menschen festgeschrieben wurde. Willy Brandt hat das Ziel der weltweiten „Freiheit von Not und von Furcht“ abgeleitet. Dies bleibt unser Anspruch.

 

Diese Freiheit wird im Kern gefährdet durch weltweite Entwicklungen: durch wachsende soziale Ungleichheiten – national und global -, humanitäre Krisen, die Rückkehr von Autokratien und Diktaturen. Sie ist ebenso bedroht durch den systematischen Abbau bürgerlicher Freiheiten und die Untergrabung der Menschenrechte, durch existenzielle Bedrohungen für diejenigen, die unabhängig journalistisch arbeiten, und Einschränkungen in der Unabhängigkeit von Gerichten, Rechtsprechung und Wahlverfahren für Richterinnen und Richter. Grundlage einer gedeihlichen Entwicklung sind offene Gesellschaften, die ihren Mitgliedern den Kampf für ihre Rechte ermöglichen. Ohne die Gleichheit der Rechte aller Menschen bleibt Freiheit von Not und Furcht nur Stückwerk.

 

Die Freiheit von Not und Furcht wird auch bedroht durch die fortschreitende Klimakrise, die Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt und vielen Millionen weiteren zu nehmen droht.

 

Unser Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik ist breit, weil wir nicht auf eine kurzfristige sektoral begrenzte, sondern eine langfristige und werteorientierte Perspektive setzen, die ein friedliches, respektvolles Miteinander ermöglichen: Es muss neben den u.U. lebensrettenden Erfordernissen von Schutz und Verteidigung stets die langfristige menschliche Sicherheit aller – insbesondere von Frauen, Kindern und marginalisierten Gruppen – mitdenken, die Folgen für Energieverbrauch und fortschreitenden Klimawandel, die Folgen für wirtschaftliche Beziehungen und den Ausbau von sozialen und politischen Menschenrechten gerade auch im globalen Süden.

 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Russland das internationale Völkerrecht gebrochen und die kollektive Sicherheitsordnung Europas nach der Schlussakte von Helsinki 1975 verlassen. Spätestens seit 2014 ist deutlich, dass die Verflechtung durch Wirtschaftsbeziehungen keinen Frieden in Europa und auch anderswo garantiert.

 

Eine sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik erfordert also eine stetig entlang transparenter Kriterien und Werte weiterzuentwickelnde und anpassungsfähige Strategie. Ihr zugrunde liegt eine ganzheitliche Herangehensweise, in die Sachstände, Bewertungen und strategische Vorausschau aus allen relevanten Ministerien kontinuierlich einfließen und auf allen Ebenen miteinander abgestimmt werden (sog. Vernetzter Ansatz). Für sein Gelingen muss die Bundesregierung die notwendigen institutionellen Strukturen schaffen.

 

Wir sehen folgende Prüfsteine als wesentlich für eine langfristig erfolgreiche sozialdemokratische Friedens- und Sicherheitspolitik an:

  • Aus den historischen deutschen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gespeiste bewährte Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel, eine Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie eine langfristige und vorausschauende Friedenssicherung.
  • Enge und frühzeitige, kontinuierliche Abstimmung mit den Bündnispartnern in EU und NATO unter Einbeziehung der jeweiligen Interessen der Partner sowie eine in Absprache mit den Partnern komplementäre und arbeitsteilige Schwerpunktsetzung der deutschen Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung.
  • Strategisch breit fundierte und jeden Einzelfall abwägende Entscheidungsfindung. Offene Kommunikation, gerade auch über das Lernen aus Fehlern und Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur.
  • Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen auch mit politischen Akteuren, die nicht entsprechend unserem Wertesystem oder sogar völkerrechtsverletzend handeln, um zu jedem wünschenswerten Zeitpunkt diplomatische Schritte gehen zu können, bei gleichzeitiger maximaler Klarheit über den eigenen politischen Standpunkt. Die Aufrechterhaltung von Gesprächskanälen darf einer entschlossenen Politik nicht im Wege stehen.
  • Die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verlangt weiterhin eine konsequente Politik der effektiven Rüstungskontrolle mit dem langfristigen Ziel der Rüstungsbegrenzung und der Perspektive einer Abrüstung. Wir setzen uns weiterhin für eine internationale Ächtung des Einsatzes von Atomwaffen ein und bekräftigen unser Ziel einer atomwaffenfreien und entmilitarisierten Welt. Dies wird allerdings nur in einem internationalen Kontext stattfinden können.
  • Ein von der Bundesregierung umzusetzender Vernetzter Ansatz: Bei jedem Einsatz zur Friedenssicherung werden von Beginn an alle einschlägigen Ressorts beteiligt und auf Gegebenheiten und Perspektiven vor Ort wird eingegangen. Die Entwicklungszusammenarbeit darf dabei neben sicherheitspolitischer Planung keine untergeordnete Rolle einnehmen.
  • In der Entwicklungszusammenarbeit muss die qualitative Nachhaltigkeit der Erfolge zentral sein. Wir wirken darauf hin, dass die Entwicklungszusammenarbeit Wirtschaften stärkt und Arbeitsmärkte aufbaut, die insbesondere Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Gruppen langfristige Perspektiven zum sozialen Aufstieg in ihren Heimatländern bieten. Die Verpflichtung, mindestens 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe bereitzustellen, muss eingehalten werden.
  • Zielorientierte Einpassung in die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele, welche die Generalversammlung der Vereinten Nationen 2015 einmütig verabschiedet hat: z.B. Armut und Hunger beenden (1, 2), inklusive und gute Bildung für alle sichern (4), Geschlechtergerechtigkeit (5) sowie sauberes Wasser und saubere, bezahlbare Energieverfügbarkeit (5,6) sichern.
  • Verfolgung des Ziels des Pariser Klimaabkommens – das heißt, die Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, und möglichst auf 1,5 Grad.

 

3. Internationale Organisationen stärken

Die Zeitenwende global zu verstehen, bedeutet auch, dass wir seit Jahren bestehende Paradigmen der deutschen Positionierung im multilateralen Raum überdenken und gemäß unserem Anspruch einer gerechten und kooperativen Welt anpassen müssen. Hierfür benötigt es strategische Partnerschaften und Allianzen mit Ländern aller Regionen und Kontinente, die geprägt sein müssen von gegenseitigem Respekt und Glaubwürdigkeit.

 

  • Die EU soll wichtigster Orientierungs- und Handlungsrahmen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden. Um die rüstungs- und verteidigungspolitischen Ziele der Zeitenwende nachhaltig und politisch tragbar umzusetzen, braucht es eine engere Verzahnung der Beschaffungspolitik mit den EU-Partnern als bisher. Es gilt, eine gemeinsame Beschaffungsstrategie so anzugestalten, dass Interoperabilität der Rüstungssysteme und Lastenteilung in den Produktions- und Verteidigungskapazitäten der gesamten EU sichergestellt sind. Hierfür benötigt es kurz- und mittelfristig höhere politische und finanzielle Investitionen.
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch die zentrale Rolle der NATO, zumal die USA, als Garanten für die europäische Sicherheit deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Anhebung der Verteidigungsausgaben durch die Mitgliedsstaaten. Mittelfristig muss an die Stelle des 2%-Ziels eine mehrjährige, an den wirtschaftlichen und beschaffungstechnischen Kapazitäten der Mitgliedstaaten orientierte arbeitsteilige Investitionsstrategie treten, welche die demokratische Wehrhaftigkeit und Einsatzfähigkeit des Bündnisses garantiert und bestehende Lücken schließt.
  • Eine Stärkung der Vereinten Nationen als wichtigstes Gremium der internationalen Verhandlungen und Konfliktlösung kann nur durch ein aktives und kooperatives Verhalten Deutschlands und der EU innerhalb der Vereinten Nationen erfolgen. Dazu gehört der strategische und am globalen Gemeinwohl orientierte Austausch mit den Staaten des Globalen Südens, die sich innerhalb der Vereinten Nationen zur G77 zusammengeschlossen haben. Vertrauensbildende Maßnahmen könnten u.a. die aktive Beteiligung der EU an den Verhandlungen eines verpflichtenden Abkommens über Wirtschaft und Menschenrechte, Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, Schuldenerlasse sowie der Einsatz für eine Zinsabsenkung in der Kreditvergabe der internationalen Entwicklungsbanken an Staaten des globalen Südens sein.
  • Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russland gegen die in der Schlussakte von Helsinki beschlossenen und durch die Charta von Paris (1990) bekräftigen Prinzipien der OSZE verstoßen. Das Gremium kann in Folge der russischen Aggression derzeit seiner Aufgabe als Dialogforum der paneuropäischen Sicherheit nicht ausreichend nachkommen. Mittelfristig – nach einem Rückzug russischer Truppen aus den ukrainischen Gebieten – könnte die OSZE in einer signifikant veränderten sicherheitspolitischen Landschaft abermals ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, vor allem in Bereich des Vertrauensaufbaus und der Transparenz.
  • Nur wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine schloss der Europarat als Organisation für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie Russland aus den eigenen Reihen aus. Nichtsdestotrotz soll der Europarat und die Parlamentarische Versammlung des Europarates weiterhin ein Ort für die russische Zivilgesellschaft sein, um die Möglichkeit zu bieten, sich international Gehör zu verschaffen und zu vernetzen.
  • Die G7 und G20 müssen als diplomatische Foren gestärkt werden. Hierzu gehören klare Strategien und gemeinsame Zielsetzungen mit den nicht-westlichen Mitgliedsstaaten in der G20, z.B. im Bereich des Klimawandels, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen oder der globalen Bekämpfung von Steuerflucht. Sowohl der von Olaf Scholz im Rahmen der G7 angeregte Klimaclub als auch die Initiative der G20 einer globalen Mindestbesteuerung von Unternehmen sollten forciert werden.

 

4. Konfliktursachen bekämpfen, Stabilität fördern und Perspektiven schaffen

Internationale Solidarität, Verantwortung und Führung muß fußen auf dem skizzierten Kontext der demokratischen Wertebindung – Menschenwürde, Freiheit von Not und Furcht, Rechtssicherheit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Stabilen Fortschritt können sie nur bewirken, wenn die Folgen einer solidarischen und verantwortungsvollen Politik für Frauen und Kinder, für die Klimaentwicklung, für die Armen der Welt mitgedacht sind.

 

Unsere Forderungen sind:

  • Wir wollen die Selbstverteidigung der Ukraine wirksam unterstützen, um ihre Existenz zu sichern. Davon hängt ab, wie sich das Verhältnis zwischen dem demokratischen Europa und Russland entwickeln wird.
  • Wir wollen eine Feministische Außenpolitik zur Unterstützung von Sicherheit, Freiheit, Inklusion und Teilhabe.
  • Wir wollen offene Gesellschaften, Rechtssicherheit und Meinungsfreiheit global unterstützen. Hierzu gehört die internationale Förderung einer freien Pressearbeit sowie der Kampf gegen die zunehmende Verbreitung von Fake News, etwa durch den Ausbau staatlicher Medienprogramme und einer stärkeren schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit zum Thema internationale Beziehungen.
  • Wir wollen klare Regelungen für eine gute EU-Migrationspolitik. Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, sollen finanziell unterstützt werden.
  • Ursachen und Folgen der Klimakrise stehen unmittelbar im Zusammenhang mit ökonomischen und sozialen Bedrohungen in Gesellschaften. Wir unterstützen es, dass westliche Staaten Schwellenländern mit einem hohen Kohleanteil bei der Stromerzeugung, wie Südafrika, Indonesien und Vietnam, durch “Energiewende-Partnerschaften” finanziell dabei helfen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Wir fordern, solche Partnerschaften mit weiteren Staaten einzugehen. Die eingesetzten öffentlichen Gelder dürfen nicht zu einer weiteren Verschuldung der Länder führen und müssen als Hebel für die Mobilisierung von privaten Investitionen genutzt werden. Wir wollen einen stärkeren finanziellen Einsatz für den Lastenausgleich bei den Klimaveränderungen und eine Stärkung der internationalen Katastrophenhilfe. Deutschland muss seinen gerechten Anteil an den versprochenen 100 Milliarden leisten, die jedes Jahr Ländern im globalen Süden zur Verfügung gestellt werden sollen, um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren.
  • Eindeutige politische Unterstützung der Protestbewegung im Iran gegen die Regierung in ihrem mutigen Kampf um Frauen- und Freiheitsrechte; diese politische Unterstützung sollte auch konkrete Maßnahmen wie wirksame Sanktionen politisch Verantwortlicher einschließen.
  • Politische Unterstützung aller Maßnahmen der Staatengemeinschaft, die den unangefochtenen Fortbestand und die selbstbestimmte demokratische Weiterentwicklung Taiwans verfolgen.
  • Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China sind einseitige deutsche und europäische Abhängigkeiten bei wichtigen Rohstoffen, Vorprodukten etc. zu reduzieren. Solchen Abhängigkeiten, die unsere politischen Spielräume beispielsweise in Bezug auf Menschenrechte entscheidend einengen, ist durch Diversifizierung u.a. in der Rohstoff- und Industriepolitik zu begegnen, auch wenn dies zu Mehrkosten führt.
  • Auch und gerade angesichts der jüngsten Regierungsbildung in Israel gelten für uns weiterhin die Sätze aus unserem Grundsatzprogramm von 2007: “Deutschland hat eine besondere Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Auch deswegen engagieren wir uns für einen umfassenden Frieden im Nahen Osten auf der Grundlage internationaler Verträge. Wir setzen uns für die Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und die Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ein.”

 

5. Ausblick

Auch jenseits der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit muss die Zeitenwende sich in der deutschen EU-Politik in eine stärkere Integration und einer Beschleunigung des stockenden Erweiterungsprozesses übersetzen. Um das seit Jahren angestrebte Ziel qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich zu erreichen, muss die Bundesregierung sich für eine Kompromissfindung öffnen. Das gilt auch in Hinblick auf Forderungen der Partner hinsichtlich der gemeinsamen Schuldenaufnahme und dauerhaft höherer Investitionen. Deutschland muss seine Rolle im Gefüge einer nationalen, europäischen und globalen Sicherheitsordnung finden. Das heißt Verantwortung zu übernehmen.