Archive

Antrag 302/I/2021 Ein Paritätsgesetz für Berlin

24.04.2021

Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin wird aufgefordert noch im ersten Halbjahr 2021 das Paritätsgesetz noch in die parlamentarische Beratung einzubringen und den nachfolgenden Gesetzesentwurf zu berücksichtigen:

 

 Das Berliner Landeswahlgesetz vom 25. September 1987 (GVBl. S. 2370), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 2. Dezember 2020 (GVBl. S. 1435), wird wie folgt geändert:

  •  10 Wahlvorschläge, wird wie folgt geändert:

 

 In Absatz 3 werden nach Satz 1

 

 folgende Sätze eingefügt:

 „Landeslisten und Bezirkslisten sind abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen, wobei der erste Platz mit einer Frau oder einem Mann besetzt werden kann.

 

 Personen, die entsprechend § 22 Abs. 3 und § 45 b Abs. 1 Personenstandsgesetz weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, können frei darüber entscheiden, ob sie sich für einen der den Frauen oder der den Männern zuzuordnenden Listenplätze bewerben. Nach der diversen Person kandidiert eine Frau, wenn auf dem Listenplatz vor der diversen Person ein Mann steht; es kandidiert Mann, wenn auf dem Listenplatz vor der diversen Person eine Frau steht.

 

 Wahlvorschläge, die den Vorgaben in § 10 Abs. 3 S. 2 bis S. 4 in Gänze nicht entsprechen, werden insgesamt zurückgewiesen. Wahlvorschläge, die diesen Vorgaben nicht vollständig entsprechen, werden nur bis zu demjenigen Listenplatz zugelassen, mit dessen Besetzung die Vorgaben des § 10 Abs. 3 S. 2 bis 4 noch erfüllt sind. Die nachfolgenden, nicht den Vorgaben entsprechend vergebenen Listenplätze sind dementsprechend zurückzuweisen und von der Liste zu streichen (Teilzurückweisung).“ [Einschub Ende]

 

 Die Präsidentin beziehungsweise der Präsident des Abgeordnetenhauses Berlin erhält die Ermächtigung, eine Neufassung des Berliner Landeswahlgesetzes in geschlechtergerechter Sprache zu verfassen und dieses im Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden.

Antrag 03/I/2021 Umsetzung der UN- Berhindertenrechtskonvention in der SPD - SPD Aktionsplan Inklusion 2022-2026

21.03.2021

Wir fordern allen Mitglieder/innen des SPD Parteivorstandes auf, gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv einen SPD Aktionsplan Inklusion 2022- 2026 zu entwickeln, damit wir in der SPD die UN-Behindertenrechtskonvention, die im Jahr 2009 in Deutschland ratifiziert wurde endlich umsetzen.

Antrag 302/I/2020 Berliner Stromnetz in Anstalt öffentlichen Rechts überführen, Bürgerbeteiligung ermöglichen

7.01.2021

Vorbemerkung
Vattenfall hat am 23. Oktober bekanntgegeben, das Berliner Stromnetz dem Land zum Rückkauf anzubieten. Berlinerinnen und Berliner haben viele Jahre für die Rekommunalisierung des Landesparteitag Berlin Stromnetzes gekämpft. Ein Volksentscheid hatte eine überragende Mehrheit von 75 Prozent für eine Rückübertragung ergeben, wenn auch das erforderliche Quorum knapp verfehlt worden war.

 

Die letzten Jahre waren dann von Rechtsstreitigkeiten mit Vattenfall geprägt. In dieser Auseinandersetzung sind die eigentlichen Ziele des Rückkaufs in den Hintergrund geraten.

 

Diese sind:

  • Klimagerechte Ausgestaltung der Energieversorgung Berlins
  • Demokratische Kontrolle und Bürgerbeteiligung für das Stromnetz
  • Netzeinnahmen statt für Privat-Renditen für den Klimaschutz nutzen

 

Antrag

  1. Über die Konditionen des Rückkaufs des Berliner Stromnetz entscheidet vollumfänglich das Berliner Abgeordnetehaus.
  2. Das Berliner Stromnetz ist in Anstalt öffentlichen Rechts überführen. Die Aufgabe der Stromversorgung ist gesetzlich zuzuweisen. Transparenz, demokratische Kontrolle und Bürgerbeteiligung sind dabei gesetzlich festzulegen.
  3. Die Finanzierung des Rückkaufs erfolgt aus dem Haushalt. Künftige Überschüsse aus dem Stromnetz fießen dem Haushalt zu.
  4. Hat die Summe der Überschüsse den Rückkaufpreis abzüglich der Verkaufserlöse der Privatisierung erreicht, so sind die Überschüsse für die klimagerechte Ausgestaltung der Energieversorgung Berlins zu verwenden.

 

Antrag 07/I/2020 Spitzenkandidatin für die Landesliste zur Bundestagswahl 2021

1.10.2020

Die Berliner SPD setzt sich dafür ein, dass die Landesliste für die Bundestagswahl 2021 weiterhin von einer Frau angeführt wird.

 

Antrag 105/I/2020 Resolution: Gesundheits- und Pflegepolitik vor dem Hintergrund von COVID-19

30.09.2020

„Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ hat die SPD ihren Beschluss für gesellschaftliche und soziale Teilhabe in der Zukunft überschrieben. Die „Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen“ (ASG) hat dazu zukunftsfähige und solidarische Vorschläge und Positionen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung unseres Gesundheits- und Pflegewesens beigesteuert.

 

Schon in der ersten Phase der COVID-19-Pandemie zeigt sich, dass unser in Teilen selbstverwaltetes Gesundheitswesen im Vergleich mit anderen Systemen gut aufgestellt ist. In weitgehend privatwirtschaftlich organisierten Gesundheitssystemen – wie in den USA – fehlt es noch immer an einer Krankenversicherung für alle. Viele Patientinnen und Patienten werden durch die Behandlung der von Corona verursachten Erkrankungen finanziell ruiniert. Andererseits waren auch vorrangig staatliche Systeme – wie in Großbritannien – durch anhaltende Einsparungen nicht auf die COVID-19-Pandemie vorbereitet und verfügen jetzt über nur mangelhafte Testungs- und Behandlungskapazitäten.

 

Im Vergleich zu diesen Systemen zeichnete sich das deutsche Gesundheitswesen durch seine Leistungsfähigkeit aus. Die dramatischen Erfahrungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie weisen neben den Stärken aber auch bei uns auf lange bekannte Mängel hin und neue Probleme werden sichtbar, die perspektivisch rasch und nachhaltig gelöst werden müssen.

 

Die COVID-19-Pandemie ist eine fundamentale Herausforderung für unser Gesundheitswesen. Nach deren Bewältigung müssen die gesammelten Erfahrungen und Daten sorgfältig ausgewertet und systematisch analysiert werden. Das vorliegende Papier soll die innerparteiliche Diskussion kanalisieren und überträgt vorrangig bestehende Beschlusslagen auf die aktuelle Situation.

 

Jetzt ist der Zeitpunkt, mit ganzer Kraft das Virus zu bekämpfen. Danach müssen wir die not-wendigen strukturellen Veränderungen in unserem Gesundheitswesen und in der Pflege vor-nehmen.

 

I. Krankenhäuser

In der Krise wurde mehr als deutlich, dass die für die Menschen existenziellste Versorgungsstufe die Krankenhausversorgung, hier: die Intensivmedizin, darstellt. Hier müssen die entscheidenden Stellschrauben in Richtung schnellere Verfügbarkeit von Ressourcen gedreht werden. Es gilt die Wettbewerbsorientierung zurückzudrängen, ohne sämtliche Wirtschaftlichkeit aufzugeben. Die gesetzliche Krankenversicherung finanziert sich aus Zwangsbeiträgen ihrer Mitglieder. Schon deswegen ist mit diesen Mitteln wirtschaftlich umzugehen. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu bedarfsgerechten Investitionen in unserem Gesundheitswesen. Die Beschäftigten müssen künftig erheblich bessere Bedingungen vorfinden und unser System der Gesundheitsberufe sich viel stärker am tatsächlichen Bedarf orientieren.

 

Spezielle Rolle der Universitätskliniken und Krankenhäusern der Maximalversorgung

Die zentrale Rolle der staatlichen Universitätsmedizin bei der Bewältigung der Krise wurde schnell offensichtlich. Von der Entwicklung von Tests über die Erarbeitung von medizinischen Behandlungsstandards bis hin zur konkreten Patientensteuerung zwischen Kliniken und darüber hinaus hatten Unikliniken und spezielle Krankenhäuser der Maximalversorgung die zentrale Rolle. Und deren Expert*innen standen staatlichen Entscheider*innen sofort beratend zur Verfügung.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Die entstandenen Strukturen zwischen den Unikliniken, weiteren Maximalversorgern und deren bundesweite Vernetzung müssen systematisch implementiert werden;
  • Eigenständige Finanzierung von besonders system- und versorgungsrelevanten Kliniken durch den Bund;
  • Mehr staatliche Forschungsförderung;
  • Zentrale fachliche (Patient*innen-)Steuerung bei (schweren) Erkrankungen;

 

1. Finanzierung und Trägerschaft von Krankenhäusern

Die ASG hat sich schon lange kritisch mit Wirkungen der DRGs (Fallpauschalen) befasst und Lösungsvorschläge eingebracht. Nicht zuletzt die jetzt endlich erfolgte Herausnahme der Pflegeleistungen aus den DRGs ist seit Jahren Position der ASG. Klar ist, dass das gesamte Finanzierungssystem der stationären Versorgung reformiert werden muss. Auch der Tatsache, dass die Länder seit Jahren ihren Investitionsverpflichtungen nicht nachkommen, muss endlich systematisch Rechnung getragen werden. Zur Ressourcenschonung und um richtige Anreize zu setzen, muss die kaufmännisch motivierte Fixierung auf (erzeugte) Behandlungsfälle durchbrochen werden. Im Bereich der Daseinsvorsorge dürfen anonyme Kapitalmärkte keine Steuerungsfunktion innehaben. Erzielte „Gewinne“ aus Sozialversicherungsbeiträgen dürfen dem Versorgungssystem nicht entzogen werden.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • (Teil-)Umstellung der Krankenhausfinanzierung in Richtung Vorhaltekosten für die Krankenversorgung der Bevölkerung;
  • In Kernbereichen der Daseinsvorsorge: Finanzierung von Strukturen, nicht von Leistungen
  • Vorrang / Gebot öffentlicher Trägerschaft (Zurückdrängen privater Strukturen durch Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) um dem kommunalen Sicherstellungsauftrag gerecht zu werden
  • Verpflichtung für Häuser / Träger, „Gewinne“ in die Versorgungsstrukturen zu reinvestieren;
  • Finanzierung der Investitionskosten (Pauschalen) durch den Bund und Länder[1];

 

2. Krankenhausplanung

Heute machen Länder die Krankenhausplanung. Oftmals verhindern vielfältige ökonomische und politische Interessenlagen in den Regionen stringente und rationale Planungen z.B. für Qualitätsverbesserungen oder eine sinnvolle Versorgungs(struktur)steuerung. Hinsichtlich der Investitionsplanung geht der Trend in den Ländern hin zur Zahlung von „Investitionspauschalen“, d.h. der planerischen Übereignung der Mittel an die jeweiligen Krankenhäuser. Eine staatliche Planung hinsichtlich teuren (Groß-)Geräten findet nicht (mehr) statt. Obgleich Krankheiten (und insbesondere Viren) sowie auch Patient*innen keinen Halt an Landesgrenzen machen, findet eine Planung über die Länder hinweg ebenfalls nicht statt.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Planung über Landesgrenzen hinweg (Beteiligung des Bundes);
  • Klare und rechtssichere Vorgaben durch die Planungsbehörde(n), Durchbrechen der Einklagoptionen;
  • Planung gesamter Versorgungsketten in der Region (sektorenübergreifend) in Abstimmung mit den jeweils Planungsverantwortlichen
  • (Wieder-)Einführung einer staatlichen (Groß-)Geräteplanung; Finanzierung der Investitionskosten (Pauschalen) durch den Bund und Länder
  • Bildung von Schwerpunkten durch qualitätsorientierte Konzentrationsprozesse, ohne die flächendeckende Daseinsvorsorge zu gefährden

 

3. Beschäftigte

Unser gesamtes Gesundheitssystem steht und fällt mit den darin Beschäftigten. Wir brauchen ausreichend engagierte und qualifizierte Person mit den richtigen Kompetenzen, die in der Lage sind, professionell eine qualitative Versorgung von Patient*innen und Pflegebedürftigen sicherzustellen.

Viel zu lange war Gesundheitspolitik vom Ziel der Kostendämpfung dominiert, das notwendige Personal wurde reduziert und renditeorientierte Krankenhausträger und gewinnorientierte Träger von Pflegeheimen weiteten sich aus. Inzwischen setzt sich die Erkenntnis durch, dass uns „eher die Menschen, als das Geld ausgeht“. In einem ersten großen Schritt konnten wir in der laufenden Koalition die verpflichtenden „Vollfinanzierung“ der Pflegekräfte im Krankenhaus durchsetzen. Dies wird in Kombination mit einer stärkeren Tarifbindung der Krankenhäuser und vor allem der Pflegeeinrichtungen mittelfristig zu deutlich besser vergüteten Arbeitsplätzen führen.

In der Krise wird jedoch offenbar, dass die eingeleitete Entwicklung zu spät begann und nicht ausreicht. Der sinnvolle Kapazitätsausbau von Intensivbetten in der COVID-19-Pandemie stößt in erster Linie nicht an technisch-räumliche Grenzen, sondern zeigt schnell, dass entsprechendes Personal fehlt und die bestehenden Kräfte dann über jede vertretbare Grenze hinweg überlastet werden. Aber schon der „normale“ Betrieb vieler Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen bringt zahllose Beschäftigte an physische und psychische Belastungsgrenzen.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Die Vergütungen der Beschäftigten müssen schneller als vorgesehen deren gesellschaftlich herausragende Rolle widerspiegeln (durch gesetzliche Interventionen, wie Erleichterung allgemein verbindlicher Tarifverträge und vorrangige Auftragsvergabe an tarifgebunden Einrichtungen)[2];
  • Die reale Arbeitssituation und -belastung der Beschäftigten vor Ort muss sich substantiell verbessern;
  • Hierfür müssen einerseits viel mehr Menschen für die Berufe gewonnen und ein Arbeiten bis zur Rente ermöglicht werden[3];
  • Es müssen schnell weitere Berufseinstiege auch für Haupt- und Realschüler*innen geschaffen werden, um die die Arbeitsabläufe zu optimieren und insgesamt zur Entlastung beitragen[4];
  • Der Zusammenhang zwischen Arbeitszeit des Personals und Behandlungserfolg wurde durch COVID-19 eindrucksvoll demonstriert; dieser Zusammenhang ist auszuwerten und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen

 

II. Ambulante Versorgung

 

Der größte Teil der Corona-infizierten Menschen in Deutschland wird (wie bei anderen Indikationen auch) nicht in Krankenhäusern, sondern in den Praxen der ambulanten Versorgung behandelt. Dies ist auch folgerichtig, denn die KV hat mit dem Sicherstellungsauftrag auch die Aufgabe übernommen, die Versorgung in der Fläche sicherzustellen. Gleichzeitig zeigten u.a. die Nichterreichbarkeit des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes über die Telefonnummer 116 117, Defizite bei der Bevorratung, Beschaffung und Verteilung von Schutzausrüstung für Praxen sowie sich anschließende Schuldzuweisungen zwischen einzelnen Ländern und Kassenärztlichen Vereinigungen, die Defizite des derzeitigen Systems auf und wirft die Frage auf, ob es inner- und außerhalb von epidemiologischen Krisenzeiten seiner Aufgabe gerecht werden kann.

Darüber hinaus müssen wir überprüfen, ob die ambulanten Versorgungsstrukturen derzeit ausreichend an der regionalen Versorgung der Patienten ausgerichtet sind. Hierzu gehört sicherlich, einseitig renditeorientierte Anbieter aus dem „Markt“ zu drängen, da sie nicht an einer flächendeckenden, wohnortnahen Versorgung der Bevölkerung interessiert sind.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

  • Notwendigkeit der staatlichen Steuerung der ambulanten Versorgung (Bsp. Auswertung der Rolle der „Versorgungsärzte“ in Bayern);
  • Möglichkeit der Patientensteuerung bei starren Sektorengrenzen zwischen Praxis (ambulant) und Krankenhaus (stationär);
  • Die Übernahme der ambulanten Versorgung durch Krankenhäuser muss vor allem in unterversorgten ländlichen Regionen bzw. Stadtteilen in Großstädten möglich sein
  • Ausbau des Einflusses von Versorgungsqualität bei der Vergütung und Planung der ambulanten Strukturen, um primär renditeorientierte Anbieter aus dem Markt zu drängen und regionale Versorgungskonzepte zu stärken

 

III. Langzeitpflege

Besonders stark von der COVID 19 Pandemie waren Pflegebedürftige als Risikogruppe aber auch deren Familien, die stationären Pflegeeinrichtungen und die ambulanten Dienste betroffen. In den Pflegeheimen wurden Besuchsverbote selbst für die engsten Familienangehörigen verhängt. Beim Pflegepersonal (ambulant und stationär) war der Mangel an Schutzausrüstung noch dramatischer als in den Krankenhäusern. In der häuslichen Pflege waren Angehörige weitgehend auf sich allein gestellt. Schon vor Ausbruch der Pandemie hatten viele ambulante Dienste bereits eine Aufnahmestop. Es fehlt an Personal. Arrangements mit osteuropäischen Pflegekräften[5], die oft in einer arbeitsrechtlichen Grauzone stattfinden, brachen durch die Grenzschließungen weg.[6]

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

  • Bevorratung von Schutzkleidung für Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste
  • Konsequente Einzelzimmerregelungen einschl. Sanitärraum
  • Ausbau der ambulanten Versorgung und Unterstützung vorwiegend durch in Deutschland sozialversicherte Pflege- und Betreuungspersonen

 

 

IV. Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD)

Seit Jahrzehnten betont die ASG die exorbitante Bedeutung des ÖGD insbesondere für vulnerable Gruppen, aber gerade auch Fällen dramatischer Koordinierungs- und Eingrifferfordernissen bei Pandemien und anderen Hygiene- und Infektionsschutzaufgaben. In vielen Koalitionsvereinbarungen auf Landes- wie Bundesebene finden sich Bekenntnisse, den ÖGD stärken zu wollen. In der Realität wurde er immer weiter geschwächt bis dahin, dass schon die „normalen“ Aufgaben rund um Gesundheitsschutz von diesem nicht bewältigt werden können. Bundesweit sind tausende Arztstellen im ÖGD unbesetzt. Für die bisherigen wichtigen ÖGD Aufgaben fehlte das nötige Fachpersonal.

In der COVID-19 Krise wurde erschreckend deutlich, dass trotz außerordentlichem Engagement der Beschäftigten, die entscheidenden Aufgaben nicht im erforderlichen Maße geleistet werden konnten Das Fachpersonal wurde überbelastet und zusätzliche Überprüfung von COVID-19 Patienten konnten nur verzögert durchgeführt werden.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Schnelle räumlicher und stellenmäßiger Ausbau des Öffentlichen Gesundheitsdienstes durch die Haushalte (ggf. Bundesfinanzierung);
  • Gewinnung von Personal insbesondere durch sofortige Erhöhung der Gehälter gesuchter Expert*innen deutlich über den TV-ÖD / TV-L hinaus;
  • Schaffung stabiler Strukturen zur Koordination / Abstimmung zwischen Gesundheits-ämtern über Städte, Regionen und Länder hinweg;
  • Neujustierung der Aufgaben des ÖGD, massive Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung, Koordinationsaufgaben bei Versorgungsketten;
  • Engere Vernetzung / Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen in staatlicher Trägerschaft (insbesondere Krankenhäuser)
  • Priorisierung des ÖGD in den kommunalen Budgets

 

V. Arzneimittel und Medizinprodukte

Ein ganz grundlegendes Problem Deutschlands und Europas hinsichtlich der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten ist ebenfalls seit vielen Jahren bekannt: die enorme Abhängigkeit vom Weltmarkt und einigen wenigen produzierenden Ländern. Dies kann schon bei lokalen Krisensituationen dramatische Auswirkungen hinsichtlich der Versorgung von Patient*innen in Deutschland haben.

Auch die Produktion von medizinischem Gerät wie Schutzausrüstung wird bislang weitgehend weltweiten Märkten überlassen und nicht staatlich geplant. Die bisherige Bevorratung potentiell knapper wie wichtiger Güter hat sich als keinesfalls krisenfest erwiesen.

Weitere Problematik bei der Bewältigung derartiger Krisen ist die weitgehend „zufällige“ Forschung z.B. nach akuten Behandlungs- und Impfstoffen. Wenn vielversprechende Präparate / Verfahren gefunden sind, kommen diese sehr unterschiedlich in die Anwendung. Zuletzt folgen dann die weltweite Preisfindung und Verteilung eher ökonomischen Regeln als medizinischen und gesellschaftlichen Erfordernissen.

Offensichtlicher politischer Handlungsbedarf ergibt sich somit insbesondere in diesen Feldern, der in aller erste Linie europäisch zu bewältigen ist:

 

1. Forschung

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Ausbau und Systematisierung einer staatlichen Forschungsförderung auf nationaler und europäischer Ebene;
  • Sicherstellung, dass nicht potentielle Patentregularien einer schnellen Forschung und ggf. Produktion entgegenstehen;

 

2. Produktionsstandorte und Bevorratung

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Es muss gesichert sein, dass die Produktion von elementaren Medizingütern (wie ins-besondere Wirkstoffe) in mehr Ländern stattfindet, insbesondere auch in der EU;
  • Wichtigste Güter müssen national und insbesondere auf europäischer Ebene produziert werden, ggf. in staatlicher Verantwortung;
  • Wir brauchen dringend ein neues System der (Mindest-)Bevorratung essentieller Güter wie Schutzausrüstungen und notwendiger Medizingeräte. Dies den Einrichtungen des Gesundheitssystems selbst zu überlassen, ist gescheitert;

 

3. Verteilung von Medikamenten etc.

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Die heute fast nur wirtschaftlich bestimmte Preisfindung und Verteilung (knapper) Medizinprodukte muss einer am Bedarf orientierten weichen;
  • Es bedarf systematisch regulierter staatlicher Eingriffsmöglichkeiten, um in entsprechenden Krisen schnell und für die Sozialversicherung bezahlbar z.B. Medikamente nach medizinischem Bedarf verteilen zu können;
  • Es bedarf stabiler staatlicher logistischer Strukturen, z.B. koordiniert durch die Gesundheitsämter, um schnell eine Massenverteilung / -impfung realisieren zu können;

 

VI. Gesamtfinanzierung

In der Krise hat sich einmal mehr gezeigt, dass es die soziale, gesetzliche Krankenversicherung ist, die unser Gesundheitswesen stützt und nicht die private Krankenversicherung. Die weitreichenden Maßnahmen der Bundesregierung – wie die Erhöhung der Intensivkapazitäten und die Ausgleichszahlungen an Rehaeinrichtungen – die die akutstationäre Behandlung von Patient*innen übernehmen, werden maßgeblich durch die GKV finanziert. Darüber hinaus war es die GKV, die innerhalb kurzer Zeit durch den GKV-Spitzenverband zahlreiche Regelungen erarbeitete, um die Funktionsfähigkeit der ambulanten und stationären Versorgung aufrechtzuerhalten sowie z.B. durch Stundungsregelungen Betriebe vor der finanziellen Überforderung zu bewahren. Auch wurde deutlich, wie sehr das – insbesondere durch Beiträge der gesetzlich Versicherten finanzierte – Gesundheitswesen in großen Umfang Aufgaben des (in staatlicher Verantwortung liegenden) Katastrophenschutzes finanziert und damit gesamtgesellschaftliche Verantwortung trägt.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Stärkung der sozialen Krankenversicherung durch Schritte in Richtung einer Bürger-versicherung
  • Stärkere steuerliche Finanzierung des Gesundheitswesens

 

VII. Pandemiebekämpfung / Infektionsschutz

COVID-19 hat gezeigt, dass die Zuständigkeit der Länder für den Vollzug des Infektions- und Katastrophenschutzes bei einer landes- und länderübergreifenden Pandemie an ihre Grenzen stößt. Das unabgestimmte und unterschiedliche Verhalten der Länder führte insbesondere zu Beginn der Pandemie zu einer uneinheitlichen Information, die weite Teile der Bevölkerung verunsicherte, als auch zu einem schlechten Krisenmanagement, insbesondere was die Reaktionsfähigkeit einzelner Landesregierungen betrifft. Noch problematischer war die fehlende europäische Abstimmung.

 

Insbesondere für Notstandslagen wie die Ausbreitung von COVID-19 brauchen wir eine zentrale, deutschlandweit einheitliche Steuerung. Dazu gehört sowohl die einheitliche Anordnung von Infektionsschutzmaßnahmen als auch die bundesweite Verteilung von in der Krise potentiell knappen Ressourcen wie Medizintechnik und Arzneimitteln, um allen Bürgerinnen und Bürgern den gleichen gesundheitlichen Schutz bieten zu können. Dies kann nur der Bund leisten. Hier muss auch die Abstimmung mit den Ländern innerhalb der EU erfolgen. Wir müssen überprüfen, ob der Föderalismus im Bereich der Pandemiebekämpfung dem gesundheitlichen Bevölkerungsschutz gerecht werden kann.

 

Ein wesentlicher Punkt zur rationalen Bekämpfung der Pandemie ist die schnelle Verfügbarkeit von Daten. Künftig werden Strukturen benötigt, die es ermöglichen, dass gewonnene Daten und Erfahrungen aus den verschiedenen Versorgungsbereichen umgehend gesammelt werden. Nur so lassen sich schnell politisch-administrative Strategien entwickeln, die nicht willkürlich oder zufällig sind. Auch für eine schnelle Optimierung der Behandlungen bei neuartigen Erkrankungen müssen entsprechende Informationen der Behandelnden umgehend zusammengeführt werden.

 

Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

 

  • Steuerungsfähigkeit des Bundes bei Pandemien trotz Föderalismus
  • Schaffung bzw. Umbau behördlicher Strukturen auf Bundesebene zur Bewältigung von Pandemien (Aufgaben: Steuerung, Öffentlichkeitsinformation, Verteilung von Ressourcen), zum Beispiel über die Stärkung/Umbau des RKI
  • Sicherstellung, dass gewonnene Daten / Informationen / Erfahrungen über Verbreitungswege sowie der realen Versorgung umgehend gesammelt, zusammengeführt und analysiert werden;
  • Stärkung der europäischen Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung

     

    VIII. Soziale Ungleichheit

    Zeit Jahren befassen wir uns als ASG zentral mit dem Thema „Armut und Gesundheit“. Die systematische Ignoranz des engen Zusammenhangs ist aus unserer Sicht in einem der reichsten Länder schlicht skandalös. Die Auswirkung sozialer Ungleichheit auf den Gesundheitszustand und die Gesundheitschancen ist dramatisch und hinlänglich bekannt und belegt. Erste Studien weisen darauf hin, dass sich dieser Zusammenhang auch bei der Sterblichkeit in der COVID-19-Pandemie widerspiegelt. Als Sozialdemokrat*innen müssen wir nach der Bewältigung der Krise die zur Verfügung stehenden Daten aus der Versorgungsforschung genau auswerten.

     

    Folgende Themen sind hier zu diskutieren:

     

    • Auswertung der COVID-19-Daten insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Sterblichkeit bzw. mangelhafte Rehabilitation nach überstandener Infektion
    • Zugang zu ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen in der Pandemie

     

    [1] Bei Beteiligung des Bundes an der Landesfinanzierung gäbe es auch die politische und rechtliche Grundlage für die Förderung von länderübergreifender Planung. Der nur durch die GKV gespeiste Gesundheitsfonds sollte vollständig der Finanzierung der Betriebskosten verwendet werden. Über Steuern aus Bund und Ländern könnten dann die Investitionen finanziert werden. Steuerfinanzierte Investitionen haben wir auch bei der FES zur Bürgerversicherung vorgeschlagen (FES 24/ 2016 Positionspapier Der Weg zur Bürgerversicherung)

    [2] Laut WSI Tarifarchiv betragen die Gehaltsunterschiede bei Beschäftigten in Pflegeberufen zwischen tarifgebundenen Betrieben und nicht tarifgebundenen Betrieben gut 24%.

    [3] Derzeit können sich laut DGB Index „Gute Arbeit“ rund ¾ der Beschäftigten in den Pflegeberufen nicht vorstellen, bis zur Rente im Beruf zu arbeiten. In der Altenpflege arbeitet nur 1/3 in Vollzeit. Ein häufiger Grund dafür sind die belastenden Arbeitsbedingungen

    [4] Siehe hierzu „Pflegeassistenzberufe standardisieren und aufwerten in der aktuell erscheinenden Veröffentlichung der FES „Berufliche Bildung im Gesundheitswesen“

    [5] Die genaue Zahl ist nicht bekannt, da die meisten nicht in dem deutschen Sozialversicherungssystem angemeldet sind. Die Schätzungen liegen zwischen 300.000 bis 500.000

    [6] Zur Personalgewinnung für die ambulante und stationäre Pflege s.a. die Ausführungen unter I.3.