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Antrag 45/I/2024 Mietenwucher stoppen - Für eine Mietpreisbremse ohne Ausnahmen!

21.04.2024

Die Mieten in deutschen Großstädten sind in den letzten Jahren dramatisch angestiegen, was zu einer erheblichen Belastung für die Bewohner*innen der Städte führt. Die Mietpreisbremse wurde eingeführt, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, jedoch gibt es eklatante Lücken in den Regelungen, die von Vermieter*innen skrupellos ausgenutzt werden.

 

Obwohl die Mietpreisbremse grundsätzlich auch für möblierte Wohnungen gilt, ermöglicht die derzeitige Gesetzeslage Vermieter*innen, durch überhöhte Möblierungszuschläge die Preisregulierung zu umgehen. Diese Praxis führt dazu, dass Mieter*innen überhöhte Mieten zahlen müssen, ohne dass dies gerechtfertigt wäre.

 

Die Nichtberücksichtigung von „Wohnen auf Zeit“ ist ein weiterer wichtiger Aspekt, der im Zuge der Mietpreisregulierung beachtet werden sollte. Häufig wird möblierter Wohnraum unter dem Vorwand des „Wohnens auf Zeit“ vermietet, um die Mietpreisbremse zu umgehen. Dies führt dazu, dass Mieter*innen überhöhte Preise zahlen, ohne langfristige Sicherheit zu erhalten. Eine klare Definition und Regulierung von „Wohnen auf Zeit“ ist daher erforderlich, um Missbrauch zu verhindern und faire Bedingungen für alle Bürger*innen sicherzustellen.

 

Es ist höchste Zeit, dieser ungerechten Praxis ein Ende zu setzen und eine faire Mietpreisregulierung für alle Wohnungen in Berlin durchzusetzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Vermieter*innen weiterhin von einer Gesetzeslücke profitieren, während die Mieter*innen unter unbezahlbaren Mieten leiden.

 

Wir müssen uns als Partei für bezahlbaren Wohnraum für alle einsetzen und gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt vorgehen. Wir fordern diesen dringenden Handlungsbedarf anzuerkennen und konkrete, bindende Maßnahmen zur Beendigung dieser ungerechten Praxis zu ergreifen.

 

Daher fordern wir:

Eine effektive Deckelung der Mieten für möblierte Wohnungen: Überhöhte Möblierungszuschläge dürfen nicht länger toleriert werden. Wir fordern klare und faire Richtlinien für die Berechnung dieser Zuschläge, um Mieter*innen vor überhöhten Mietpreisen zu schützen.

 

Transparenz und Offenlegung der Möblierungszuschläge: Vermieter*innen sollen verpflichtet werden, die Kosten und den Zeitwert der Möblierung transparent im Mietvertrag offenzulegen, um Missbrauch zu verhindern und die Mieter*innen über ihre Rechte zu informieren. Ausgenommen sind kurzzeitige Untervermietungen, die nicht gewerbsmäßig stattfinden – bspw. ein WG-Zimmer während eines Auslandssemesters. Zudem soll aufgrund der Abnutzung von Möbeln eine jährliche Reduzierung des Möbilierungszuschlags erfolgen.

 

Keine Ausnahme der Mietpreisbremse für „Wohnen auf Zeit“: Es sollte eine umfassende Gesetzesänderung geben, die sicherstellt, dass Wohnungen auf Zeit nicht von der Mietpreisbremse ausgenommen sind. Dies würde eine gerechte Mietpreisregulierung gewährleisten und verhindern, dass Vermieter*innen von möblierten Wohnungen oder Wohnungen auf Zeit unangemessen hohe Mieten verlangen können.

Antrag 190/I/2024 Vor dem Gesetz sind (nicht) alle gleich!

21.04.2024

Eine gerechte Justiz bildet das Fundament eines jeden Rechtstaats und muss sich insbesondere daran messen lassen, wie sie mit den Schwächsten in der Gesellschaft umgeht. Der Rechtsstaat basiert auf dem Versprechen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Die Realität ist jedoch häufig eine andere. Von Armut betroffene Personen und reiche Menschen sind vor dem Strafrecht in vielerlei Hinsicht ungleich. Damit das Versprechen auch gehalten wird, braucht es daher weitgehende Anpassungen des bestehenden Systems!

 

Eine gut ausgestattete Justiz ist gerechter

Ein bedeutendes Problem liegt in der unzureichenden Ausstattung der Justiz, was vor allem finanziell schlechter gestellte Menschen trifft. Wenn aus Kostengründen die Justiz auf der Strecke bleibt, leiden insbesondere Menschen mit wenig Geld. Richter*innen sehen sich gezwungen, Prozesse zu beschleunigen, schriftliche Urteile zu verfassen und auf persönliche Gespräche mit den Beschuldigten zu verzichten. Während wohlhabendere Menschen sich für jede Kleinigkeit eine*n Anwält*in leisten können, der das Gericht zwingt sich ausführlich mit den Sachverhalten auseinanderzusetzen, haben Menschen mit weniger Geld diese Möglichkeit nicht.

 

Eine besondere Betrachtung gilt hierbei der Situation von FINTA und BIPoCs, die unter zusätzlichen Hürden leiden. Die Ungleichheiten im Justizsystem sind nicht nur auf finanzielle Aspekte beschränkt, sondern werden oft auch durch strukturellen Rassismus oder geschlechtsspezifische und diskriminierende Aspekte verstärkt. BIPoCs und FINTA, die bereits häufiger von ökonomischen Benachteiligungen betroffen sind, leiden unter einer schlecht ausgestatteten Justiz in besonderem Maße. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen verschärft die bestehenden Ungerechtigkeiten und verstärkt die Barrieren im Zugang zu einer gerechten Rechtsprechung. Eine besser ausgestattete Justiz ist daher nicht nur ein wichtiger Schritt im Allgemeinen, sondern auch ein Schritt, um strukturellen Rassismus im Rechtssystem zu bekämpfen und für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Wir fordern daher eine insgesamt bessere Ausstattung der Gerichte.

 

Das System der Pflichtverteidigung muss umfassend reformiert werden!

Pflichtverteidiger*innen sind Anwält*innen, die vom Gericht bestellt werden, um eine Person zu verteidigen, wenn diese keine*n eigene*n Anwältin*Anwalt hat oder sich leisten kann, und bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die eine Pflichtverteidigung notwendig machen. Diese Voraussetzungen sind in der Strafprozessordnung aufgelistet und betreffen zum Beispiel die Schwere der Straftat oder die persönliche Situation der Beschuldigten. Die Pflichtverteidigung soll gewährleisten, dass die Beschuldigten ein faires Verfahren erleben und ihre Rechte durch anwaltliche Vertretung vollumfänglich wahrnehmen können.

 

In Deutschland liegen die Voraussetzungen für eine solche Pflichtverteidigung nur in etwa 10% der vor Gericht verhandelten Klagen vor. Insbesondere bei Delikten, die der sogenannten Armutskriminalität zugerechnet werden, gibt es oft keinen Anspruch auf Pflichtverteidigung.

 

Das ist deshalb alarmierend, weil statistisch gesehen Personen, die mit anwaltlicher Vertretung vor Gericht erscheinen, deutlich häufiger freigesprochen werden als diejenigen, die ohne rechtliche Vertretung auftreten. Dies führt zu einer Ungleichheit, da reichere Menschen sich für jedes Verfahren professionelle rechtliche Beratung leisten können, die mit den Schwierigkeiten des Systems vertraut ist und das Beste für den Betroffenen erreichen kann. Ärmere Menschen haben dieses Privileg nicht. Wir fordern deshalb eine grundlegende Veränderung in der Bereitstellung von Pflichtverteidiger*innen dahingehend, diese für alle straffälligen Personen verfügbar zu machen, unabhängig von der Schwere des Vorwurfs. Dieses Modell ist in vielen europäischen Ländern bereits gängige Praxis. Außerdem sollten Pflichtverteidiger*innen nicht erst zur Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt werden, sondern schon im Ermittlungsverfahren, damit auch dort frühzeitig eine rechtliche Vertretung sicherzustellen.

 

Darüber hinaus muss sich auch die Bezahlung von Pflichtverteidiger*innen dringend ändern. Diese ist aktuell derart mangelhaft, dass es sich Pflichtverteidiger*innen kaum leisten können, sich ausreichend mit einem Fall zu beschäftigen. Im Vergleich zu Anwält*innen, die reichen Mandant*innen gern mal 400€ pro Stunde in Rechnung stellen, erhalten Pflichtverteidiger*innen nur pauschale Gebühren unabhängig vom eigentlichen Umfang des Falles. Dies zeigt sich auch in den Zahlen. Privat bezahlte Rechtsberatung stellt in ca. 21% der Fälle einen Antrag darauf, den Fall erst gar nicht vor Gericht zu bringen, sondern schon vor Prozessbeginn einzustellen. Pflichtverteidiger*innen stellen einen solchen Antrag nur in 1,6% der Fälle, da sie aufgrund der schlechten Bezahlung und wegen dem damit einhergehenden Zeitmangel Schwierigkeiten haben, sich angemessen auf eine Verhandlung vorzubereiten. Private Anwält*innen stellen in ca. 31% der Fälle einen Antrag auf Freispruch, Pflichtverteidiger*innen nur in ca. 11% der Fälle. Wir fordern daher, dass Pflichtverteidiger*innen besser bezahlt werden, damit auch Menschen mit begrenzten oder fehlenden finanziellen Mitteln angemessen vor Gericht vertreten werden.

 

Auch bei der Auswahl der Pflichtverteidiger*innen gibt es erhebliche Probleme. Da die meisten Menschen, die eine Verteidigung benötigen, keine Anwält*innen kennen, liegt die Entscheidung darüber, welche Anwält*innen beauftragt werden, oft in den Händen der Richter*innen des Verfahrens. In der Praxis sieht es dann in der Regel so aus, dass die Richter*innen eine persönliche Auswahl an Anwält*innen hat, die er der beschuldigten Partei vorschlägt. Dies führt dazu, dass Anwält*innen, die in der Vergangenheit durch eine gute Verteidigung aufgefallen sind, und damit den Richter*innen das Leben schwer gemacht hat, weil das Verfahren sich verlängerte oder das Gericht eine umfassende Beweisaufnahme abhalten musste, schlechtere Chancen haben, von eben diesen Richter*innen nochmal vorgeschlagen zu werden. Die Richter*innen bestellen lieber ihre „Lieblingsanwält*innen“, die keinen Ärger machen. Dies zeigt sich dann auch in der Verteidigung. Normalerweise legen Anwält*innen in knapp 30% der Fälle Rechtsmittel bei der nächsthöheren Gerichtsinstanz ein, während Pflichtverteidiger*innen nur in 20% der Fälle diesen Schritt unternehmen. In Fällen in denen Pflichtverteidiger*innen wiederholt von denselben Richter*innen beauftragt wurden, verringert sich die Quote sogar auf nur 16%. Um eine gerechtere Auswahl und damit eine bessere Verteidigung zu gewährleisten, fordern wir daher, dass sich ein Vorbild an anderen europäischen Ländern genommen wird, in denen vom Gericht unabhängige Organisationen die Auswahl von Pflichtvertediger*innen übernehmen.

 

Einkommen vom Täter*innen dürfen nicht geschätzt werden

Reichere Menschen profitieren gegenwärtig vom bestehenden System der Geldstrafen, das auf Tagessätzen basiert. Tagesssätze dienen zur Berechnung von Geldstrafen im Strafrecht. Bei der Verurteilung zu einer Geldstrafe legt das Gericht die Anzahl der Tagessätze fest, die die verurteilte Person zahlen muss. Die Höhe eines Tagessatzes soll dabei unter Berücksichtigung des Einkommens der betroffenen Person festgelegt werden. Der Gedanke dahinter ist, dass die Strafe für alle Personen einen vergleichbaren Effekt hat. Ein*e Millionär*in spürt einen 90 Tagessätze in Höhe von 20€ deutlich weniger, als eine Person die Bürger*innengeld empfängt. Deswegen ist es wichtig, dass die Höhe des Tagessatzes sich auch wirklich nach dem Einkommen richtet. Dazu kommt, dass rund 80% aller Strafen vor deutschen Gerichten Geldstrafen sind. Das System der Tagessätze ist daher ein entscheidendes Instrument, um die Justiz fairer zu machen.

 

In der Praxis sieht es allerdings häufig so aus, dass die meisten Verfahren durch sogenannten Strafbefehl entschieden werden. Ein Strafbefehl wird von der Staatsanwaltschaft erlassen und kommt oft bei weniger schwerwiegenden Straftaten zum Einsatz, wo eine Hauptverhandlung als nicht notwendig gesehen wird. Das Verfahren wird also ohne vorherige mündliche Verhandlung abgeschlossen. Ohne mündliche Verhandlung liegt der Staatsanwaltschaft allerdings auch keine Information über das Einkommen der beschuldigten Person vor. Stattdessen wird das Einkommen geschätzt, wobei die Schätzungen bei Menschen mit geringem oder keinem Einkommen oft zu hoch und bei reicheren Menschen zu niedrig ausfallen. Üblicherweise wird dann der Standardregelsatz von 20-40€ pro Tagessatz genommen, der für Personen mit einem sehr hohen Einkommen deutlich zu niedrig ist und Personen mit geringem oder keinem Einkommen umso mehr belastet. Obwohl es die Möglichkeit gibt, Einspruch gegen die Höhe des Tagessatzes zu erheben, tun dies gerade Menschen mit geringem Einkommen oft nicht aufgrund fehlender Ressourcen, den Anwaltskosten und fehlendem Wissen über Tagessätze. Reichere Menschen legen natürlich keinen Widerspruch ein, sie sind „gut davongekommen“. Es ist wegen des Steuergeheimnisses für die Staatsanwaltschaft nicht möglich, die wahren Einkommensverhältnisse beim Finanzamt abzufragen.

 

Die gleiche Problematik tritt bei der Berechnung von Unterhaltspflichten auf, wenn das Elternteil sich weigert, die eignen Einkommensverhältnisse offenzulegen. Auch hier hat das Gericht keine Möglichkeit diese beim Finanzamt zu erfragen und ist dann häufig gezwungen das Einkommen zu schätzen. Um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, fordern wir, dass die Staatsanwaltschaft und die Gerichte in solchen Fällen die Möglichkeit haben eine Abfrage zu den Einkommensverhältnissen beim Finanzamt zu machen.

 

Keine Steuerprivilegien für Wirtschaftskriminelle 

Ein weiterer wesentlicher Faktor, der zu Ungerechtigkeit im Rechtssystem führt, sind die Steuerprivilegien, welche Manger*innen bei Wirtschaftskriminalität zustehen. Wirtschaftskriminalität bezieht sich auf Straftaten, die oft darauf abzielen finanziellen Gewinn zu erzielen oder Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Darunter fällt zum Beispiel Betrug, Korruption, Insiderhandel oder Bestechung. Wirtschaftskriminalität spielt eine entscheidende Rolle in der Gesamtkriminalität. Obwohl ihr Anteil an der Gesamtzahl der Delikte nur 0,9% beträgt, ist ihr Anteil am wirtschaftlichen Schaden aller Delikte bei knapp 45%. Diese Form von Kriminalität wird oft von Manager*innen während ihrer beruflichen Tätigkeiten begangen, wie im Fall des VW Dieselskandals.

 

Üblicherweise enthalten Verträge von Manager*innen sogenannte „Managerschutz“-Policen, die das Unternehmen dazu verpflichtet, alle Kosten im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorwürfen gegen ihre Manager*innen zu übernehmen, sei es für Strafverteidigung, Geldauflagen oder Geldstrafen. Die Voraussetzung ist lediglich, dass der strafrechtliche Vorwurf gegen die Manager*innen auf betriebliches bzw. berufliches Verhalten zurückzuführen ist, so wie es häufig der Fall ist. Ein prominentes Beispiel ist der Vorstandschef von VW, der wegen des Dieselskandals eine Geldauflage in Höhe von 4,5 Millionen Euro erhielt. Für eine einzelne Person mag das eine erhebliche Strafe sein, für VW jedoch, die die Strafe für ihren Manager bezahlt hat, allerdings nicht. Und ob das nicht schon ungerecht genug ist, kann das Unternehmen diese Zahlung auch noch als Betriebsausgabe steuerlich absetzen. Steuerlich absetzen bedeutet, dass der zu versteuernder Gewinn von VW um diese Höhe verringert wird und VW deshalb insgesamt weniger Steuern zahlen muss. Kurz gesagt: Die 4,5 Millionen Euro Strafe gegen den VW Manager wurde von der Gesellschaft mitbezahlt. Das kann und darf nicht sein. Wir fordern daher, dass Geldauflagen oder Geldstrafen, die gegen Manager*innen verhangen und von den Unternehmen übernommen werden nicht mehr steuerlich absetzbar sein dürfen.

 

Das System der Strafbefehle reformieren

Das Strafbefehlsverfahren ermöglicht der Staatsanwaltschaft, ein Verfahren, welches ein Vergehen zum Gegenstand hat, ohne mündliche Verhandlung zu beenden. Das Verfahren stellt eine Sondervorschrift und somit eine Abweichung der grundsätzlichen Konzeption eines Strafverfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung dar, welche die Durchführung einer Hauptverhandlung vorsieht. In der Realität erfolgen die meisten Verurteilungen durch den Erlass eines Strafbefehls. Es ist für die Staatsanwaltschaft und das Gericht deutlich einfacher, zeiteffizienter und kostengünstiger, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu erledigen. Die Effizienz einer solchen Verurteilung geht jedoch zulasten der Rechte einer beschuldigten Person. Diese hat lediglich 2 Wochen Zeit, Einspruch gegen den erlassenen Strafbefehl einzulegen. Die kurze Einspruchsfrist benachteiligt vor allem jene, bei denen es aus verschiedenen Gründen Barrieren im Verständnis des Strafbefehls gibt und jene, die sich keine*n Strafverteidiger*in leisten können. Durch den Strafbefehl wird suggeriert, dass die Gerichte über den Strafbefehl entscheiden. In der Realität findet durch das Gericht lediglich eine oberflächliche Prüfung des Strafbefehlsantrags statt. Das Gericht erlässt in Folge der Prüfung in fast allen Fällen den Strafbefehl. Die hierdurch entstehende Macht der Staatsanwaltschaft ist aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit dieser aus einer rechtsstaatlichen Perspektive nicht unproblematisch. Dies wird insbesondere durch den Umstand verschärft, dass das Strafbefehlsverfahren lediglich eine zweiwöchige Einspruchsfrist vorsieht. Wenn die beschuldigte Person innerhalb dieser Zeit keinen Einspruch einlegt, entspricht der Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil. Es kann nicht sein, dass bei einer Nichtäußerung in einer derart kurzen Frist, die beschuldigte Person auf viele Rechte, insbesondere das Recht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Daher fordern wir, dass das Strafbefehlsverfahren reformiert wird und die Widerspruchslösung auf eine Zustimmungslösung umgestellt wird. Dies bedeutet, dass die beschuldigte Person dem Strafbefehl explizit zustimmen muss. Bei einer fehlenden Erklärung gilt der Strafbefehl anders als bisher nicht als rechtskräftiges Urteil und dementsprechend wird eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Hierdurch wird sichergestellt, dass sich die beschuldigte Person jedenfalls mit dem Vorwurf und der konkret drohenden Rechtsfolge befasst und anschließend dem Strafbefehl unter einem expliziten Hinweis auf den Verzicht auf die Hauptverhandlung in dokumentierter Form zustimmt.

 

Zusammenfassend fordern wir daher:

  • Eine bessere finanzielle Ausstattung der Justiz und insbesondere der Gerichte
  • Die Bereitstellung von Pflichtverteidiger*innen für alle straffälligen Personen verfügbar zu machen, unabhängig von der Schwere des Vorwurfes
  • Pflichtverteidiger*innen schon im Ermittlungsverfahren zur Verfügung zu stellen
  • Eine bessere Bezahlung der Pflichtverteidiger*innen damit auch Menschen mit begrenzten oder fehlenden finanziellen Mitteln angemessen vor Gericht vertreten werden
  • Eine von den Gerichten unabhängige Organisation die Auswahl von Pflichtverteidiger*innen zu überlassen
  • Die Staatsanwaltschaft und Gerichte dazu verpflichten, die Einkommensverhältnisse von Täter*innen und unterhaltspflichtigen Personen beim Finanzamt abzurufen, durch eine Änderung der Vorschriften zum Steuergeheimnis
  • Unternehmen es nicht weiter zu ermöglichen, Geldauflagen oder Geldstrafen gegen Manager*innen steuerlich abzusetzen
  • Das Strafbefehlsverfahren zu reformieren und durch die Umstellung auf eine Zustimmungslösung sicherzustellen, dass die beschuldigte Person, sich mit dem Vorwurf auseinandergesetzt hat und bewusst auf die Hauptverhandlung verzichtet.

 

Antrag 198/I/2024 Kirchensteuer und staatliche Entschädigungsleistungen an die christlichen Kirchen in Deutschland abschaffen!

21.04.2024

Seit der Zeit Napoleons vor über 200 Jahren werden die christlichen Kirchen in Deutschland durch den deutschen Staat entschädigt und durch das automatische Einbehalten der Kirchensteuer bei Kirchenmitgliedern durch die Finanzämter unterstützt. An Entschädigungsleistungen haben die evangelische und katholische Kirche im Jahr 2022 rund 602 Mio. Euro von den Bundesländern erhalten, durch die Kirchensteuer schätzungsweise 13 Milliarden Euro.

 

Im Jahr 1803 beschlossen die Fürsten des Heiligen Römischen Reichs, als Ausgleich für die Eroberungen Napoleons Besitztümer und Ländereien der Kirche auf heute deutschem Boden in ihre eigene Herrschaft zu überführen. Damals bedeutete das, dass rund fünf Millionen Menschen plötzlich neue Landesherren hatten. Für diesen Verlust werden die evangelische und katholische Kirche in Deutschland als Religionsgemeinschaften bis heute von staatlicher Seite entschädigt. Zu den Privilegien der Religionsgemeinschaften in Deutschland gehört auch, dass diese seit rund 200 Jahren ermächtigt sind, Kirchensteuer von den Bürgerinnen und Bürgern einzuziehen, die Kirchenmitglieder sind. Davon profitieren in besonders großem Umfang die evangelische und katholische Kirche. Die Kirchen können die Steuer gegen eine Aufwandsentschädigung von den staatlichen Finanzämtern einziehen lassen, wenn das Landesparlament des entsprechenden Bundeslandes zugestimmt hat.

 

Schon in der Weimarer Verfassung war vorgesehen, die Entschädigungsleistungen an die Kirchen zu beenden, doch auch in der Weimarer Republik konnte keine Lösung gefunden werden. Die Ampel-Regierung hat nach 16 Jahren vermeintlicher Christdemokrat*innen in der Regierung im Koalitionsvertrag den Beschluss gefasst, „einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“ zu finden. Wir finden, dafür wird es höchste Zeit.

 

Auch wenn die Entschädigungsleistungen selbst nur einen kleinen Anteil an den kirchlichen Einnahmen ausmachen, so ist die Kirchensteuer jedoch eine der Haupteinkommensquellen insbesondere der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland. Das bisherige Prinzip des Einzugs über die staatlichen Finanzämter hat mit einer Trennung von Kirche und Staat nichts zu tun. Wir fordern deshalb, dass die verpflichtende staatliche Kirchensteuer abgeschafft wird. Wie das funktionieren kann, zeigen Beispiele aus anderen Ländern: In Großbritannien finanziert sich die Kirche aus ihrem eigenen Vermögen. In Frankreich ist beispielsweise die traditionell stark verwurzelte katholische Kirche auf Spenden und einen freiwilligen Kulturbetrag von einem Prozent des Einkommens der Mitglieder angewiesen. In Italien werden 0,8 Prozent der Einkommensteuer an anerkannte Religionsgemeinschaften oder für humanitäre Zwecke gezahlt. Dabei können Steuerzahler*innen jedes Jahr selbst entscheiden, an wen das Geld gehen soll. Spanien verwendet das gleiche System, jedoch liegt der Steuerbetrag hier bei 0,7 Prozent. Solche Systeme sind deutlich sozialer und zeitgemäßer.

 

Wer aus der Kirche austreten will, dem*der werden zahlreiche Steine in den Weg gelegt. Nicht nur stellt die Kirchensteuer eine finanzielle Bürde für einkommensschwache Familien dar, zusätzlich muss beim Austritt zum Beispiel in Berlin ein Termin beim örtlichen Amtsgericht vereinbart werden, bei dem die austretende Person selbst erscheinen muss. Per Brief ist ein Austritt nur mit notarieller Beglaubigung möglich. Doch damit nicht genug: In allen Bundesländern außer Brandenburg und Bremen, falls der Austritt bei einer kirchlichen Stelle beantragt wird, werden Gebühren zwischen 5,50 Euro und bis zu 75 Euro in Baden-Württemberg fällig. Das ist absolut unverhältnismäßig. Mit dem Ende des Einzugs der Kirchensteuermittel durch den Staat fordern wir auch das Ende der Verwaltung des Mitgliederwesens der Kirchen durch den Staat. Die Kirchen sollen aufgefordert werden, einen Kirchenaustritt online und kostenlos zu ermöglichen.

 

Kirchen und Religionsgemeinschaften leisten in Deutschland tagtäglich Viel – insbesondere im Rahmen der sozialen Fürsorge durch den Umgang mit hilfsbedürftigen Menschen, von Geflüchteten über Kranke, Pflegebedürftige und Obdachlose, und als kulturelle und weltanschauliche Gemeinschaften und Anlaufstellen. Trotzdem muss die Finanzierung der Religionsgemeinschaften, besonders der beiden großen christlichen Konfessionen, endlich auf eine neue Grundlage gestellt werden! Davon unabhängig setzen wir uns dafür ein, dass durch die sich daraus möglicherweise ergebenden finanziellen Umstrukturierungen der Religionsgemeinschaften nicht potenziell gefährdete Unterstüzungsmaßnahmen, Dienst- und Hilfeleistungen für die besonders schwachen und bedürftigen Mitglieder unserer Gesellschaft betroffen sind, beziehungsweise, dass diese ansonsten durch eine mindestens gleichwertige Ersatzleistung ersetzt werden.

 

Wir fordern deshalb,

  • die Verhandlungen für das Ende der Entschädigungsleistungen an die Kirchen voranzutreiben und diese noch in der laufenden Legislaturperiode wie im Koalitionsvertrag vorgesehen endgültig zu beenden;
  • das bisherige Verfahren des Einzugs der Kirchensteuer über die Finanzämter und die verpflichtende Zahlung für Kirchenmitglieder zu beenden;
  • die Dienstleitungen des Austritts aus der Religionsgemeinschaft kostenlos und in vereinfachter Form online zu ermöglichen.

 

Antrag 199/I/2024 „Nie Wieder!“ ist jetzt - jüdisches Leben schützen!

21.04.2024

Gewalt gegen Jüdinnen*Juden in Deutschland ist alltäglich und allgegenwärtig. Ob auf der Straße, in der Schule, in der Universität, zuhause oder auf Arbeit – Jüdinnen*Juden werden immer wieder Opfer antisemitischer Übergriffe und Verbrechen.

 

Dabei steigt die Zahl der Übergriffe und Verbrechen seit 2015 mit jedem Jahr an. Verzeichnete das Bundeskriminalamt im Jahr 2021 noch knapp 3.000 antisemitische Delikte, waren es im Jahr 2022 schon 3.500 Delikte. Seit dem 07. Oktober 2023 erreicht die Bedrohungslage für Jüdinnen*Juden ein neues Maß und die Lage verschlimmert sich drastisch. Allein von Anfang Oktober bis Anfang November dokumentierte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (kurz: RIAS) 994 antisemitische Delikte. Im gleichen Zeitraum erfasste der Bundesverband RIAS allein 177 antisemitische Versammlungen. Der Abschlussbericht des Bundesverbands RIAS zeichnet ein furchtbares Bild.

 

So berichten Jüdinnen*Juden vermehrt von antisemitischen Vorfällen an Orten ihres Alltags: in der Nachbarschaft, an ihrem Arbeitsplatz oder an Hochschulen – nirgends sind sie sicher.  Allein 59 Vorfälle im direkten Wohnumfeld musste der Bundesverband RIAS verzeichnen – so drangen zum Beispiel zwei Männer gewaltsam in die Wohnung eines Israelis ein, um eine aus dem Fenster gehängte Israelflagge zu entfernen.

 

Auch an Hochschulen – nicht zuletzt an der Freien Universität in Berlin – kommt es vermehrt zu antisemitischen Schmierereien und Versammlungen. So werden Jüdinnen*Juden für das Verhalten Israels verantwortlich gemacht, antisemitische Hetzschriften verteilt, der Krieg in Gaza auf antisemitische und verharmlosende Art und Weise mit der Shoah gleichgesetzt und jüdische Studierende öffentlich antisemitisch markiert.

 

Mit Blick auf die Zunahme der antisemitischen Vorfälle und Gewalttaten zeichnet der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung ein verheerendes Bild und spricht von geringer Solidarität mit jüdischen Gemeinschaften, mangelnder Empathie und drastischen Auswirkungen für Jüdinnen*Juden in Deutschland – ganz gleich ob es sich dabei um einen versuchten Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin, antisemitische Schmierereien an Hauswänden,  Drohungen gegenüber jüdischen Einrichtungen und Schulen oder Gewaltangriffe gegenüber Jüdinnen*Juden handelt.

 

Schutz von jüdischen Einrichtungen jetzt!

Und bei Betrachtung dieser alltäglichen und allgegenwärtigen Bedrohung, dieser immer wiederkehrenden Gewalt wird neben einem eklatanten gesellschaftlichen Versagen auch ein Versagen des Staates offenbar, der nicht in der Lage ist, jüdisches Leben zu schützen.

 

So muss man sich vor Augen führen, dass jüdische Gemeinden weitestgehend allein für den Schutz von Synagogen und Bildungseinrichtungen verantwortlich sind. Dessen bewusst ist sich kaum jemand – Friedrich Merz reagierte erstaunt beim Besuch des jüdischen Gymnasiums in Berlin, dass die Schule einen sehr großen Zaun um sich habe, für die Schüler*innen ist dieser “große Zaun” jedoch Alltag. In Gefährdungsanalysen werten Polizei und Landeskriminalamt Gegebenheiten und Gefahrenlagen aus und teilen den jüdischen Gemeinden dann mit, wo Sicherheitslücken liegen – für die Umsetzung und Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen sind dann aber die Gemeinden allein verantwortlich. Die Polizei zieht sich oft aus der Verantwortung, beschränkt sich auf die Annahme ,,abstrakter” Gefahren und lässt, wie sich beispielsweise zuletzt in Halle im Jahr 2019 an Yom Kippur gezeigt hat, Sicherheitslücken offen.

 

Klar muss aber sein, dass die Gefahrenabwehr hierbei eine Kernaufgabe des Staates ist! Ob Synagoge, jüdische Schule oder jüdische Bildungseinrichtung – der Staat muss alle Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Sicherung aufwenden, von Sicherheitsglas und Sicherheitstüren bis hin zu Schutzpersonal, um Orte jüdischen Lebens zu schützen!

 

Antisemit*innen raus aus unseren Sicherheitsbehörden!

Und nicht überraschend ist, dass die Probleme in unseren Sicherheitsbehörden noch über ein bloßes Wegsehen hinausgehen. Nicht zuletzt die Enthüllungen des Satirikers Jan Böhmermann, der Chatprotokolle von Polizist*innen eines Frankfurter Polizeireviers veröffentlichte, zeigen, dass Antisemit*innen in unseren Sicherheitsbehörden sitzen.

 

Nichtsdestotrotz müssen sich Menschen, die auf den Schutz des Staates und den Schutz der Polizei angewiesen sind, darauf verlassen können, dass diejenigen, vor deren Angriffen und Gewalt sie beschützt werden müssen, nicht auch noch in den Sicherheitsbehörden selbst sitzen. Die Behördenleitungen müssen hier konsequent durchgreifen und alle Maßnahmen ergreifen, um Antisemit*innen aus dem Dienst zu entfernen und um antisemitische Strukturen in den Behörden zu zerschlagen.

 

Das Strafrecht reformieren!

Auch das Strafrecht ist dahingehend reformbedürftig! Während beispielsweise Tatmotive wie die „Habgier“ zu einer enormen Strafschärfung führen können, sind Motive bezüglich gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vergleichsweise vernachlässigt. Nach §46 II Strafgesetzbuch sind solche Motive bei der Strafzumessung lediglich „in Betracht“ zu ziehen. Deshalb verwundert es auch nicht, dass in der Vergangenheit beispielsweise ein Brandanschlag auf eine Synagoge nur minimal bestraft wurde, da der zuständige Richter ein antisemitisches Tatmotiv negierte.

 

Wenn Jüdinnen*Juden oder jüdische Einrichtungen aus blankem Hass attackiert werden, dann muss das vor Gericht klar benannt werden. Staatsanwaltschaften und Gerichte dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass solche Angriffe immer antisemitisch sind. Wenn in solchen Fällen, wie schon geschehen, von ,,Israelkritik” gesprochen wird, bestätigen sie die Täter*innen noch zuletzt in ihrem Denken und verleihen den Taten zu gewissen Grad Legitimation.

 

Antisemitismusprävention unterstützen, fördern, ausbauen!

Der Beratungsbedarf der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK e.V. hat sich seit dem 07. Oktober 2023 verzehnfacht. Die hebräischsprachige Seelsorge „Matan“ verzeichnete im Oktober siebenmal so viele Anrufe wie im September. Der Bundesverband RIAS berichtet von einer enorm gestiegenen Anzahl an Meldungen antisemitischer Delikte.

 

Und so wichtig wie die Arbeit dieser Einrichtungen, die nicht nur ansprechbar sind und Menschen im Nachgang zu antisemitischen Übergriffen begleiten, sondern auch essentielle Arbeit im Bereich der Aufzeichnung und Sammlung von Vorfällen leisten, so sehr würde man doch hoffen, dass diese finanziell und personell abgesichert sind – mitnichten!

 

Erst im Oktober wandte sich zum Beispiel die Geschäftsführerin des OFEK e.V. mit einem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus und forderte unter anderem mehr Geld, um die Angebote aufrechterhalten zu können – ein für uns alarmierender Zustand! Für uns ist klar: Jegliche Angebote und Stellen zur Antisemitismusprävention, aber auch im Bereich der Beratung, Begleitung und Berichterstattung müssen finanziell und personell so ausgestattet werden, dass ihre Arbeit langfristig abgesichert ist!

 

Und schaut man sich die antisemitischen Vorfälle an, die auch an Schulen verzeichnet werden, wird deutlich, dass Antisemitismusprävention noch viel früher greifen muss! Wir brauchen noch viel mehr pädagogische Angebote der Antisemitismusprävention an Schulen, die über antisemitische Parolen, Bewegungen und Gewalttaten aufklären und wir brauchen Rahmenlehrpläne, die ein ,,Nie wieder!” begreifbar und den damit einhergehenden Auftrag verständlich machen.

 

Jüdinnen*Juden auf dem Campus schützen!

Die Bilder, die uns von Hochschulen aus ganz Deutschland erreichen, sind erschreckend! Veranstaltungen, in denen die Shoah relativiert, zum Genozid aufgerufen oder der Staat Israel und jüdische Studierende zum Ziel antisemitischer Tiraden werden, jüdische Studierende, die davon berichten, dass ihr Campus für sie zu einem Ort des Schreckens geworden ist oder die Verbreitung antisemitischer Hetzschriften – wir haben ein ernsthaftes Problem an unseren Hochschulen!

 

Eben dieses Klima der Angst, welches beispielsweise die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion und Mitglied der Partei Bündnis 90 / Die Grünen Hanna Veiler immer wieder beschreibt, ist erschreckend und offenbart das Versagen der staatlichen Hochschulleitungen. Wir fordern: Kein Zögern bei antisemitischen Vorfällen, die konsequente Anzeige antisemitischer Vorfälle, das Schaffen von Schutz- und Vernetzungsräumen für jüdische Studierende, keine Verallgemeinerungen in der Bewertung und eine effektive, schnelle Durchsetzung des Hausrechts!

 

Wir alle sind gefordert!

„Nie Wieder“ ist jetzt! Hinsichtlich des grassierenden und erstarkenden Antisemitismus bedeutet das: Wir alle sind gefordert, uns schützend vor Jüdinnen*Juden zu stellen, Antisemitismus klar zu widersprechen und uns selbst hinsichtlich antisemitischer Denkmuster und Pauschalisierungen zu hinterfragen. Das ist der unverrückbare Schutzauftrag, den wir alle zu erfüllen haben. Denn aufgrund der aktuellen Ereignisse dürfen wir auch unsere historische Verantwortung zur Shoah nicht vergessen – „Nie wieder ist jetzt“ heißt auch Erinnerungskultur.

 

Daher fordern wir:

  • einen Ausbau der Sicherheitsmaßnahmen und Vorkehrungen für alle jüdischen Einrichtungen, ganz gleich ob technischer oder personeller Art und die komplette Finanzierung dieser durch den Staat
  • ein konsequentes Durchgreifen gegenüber Antisemit*innen in den Sicherheitsbehörden und hierfür notwendige Anpassungen des Disziplinarrechts, die eine Entfernung aus dem Staatsdienst und eine Zerschlagung antisemitischer Strukturen ermöglichen
  • ein Strafrecht, das antisemitische Gewalttaten und Verbrechen als solche klar erkennt und ahndet, sowie eine konsequente Verfolgung antisemitischer Straftaten, die keine Form der Diskriminierung, der Übergriffe und der Hassrede duldet
  • den massiven Ausbau der finanziellen Unterstützung für / Finanzierung von Angeboten und Initiativen der Antisemitismusprävention, der Beratung und der Aufnahme antisemitischer Vorfälle sowie zivilgesellschaftlicher Angebote jüdischer Akteur*innen, Angebote des interreligiösen Dialogs und des zivilgesellschaftlichen Austauschs
  • die Förderung und den Ausbau von Bildungsprogrammen zur Sensibilisierung für und Aufklärung über Antisemitismus in Schulen sowie Angeboten des Jugendamtes und der offenen Kinder- und Jugendarbeit.
  • die Schaffung von Vernetzungs- und Schutzräumen für jüdische Studierende an allen Hochschulen sowie eine konsequente Durchsetzung des Hausrechts im Falle antisemitischer Übergriffe an Hochschulen

 

Antrag 158/I/2024 Guten Morgen, Mayıstero!

21.04.2024

Zwischen Hoffnung und Herausforderung: Das harte Leben der Gastarbeiter*innen in der Bundesrepublik

Mit dem ersten Anwerbeabkommen 1955, welches die BRD unter der Kanzlerschaft Adenauers abgeschlossen hat, kamen Menschen aus Italien in die Bundesrepublik zum Arbeiten. Die mit US-amerikanischen Hilfen boomende Wirtschaft kam an ihr Limit, das sich nur durch die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland versetzen konnte. Aus diesem Grund entschied sich die damalige Koalition aus konservativen Parteien dazu, Menschen aus dem Ausland für Arbeiten in der Bundesrepublik „anzuwerben“. Das deutsch-italienische Abkommen blieb nicht das einzige, es folgten zahlreiche weitere Abkommen mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Die meist, nicht ausgebildeten Menschen übernahmen allerlei Tätigkeiten in Branchen, bei denen die schlechten Arbeitsbedingungen im Vorhinein bekannt waren. Diese menschenunwürdigen Beschäftigungsverhältnisse manifestierten sich in geringem Lohn, illegaler Anstellung zur Umgehung von Sozialversicherungskosten, verweigertem Urlaubsanspruch und einer Unterbringung, die jeglichen Sanitär- und Hygienestandards widerspricht. Noch heute erfahren die Nachfahren der sogenannten „Gastarbeiter*innen“ von den grausamen Lebensumständen ihrer Eltern oder Großeltern, denn die Aufarbeitung seitens der Bundesregierung geschieht kaum bis gar nicht.

 

In Zeiten wirtschaftlicher Rezession wird oft außer Acht gelassen, wie entscheidend die schwere Arbeit der sogenannten „Gastarbeiter*innen“ für den aktuellen und vergangenen Wohlstand war und ist. Trotzdem wird ihr Beitrag häufig unterschätzt oder ignoriert, obwohl er einen wesentlichen Teil zur Stabilität und Prosperität unserer Gesellschaft beigetragen hat. Diese Arbeiter*innen haben oft unter schwierigen Bedingungen gearbeitet, und ihr Einsatz hat dazu beigetragen, viele Lücken in verschiedenen Branchen zu schließen, von der Landwirtschaft bis hin zur Industrie. Ihre Anstrengungen haben nicht nur dazu beigetragen, die Wirtschaft anzukurbeln, sondern auch die kulturelle Vielfalt bereichert und den sozialen Zusammenhalt gestärkt. Es ist wichtig, ihre Beiträge anzuerkennen und zu würdigen, um eine gerechtere und integrativere Gesellschaft zu schaffen, die auf den Prinzipien der Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen basiert.

 

Bis heute fehlt die Anerkennung für die immense Leistung und den Beitrag der sogenannten Gastarbeiter*innen, was nicht nur eine Unterbewertung ihrer Arbeit darstellt, sondern auch den rassistischen Charakter des Kapitalismus manifestiert. Diese Arbeiter*innen wurden oft als bloße „Arbeitskräfte“ betrachtet, ohne ihre menschliche Würde und ihre Rechte angemessen anzuerkennen. Zusätzlich äußert sich der rassistische Charakter des Kapitalismus in der Tatsache, dass Gastarbeiter*innen oft aus Ländern rekrutiert wurden, die von europäischen Kolonialmächten unterdrückt wurden oder immer noch unter wirtschaftlicher Ausbeutung leiden. Diese Menschen wurden als „billige Arbeitskräfte“ angesehen und in vielen Fällen unter unzureichenden Bedingungen beschäftigt, ohne angemessenen Schutz oder faire Bezahlung.

 

Rassismus und Kapitalismus sind zwingend miteinander verbunden, da Armut und armutsbedingende Faktoren durch Diskriminierungsmechanismen verstärkt werden. Rassismus existiert jedoch auch über kapitalistische Ausbeutung hinaus. Prinzipiell bedurfte das System eines Narratives, um die Überausbeutung der Gastarbeiter*innen zu rechtfertigen. Indem sie als Fremde und “Geringwertige” bezeichnet und so von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, konnte man die menschenunwürdige Ausbeutung plausibel machen. Diese rassistischen Zuschreibungen waren Ausdruck eines Herrschaftsanspruchs der Gastarbeiter*innen in eine “Pufferfunktion” für das wirtschaftliche System zwingen sollte und prägten den Alltag der Gastarbeiter*innen auch außerhalb der Arbeitsstätte. Diese Formen des Rassismus und der Diskriminierung haben tiefe Spuren hinterlassen und sind bis heute in unserer Gesellschaft präsent.

 

Es ist wichtig anzuerkennen, dass der Erfolg vieler Industrien und Wirtschaftssektoren in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Belgien eng mit der harten Arbeit und dem Engagement von Gastarbeiter*innen verbunden ist. Ohne ihren Beitrag wäre der wirtschaftliche Aufschwung vieler europäischer Länder nicht möglich gewesen. Daher ist es unerlässlich, die Anerkennung für ihre Leistung zu fordern und gleichzeitig aktiv gegen rassistische Strukturen und Vorurteile vorzugehen. Nur durch eine konsequente Ablehnung von Rassismus in allen seinen Formen können wir eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft schaffen, in der die Würde und die Rechte aller Menschen geachtet werden.

 

Vor allem unsere Stadt wird wie keine andere mit dem Wirken der Gastarbeitenden in Verbindung gebracht. Die Geschichte ganzer Bezirke basiert maßgeblich auf dem kulturellen und alltäglichen Leben dieser Menschen. Kreuzberg und Neukölln sind Beispiele dafür, wie sich die Präsenz von Gastarbeiter*innen im Stadtbild manifestiert. Die Entstehung von „Kiezen“ mit türkischen, arabischen oder italienischen Geschäften, Restaurants und Orte, religiöser Wichtigkeit spiegelt die Vielfalt und den Einfluss dieser Gemeinschaften wider. Doch ihr Einfluss erstreckt sich weit über diesen Bereich hinaus. Die Spuren ihrer Arbeit sind auch in der Architektur zu finden, sei es durch den Bau von Wohnhäusern, Fabriken oder öffentlichen Einrichtungen. Darüber hinaus prägen sie das kulturelle Leben der Stadt durch Festivals, Märkte und kulturelle Veranstaltungen, die ihre Traditionen und Bräuche zelebrieren. Die Gastarbeitenden haben nicht nur zur wirtschaftlichen Entwicklung Berlins, sondern auch zu einem Gefühl der Gemeinschaft und des Zusammenhalts beigetragen, indem sie Solidarität untereinander sowie mit den Einheimischen gefördert haben. Ihre Erfahrungen und Geschichten sind integraler Bestandteil der Berliner Identität und erinnern uns daran, dass unsere Stadt auf dem Einsatz und den Beiträgen von Menschen verschiedener Herkunft und Kulturen aufgebaut ist.

 

Ein Vertrag von dem nur eine Seite profitierte…

Auch in der damaligen DDR wurden Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Unter dem Vorwand der Ausbildung im sozialistischen Bruderstaat wurden Menschen, nach neoimperialistischer Ideologie, für den eigenen Zweck ausgebeutet. Insbesondere aus Ländern wie Vietnam, Mosambik und Kuba wurden Arbeiter*innen angeworben, um den Arbeitskräftemangel in verschiedenen Sektoren zu beheben, sei es in der Industrie, der Landwirtschaft oder im Baugewerbe. Diese Praxis der Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften war jedoch nicht frei von Problemen und Widersprüchen. Obwohl offiziell als solidarischer Akt dargestellt, diente sie auch dazu, die wirtschaftlichen Interessen der DDR zu fördern und die eigene Produktivität zu steigern. Die Arbeitsbedingungen für diese ausländischen Arbeitskräfte waren oft unzureichend, und sie wurden häufig schlechter bezahlt als ihre einheimischen Kolleg*innen. Darüber hinaus wurden sie oft von der Gesellschaft isoliert und hatten begrenzte Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe. Diese Praxis der Anwerbung von Vertragsarbeiter*innen in der DDR verdeutlicht, wie auch in sozialistischen Systemen die Ausbeutung von Arbeitskräften im Namen des Staates und seiner ideologischen Ziele stattfand. Sie zeigt auch, wie Ideologie und politische Interessen oft dazu verwendet wurden, um die Rechte und Würde der Arbeitenden zu unterdrücken und auszubeuten. Zudem wird dadurch auch deutlich, dass die Diskriminierung migrantisierter Menschen, und auch Rassismus, den BIPoCs erleben, auch in anderen Wirtschaftsformen stattfindet.

 

Deshalb fordern wir:

  • Die ernstzunehmende Auseinandersetzung und die Verstetigung der Auseinandersetzung mit dem Leben der sogenannten Gast- und Vertragsarbeiter*innen innerhalb unseres Verbandes, aber auch gesellschaftlich.
  • Ausweitung von Orten der Begegnung verschiedener Generationen von sog. Gastarbeitenden und ihren Nachkommen
  • Die Einführung eines wiederkehrenden Feiertags für die Verabschiedung zahlreicher Anwerbeabkommen. Ein mögliches Datum wäre der 30. Oktober 1961, der Tag, an dem das deutsch-türkische Anwerbeabkommen beschlossen wurde. Vor allem dieses Anwerbeabkommen prägt das Stadtbild noch bis heute.
  • Vorbereitung und Durchführung eines Staatsaktes zum 65.-jährigen Jubiläum des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens
  • Die historische Auseinandersetzung mit dem Unrecht, dass den Vertragsarbeiter*innen in der DDR widerfuhr