Antrag 198/I/2024 Kirchensteuer und staatliche Entschädigungsleistungen an die christlichen Kirchen in Deutschland abschaffen!

Seit der Zeit Napoleons vor über 200 Jahren werden die christlichen Kirchen in Deutschland durch den deutschen Staat entschädigt und durch das automatische Einbehalten der Kirchensteuer bei Kirchenmitgliedern durch die Finanzämter unterstützt. An Entschädigungsleistungen haben die evangelische und katholische Kirche im Jahr 2022 rund 602 Mio. Euro von den Bundesländern erhalten, durch die Kirchensteuer schätzungsweise 13 Milliarden Euro.

 

Im Jahr 1803 beschlossen die Fürsten des Heiligen Römischen Reichs, als Ausgleich für die Eroberungen Napoleons Besitztümer und Ländereien der Kirche auf heute deutschem Boden in ihre eigene Herrschaft zu überführen. Damals bedeutete das, dass rund fünf Millionen Menschen plötzlich neue Landesherren hatten. Für diesen Verlust werden die evangelische und katholische Kirche in Deutschland als Religionsgemeinschaften bis heute von staatlicher Seite entschädigt. Zu den Privilegien der Religionsgemeinschaften in Deutschland gehört auch, dass diese seit rund 200 Jahren ermächtigt sind, Kirchensteuer von den Bürgerinnen und Bürgern einzuziehen, die Kirchenmitglieder sind. Davon profitieren in besonders großem Umfang die evangelische und katholische Kirche. Die Kirchen können die Steuer gegen eine Aufwandsentschädigung von den staatlichen Finanzämtern einziehen lassen, wenn das Landesparlament des entsprechenden Bundeslandes zugestimmt hat.

 

Schon in der Weimarer Verfassung war vorgesehen, die Entschädigungsleistungen an die Kirchen zu beenden, doch auch in der Weimarer Republik konnte keine Lösung gefunden werden. Die Ampel-Regierung hat nach 16 Jahren vermeintlicher Christdemokrat*innen in der Regierung im Koalitionsvertrag den Beschluss gefasst, „einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“ zu finden. Wir finden, dafür wird es höchste Zeit.

 

Auch wenn die Entschädigungsleistungen selbst nur einen kleinen Anteil an den kirchlichen Einnahmen ausmachen, so ist die Kirchensteuer jedoch eine der Haupteinkommensquellen insbesondere der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland. Das bisherige Prinzip des Einzugs über die staatlichen Finanzämter hat mit einer Trennung von Kirche und Staat nichts zu tun. Wir fordern deshalb, dass die verpflichtende staatliche Kirchensteuer abgeschafft wird. Wie das funktionieren kann, zeigen Beispiele aus anderen Ländern: In Großbritannien finanziert sich die Kirche aus ihrem eigenen Vermögen. In Frankreich ist beispielsweise die traditionell stark verwurzelte katholische Kirche auf Spenden und einen freiwilligen Kulturbetrag von einem Prozent des Einkommens der Mitglieder angewiesen. In Italien werden 0,8 Prozent der Einkommensteuer an anerkannte Religionsgemeinschaften oder für humanitäre Zwecke gezahlt. Dabei können Steuerzahler*innen jedes Jahr selbst entscheiden, an wen das Geld gehen soll. Spanien verwendet das gleiche System, jedoch liegt der Steuerbetrag hier bei 0,7 Prozent. Solche Systeme sind deutlich sozialer und zeitgemäßer.

 

Wer aus der Kirche austreten will, dem*der werden zahlreiche Steine in den Weg gelegt. Nicht nur stellt die Kirchensteuer eine finanzielle Bürde für einkommensschwache Familien dar, zusätzlich muss beim Austritt zum Beispiel in Berlin ein Termin beim örtlichen Amtsgericht vereinbart werden, bei dem die austretende Person selbst erscheinen muss. Per Brief ist ein Austritt nur mit notarieller Beglaubigung möglich. Doch damit nicht genug: In allen Bundesländern außer Brandenburg und Bremen, falls der Austritt bei einer kirchlichen Stelle beantragt wird, werden Gebühren zwischen 5,50 Euro und bis zu 75 Euro in Baden-Württemberg fällig. Das ist absolut unverhältnismäßig. Mit dem Ende des Einzugs der Kirchensteuermittel durch den Staat fordern wir auch das Ende der Verwaltung des Mitgliederwesens der Kirchen durch den Staat. Die Kirchen sollen aufgefordert werden, einen Kirchenaustritt online und kostenlos zu ermöglichen.

 

Kirchen und Religionsgemeinschaften leisten in Deutschland tagtäglich Viel – insbesondere im Rahmen der sozialen Fürsorge durch den Umgang mit hilfsbedürftigen Menschen, von Geflüchteten über Kranke, Pflegebedürftige und Obdachlose, und als kulturelle und weltanschauliche Gemeinschaften und Anlaufstellen. Trotzdem muss die Finanzierung der Religionsgemeinschaften, besonders der beiden großen christlichen Konfessionen, endlich auf eine neue Grundlage gestellt werden! Davon unabhängig setzen wir uns dafür ein, dass durch die sich daraus möglicherweise ergebenden finanziellen Umstrukturierungen der Religionsgemeinschaften nicht potenziell gefährdete Unterstüzungsmaßnahmen, Dienst- und Hilfeleistungen für die besonders schwachen und bedürftigen Mitglieder unserer Gesellschaft betroffen sind, beziehungsweise, dass diese ansonsten durch eine mindestens gleichwertige Ersatzleistung ersetzt werden.

 

Wir fordern deshalb,

  • die Verhandlungen für das Ende der Entschädigungsleistungen an die Kirchen voranzutreiben und diese noch in der laufenden Legislaturperiode wie im Koalitionsvertrag vorgesehen endgültig zu beenden;
  • das bisherige Verfahren des Einzugs der Kirchensteuer über die Finanzämter und die verpflichtende Zahlung für Kirchenmitglieder zu beenden;
  • die Dienstleitungen des Austritts aus der Religionsgemeinschaft kostenlos und in vereinfachter Form online zu ermöglichen.