Das globalisierungskritische Netzwerk Attac kämpfte in einem längeren Rechtsstreit mit dem zuständigen Finanzamt für die Anerkennung seiner Gemeinnützigkeit. Die einzelnen Instanzen urteilten dabei sehr unterschiedlich über die Frage, ob das politische Engagement von Attac angemessen für einen gemeinnützigen Verein sei. Zwar kann dies auch bei gemeinnützigen Vereinen „im Einzelfall zwangsläufig mit einer gewissen politischen Zielsetzung verbunden“ sein. Doch wird politische Tätigkeit grundsätzlich als Vertretung besonderer Interessen begriffen und damit von Gemeinnützigkeit unterschieden. Das hessische Finanzgericht ordnete das politische Engagement von Attac unter Bildungszwecke ein und erkannte entsprechend eine Gemeinnützigkeit an. Der Bundesfinanzhof als nächste Instanz betrachtete das politische Engagement als zu groß, hob das Urteil des Finanzgerichts auf und wies den Fall zurück. Attac hat damit den Status der Gemeinnützigkeit verloren und massive – existenzbedrohende – finanzielle Verluste erlitten. Auch die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe zeigt, wie relevant die Frage der Gemeinnützigkeit für die Zivilgesellschaft ist.
Die Trennung zwischen gemeinnützigen und politischen Vereinen ist grundsätzlich sinnvoll – insbesondere muss verhindert werden, dass rechtsradikale Kräfte wie der PEGIDA Förderverein oder der Identitäre Bewegung Deutschland e.V. in den Genuss der Gemeinnützigkeit kommen.
Die Entscheidungspraxis der Finanzämter ist jedoch sehr unterschiedlich und bietet zu wenig Rechtssicherheit für Vereine. Wird ihnen die Gemeinnützigkeit überraschend entzogen, haben sie erfahrungsgemäß einen schlagartigen Einbruch von Spenden zu verzeichnen, weil diese für die zahlenden Personen nicht mehr steuerlich absetzbar sind. Noch dramatischer sind die Folgen einer rückwirkenden Aberkennung durch die damit fälligen Nachzahlungen. Hier ist eine Vereinheitlichung der Rechtsanwendung dringend nötig, um gemeinnütziges Engagement nicht durch steuerrechtliche Verwaltungslast zu erdrücken.
Die in der Abgabenordnung aufgeführten Tätigkeiten sind seit langem nicht mehr auf der Höhe der Zeit: Der kulturelle und technische Fortschritt ermöglicht heute viele Formen faktischer Gemeinnützigkeit, deren juristische Anerkennung bisher ausblieb und dringend nachgeholt werden muss.
Daher fordern wir:
- Der Begriff der Gemeinnützigkeit nach der Abgabenordnung (AO) wird reformiert. Die in § 52 der Abgabenordnung als gemeinnützig definierten Themenfelder werden den veränderten gesellschaftlichen Vorstellungen angepasst und so formuliert, dass sie z.B. explizit auch folgende Tätigkeiten umfassen:
- Förderung der Hilfe für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten
- neue Bildungsbereiche wie Programmierung und Medienkompetenz
- neue Sportbereiche wie Paintball und eSports
- bisher ungenannte, aber faktisch entsprechende Bereiche, wie z. B. Pflege und Verwaltung von Friedhöfen
- Das Bundesfinanzministerium wird eine höhere Rechtssicherheit bei der Anerkennungspraxis der Gemeinnützigkeit besorgen. Die Prüfungspraxis bei den Finanzämtern wird stärker reguliert, um Anerkennungsentscheidungen für antragstellende Vereine transparenter zu gestalten. Der zulässige Umfang von politischem Engagement im Zustand der Gemeinnützigkeit wird genauer bestimmt. Bei Spenden über 10.000 € müssen die Namen der Geldgeber*innen veröffentlich werden.
- In der Diskussion über die Klagen der Deutsche Umwelthilfe bekennt sich die SPD dazu, die Gemeinnützigkeit von Vereinen nicht aus dem alleinigen Grund zu entziehen, weil sie sich im Rechtsstreit mit Gebietskörperschaften befinden.