2020 wurde mit der Insolvenz des Finanzdienstleisters Wirecard AG einer der größten Finanzskandale der letzten Jahre öffentlich. Die Abkürzung AG im Namen steht hierbei für Aktiengesellschaft. Das heißt, dass das Unternehmen nicht einer Person gehörte, sondern Unternehmensanteile an verschiedene Menschen oder Unternehmen in Form von Aktien verkauft wurden. Diese Aktien wurden bei Wirecard am DAX (Deutscher Aktienindex) gehandelt, welcher als der wichtigste deutsche Aktienindex gilt. Aktien können dort ge- und verkauft werden, die Verkaufswerte spiegeln dabei den Unternehmenswert wider. Damit Anleger*innen, also die Menschen oder Unternehmen, die Geld in Aktien investieren, wissen, wie gut oder schlecht es um ein Unternehmen steht, das an der Börse gehandelt wird, ist dieses verpflichtet ihren Anleger*innen bestimmte Informationen offenzulegen. Dies ist insbesondere im Rahmen der Jahresabschlussprüfung der Fall. In dieser Prüfung wird kontrolliert, inwiefern sie ihre Buchhaltung korrekt führen und ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen. Auch das Vermögen des Unternehmens wird so offen gelegt. Diese Angaben sind unter anderem relevant für Investor*innen, die sich aufgrund der veröffentlichten Zahlen und weiteren Angaben für oder gegen eine Investition entscheiden.
Der ausschlaggebende Grund der Pleite und des Skandals bei Wirecard war, dass 1,9 Milliarden Euro, die das Unternehmen eigentlich haben sollten, nicht existierten. Dies bedeutete, dass Wirecard ungefähr ein Viertel ihres angeblichen Vermögens, das sie ursprünglich in ihrer Jahresbilanz angegeben hatten, nicht besaß. Daraufhin verlor die Aktie massiv an Wert, was bedeutet, dass viele Anleger*innen Geld verloren. Die mehr als 11.000 Forderungen gegenüber der zahlungsunfähigen Wirecard belaufen sich mittlerweile auf über 12,4 Milliarden Euro.
Der damalige Vorstandsvorsitzende der Wirecard AG trat daraufhin zurück und sitzt aufgrund des Verdachts auf Vortäuschung von Einnahmen und Marktmanipulation bis heute neben anderen mutmaßlichen Verantwortlichen in Untersuchungshaft. Der Chief Operating Officer (COO), der für die Betriebsprozesse von Wirecard maßgeblich zuständig war, tauchte ab und wird mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Ebenfalls wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Bundestag eingerichtet, der klären soll, inwiefern staatliche Stellen über die Vorgänge bei Wirecard informiert waren.
Allerdings war die Prüfung der Jahresbilanz und der generellen Buchhaltung der Wirecard im ersten Schritt nicht Aufgabe des Staates. Unternehmen, die Kapitalgesellschaften sind (also sich aus dem Kapital von mehreren Menschen oder anderen Unternehmen finanzieren, ohne dass diese unmittelbar für das Alltagsgeschäft des Unternehmen arbeiten), werden zunächst von privaten Wirtschaftsprüfer*innen kontrolliert. Wirtschaftsprüfer*in ist ein öffentliches Amt, das heißt, mit diesem gehen besondere gesetzlich festgelegte Rechte und Pflichten einher. Diese Wirtschaftsprüfer*innen arbeiten aber nicht für den Staat, sondern für private Unternehmen. Profitorientierte, private Unternehmen übernehmen somit für andere Unternehmen eine Rolle, wie sie das Finanzamt für Privatleute hat: Sie sind zuständig zu kontrollieren, ob diese Unternehmen ihren gesetzlichen Pflichten hinsichtlich ihrer Finanzen nachkommen.
DAX-Unternehmen, wie Wirecard damals, werden üblicherweise von den sogenannten “Big Four” kontrolliert, den vier weltweit größten Wirtschaftsprüfungsunternehmen. 2019 machten nur diese vier Unternehmen weltweit einen Umsatz von ca. 154,79 Milliarden US-Dollar. Hier ist allerdings anzumerken, dass diese Unternehmen nicht nur Wirtschaftsprüfung anbieten, sondern oftmals gleichzeitig Unternehmensberatungen sind. Diese Beratungen spezialisieren darauf, die Gewinnen der Unternehmen zu optimieren und Zahlen – wie den Jahresabschluss – bestmöglich für das Unternehmen zu gestalten.
Trotz ihrer Profitorientierung müssen diese Wirtschaftsprüfungsunternehmen nach dem Gesetz allerdings unabhängig sein und eine kritische Grundhaltung gegenüber den von ihnen zu prüfenden Unternehmen haben. Da Wirtschaftsprüfungsunternehmen allerdings von den zu prüfenden Unternehmen selbst beauftragt werden, ergibt sich hier ein Interessenkonflikt. Aufgrund ihrer privatwirtschaftlichen Organisation sind die Wirtschaftsprüfungen abhängig von ihren Auftraggeber*innen, die sie gleichzeitig kontrollieren sollen. So müssen Wirtschaftsprüfungen befürchten, nicht mehr von Unternehmen beauftragt werden, sofern sie diese zu kritisch prüfen. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftsprüfer*innen oftmals über eine längere Zeit bei dem Unternehmen vor Ort sind, um diese zu prüfen. So kann es ebenfalls zu einer Vermischung der Rollen kommen, da aus den Kontrolleur*innen so fast schon Kolleg*innen werden können.
Im Falle von Wirecard war eine der “Big Four” jahrelang mit der wirtschaftlichen Prüfung des Unternehmens beauftragt. Nachdem Journalist*innen die Bilanz Wirecards aufgrund von nach ihren Recherchen zu hohen Gewinnangaben bezweifelten, beauftragte Wirecard ein weiteres Wirtschaftsprüfungsunternehmen der “Big Four”, um diese Zweifel auszuräumen. Erst im Zuge dieser Überprüfung viel nach einiger Zeit auf, dass die besagten 1,9 Milliarden nicht existierten. Daraufhin verweigerte die Wirtschaftsprüfung Wirecard den Jahresabschluss zu bestätigen. Im Zuge des Skandals wurden Vermutungen konkreter, dass die erste beauftragte Wirtschaftsprüfung bereits in den Jahren zuvor, zu ungenau prüfte, sodass dieser Milliardenbetrug erst möglich wurde. So fiel der Wirtschaftsprüfung 2016 und 2017 beispielsweise nicht auf, dass Unterschriften als Grafiken in ein PDF-Dokument eingefügt wurden, was eine Fälschung nahelegt.
Diese Vorgänge bei Wirecard machen deutlich, dass die Kontrolle von privaten Unternehmen durch andere private Unternehmen nicht zielführend ist. Die Einhaltung von Gesetzen zu kontrollieren, muss auch hier Aufgabe des Staates sein. Es gibt bereits Behörden, die mit der Kontrolle der Wirtschaftsprüfer und des Finanzmarktes betraut sind, wie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS). Die BaFin ist dem Bundesfinanzministerium unterstellt, während die APAS durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie kontrolliert wird. Die BaFin ist unter anderem für die Kontrolle des Wertpapierhandel und damit verbundenen Verbraucher*innenschutz zuständig, während die APAS die Arbeit der Wirtschaftsprüfer*innen kontrollieren soll. Im Zuge der Ermittlungen und Recherchen zu Wirecard, insbesondere der Befragungen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Bundestag, wurden allerdings aber auch Fehler der BaFin eingeräumt. 2019 verbot diese Leerverkäufe, also das Wetten auf fallende Kurse bei Wirecard. Der damalige Chef der BaFin begründet dieses Verbot damit, dass sie staatsanwaltliche Hinweise auf Insiderhandel bekommen hätten. Allerdings gab es damals bereits kritische Berichterstattung über das Unternehmen. Daher konnte ein Eindruck entstehen, dass die BaFin Wirecard vor den Auswirkungen dieser schützen wollte. Aufgrund dieser und anderer Unzulänglichkeiten, trat die Spitze der BaFin im Zuge des Wirecard-Skandals zurück. Die APAS zeigte 2020 die erste Wirtschaftsprüfung, die Wirecard jahrelang untersuchte ohne Fehler zu finden, an. Der Chef dieser Wirtschaftsprüfung trat daraufhin zurück.
Es wurde klar, dass die Kontrolle von Unternehmen wie Wirecard neu organisiert werden muss. 2021 wurden mit dem “Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität” einige Veränderungen auf den Weg gebracht, wie die zukünftig verpflichtende unternehmerische Trennung von Wirtschaftsprüfung und Beratung. Allerdings gehen diese Schritte noch lange nicht weit genug.
Daher fordern wir:
- Die Überprüfung der Jahresberichte dieser Unternehmen muss strenger durch die APAS kontrolliert werden.
- Wirtschaftsprüfungen, denen schwerwiegende Fehler, wie im Falle Wirecard unterlaufen sind, muss das Recht entzogen werden, Wirtschaftsprüfungen durchzuführen.
- Kapitalgesellschaften müssen ihr Wirtschaftsprüfungsunternehmen jährlich wechseln, um finanzielle Abhängigkeiten zu minimieren.
- Ebenso sollte es Wirtschaftsprüfer*innen sowie Mitarbeiter*innen der Kapitalgesellschaften, die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kontrolliert werden, untersagt werden, unmittelbar nach der Prüfung oder währenddessen zur jeweils anderen Firma zu wechseln.
- Wirtschaftsprüfungen großer Unternehmen sind grundsätzlich von zwei Unternehmen nach dem Vier-Augen-Prinzip zu prüfen (Joint Audit).
- Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die ein Unternehmen prüft, darf nicht gleichzeitig Beraterleistungen für dieses Unternehmen ausführen. Dies gilt ebenso für Tochterunternehmen oder Dependancen dieser Gesellschaft.