Antrag 44/I/2022 Transparenz und Ernsthaftigkeit – „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ darf nicht verschleppt werden

Status:
Annahme mit Änderungen

Am 26. September 2021 haben mehr als eine Million Berliner*innen entschieden – sie wollen die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne. Sie haben dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ zugestimmt. Dies war einer der größten Volksentscheide in der Geschichte Deutschlands.

 

Im Koalitionsvertrag der rot-grün-roten Landesregierung wurde festgelegt, dass innerhalb der ersten 100 Tage eine Expert*innenkommission, unter Einbezug von Expert*innen der Initiative, aufgestellt werden soll.

Nachdem die Bekanntgabe der Besetzung der Kommission bis auf den letzten Tag ausgereizt wurde, stellen sich einige Fragen.

 

Die grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der Vergesellschaftung nach Art. 15 GG ist in den vergangenen zwei Jahren durch unterschiedlichste Gutachten, unter anderem vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, aber auch des Abgeordnetenhauses, sowie durch diverse Verfassungsrechtler*innen, widerlegt worden.

 

Es muss nun anerkannt werden, dass sich die Mehrheit der Berliner*innen für eine Vergesellschaftung ausdrücklich ausgesprochen hat und diese auch verfassungsrechtlich zulässig ist. Denn andernfalls machen wir uns gänzlich unglaubwürdig, auch vor dem Hintergrund, dass wir stets für mehr Teilhabe und demokratische Mitbestimmung einstehen und diese einfordern und uns nun auf der anderen Seite dieser gelebten Teilhabe entgegensetzen.

 

Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass, laut Medienberichten durch die SPD, die Professoren Christian Waldhoff, Wolfgang Durner und Michael Eichberger Teil der Kommission wurden. Alle drei haben sich bereits im Vorfeld klar gegen den Volksentscheid positioniert. Erstere haben sich jeweils in von der Immobilienwirtschaft bzw. dieser nahestehenden Organisationen beauftragten Gutachten für eine grundsätzliche Unanwendbarkeit des Art. 15 GG in Berlin im Sinne des Volksentscheides ausgesprochen. Wir fordern die parteiinterne Erklärung darüber, nach welchen Kriterien und aus welchen Gründen diese drei Professoren ausgewählt wurden.

 

Da eine rechtssichere Umsetzung von vielen Jurist*innen grundsätzlich für möglich gehalten wird, ist die Berliner Politik durch den Volksentscheid zur Umsetzung der Vergesellschaftung angehalten. Eine absolut sichere Prognose über mögliche Entscheidungen verfassungsrechtlicher Prüfungen bei Gericht ist gerade in solchen gesellschaftspolitisch höchst relevanten Verfahren ohnehin nicht mit 100%-tiger Sicherheit möglich. Das zeigt insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel, in welcher der 2. Senat explizit von zuvor vertretenen Rechtsauffassungen abweicht und u.a. mit etablierter Staatspraxis argumentiert. Eben die Veränderung dieser Staatspraxis ist klarer Auftrag des Volksentscheids an die Politik.

 

Auch da der Auftrag der Kommission nun klar beschreibt, dass es nicht mehr um das „Ob“ der Umsetzung, sondern um das „Wie“ geht, ist es unverständlich, wieso die Expert*innen ausschließlich Jurist*innen sind. Es werden auch sozial-, wirtschafts- und mietpolitische Sichtweisen miteinzubringen sein.
Außerdem entspricht diese rein männliche Besetzung durch die SPD auch nicht ihrem Anspruch auf Parität.

 

Wie die Kommission zukünftig arbeiten soll, erfuhr die Öffentlichkeit auch erst am letzten Tag. Das darf in der weiteren Arbeit so nicht weitergehen. Die Transparenz der Kommission und ihrer Entscheidungen muss gegeben sein.

 

Bisher zeigt sich die Berliner SPD offensichtlich nicht daran interessiert dem Wähler*innenwillen wirklich nachkommen zu wollen, sondern eher auf Zeit zu spielen und den Volksentscheid zu verschleppen.

 

Das können wir so nicht akzeptieren und rügen die Landesregierung, und insbesondere die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, für die bisherige Arbeitsweise.

  • Wir fordern eine grundsätzliche und dauerhafte Transparenz der Kommissionsarbeit und die Konzentration darauf, wie der Volksentscheid verfassungskonform umgesetzt wird – denn über das „Ob“ haben die Berliner*innen bereits entschieden. Die Transparenz soll dadurch gelingen, dass die Sitzungen per Lifestream übertragen werden und regelmäßig dem Abgeordnetenhaus Bericht erstattet wird.
  • Wir fordern, dass auch sozial-, wirtschafts-, mietpolitische und Mieterinnen Sichtweisen in die Kommissionarbeit hineingetragen werden. Dies soll durch die Anhörung, Beratung und Einbeziehung von Expertinnen geschehen. Nur auf Grundlage dieses breiten Meinungsbildes darf ein Kommissionsvorschlag entwickelt werden.
  • Zudem fordern wir die SPD Mitglieder des Abgeordnetenhauses, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen sowie unsere Bürgermeisterin auf, die Arbeit der Kommission konstruktiv, transparent und im Sinne des Volksentscheides zu begleiten und einzuwirken.
  • Am Ende ihrer Arbeit wird die Kommission einen Abschlussbericht vorlegen. Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses auf, einen aufgezeigten Weg zur Umsetzung der Vergesellschaftung unverzüglich umzusetzen und einem resultierenden Gesetzesentwurf zuzustimmen.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Kein Konsens)
Fassung der Antragskommission:

Die SPD Berlin setzt sich dafür ein, dass der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ eine transparente und verfassungskonforme Prüfung erfährt und insbesondere eine Benennung möglicher rechtssicherer Wege einer Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände unter Berücksichtigung des Gesetzesvorschlages der Initiative erfolgt. Die SPD-Abgeordnetenhausfraktion sowie die sozialdemokratischen und von der SPD vorgeschlagenen Senatsmitglieder werden aufgefordert, die Arbeit der Expert*innenkommission des Volksentscheides weiterhin im Sinne dieser Grundhaltung mit den folgenden Zielen zu begleiten:

 

  • Eine grundsätzliche und dauerhafte Transparenz der Kommissionsarbeit muss gewährleistet werden. Hierzu sollen die Sitzungen regelmäßig im Livestream übertragen und der Abgeordnetenhausfraktion Bericht über den Fortschritt erstattet werden.
  • Neben rechtlichen Erwägungen müssen auch sozial-, wirtschafts-, mietpolitische sowie Perspektiven von Mieter*innen in die Kommissionsarbeit einbezogen werden. Der Kommissionsvorschlag soll auf Grundlage dieses breiten Meinungsspektrums entwickelt werden.
  • Die Informationsinteressen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ werden berücksichtigt.
  • Der Kommissionsvorschlag muss innerhalb eines Jahres (im Frühjahr 2023) vorgelegt und im Falle eines positiven Votums für die Möglichkeit einer Vergesellschaftung soll schnellstmöglich ein Gesetz zur Umsetzung erarbeitet werden.

 

Begründung:

Am 26. September 2021 haben mehr als eine Million Berliner*innen entschieden – sie wollen die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne. Sie haben dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ zugestimmt. Dies war einer der größten Volksentscheide in der Geschichte Deutschlands.

 

Im Koalitionsvertrag der rot-grün-roten Landesregierung wurde festgelegt, dass innerhalb der ersten 100 Tage eine Expert*innenkommission, unter Einbezug von Expert*innen der Initiative, aufgestellt werden soll.

 

Die von einigen Akteur*innen kommunizierte Verfassungswidrigkeit der Vergesellschaftung nach Art. 15 GG ist in den vergangenen zwei Jahren durch unterschiedlichste Gutachten, unter anderem vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, aber auch des Abgeordnetenhauses, sowie durch diverse Verfassungsrechtler*innen, widerlegt worden.

 

Daher ist es nun die Aufgabe der Expert*innenkommission, den verfassungsrechtlichen Weg der Vergesellschaftung, für den sich die Mehrheit der Berliner*innen ausdrücklich ausgesprochen hat, konkret auszugestalten und Wege für die Umsetzung aufzuzeigen.

 

Beschluss: Beschluss des Parteitages
Text des Beschlusses:

Die SPD Berlin setzt sich dafür ein, dass der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ eine transparente und verfassungskonforme Prüfung erfährt und insbesondere eine Benennung möglicher rechtssicherer Wege einer Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände unter Berücksichtigung des Gesetzesvorschlages der Initiative erfolgt. Die SPD-Abgeordnetenhausfraktion sowie die sozialdemokratischen und von der SPD vorgeschlagenen Senatsmitglieder werden aufgefordert, die Arbeit der Expert*innenkommission des Volksentscheides weiterhin im Sinne dieser Grundhaltung mit den folgenden Zielen zu begleiten:

  • Eine grundsätzliche und dauerhafte Transparenz der Kommissionsarbeit muss gewährleistet werden. Hierzu sollen die Sitzungen regelmäßig im Livestream übertragen und der Abgeordnetenhausfraktion Bericht über den Fortschritt erstattet werden.
  • Neben rechtlichen Erwägungen müssen auch sozial-, wirtschafts-, mietpolitische sowie Perspektiven von Mieter*innen in die Kommissionsarbeit einbezogen werden. Der Kommissionsvorschlag soll auf Grundlage dieses breiten Meinungsspektrums entwickelt werden.
  • Die Informationsinteressen der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ werden berücksichtigt.
  • Der Kommissionsvorschlag muss innerhalb eines Jahres (im Frühjahr 2023) vorgelegt und im Falle eines positiven Votums für die Möglichkeit einer Vergesellschaftung soll schnellstmöglich ein Gesetz zur Umsetzung erarbeitet werden.

 

Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Stellungnahme Senat 2024:

Die Senatsverwaltung für Finanzen erarbeitet derzeit ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, das einen Rechtsrahmen sowie objektive qualitative Indikatoren und Kriterien für eine Vergesellschaftung gemäß Artikel 15 GG in den Geschäftsfeldern der Daseinsvorsorge (z. B. Wasser, Energie, Wohnen) festlegt und Grundsätze für die jeweils erforderliche angemessene Entschädigung definiert. Gleichzeitig führt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Vorarbeiten durch, um Voraussetzungen für Elemente eines möglichen Umsetzungsgesetzes im Bereich Wohnen zu prüfen. Parallel dazu verfolgt der Senat weiterhin die im Koalitionsvertrag 2023 festgelegte strategische Ankaufspolitik. Ziel ist es, den kommunalen Wohnungs- und Bodenbestand kontinuierlich zu erhöhen. Perspektivisch strebt er an, den Anteil öffentlicher Wohnungsbestände auf etwa 50 Prozent aller Berliner Mietwohnungen im gemeinwohlorientierten Segment zu steigern.

Stellungnahme AH-Fraktion 2024:

Der Abschlussbericht der Expertenkommission Vergesellschaftung wurde im Juni 2023 dem Senat vorgelegt. Die im Antrag formulierte Zeitvorgabe bis Frühling 2023 wurde somit weitgehend erfüllt. Im Koalitionsvertrag 2023-2026 ist die Verabschiedung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes festgeschrieben. Die SPD-Fraktion begleitet die hierfür vorbereitenden Arbeitsschritte im Senat – insbesondere bei der Senatsverwaltung für Finanzen und Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen – kritisch-konstruktiv.
Überweisungs-PDF: