Antrag 106/I/2021 Solidarität in der Krise: Vermögensabgabe jetzt!

Soziale Ungleichheit bekämpfen

Die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf die wachsende soziale Ungleichheit in unserem Land geworfen und diese weiter verschärft. Viele Menschen mit geringen und mittleren Einkommen gerieten durch die Pandemie in Existenznöte, während Großaktionär*innen von rasant steigenden Aktienkursen und Gewinnausschüttungen profitieren. So konnten die 119 deutschen Milliardär*innen ihr Vermögen während der Krise um rund 79 Milliarden Euro steigern. Gleichzeitig mussten viele Menschen trotz staatlicher Unterstützung auf ihre Ersparnisse zurückgreifen und Einkommensverluste hinnehmen. Das zeigt, wie massiv die Corona-Pandemie die Konzentration der Vermögen verstärkt.

 

Wie eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, wirkt sich die Krise besonders belastend auf Menschen mit niedrigen Einkommen aus. Sie leiden am stärksten unter wirtschaftlichen Sorgen, vor allem, wenn sie über wenig Vermögen verfügen. Dabei waren bereits vor der Pandemie rund ein Fünftel der Deutschen nicht in der Lage, eigenes Vermögen aufzubauen. Denn nicht erst seit Corona besteht eine dramatische Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland: Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen die obersten ein Prozent 35 Prozent des gesamten Vermögens, während die unteren 90 Prozent nur über 33 Prozent des Vermögens verfügen. Diese Ungleichheit dürfen wir nicht hinnehmen. Menschen ohne Vermögen haben eine nachweislich geringere Lebenserwartung, sind vollständig abhängig von Lohnarbeit und somit oft im Niedriglohnsektor gefangen und können nicht im gleichen Maße am Gemeinwesen teilhaben, wie Vermögende. Dies führt langfristig auch zu einer erheblichen Verschiebung politischer und gesellschaftlicher Macht. Außerdem ist es für Kinder, deren Eltern kein Vermögen besitzen, erheblich schwieriger, selbst Vermögen aufzubauen, da sie nicht erben. Dadurch leidet die soziale Mobilität: Kinder aus armen Familien haben es ungleich schwerer, aufzusteigen.

 

 Gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren

 

Wir stehen vor einer Zerreißprobe: Wenn wir eine solidarische Gesellschaft schaffen und erhalten wollen, dürfen tiefgreifende ökonomische und soziale Spannungen nicht unbeantwortet bleiben. Die Corona-Krise hat diese Spannungen weiter verstärkt. Dem müssen wir mit einer solidarischen Besteuerung entgegenwirken. Ein Teil davon sollte die Vermögensabgabe sein. Dafür kann der nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossene Lastenausgleich als positives Beispiel dienen, denn er linderte die sozialen Spannungen erheblich.

 

 In öffentliches Gemeinwesen investieren

 

Neben den sozialen Spannungen hat die Corona-Krise auch den Investitionsstau in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Pandemie hat gezeigt, dass weitere öffentliche Investitionen zur Stärkung des sozialen Gemeinwesens unabdingbar sind. Der Sparzwang und die Profitmotive der vergangenen Jahrzehnte im Gesundheitswesen haben zu einem Rückgang an Intensivbetten und erheblichem Personalmangel geführt. Auch die öffentliche Verwaltung kann ihrem Anspruch, bedarfsgerecht und schnell zu agieren, aufgrund mangelhafter Ausstattung und fehlendem Personal zu oft nicht gerecht werden. Homeschooling und Home-Office haben darüber hinaus aufgezeigt, wie essentiell flächendeckende Breitbandanschlüsse und die technische Ausstattung zu Hause sind, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

 

Bei all dem dürfen wir die größte Herausforderung unserer Zeit, den Klimawandel, nicht vergessen. Die vollständige Transformation unseres Lebens und unserer Wirtschaft erfordert immense finanzielle Anstrengungen: Allein die Energiewende wird nach Berechnungen des ifo-Institutes bis 2050 zwischen 500 und 3.000 Milliarden Euro kosten.. Diese finanziellen Aufgaben müssen gerecht verteilt werden.

 

Es ist daher offensichtlich, dass wir einen handlungsfähigen und finanzkräftigen Staat brauchen, der darauf reagieren kann. Der Investitionsstau in der Verwaltung, dem Gesundheits- und Bildungssystem und in der öffentlichen Infrastruktur darf nicht weiter bestehen – hier besteht akuter Finanzierungsbedarf. Daher können wir uns keine erneute Austeritätspolitik wie nach den letzten Finanzkrisen leisten. Die notwendigen Investitionen dürfen auch nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer*innen finanziert werden, die in Kurzarbeit, mangelhaft ausgestatteten Home-Office oder unter widrigsten Arbeitsbedingungen in den Betrieben, Krankenhäusern und Schulen ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, um während der Pandemie die Gesellschaft am Laufen zu halten.

 

Die aktuelle Bundesregierung hat bereits während der Pandemie das Dogma der schwarzen Null aufgegeben und wieder Schulden aufgenommen, um die ausfallenden Steuereinnahmen, Hilfsprogramme und Investitionen zu finanzieren. Das ist in dem aktuellen Niedrigzinsumfeld absolut richtig. Doch die Schuldenaufnahme allein kann auf Dauer keine Lösung sein. Auch wenn die Wirtschaft wieder wachsen und die Schuldenquote dadurch sinken wird, braucht der Staat auf Dauer neue Einnahmequellen, um den Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte gerecht zu werden. Darüber hinaus wird Schuldenaufnahme nicht die eklatante Vermögensungleichheit und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft beheben.  Die gerechteste und ökonomisch sinnvollste Lösung ist daher eine Vermögensabgabe, mit der die reichsten Menschen unserer Gesellschaft ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise und der kommenden Herausforderungen leisten sollen.

 

Wir fordern daher die Einführung einer Vermögensabgabe auf alle Privatvermögen ab 2 Mio. Euro und auf alle Unternehmensvermögen ab 5 Mio. Euro. Die Vermögensabgabe startet bei 10% und steigt linear-progressiv auf 30% ab einem Vermögen von 50 Mio. Euro an. Die Vermögensabgabe wird in jährlichen Raten über 20 Jahre gezahlt. Die Vermögensabgabe soll bei immobilem Kapital und Unternehmensbeteiligungen auch in Form von staatlichen Anteilen geleistet werden können. 

 

Wir fordern, dass die Erlöse der Vermögensabgabe einem gesonderten Investitionsfonds zugeführt werden, um zu garantieren, dass die Mittel zweckgebunden für die gewünschten Investitionen genutzt werden und nicht, um Löcher im laufenden Bundeshaushalt zu stopfen. 

 

 Erhebliches Aufkommen trotz großzügiger Freibeträge

 

Bei unserer Ausgestaltung orientieren wir uns an Simulationsrechnungen des DIW Berlin. Im Gegensatz zur Vermögenssteuer wird die Vermögensabgabe nur einmalig auf den Vermögensbestand erhoben.  Es ist uns dabei wichtig, dass nur die obersten Prozente der Vermögenden in Deutschland betroffen sind, um die gewünschte Umverteilungsdynamik zu erzielen. Familien mit Einfamilienhaus und kleine Betriebe werden durch die Freibeträge geschützt. Verluste durch die Corona-Krise sollen ebenfalls berücksichtigt werden. Da die Vermögen in Deutschland sehr stark auf die oberen 10 Prozent konzentriert sind, kann die Vermögensabgabe trotz der hohen Freibeträge ein erhebliches Aufkommen generieren. Die Berechnung des DIW geht für unser Modell von einem Aufkommen von 338 Milliarden Euro aus. Indem wir den Stichtag für die Bemessung des Vermögens in die Vergangenheit (den Start der Corona-Pandemie) legen, verhindern wir, dass Vermögende der Abgabe ausweichen.

 

 Konkretes Konzept und Ausgestaltung 

 

Abgabepflichtig sind alle individuellen natürliche Personen. Natürliche Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Inland sind unbeschränkt abgabepflichtig. Beschränkt Abgabepflichtig sind natürliche Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Ausland mit inländischem Vermögen. Eine gemeinsame Veranlagung von Ehepartner*innen oder Lebenspartner*innen ist nicht vorgesehen. Es wird kein Kinderfreibetrag gewährt. Juristische Personen sind grundsätzlich nicht abgabepflichtig.

 

Die Bemessungsgrundlage der Vermögensabgabe ist das individuelle in- und ausländische Nettovermögen der natürlichen Person. Das Individuelle Nettovermögen errechnet sich aus der Differenz zwischen den abgabepflichtigen Vermögenswerten und darauf lastenden Verbindlichkeiten. Die Ermittlung und Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sollen sich grundsätzlich an den Vorschriften des Bewertungsgesetzes orientieren.

 

Der Tarif der Vermögensabgabe soll linear-progressiv gestaltet sein: Dieser beginnt mit 10 Prozent und steigt mit höheren abgabepflichtigen Nettovermögen bis auf 30 Prozent. Ab einem abgabepflichtigen Nettovermögen von 50 Millionen soll der Spitzen- Abgabesatz von 30 Prozent einsetzen.

 

Der persönliche individuelle Freibetrag beträgt zwei Millionen Euro vom abgabepflichtigen Vermögen. Für Betriebsvermögen und wesentlichen Beteiligungen (mindestens 25 Prozent) an Kapitalgesellschaften sind ein gesonderter Freibetrag in Höhe von fünf Millionen Euro vorgesehen. Es sollen die aktuellen Regelungen des Erbschaftsrechts analog für die Gewährung von Freibeträgen angewendet werden.

 

Die Vermögensabgabe soll auf das abgabepflichtige Nettovermögen zum 01. Januar 2020 festgesetzt und erhoben werden. Auf Antrag kann als alternativer Stichtag der 01. Januar 2022 gewählten werden, sofern der Abgabepflichtige glaubhaft nachweisen kann, dass sein Vermögen seit dem 01. Januar 2020 im Zuge der Covid-Pandemie mittelbar gesunken ist und sein abgabepflichtiges Nettovermögen zum 01. Januar 2020 niedriger ist als zum 01. Januar 2020. Der Missbrauch dieser Ausnahmeregelung soll unterbunden werden. Die Steuerzahlung wird auf 20 Jahre gestreckt.

 

Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass die derzeitigen Vermögensunterschiede moralisch nicht zu rechtfertigen sind. Wer betroffen von der Vermögensabgabe ist, hat diese Vermögen egal ob direkt durch Unternehmensbesitz, Immobiliengeschäfte oder Geschäfte auf dem Finanzmarkt, oder indirekt durch Erbschaft, als Resultat der gesammelten Arbeitskraft anderer erlangt . Die Vermögensabgabe kann nur der Startschuss für eine größer angelegte radikalere Umverteilung sein, die die kapitalistische Verteilungslogik in ihren Grundsätzen adressiert.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)