Die Begriffe „Ehe und Familie“ stehen schon lange nicht mehr nur für Mutter, Vater, Kind
Seit Jahren kämpft die SPD für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und damit der Ehe für alle. Doch was von den konservativen Parteien noch als zu gewagter Schritt gesehen wird, ist in der heutigen Zeit nicht mehr weit genug gedacht. Seit Jahrzehnten erleben wir die Öffnung der Gesellschaft, immer mehr Menschen brechen aus den Lebensmodellen der vergangenen Generationen aus und leben in Lebensgemeinschaften verschiedenster Art zusammen. Dabei geht es nicht nur um die stetig sinkende Zahl der Eheschließungen oder die steigende Zahl der Singlehaushalte in Deutschland, sondern um Lebensmodelle, wie Co-Parenting, polyamore Haushalte etc. Schon lange sind monogame Partner*innenschaften nicht mehr die einzige Form des Zusammenlebens – zum Glück. Als feministischer Verband, stehen wir für Toleranz und Respekt gegenüber jeglichen Lebensmodellen, auch solchen die nicht nur eine romantische Zweierbeziehung als Basis haben. Anders sieht es im Wahlprogramm der SPD aus, dort sollen Familien und Alleinerziehende stärker gefördert werden. Diese Forderung unterstützen wir als Jusos selbstverständlich. Doch wie sieht es mit den Menschen aus, die alternative Lebensmodelle wählen?
Immer noch sind verheiratete Menschen in Deutschland im Falle des Ablebens, Krankheits- oder andere schweren Fällen besser abgesichert und werden steuerlich mehr entlastet als trauscheinlose Menschen. Zwar gab es in den vergangenen Jahren bereits einige Verbesserungen, aber diese reichen bei weitem nicht aus, um allen Lebensgemeinschaften gleiche oder zumindest ähnliche Rechte zu gewähren. So erhält bei einem schlimmen Unfall der*die Partner*in, ohne Nachweis, keinerlei Informationen über den Gesundheitszustand seines*r Partners*in. Selbst das Aufsetzen eines Partnerschaftsvertrages, in dem geregelt werden kann, wie mit Erbe, Versicherungen, gemeinsamen Kindern und dem Eigenheim umgegangen wird, hilft in der Notaufnahme eines Krankenhauses wenig.
Wir fordern daher die gleichen Rechtssicherheiten, Sorgerechts und Erbansprüche für alle Lebensgemeinschaften. Zudem fordern wir, dass steuerliche Entlastungen nur Lebensgemeinschaften mit Kindern gewährt werden.
Nach dem Vorbild des “pacte civil de solidarité” Rechtssicherheit für alle Lebensgemeinschaften schaffen
In Frankreich gibt es seit 1999 den “pacte civil de solidarité” (PACS), der eine zivilrechtliche Partnerschaft mit Gütergemeinschaft, gemeinsamer steuerlicher Veranlagung und steuerlich günstigeren Erbbestimmungen ermöglicht. Der PACS ist dabei nicht abhängig vom Geschlecht der Partner*innen. Im Zuge des zivilen Solidaritätspaktes verpflichten sich die Partner*innen zu gegenseitiger Hilfe, wobei den Partner*innen bei der Regelung dieser Hilfspflichten Freiheiten für die individuelle Ausgestaltung in Detailfragen offen stehen. Die individuelle Ausgestaltung sehen viele der Paare als größten Vorteil, schließlich haben sie sich bewusst gegen eine Ehe – freiwillig oder unfreiwillig aufgrund von fehlenden Rechten – entschieden. Im PACS bestimmen die Partner selbst – allenfalls mit Hilfe eines*r Notars*in –, wie detailliert sie ihr Leben regeln und vertraglich festhalten wollen. So obliegt es ihnen, ob sie zum Beispiel im Falle einer Trennung eine Güterteilung festlegen wollen oder nicht oder wie sie einander gegenseitige und materielle Hilfe leisten wollen. Gewählt werden kann in diesem Fall zwischen einem fixen Anteil des Vermögens einem frei bestimmbaren Betrag. Zudem sind Partner*innen, die in Frankreich einen PACs abschließt in Erb- und Steuerfragen den Verheirateten gleichgestellt. Beim PAC geht es jedoch nicht nur um materielle Sicherheit, sondern auch um die Anerkennung und Toleranz verschiedenster Lebensgemeinschaften.
Doch auch mit dem PACS ist nicht alles möglich. Nachwievor können die Partner*innen gemeinsam keine Kinder adoptieren, wobei in Frankreich mittlerweile eine Kinderadoption durch eine Einzelperson erlaubt ist. Zudem kann der Vertrag nur zwischen zwei Partner*innen und nicht mehreren, was alle polyamoren Beziehungen ausschließt geschlossen werden. Des Weiteren muss eine eidesstattliche Erklärung über einen gemeinsamen Wohnsitz vorliegen, was in einigen Lebensgemeinschaften nicht der Fall ist. Zudem wird der PACS außerhalb Frankreichs nicht in der gleichen Form anerkannt.
Nichtsdestotrotz entscheiden sich in Frankreich mittlerweile über 40% der Paare für den PACS, um ihre Partner*innenschaft rechtlich abzusichern. Denn auch vom bürokratischen Aufwand her ist der PACS so angelegt, dass er auf Partner*innen keinesfalls abschreckend wirkt. Mit einem einzigen Formular, das ausgefüllt und unterschrieben, beim Amtsgericht abgegeben werden muss, hält sich der Aufwand und damit die Hürde in überschaubaren Maße. So rasch und so einfach wie der Vertrag geschlossen werden kann, so leicht lässt er sich auch wieder auflösen. Es reicht eine kurze Mitteilung ans Gericht.
Mit dem unbürokratischen Verfahren und freier Wählbarkeit der Details wird der PAC den Bedürfnissen nach einer freien Gesellschaft ohne zivil- und familienrechtliche Zwänge gerecht.
Wir fordern jedoch noch einen Schritt weiter zu gehen und auch den festen gemeinsame Wohnsitz, die Beschränkung auf zwei Personen, den Ausschluss vom Adoptionsrecht und die vorgeschriebene Festlegung des Geschlechts aus dem PAC rauszunehmen und in dieser Form für Deutschland einzuführen. Darüber hinaus sind im Ausland geschlossene PACs oder vergleichbare Vereinbarungen in Deutschland anzuerkennen.
Wir fordern die freie Wahl der Lebensgemeinschaft, ohne Benachteiligungen oder Einschränkungen der Rechte und damit eine tolerante, solidarische und freie Form der Lebensgestaltung!