Privatschulen nehmen in Deutschland an Popularität zu. In Berlin besucht jedes zehnte Schulkind eine Privatschule. So hat Berlin mittlerweile den zweitgrößten Anteil an Privatschulen im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Dabei sind die Beweggründe divers. Jedoch ist zu beobachten, dass vermehrt Eltern aus dem bürgerlich-progressiven Milieu überdurchschnittlich viel Zeit und Energie in die Auswahl der jeweiligen Bildungseinrichtungen investieren. Hierbei werden Kindertagesstätten und Schulen mit bestmöglicher Ausstattung, innovativen Bildungsmethoden und progressivem Ethos bevorzugt, wobei bewusst oder unbewusst der Umgang mit weniger privilegierten Schüler*innen und BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) verringert wird.
Die Diversität unserer Gesellschaft, die sich an öffentlichen Schuleinrichtungen widerspiegelt, wird auch trotz gesetzlicher Vorschriften (insb. die des Sonderungsverbots) an Privatschulen nicht annähernd abgebildet. Hinzu kommt, dass an öffentlichen Schulen durchschnittlich deutlich weniger Geld pro Schüler*in ausgegeben wird als an privaten Schulen. Der Eindruck, dass Privatschüler*innen dadurch nicht nur bevorzugt, sondern auch noch belohnt werden, lässt sich dadurch erhärten.
Wir halten nach wie vor an Gemeinschaftsschulen als Regelschulen fest und haben das Ziel, Privatschulen langfristig abzuschaffen.
Dennoch wird der Prozess der Abschaffung von Privatschulen nicht von heute auf morgen vollzogen werden können. Viele Schüler*innen würden durch eine schnelle Abschaffung aus ihrem sozialen Gefüge gerissen werden. Privatschulen schaffen in einigen Fällen Sicherheit oder können auf Bedürfnisse eingehen, die im öffentlichen System bislang nicht berücksichtigt werden. So machen bspw. jene Privatschulen zur Zeit Sinn, wo religiös Verfolgte oder bedrohte Gruppen auch private Bildungseinrichtungen mit Security-Service errichten können. Gleichzeitig ist es traurig, dass es diesen Schutzraum überhaupt bedarf aber er ist in der jetzigen politischen Situation unabdingbar. Es muss aber unser langfristiges Ziel bleiben, diese Schutzräume überflüssig zu machen und Privatschulen abzuschaffen. Sie dürfen nicht als Rückfalloption für staatliches und gesellschaftliches Versagen an einigen Stellen bestehen, auch wenn dies zur Zeit nötig erscheint. Nichtsdestotrotz sind Privatschulen in der jetzigen Form für uns nicht tragbar.
Es kann nicht geleugnet werden, dass Privatschulen wesentlich weniger BIPoC und Kinder aus Sozialhilfeempfänger*innenhaushalten aufnehmen als öffentliche Regelschulen. Nämlich nur 8% statt wie an öffentlichen Schulen 36%. Privatschulen (meist konfessionell gebundene oder freie Einrichtungen, etwa Montessorischulen) sind hierbei nicht nur passiver Träger dieser Segregation, sondern treiben diese durch Zugangshürden für sozioökonomisch schwache Bewerber*innen (typischerweise monatliche Schulgelder im niedrigen dreistelligen Bereich) aktiv voran.
Diese Trennung zwischen den finanziell stärkeren und schwächeren Schüler*innen steht konträr zum sozialdemokratischen Grundanliegen der chancengleichen und inklusiven Bildung.
Wie also damit umgehen? Hierbei muss nochmal explizit zwischen Grundschulen und weiterführenden Schulen unterschieden werden – wie es auch im Gesetz geschieht.
1: Grundschulen
Bei der Genehmigung von privaten Grundschulen muss neben anderer Voraussetzungen, die bei weiterführenden Schulen gelten, zudem ein „besonderes pädagogisches Interesse“ vorliegen oder Eltern die Errichtung einer Gemeinschafts-Bekenntnis oder Weltanschauungsschule beantragen und dabei keine öffentliche Grundschule dieser Art in zumutbarer Nähe sein. Diese Formulierungen zeigen, dass private Grundschulen als die strikte Ausnahme vorgesehen sind. Dennoch gibt es in Berlin zurzeit ca. 75 private Grundschulen. Eine Zahl, die fast ein Fünftel aller Grundschulen in Berlin ausmacht. Dabei erfüllt kaum eine dieser Schulen das Sonderungsverbot. Bei 75 von 400 Grundschulen drängt sich zudem die Frage auf, ob Privatschulen nicht mehr und mehr zur Regel als zur strikten Ausnahme werden.
Grundschulen spiegeln die Gesellschaft von übermorgen wider, weshalb es umso schädlicher ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn eine Grundschule nicht die Vielfalt der jetzigen Gesellschaft in allen Facetten abbildet.
2: Weiterführende Schulen
Es bleibt nach wie vor oberstes Ziel, dass wir uns für den Ausbau und Umwandlung von inklusiven Gemeinschaftsschulen einsetzen. Langfristig soll in Berlin das Gemeinschaftsschulmodell das bestimmende in der Schullandschaft sein. Wir erkennen jedoch auch, dass sie in der jetzigen Situation für religiös verfolgte und bedrohte Gruppen sowie für Schüler*innen mit einer starken geistigen oder motorischen Beeinträchtigung Privatschulen eine notwendige Ergänzung darstellen. Mit Ausnahme dieser beiden Schwerpunkte einer Schule ist jedoch jede weitere Errichtung einer Privatschule restriktiv zu genehmigen und dabei muss zudem das Sonderungsverbot nicht nur eingehalten, sondern auch kontrolliert werden. Zudem ist eine Genehmigung bei Nichteinhaltung und einer damit verbundenen Verschärfung der Bildungsungleichhalten sofort zu widerrufen. Zudem bedarf es an jeder Schule in freier Trägerschaft eine einheitliche, transparente und nachvollziehbare Schulgeldtabelle.
Deshalb fordern wir unsere Mitglieder des Abgeordnetenhauses sowie des Berliner Senats und die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie auf:
- Das grundgesetzliche Sonderungsverbot für Schulen mit freier Trägerschaft entschlossen durchzusetzen und entsprechende Kontrollinstanzen zu stärken.
- Dass alle privaten Schulen in Abhängigkeit zu den tatsächlichen Entwicklungen den gleichen Anteil an BPoC und sozial benachteiligten Kindern aufweisen wie an öffentlichen Schulen. Sollte diese Quote nicht erfüllt werden, müssen die staatlichen Fördergelder stark reduziert und die Genehmigung überprüft werden.
Ausgenommen von einer solchen Quote sind private Schulen mit einem sonderpädagogischen Schwerpunkt und für religiös stigmatisierte und bedrohte Gruppen. - Dass eine verfassungsnotwendige Schulgeldgrenze endlich erarbeitet und eingeführt wird, welche transparent und nachvollziehbar ist.
- Dass ab sofort alle privaten Grundschulen, die sich nicht an das Sonderungsverbot halten und kein besonderes pädagogisches Interesse nachweisen können, die Genehmigung verlieren.
- Dass die öffentliche Datenlage zur sozialen Zusammensetzung der Schüler*innenschaft an Privatschulen verbessert wird und Schulen in freier Trägerschaft zur Datenerhebung verpflichtet werden.
- Dass grundsätzlich nicht mehr umfassendere staatliche Fördergelder pro Schüler*in an privaten Schulen zur Verfügung gestellt werden als an öffentlichen Schulen.
- Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat und Abgeordnetenhaus sind daher aufgefordert, die verfassungsrechtliche Voraussetzung des Artikel 7 Absatz 5 Grundgesetz zu konkretisieren und verstärkt zu kontrollieren. Insbesondere muss bei der Genehmigung vermehrt das Schulprogramm in den Blick genommen und mit nahegelegenen Grundschulen abgeglichen werden. Dabei sollen die Einschulbezirke
zur Maßgeblichen Bezugsgröße werden. Auch ist bei der Überprüfung der Genehmigung verstärkt die soziale Zusammensetzung der Schüler*innenschaft anzuschauen. Dabei sind insbesondere auf gemeinnütziger Grundlage arbeitende Träger sowie Konzepte zu bevorzugen, die sich der Integration und Inklusion verschreiben. - Dass die scheinbare Notwendigkeit der bestehenden Privatschulen mit sonderpädagogischen Schwerpunkt und für religiös stigmatisierte und bedrohte Gruppen obsolet wird, indem öffentliche Schulen diesen existierenden Schwierigkeiten besser begegnen und hierfür die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, um Privatschulen langfristig endgültig abzuschaffen.