Antrag 149/I/2020 Presse- und Meinungsfreiheit und -vielfalt schützen – Soziale Medienplattformen nicht für Gewaltaufrufe missbrauchen!

Status:
Annahme mit Änderungen

Am 14. August 2017 in Folge des G20-Gipfels in Hamburg wurde die Website  linksunten.indymedia vom Bundesministerium des Innern verboten. Das Verbot nach dem Vereinsrecht durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière stellte das erste Verbot einer “linksextremistischen Vereinigung” dar. Das Verbot basierte maßgeblich auf der Einschätzung des damals von Hans Georg Maaßen geführten Verfassungsschutzes, laut dem die gesamte Plattform als ‘verfassungsfeindlich’ einzustufen sei.

 

Das Verbot der Website halten wir für nicht gerechtfertigt. Das Bundesinnenministerium argumentierte in der Verbotsverfügung, dass die mutmaßlichen Betreiber*innen sich zu einem, den Strafgesetzen zuwiderlaufenden Zweck, zusammengeschlossen hätten. Ziel der Plattform sei die „Schaffung einer linken Gegenöffentlichkeit“, unter anderem durch die Veröffentlichung von Gewaltaufrufen und anderen verbotenen Inhalten. Deshalb habe das Betreiber*innenkollektiv eine Vereinigung gebildet, auf die das Vereinsrecht anwendbar sei. Die Betroffenen reichten gegen das Verbot der Plattform Klage ein und scheiterten damit im Januar 2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Begründung des Gerichts lag darin, dass die mutmaßlichen Betreiber*innen als Einzelpersonen nicht klageberechtigt seien. Um im Prozess klageberechtigt zu sein,  müssten sie sich laut Gericht als Mitglieder des mutmaßlichen Vereins bekennen, was vor dem Hintergrund der damit zusammenhängenden drohenden Strafverfolgung unmöglich erscheint. Die bisher laufenden Verwahren gegen die fünf Betroffenen wurden aufgrund des Mangels an Beweisen eingestellt. Auf eine materielle Prüfung der Vorwürfe verzichtete das Gericht ausdrücklich.

 

Linksunten.indymedia war eine Open-Posting-Plattform, das heißt, jede*r konnte dort eigene Inhalte anonym veröffentlichen. Die Inhalte umfassten größtenteils linke Theoriedebatten, Demonstrationsaufrufe und antifaschistische Recherchen, die auch von traditionellen Medien als Grundlage ihrer Berichterstattung genutzt wurden. Deshalb stellt linksunten.indymedia keine Vereinigung mit verbotenem Zweck, wie der Veröffentlichen von z.B. Gewaltaufrufen, sondern eine publizistische Plattform dar, die im Rahmen des Rundfunkstaatsvertrags zu behandeln und durch die Pressefreiheit geschützt ist. Wir sehen in dem Verbot von linksunten.indymedia somit einen schweren Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit, da damit durch eine fragwürdige Berufung auf das Vereinsrecht eine journalistische Plattform durch die Hintertür  verboten wird.

 

Einzelne Beiträge auf der Plattform mögen als verfassungsfeindlich einzustufen sein. Allerdings wurde gegen diese nicht einzelnen juristisch vorgegangen und die unterstellte Strafbarkeit somit nicht durch ein Gericht festgestellt – stattdessen wurde einfach die gesamte Plattform verboten.

 

Das Verbot war unmittelbar aus den Vorfällen bei G20 motiviert. Dies ist beunruhigend, da somit die Presse- und Meinungsfreiheit aus politischem Kalkül eingeschränkt wird. Die Argumentation des Bundesinnenministerium fußt dabei darauf, dass die Betreiber*innen diese verfassungsfeindlichen Inhalte nicht entfernten. Da allerdings keine Aussagen darüber vorliegen, wie groß der Anteil dieser mutmaßlich verfassungsfeindlichen Beiträge auf der Plattform war, schafft der Fall linksunten.indymedia einen besorgniserregenden Präzedenzfall. Basierend auf der Argumentation, dass einzelne mutmaßlich verfassungsfeindliche Beiträge auf einer Plattform ausreichen, um diese zu verbieten, müssten konsequenterweise auch andere Plattformen wie beispielsweise Facebook verboten werden, da dort regelmäßig Todesdrohungen und klare Bekenntnisse gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung publiziert werden. Die Argumentation zum Verbot von linksunten.indymedia ist insbesondere vor dem aktuellen gesellschaftlichen Hintergrund bemerkenswert. Während das Bundesinnenministerium fast 30 Jahre braucht um eine militante Neonazi-Organisation zu verbieten, reicht hier im Falle einer linken Plattform eine mehr als schwammige Argumentation. Wir stellen uns entscheiden gegen solch eine Instrumentalisierung des Vereinsrechts.

 

Wir sehen das Verbot von linksunten.indymedia daher als massiven Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit. Insbesondere sehen wir auch die dort angewendete Argumentation und Vorgehensweise, die Plattform über den Umweg des Vereinsrecht es zu verbieten, als höchst problematisch an. Denn dies öffnet die Tür dahingehend, dass auch in Zukunft kritische Portale selektiv mit Berufung auf das Vereinsrecht verboten werden könnten. Wir fordern daher die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestags und insbesondere der Bundesregierung auf, auf eine Rücknahme des Verbots der Plattform linksunten.indymedia hinzuwirken und so die Presse- und Meinungsfreiheit zu stärken.

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

LPT I-2020 – Überweisen an ASJ – Votum ASJ Berlin: Annahme in geänderter Fassung

___

Presse- und Meinungsfreiheit und -vielfalt schützen – Soziale Medienplattformen nicht für Gewaltaufrufe missbrauchen!

 

Wir unterstützen die Presse- und Meinungsfreiheit auch in sozialen Netzwerken und auf social-media Plattformen als wichtigen Beitrag einer lebendigen Demokratie. Open Publishing wie das Netzwerk Indymedia bieten vielen die Möglichkeit einer Gegenöffentlichkeit zu den großen Medien. Wir lehnen jede Form von Gewaltaufrufen auch in sozialen Netzwerken und auf social-media Plattformen ab.

 

Verbote und Beschränkungen der Pressefreiheit in sozialen Medien müssen den erhöhten Anforderungen des Telemediengesetzes genügen und können nicht allein auf das Vereinsrecht gestützt werden. Die Presse- und Meinungsfreiheit findet jedoch dort ihre Grenzen, wo im Rahmen von im Open Publishing Aufrufe zu Gewalt und Terroranschlägen uneingeschränkt verbreitet werden. Eine Gruppe von Personen, die sich zu dem gemeinsamen Zweck verbindet, eine Medienplattform bereitzustellen, auf der jede/r ungefiltert Beträge auch zu Gewaltaufrufen und Terroranschlägen veröffentlichen kann, kann den Anforderungen des Vereinsrechts und nicht nur des Telemedienrechts unterliegen. Es bedarf stets einer sorgfältigen Abwägung.

 

Begründung

Durch das 1999 gegründete weltweite Netzwek Indymedia Open Publishing wurde die Möglichkeit geschaffen, eigene Beobachtungen, Berichte, Meinungen online zu veröffentlichen und damit ein Gegengewicht zu den großen Medien zu begründen, indem Aktivist*innen und Journalist*innen eine selbst über ihre Proteste gegen das WTO-Treffen berichteten. Demos und Aktionen können in Bild und Text festgehalten werden – und zwar von jedem, der etwas veröffentlichen wollte, ohne redaktionelle Vorgaben.

 

Linksunten.indymedia wurde subdomain gegründet und verstand sich nach dem Gründungsaufruf selbst als Zusammenschluss radikaler Linker, die in autonomen Gruppen organisiert ist und sich als Teil antikapitalistischer und libertärer Bewegungen bestand. Die Plattform verbreitete ungeprüft zahlreiche Aufrufe zur Gewalt, so etwa die Veröffentlichung von Bekennerschreiben nach den Brandanschlägen auf Berliner Bahnanlagen 2011, Sachbeschädigungen an der Bundeszentrale der SPD 2013 sowie der Hamburger Messe im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg 2017. Auch Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails, Beleidigungen und Aufrufe zu Straftaten wurden dort veröffentlicht, letztere nach Einschätzung des Bundesinnenministeriums „nahezu täglich“. Artikel enthielten außerdem Drohungen gegen Personen des öffentlichen Lebens, z. B. gab es 2016 Morddrohungen gegen den damaligen Berliner Innenminister Frank Henkel. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes habe die Moderation „in aller Regel, trotz Kenntnisnahme auch offensichtlich strafrechtlich relevanter Beiträge keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, diese Beiträge von der Website zu entfernen“. Auf Indymedia Linksunten wurden auch Realnamen von enttarnten Verdeckten Ermittlern offen genannt, etwa auf Fotos der Roten Flora, die in Tageszeitungen unkenntlich gemacht wurden.

 

Die Plattform wurde 2017 durch den Bundesinnenminister verboten. Die hiergegen erhobene Klage hat das Bundesverwaltungsgericht 2020 abgewiesen. Über die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde ist noch nicht entschieden wurden. Das Verbot war umstritten. Während der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas das Verbot als wichtigen Schlag gegen den gewaltbereiten Linksextremismus begrüßte, wurde das Verbot von verschiedenen Organisationen als rechtsstaatlich bedenklicher Eingriff in die Pressefreiheit kritisiert.

 

Die SPD ist selbst als Opfer von Anschlägen geworden, die von linksunten.indymedia durch Bekennerschreiben gerechtfertigt wurden. Eine Rücknahme des Verbots dieser Plattform ist nicht gerechtfertigt.

Beschluss: Annahme mit Änderungen
Text des Beschlusses:

Wir unterstützen die Presse- und Meinungsfreiheit auch in sozialen Netzwerken und auf social-media Plattformen als wichtigen Beitrag einer lebendigen Demokratie. Open Publishing wie das Netzwerk Indymedia bieten vielen die Möglichkeit einer Gegenöffentlichkeit zu den großen Medien. Wir lehnen jede Form von Gewaltaufrufen auch in sozialen Netzwerken und auf social-media Plattformen ab.

 

Verbote und Beschränkungen der Pressefreiheit in sozialen Medien müssen den erhöhten Anforderungen des Telemediengesetzes genügen und können nicht allein auf das Vereinsrecht gestützt werden. Die Presse- und Meinungsfreiheit findet jedoch dort ihre Grenzen, wo im Rahmen von im Open Publishing Aufrufe zu Gewalt und Terroranschlägen uneingeschränkt verbreitet werden. Eine Gruppe von Personen, die sich zu dem gemeinsamen Zweck verbindet, eine Medienplattform bereitzustellen, auf der jede/r ungefiltert Beträge auch zu Gewaltaufrufen und Terroranschlägen veröffentlichen kann, kann den Anforderungen des Vereinsrechts und nicht nur des Telemedienrechts unterliegen. Es bedarf stets einer sorgfältigen Abwägung.

Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Beschluss des BPT 2021: erledigt durch Zukunftsprogramm, Kap. III. Digitale Souveränität in 2 Deutschland und Europa
Überweisungs-PDF: