Die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages sowie die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, das „Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes“ nicht zu ändern.
LPT I-2020: Überweisen an ASJ
Votum ASJ Berlin: Zurückverweisung an die Antragstellerin.
Begründung:
Anlass des Antrages dürften im Sommer 2020 erhobene Forderungen – insbesondere aus dem Lager der Union – sein, die Regelungen zur Bannmeile und zum Demonstrationsverbot um das Reichstagsgebäude herum zu verschärfen, nachdem Demonstrant*innen erfolglos versucht hatten, in das Gebäude einzudringen. Gefordert wurde zeitweise, Demonstrationen im befriedeten Bezirk um das Parlamentsgebäude ausnahmslos zu verbieten.
Derzeit sind Versammlungen im befriedeten Bezirk um das Reichstagsgebäude grundsätzlich verboten, aber zuzulassen, wenn Beeinträchtigung des Parlamentsbetriebes nicht zu besorgen sind (§ 3 Abs. 1 BefBezG). Insbesondere sind damit Demonstrationen in der unmittelbaren Nähe des Reichstagsgebäudes an Wochenenden und in sitzungsfreien Wochen derzeit grundsätzlich möglich.
Der Antrag wird so verstanden, dass diese Forderungen nach einem ausnahmslosen Demonstrationsverbot im befriedeten Gebiet um das Reichstagsgebäude abgelehnt werden sollen.
Formell und inhaltlich regen wir an, dass die Antragsteller*innen den Antrag überarbeiten.
Die ASJ Berlin unterstützt grundsätzlich die Intention des Antrages, dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit als unentbehrlichem Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens und als Recht der Bürger*innen, aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess teilnehmen zu können, gerade auch dadurch Gewicht zu verleihen, dass Demonstrationen auch symbolisch bedeutsam in Sichtweite des Parlamentes möglich bleiben müssen.
Auch die Versammlungsfreiheit steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass sie zum Schutz anderer, besonders bedeutender Rechtsgüter – hier der Arbeitsfähigkeit des Parlaments – verhältnismäßigen Einschränkungen unterliegt. Das BefBezG trägt diesem Interessenausgleich Rechnung, und zwar zum einen dadurch, dass Versammlungen zuzulassen sind, wenn eine Beeinträchtigung des Parlamentsbetriebes nicht zu besorgen ist, zum anderen durch den engen Zuschnitt des befriedeten Bezirks an sich. Beispielsweise kann eine Versammlung, die aufgrund des BefBezG im befriedeten Gebiet verboten ist, nach geltender Rechtslage immer noch in Sichtweite des Reichstagsgebäudes stattfinden, nämlich auf dem Gelände südlich des Bundeskanzleramtes (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 18.11.2020, Aktenzeichen 1 L 396/20).
Gleichzeitig steht außer Frage, dass der Bundestag seiner verfassungsmäßigen Pflicht als Gesetzgeber nachkommen können muss. Dazu ist es erforderlich, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments und das freie Mandat der Abgeordneten zu schützen. Das erfordert wirksame Maßnahmen zur Abwehr von Störungen sowohl im Reichstagsgebäude als auch in den anderen Parlamentsgebäuden – und zwar nicht nur während Sitzungswochen, sondern zum Schutz der Mitarbeiter*innen der Abgeordneten, der Fraktionen und der Bundestagsverwaltung auch in der sitzungsfreien Zeit.
Unerlässlich ist dafür in erster Linie eine gute Zusammenarbeit zwischen der Bundestagspolizei, die für die Sicherheit innerhalb der Gebäude zuständig ist, und der Polizei des Landes Berlin. Wir begrüßen daher den Einsatz von Innensenator Andreas Geisel, diese Zusammenarbeit weiter zu verbessern, und den erfolgreichen Abschluss einer entsprechenden Verwaltungsvereinbarung mit der Bundestagsverwaltung (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-01/reichstagsgebaeude-bundestag-reichsbuerger-extremismus-schutz-sicherheit).
Der Antrag in seiner vorliegenden Fassung gibt nicht hinreichend klar zu erkennen, dass er den Zweck verfolgt, Demonstrationen in der unmittelbaren Nähe des Reichstagsgebäudes weiterhin grundsätzlich zu ermöglichen und sich damit gegen anderslautende Forderungen insbesondere aus der Union richtet. Seinem Wortlaut nach richtet er sich vielmehr gegen jegliche Änderung des BefBezG unabhängig von ihrer Zielrichtung.
In formeller Hinsicht sollte der Titel des Antrages überarbeitet werden.
Ferner sollte bedacht werden, ob es erforderlich ist, dass der Antrag auch die Mitglieder der Bundesregierung adressiert. Üblicherweise werden gesetzliche Regelungen, die das Parlament betreffen, aus der Mitte des Bundestages eingebracht und nicht als Regierungsinitiative, um die sich aus dem freien Mandat ergebende Selbstverwaltung zu beachten.
Die sozialdemokratischen Mitglieder des Bundestages sowie die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, das „Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes“ nicht zu ändern.