Zum 1. Januar 2023 ersetzte die Ampelkoalition das alte Hartz-IV System durch das neue Bürgergeld. Dies führte zu einigen Verbesserungen für Arbeitssuchende: Etwa wurde der Regelsatz erhöht, Freibeträge angehoben und die Sanktionen und Mitwirkungspflichten entschärft. Gleichzeitig hielt diese Reform weiterhin an unsolidarischen Regelungen fest: Für uns war und ist klar, dass alle Sanktionen abgeschafft gehören und wir eine deutliche Heraufsetzung der Regelsätze benötigen, welche tatsächlich ein würdevolles Leben ermöglicht.
Seitdem hat sich eine vollkommen ekelhafte Debatte um Bürgergeld-Empfänger*innen entwickelt: Insbesondere die CDU, FDP und AfD spielt Arbeitnehmer*innen in prekären Beschäftigungsverhältnissen und Empfänger*innen von Sozialleistungen immer wieder gegeneinander aus, anstatt Verbesserungen für beide Gruppen zu erreichen. So sprach der CDU-Generalsekretär Linnemann erst vor kurzer Zeit von einigen Bürgergeld-Empfänger*innen als ,,Arbeitsunwilligen” und erniedrigte Menschen, die auf die Unterstützung des Staates angewiesen sind, so auf abwertende Weise. Damit nicht genug, forderte er darüber hinaus, Menschen, die Angebote des Arbeitsamts ablehnen, nicht nur zu sanktionieren, sondern ihnen selbst die Grundsicherung komplett zu streichen, was grundgesetzwidrig ist!
In ihrem kapitalistischen Weltbild ist das durchaus logisch: Je weniger der Sozialstaat Menschen vor dem sozialen Abstieg bewahren kann, desto stärker wirkt der Arbeitszwang und desto schutzloser sind Arbeitnehmer*innen der kapitalistischen Ausbeutung ausgesetzt. Das können und dürfen wir so nie unwidersprochen lassen und hinnehmen! Insbesondere aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation, die von Stellenabbau und Abschwung geprägt ist und sich wieder in Richtung eines Arbeitgebermarktes entwickelt, verbieten sich Einschneidungen beim Bürgergeld.
Aber auch die FDP macht bei dieser unlauteren Stimmungsmache gegen Menschen, die Bürgergeld empfangen, wenig überraschend mit. So unterstellte Finanzminister Lindner Menschen, die Bürgergeld empfangen, dass sie nicht bereit seien, Arbeit zu suchen und unterstellten, dass einige das Bürgergeld als ,,bedingungsloses Grundeinkommen” missverstehen würden. Darin stimmte der FDP-Fraktionsvorsitzende Dürr ein und forderte eine Senkung des Bürgergelds und der FDP-Generalsekretär Djir–Sarai sprach vom Bürgergeld als einem System, das falsche Anreize setzen würde. Auch innerhalb der SPD, beispielsweise in der Bundestagsfraktion, mehren sich die Stimmen, die das Bürgergeld in der ursprünglichen Form kritisieren und Sanktionen fordern. Die rechtsextreme AfD propagiert ein Bild von sich als vermeintlicher Partei für „den kleinen Mann“, wobei ihre Positionen zum Bürgergeld ihre menschenfeindlichen und radikal neoliberalen Ansichten verdeutlichen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat kürzlich dargestellt, dass das wirtschaftspolitische Programm der AfD einer Mehrheit ihrer Wähler*innen paradoxerweise wirtschaftlich schaden würde. Die Hetze der AfD gegen das Bürgergeld verbindet die Partei mit rassistischen Lügen und Ressentiments, um aus dieser Stimmung des Hasses politisches Kapital zu schlagen und ihre rechtsextreme Ideologie zu verbreiten. Es ist brandgefährlich, dass Union und FDP Stimmungsmache gegen das Bürgergeld betreiben, denn so werden rechtsextreme und menschenfeindliche Positionen wie die der AfD im Diskurs immer weiter legitimiert.
In diesen Debatten und in dieser Stimmungsmache äußert sich ein kapitalistisches Menschenbild, dass Menschen immer nur nach dem Maßstab ihrer Verwertbarkeit für das kapitalistische System bewertet und den Staat nicht in der Verantwortung sieht, Menschen in herausfordernden Situationen zu unterstützen und ihnen unter allen Umständen ein würdevolles Leben zu ermöglichen.
Die Vorurteile und Stimmungsmache erschweren zudem eine faktenbasierte Debatte: Von den rund 5,6 Millionen Bürgergeld-Empfänger*innen sind nur etwa 4 Millionen überhaupt erwerbsfähig. Weniger als die Hälfte von diesen ist überhaupt arbeitslos. Die restlichen pflegen Angehörige, machen Weiterbildungen, kümmern sich um Kinder, gehen arbeiten („aufstocken“) oder suchen aus anderen triftigen Gründen keinen Job. Die allermeisten Bürgergeld-Empfänger*innen erhalten keine Sanktionen, 2023 waren lediglich ca. 3 % betroffen. Die meisten Sanktionen (rund 85 von 100 Fällen) werden aufgrund unentschuldigten Fehlens bei einem Termin verhängt. Weniger als 0,3 % aller Bürgergeld-Empfänger*innen wurde 2023 sanktioniert, weil eine zumutbare Stelle abgelehnt wurde. Der Anteil an Personen, die dauerhaft Arbeitsmöglichkeiten ablehnen, wird nicht statistisch erfasst, wird jedoch noch einmal kleiner sein. Angesicht dieser Zahlen zu glauben, mehr Sanktionen und Härte wären die Antwort, ist populistische Stimmungsmache, die mit der Realität nichts zu tun.
Reform ja, aber bitte nicht so!
Auch die Ampelkoalition hat sich vorgenommen, das Bürgergeld wieder zu reformieren und plant ab September mit den Beratungen hierüber zu beginnen. Ein zentrales Element der geplanten Reform ist die Verschärfung der Sanktionen für Bürgergeld-Empfänger*innen, welche zumutbare Arbeitsangebote oder Weiterbildungen ablehnen. Hier wird von Kürzungen bis hin zu Streichungen des Regelsatzes vieles diskutiert, wobei doch die Bürgergeldreform gerade ein erster – unzureichender – Schritt in Richtung eines sanktionsfreien Systems sein sollte. Sozialverbände warnen bereits vor diesem Schritt und bewerten die Sanktionen eindeutig als kontraproduktiv. Die Kürzungen sind nicht nur aus unserer Sicht untragbar. Auch das Verfassungsgericht setzt bei Sanktionen enge Grenzen. Viele der genannten Forderungen sind also als verfassungswidrig einzuschätzen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Reform betrifft die Regelungen zum Schonvermögen und zur Karenzzeit. Die Karenzzeit, in der das Vermögen der Empfänger*innen nicht angetastet wird, soll von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden. Während dieser Zeit wird das Vermögen bis zu einem bestimmten Betrag geschützt: 40.000 Euro für eine Einzelperson und zusätzliche 15.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft.
Die Reform sieht außerdem vor, dass Bürgergeld-Empfänger*innen längere Pendelzeiten in Kauf nehmen müssen, um eine Arbeitsstelle zu erreichen. Für Arbeitszeiten bis zu sechs Stunden soll eine tägliche Pendelzeit von zweieinhalb Stunden als zumutbar gelten, während für Arbeitszeiten über sechs Stunden eine Pendelzeit von bis zu drei Stunden akzeptiert werden soll. Zusätzlich soll eine verpflichtende monatliche Vorsprache für bestimmte Empfänger*innen eingeführt werden.
Die geplanten Änderungen haben bereits massive Kritik hervorgerufen, insbesondere von Gewerkschaften wie Ver.di, die befürchten, dass die Reformen die Empfänger*innen unter Druck setzen könnten, Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die nicht ihren Qualifikationen oder Bedürfnissen entsprechen. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband fand hier noch deutlichere Worte und warf der Ampel vor, dass sie arme Menschen mit den geplanten Reformen ins Elend treiben würde.
Jetzt ist die SPD gefordert! – Kein Abbau des Sozialstaats
Wir lehnen die geplanten Änderungen entschieden ab und fordern weiterhin ein höheres und sanktionsfreies Bürgergeld! Immer wieder sind Arbeitssuchende mit unerträglichen Stereotypen bezüglich ihrer Leistungsbereitschaft konfrontiert. Dass sich die Ampelkoalition von diesen Zuschreibungen bei ihrer geplanten Bürgergeldreform leiten lässt, ist nicht zu akzeptieren.
Deswegen fordern, die geplante Bürgergeldreform zu stoppen. Sich für eine deutliche Erhöhung der Regelsätze einzusetzen und alle Sanktionen abzulehnen. Gerade in Zeiten von Inflation und hohen Lebensmittelkosten verdienen Arbeitssuchende unsere Solidarität, das erwarten wir auch von der SPD-Fraktion im Bundestag. Stattdessen fordern wir ein Bürger*innengeld, ganz ohne Sanktionen, mit einem auskömmlichen Einkommen, anstatt die Angst vor dem sozialen Abstieg zu schüren.
Die Forderungen dieses Antrags in der aktuellen Situation berühren nicht unsere grundlegende Beschlusslage zu einem sanktionsfreien Bürger*innengeld.