Menschen mit Beeinträchtigungen wollen auch mit Assistenz oder Unterstützung berlinweit selbstbestimmt leben können. Barrierefreiheit ist die Grundvoraussetzung für Selbstbestimmung und Selbstversorgung, für soziale und diskriminierungsfreie Teilhabe für alle.
Schon seit Jahren wird seitens des bzw. der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen auf die in allen Bezirken bestehende Unterversorgung von barrierefreiem/barrierearmem Wohnraum hingewiesen – so im 11. Verstößebericht (2013/2016), im 12. Verstößebericht (2017/2019) und auch im 13. Verstößebericht (2019/2021). Diese dramatische Unterversorgung steigt laut „Wohnraumbedarfsbericht 2019“ bereits bis 2025 auf mindestens 116.000 barrierefreie Wohnungen an.
Angesichts dieser schon jetzt bestehenden Unterversorgung werden die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat, im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Bezirksämtern aufgefordert, die Umsetzung der vollumfänglichen Barrierefreiheit zu einem zentralen und zügigst umzusetzenden Qualitätsstandard bei der anstehenden Novellierung der Berliner Bauordnung zu machen.
Planen und Bauen für eine inklusive Stadtgesellschaft
Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat, im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Bezirksämtern sowie den Bezirksverordnetenversammlungen werden aufgefordert auf Landes- und Bezirksebene zwingend und zügigst unter anderem nachfolgende Instrumente für eine vollumfängliche Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen zu implementieren:
- Sachverständige für Barrierefreiheit sind auf Landes- und Bezirksebene unverzüglich in den Ressorts Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen einzustellen. Sie sind bei der Planung und Umsetzung von Bauvorhaben zwingend und frühzeitig zu beteiligen. Nur Sachverständige für Barrierefreiheit können die fachgerechte Einhaltung von Vorschriften für barrierefreies Bauen sicherstellen. Mit ihnen kann auch auf bezirklicher Ebene dem Informationsdefizit in vielen Planungsbüros u.a. im Hinblick auf Schutz- und Gewährleistungspflichten in Bezug auf vollumfängliche Barrierefreiheit entgegengewirkt werden. Mit ihnen wird dem Wegfall verpflichtender bauaufsichtlicher Kontrollen aktiv entgegengesteuert. Die bezirklichen Beauftragten für Menschen mit Behinderung sind von entsprechenden Anfragen zu entlasten.
- Der Mieter*innenschutz in Bezug auf den Rückbau barrierearmer/freier Wohnungen ist zu verbessern. Dies gilt sowohl für den Umbau als auch für einen möglicherweise von Vermietenden geforderten Rückbau. Sowohl für öffentlichen, gemeinnützigen oder privaten Wohnraum muss gelten: Insbesondere die durch geförderte Maßnahmen im Wohnraumbestand erzielte Barrierefreiheit muss dem Berliner Wohnungsmarkt erhalten bleiben.
- Sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene sind rechtliche Klärungen in Bezug auf Aufzüge in Milieuschutzgebieten vorzunehmen. Ein regelhaftes Versagen des Einbaus von Aufzügen in einem Milieuschutzgebiet ist auch angesichts einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung nicht länger vertretbar.
Derzeitige Beurteilungskriterien sind zu überarbeiten, damit das mit dem Milieuschutz erklärte Ziel des Erhalts von preiswertem Mietwohnraum und die Bedarfe von Berliner*innen mit Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen hinsichtlich des Einbaus von Aufzügen in Einklang gebracht werden. Ggf. sind hierzu Änderungen auch hinsichtlich der Modernisierungsumlage (§ 559 BGB) und bei den wohnwerterhöhenden Merkmalen (§ 558 BGB) erforderlich.
- Das Koalitionsvorhaben für ein rechtssicheres, effektives und digital umgesetztes Mietkataster für Wohnen und Gewerbe muss vollumfängliche Barrierefreiheit als Qualitätsstandard miterfassen.
Insbesondere für einen Rollstuhl nutzende Menschen braucht es eine Vermittlungsstelle für barrierefreie und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnungen nach der DIN-Norm 18040-2. Wohnraumsuchende als auch die Vermittlungsstelle selbst würden durch zügig zu erstellende – bezirkliche – Kataster für barrierefreie Wohnungen unterstützt.
Für alle beschriebenen Maßnahmen, die im Zuständigkeitsbereich des Bundes liegen, werden die sozialdemokratischen Mitglieder von Bundestag und Bundesregierung aufgefordert, die notwendigen Gesetzesänderungen einzuleiten und im Sinne der Barrierefreiheit für die Menschen mit Behinderungen tätig zu werden.
Der Zugang zum Wohnraum sollte für alle Mieterinnen und Mieter ohne besondere Beschwernis möglich sein. Jungen Familien mit Kindern wäre im Alltag ebenso geholfen wie älter werdenden Personen. Barrierefreiheit nützt also allen, sie ist aber für Menschen mit Beeinträchtigungen, die durch Barrieren in der Umwelt behindert werden, die absolute Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Menschen mit Behinderungen wollen auch mit Assistenz oder Unterstützung berlinweit selbstbestimmt leben können. Barrierefreiheit ist die Grundvoraussetzung für Selbstbestimmung und Selbstversorgung, für soziale und diskriminierungsfreie Teilhabe für alle.
Schon seit Jahren wird seitens des bzw. der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen auf die in allen Bezirken bestehende Unterversorgung von barrierefreiem/barrierereduziertem Wohnraum hingewiesen – so im 11. Verstößebericht (2013/2016), im 12. Verstößebericht (2017/2019) und auch im 13. Verstößebericht (2019/2021). Diese dramatische Unterversorgung steigt laut „Wohnraumbedarfsbericht 2019“ bereits bis 2025 auf mindestens 116.000 barrierefreie Wohnungen an.
Der Mangel an barrierefreiem Wohnraum verschärft sich durch die demografische Alterung. Allein die Anzahl der hochbetagten Menschen über 80 Jahre steigt in nächster Zukunft wie keine andere Berliner Altersgruppe – folglich steigt auch der Bedarf an barrierefreien Wohnungen.
Angesichts dieser schon jetzt bestehenden Unterversorgung werden die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat, im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Bezirksämtern aufgefordert,
- die Umsetzung der vollumfänglichen Barrierefreiheit zu einem zentralen und zügigst umzusetzenden Qualitätsstandard bei der anstehenden Novellierung der Berliner Bauordnung zu machen. Der Qualitätsstandard Barrierefreiheit muss sich auch in den Berliner Wohnungsbauförderungsbestimmungen (WFB) bei jeder Förderung an den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren.
Planen und Bauen für eine inklusive Stadtgesellschaft
Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat, im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Bezirksämtern sowie den Bezirksverordnetenversammlungen werden aufgefordert auf Landes- und Bezirksebene zwingend und zügigst unter anderem nachfolgende Instrumente für eine vollumfängliche Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen zu implementieren:
In den jeweiligen Verwaltungen auf Landes- und Bezirksebene ist unverzüglich sicherzustellen, dass für die fachgerechte Einhaltung von Vorschriften für barrierefreies Bauen auch sachkundiges Personal vorhanden ist. Diese sachkundigen Mitarbeiter*innen sind bei der Planung und Umsetzung von Bauvorhaben zwingend zu beteiligen. Mit ihnen kann auch auf bezirklicher Ebene dem Informationsdefizit in vielen Planungsbüros u.a. im Hinblick auf Schutz- und Gewährleistungspflichten in Bezug auf vollumfängliche Barrierefreiheit entgegengewirkt werden. Mit ihnen wird dem Wegfall verpflichtender bauaufsichtlicher Kontrollen aktiv entgegengesteuert. Die bezirklichen Beauftragten für Menschen mit Behinderung sind von entsprechenden Anfragen zu entlasten.
- Der Mieter*innenschutz in Bezug auf den Rückbau barrierereduzierter/-freier Wohnungen ist zu verbessern. Dies gilt sowohl für den Umbau als auch für einen möglicherweise von Vermietenden geforderten Rückbau. Sowohl für öffentlichen, gemeinnützigen oder privaten Wohnraum muss gelten: Insbesondere die durch geförderte Maßnahmen im Wohnraumbestand erzielte Barrierefreiheit muss dem Berliner Wohnungsmarkt erhalten bleiben.
- Die EU-Verordnung 305/2011, wonach Barrierefreiheit und Nutzung durch Menschen mit Behinderung im Rahmen der Planung und Errichtung eines Bauwerkes zu berücksichtigen sind, ist als das höherrangige Recht zwingend und umfassend einzuhalten. Den schützenswerten Interessen von Menschen mit Beeinträchtigungen wird bei der Abwägung zwischen den Rechten des Bauherrn besonderes Gewicht beigemessen.
- Im neu zu planenden Wohnungsneubau ist 100 % Barrierefreiheit anzustreben.
- Wir lehnen die generelle Aussetzung der Aufzugspflicht bei geplanten Aufstockungen um einen 5. und/oder 6. Stock ab. Eine solche Regelung begünstigt Menschen ohne Beeinträchtigung und benachteiligt durch die Aufhebung bisheriger Schutzregelungen Menschen mit Behinderungen aber auch ältere Menschen und Menschen in besonderen Lebenslagen, wie z.B. Schwangere und junge Eltern sowohl bei der Wohnungssuche, bei der Wohnqualität und Teilhabe an der Gesellschaft durch von Freund*innen besuchen bzw. von diesen besucht werden können. Ziel muss es sein, auch bei der Erweiterung / dem Umbau der Berliner Bestandsgebäude Barrieren abzubauen und Barrierefreiheit anzustreben. Hierzu gehört bei den geplanten Aufstockungen in den Dachgeschossen der sehr vielfältigen Berliner Wohnungsbauten eine Aufzugspflicht für jene Bestandsbauten, die mit der Aufstockung mehr als vier oberirdische Geschosse erreichen. Hierüber ließen sich nicht nur die neuen Wohnungen in den Dachgeschossen, sondern auch die bereits bestehenden Wohnungen in den unteren Geschossen barrierefrei erschließen. Das würde die Anzahl von barrierefrei zugänglichen Wohnungen in Berlin deutlich erhöhen. Für jene Bestandsbauten, die bereits über einen Aufzug verfügen, muss die beabsichtigte Aufstockung ebenfalls barrierefrei zugänglich sein.
- Damit auch dem Aspekt der Bezahlbarkeit Genüge getan wird, soll ein entsprechendes Zuschussprogramm für den Einbau bzw. die Erneuerung von Aufzügen aufgelegt werden. Damit wird verhindert, dass Modernisierungskosten auf die Mieter*innen umgelegt werden können. Für die Umsetzung macht der Senat sich für ein Bundesprogramm stark bzw. legt ein eigenes Programm auf.
- Sollte die Errichtung eines Aufzuges im Bestand bzw. beim barrierefreien Zugang in den aufgestockten Geschossen nicht möglich sein, muss dies durch den Antragssteller plausibel und nachvollziehbar begründet werden. Erst nach eingehender sachkundiger Einzelprüfung durch das für die fachgerechte Einhaltung von Vorschriften für barrierefreies Bauen geschulte Personal sollte es in begründeten Fällen zu einem Abweichungsbescheid nach § 50 BauO Bln und einer Befreiung von der Aufzugspflicht kommen. Hierbei darf das Argument der Kosten nicht alleiniger Sachgrund eines Ausnahmebescheides gelten. Erteilte Ausnahmeregelungen für die Nicht-Nachrüstung mit einem Aufzug inklusive zugehöriger Begründungen sind landesweit zu erfassen und öffentlich einsehbar darzulegen. Umgehend muss ein landesweites und bauherrenübergreifendes Monitoring-Verfahren mit dem Ziel „weniger Barrierefreiheit im Bestand muss zu 100 % Barrierefreiheit im Neubau führen“ sichergestellt werden. Zuwiderhandlungen werden sanktioniert.
- Sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene sind rechtliche Klärungen in Bezug auf Aufzüge in Milieuschutzgebieten vorzunehmen. Ein regelhaftes Versagen des Einbaus von Aufzügen in einem Milieuschutzgebiet ist auch angesichts einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung nicht länger vertretbar.
Derzeitige Beurteilungskriterien sind zu überarbeiten, damit das mit dem Milieuschutz erklärte Ziel des Erhalts von preiswertem Mietwohnraum und die Bedarfe von Berliner*innen mit Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen hinsichtlich des Einbaus von Aufzügen in Einklang gebracht werden. Ggf. sind hierzu Änderungen auch hinsichtlich der Modernisierungsumlage (§ 559 BGB) und bei den wohnwerterhöhenden Merkmalen (§ 558 BGB) erforderlich.
- Das Koalitionsvorhaben für ein rechtssicheres, effektives und digital umgesetztes Mietkataster für Wohnen und Gewerbe muss vollumfängliche Barrierefreiheit als Qualitätsstandard miterfassen.
Über den Mangel an barrierefreien Wohnungen hinaus spricht der Senat selbst „von einer Versorgungslücke im Segment der rollstuhlgerechten Wohnungen“ (sog. Rollstuhlbenutzerwohnungen, RB-Wohnungen). Das ist ein Verstoß gegen das von der UN-Behindertenrechtskonvention verbürgte Recht auf eine unabhängige Lebensführung.
- Einzuführen ist in der BauO Bln die Pflicht, dass jede sechste der neu zu planenden barrierefreien Wohnungen uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein muss. Bisher ausschließlich auf Fördermaßnahmen setzende Regelungen, u.a. ein pauschaler Zuschuss von 14.000 EUR/Wohnungen für eine RB-Wohnung, reichen nachweislich nicht aus – seit Einführung der Wohnraumförderungsbestimmungen 2019 wurden bis Ende 2020 lediglich 39 geförderte Wohnungen gebaut. In die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB Bln) ist die DIN 18040-2 mit den Anforderungen für eine barrierefreie und uneingeschränkte Rollstuhlnutzung „R“ wieder verpflichtend einzuführen.
- Insbesondere für einen Rollstuhl nutzende Menschen braucht es eine Vermittlungsstelle für barrierefreie und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnungen nach der DIN-Norm 18040-2. Wohnraumsuchende als auch die Vermittlungsstelle selbst würden durch zügig zu erstellende – bezirkliche – Kataster für barrierefreie Wohnungen unterstützt.
Für alle beschriebenen Maßnahmen, die im Zuständigkeitsbereich des Bundes liegen, werden die sozialdemokratischen Mitglieder von Bundestag und Bundesregierung aufgefordert, die notwendigen Gesetzesänderungen einzuleiten und im Sinne der Barrierefreiheit für die Menschen mit Behinderungen tätig zu werden.
Begründung
Wohnen ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis und Wohnen ist ein Menschenrecht. Die Berliner Verfassung garantiert das „Recht auf angemessenen Wohnraum“ für alle. Angesichts existierender Wohnungsnot und bestehender Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt hat die SPD auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene zahlreiche Instrumente für eine Trendwende in der Wohnungs- und Mietenpolitik zur Umsetzung des sozialen Grundrechts Wohnen entwickelt.
Barrierefreies Bauen heißt „Bauen für Alle“: für jedes Alter, für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, für Einschränkungen jeder Art wie z.B. Kinderwagen. Barrierefreies Bauen bedeutet die Chancen auf gleichwertige Lebensverhältnisse für alle.
Über 600.000 Berliner*innen mit Beeinträchtigungen sind bereits jetzt in ihrem alltäglichen Leben unmittelbar von fehlender Barrierefreiheit betroffen. Für uns als SPD ist die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention daher ein grundlegendes Element bei der anstehenden Novellierung der Berliner Bauordnung sowie weiterer Regularien im Bereich Wohnen.
Um den Qualitätsstandard der vollumfänglichen Barrierefreiheit auch im Rahmen unserer Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik zu implementieren, beziehen wir die verfassten Beteiligungs- und Partizipationsgremien von Menschen mit Beeinträchtigungen auf der Grundlage des Landesgleichberechtigungsgesetzes (LGBG) von Anfang an ein. Wir wollen nicht be-hindern. Wir wollen Barrierefreiheit zum Berliner Qualitätsstandard für Daseinsvorsorge in allen Bereichen machen.
Wir sehen den Bedarf an neuem Wohnraum in Berlin. Das theoretische Aufstockungs- und Ausbaupotenzial in den Berliner Gründerzeitbeständen und in den Beständen der 1920er und 1930er Jahre liegt laut einer Erhebung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zufolge bei fast 52.000 Wohnungen. Zwar gibt es keine Erhebung für neuere Gebäude, die Senatsverwaltung schätzte die Potenziale durch den Einbezug der Wohnungsbestände der 1950er bis 1970er Jahre auf bis zu 100.000 Wohnungen. Gerade angesichts des bestehenden Wohnungsmangels muss ebenso wie „Nichts über uns ohne uns“ grundsätzlich bei allen Planungen-, Durchführungs- und Evaluierungsvorhaben sowie Gesetzen gelten: Barrierefreiheit ist anerkannter Qualitätsstandard unserer modernen Infrastruktur. Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Teilhabe. Eine barrierefreie Teilhabe gilt insbesondere beim Grundbedürfnis Wohnen, welches für uns Sozialdemokrat*innen zu den Gütern der Daseinsvorsorge gehört.
Der Zugang zum Wohnraum sollte für alle Mieterinnen und Mieter ohne besondere Beschwernis möglich sein. Jungen Familien mit Kindern wäre im Alltag ebenso geholfen wie älter werdenden Personen. Barrierefreiheit nützt also allen, sie ist aber für Menschen mit Beeinträchtigungen, die durch Barrieren in der Umwelt behindert werden, die absolute Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Menschen mit Behinderungen wollen auch mit Assistenz oder Unterstützung berlinweit selbstbestimmt leben können. Barrierefreiheit ist die Grundvoraussetzung für Selbstbestimmung und Selbstversorgung, für soziale und diskriminierungsfreie Teilhabe für alle.
Schon seit Jahren wird seitens des bzw. der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen auf die in allen Bezirken bestehende Unterversorgung von barrierefreiem/barrierereduziertem Wohnraum hingewiesen – so im 11. Verstößebericht (2013/2016), im 12. Verstößebericht (2017/2019) und auch im 13. Verstößebericht (2019/2021). Diese dramatische Unterversorgung steigt laut „Wohnraumbedarfsbericht 2019“ bereits bis 2025 auf mindestens 116.000 barrierefreie Wohnungen an.
Der Mangel an barrierefreiem Wohnraum verschärft sich durch die demografische Alterung. Allein die Anzahl der hochbetagten Menschen über 80 Jahre steigt in nächster Zukunft wie keine andere Berliner Altersgruppe – folglich steigt auch der Bedarf an barrierefreien Wohnungen.
Angesichts dieser schon jetzt bestehenden Unterversorgung werden die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat, im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Bezirksämtern aufgefordert,
- die Umsetzung der vollumfänglichen Barrierefreiheit zu einem zentralen und zügigst umzusetzenden Qualitätsstandard bei der anstehenden Novellierung der Berliner Bauordnung zu machen. Der Qualitätsstandard Barrierefreiheit muss sich auch in den Berliner Wohnungsbauförderungsbestimmungen (WFB) bei jeder Förderung an den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren.
Planen und Bauen für eine inklusive Stadtgesellschaft
Die sozialdemokratischen Mitglieder im Senat, im Berliner Abgeordnetenhaus und in den Bezirksämtern sowie den Bezirksverordnetenversammlungen werden aufgefordert auf Landes- und Bezirksebene zwingend und zügigst unter anderem nachfolgende Instrumente für eine vollumfängliche Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen zu implementieren:
In den jeweiligen Verwaltungen auf Landes- und Bezirksebene ist unverzüglich sicherzustellen, dass für die fachgerechte Einhaltung von Vorschriften für barrierefreies Bauen auch sachkundiges Personal vorhanden ist. Diese sachkundigen Mitarbeiter*innen sind bei der Planung und Umsetzung von Bauvorhaben zwingend zu beteiligen. Mit ihnen kann auch auf bezirklicher Ebene dem Informationsdefizit in vielen Planungsbüros u.a. im Hinblick auf Schutz- und Gewährleistungspflichten in Bezug auf vollumfängliche Barrierefreiheit entgegengewirkt werden. Mit ihnen wird dem Wegfall verpflichtender bauaufsichtlicher Kontrollen aktiv entgegengesteuert. Die bezirklichen Beauftragten für Menschen mit Behinderung sind von entsprechenden Anfragen zu entlasten.
- Der Mieter*innenschutz in Bezug auf den Rückbau barrierereduzierter/-freier Wohnungen ist zu verbessern. Dies gilt sowohl für den Umbau als auch für einen möglicherweise von Vermietenden geforderten Rückbau. Sowohl für öffentlichen, gemeinnützigen oder privaten Wohnraum muss gelten: Insbesondere die durch geförderte Maßnahmen im Wohnraumbestand erzielte Barrierefreiheit muss dem Berliner Wohnungsmarkt erhalten bleiben.
- Die EU-Verordnung 305/2011, wonach Barrierefreiheit und Nutzung durch Menschen mit Behinderung im Rahmen der Planung und Errichtung eines Bauwerkes zu berücksichtigen sind, ist als das höherrangige Recht zwingend und umfassend einzuhalten. Den schützenswerten Interessen von Menschen mit Beeinträchtigungen wird bei der Abwägung zwischen den Rechten des Bauherrn besonderes Gewicht beigemessen.
- Im neu zu planenden Wohnungsneubau ist 100 % Barrierefreiheit anzustreben.
- Wir lehnen die generelle Aussetzung der Aufzugspflicht bei geplanten Aufstockungen um einen 5. und/oder 6. Stock ab. Eine solche Regelung begünstigt Menschen ohne Beeinträchtigung und benachteiligt durch die Aufhebung bisheriger Schutzregelungen Menschen mit Behinderungen aber auch ältere Menschen und Menschen in besonderen Lebenslagen, wie z.B. Schwangere und junge Eltern sowohl bei der Wohnungssuche, bei der Wohnqualität und Teilhabe an der Gesellschaft durch von Freund*innen besuchen bzw. von diesen besucht werden können. Ziel muss es sein, auch bei der Erweiterung / dem Umbau der Berliner Bestandsgebäude Barrieren abzubauen und Barrierefreiheit anzustreben. Hierzu gehört bei den geplanten Aufstockungen in den Dachgeschossen der sehr vielfältigen Berliner Wohnungsbauten eine Aufzugspflicht für jene Bestandsbauten, die mit der Aufstockung mehr als vier oberirdische Geschosse erreichen. Hierüber ließen sich nicht nur die neuen Wohnungen in den Dachgeschossen, sondern auch die bereits bestehenden Wohnungen in den unteren Geschossen barrierefrei erschließen. Das würde die Anzahl von barrierefrei zugänglichen Wohnungen in Berlin deutlich erhöhen. Für jene Bestandsbauten, die bereits über einen Aufzug verfügen, muss die beabsichtigte Aufstockung ebenfalls barrierefrei zugänglich sein.
- Damit auch dem Aspekt der Bezahlbarkeit Genüge getan wird, soll ein entsprechendes Zuschussprogramm für den Einbau bzw. die Erneuerung von Aufzügen aufgelegt werden. Damit wird verhindert, dass Modernisierungskosten auf die Mieter*innen umgelegt werden können. Für die Umsetzung macht der Senat sich für ein Bundesprogramm stark bzw. legt ein eigenes Programm auf.
- Sollte die Errichtung eines Aufzuges im Bestand bzw. beim barrierefreien Zugang in den aufgestockten Geschossen nicht möglich sein, muss dies durch den Antragssteller plausibel und nachvollziehbar begründet werden. Erst nach eingehender sachkundiger Einzelprüfung durch das für die fachgerechte Einhaltung von Vorschriften für barrierefreies Bauen geschulte Personal sollte es in begründeten Fällen zu einem Abweichungsbescheid nach § 50 BauO Bln und einer Befreiung von der Aufzugspflicht kommen. Hierbei darf das Argument der Kosten nicht alleiniger Sachgrund eines Ausnahmebescheides gelten. Erteilte Ausnahmeregelungen für die Nicht-Nachrüstung mit einem Aufzug inklusive zugehöriger Begründungen sind landesweit zu erfassen und öffentlich einsehbar darzulegen. Umgehend muss ein landesweites und bauherrenübergreifendes Monitoring-Verfahren mit dem Ziel „weniger Barrierefreiheit im Bestand muss zu 100 % Barrierefreiheit im Neubau führen“ sichergestellt werden. Zuwiderhandlungen werden sanktioniert.
- Sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene sind rechtliche Klärungen in Bezug auf Aufzüge in Milieuschutzgebieten vorzunehmen. Ein regelhaftes Versagen des Einbaus von Aufzügen in einem Milieuschutzgebiet ist auch angesichts einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung nicht länger vertretbar.
Derzeitige Beurteilungskriterien sind zu überarbeiten, damit das mit dem Milieuschutz erklärte Ziel des Erhalts von preiswertem Mietwohnraum und die Bedarfe von Berliner*innen mit Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen hinsichtlich des Einbaus von Aufzügen in Einklang gebracht werden. Ggf. sind hierzu Änderungen auch hinsichtlich der Modernisierungsumlage (§ 559 BGB) und bei den wohnwerterhöhenden Merkmalen (§ 558 BGB) erforderlich.
- Das Koalitionsvorhaben für ein rechtssicheres, effektives und digital umgesetztes Mietkataster für Wohnen und Gewerbe muss vollumfängliche Barrierefreiheit als Qualitätsstandard miterfassen.
Über den Mangel an barrierefreien Wohnungen hinaus spricht der Senat selbst „von einer Versorgungslücke im Segment der rollstuhlgerechten Wohnungen“ (sog. Rollstuhlbenutzerwohnungen, RB-Wohnungen). Das ist ein Verstoß gegen das von der UN-Behindertenrechtskonvention verbürgte Recht auf eine unabhängige Lebensführung.
- Einzuführen ist in der BauO Bln die Pflicht, dass jede sechste der neu zu planenden barrierefreien Wohnungen uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein muss. Bisher ausschließlich auf Fördermaßnahmen setzende Regelungen, u.a. ein pauschaler Zuschuss von 14.000 EUR/Wohnungen für eine RB-Wohnung, reichen nachweislich nicht aus – seit Einführung der Wohnraumförderungsbestimmungen 2019 wurden bis Ende 2020 lediglich 39 geförderte Wohnungen gebaut. In die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB Bln) ist die DIN 18040-2 mit den Anforderungen für eine barrierefreie und uneingeschränkte Rollstuhlnutzung „R“ wieder verpflichtend einzuführen.
- Insbesondere für einen Rollstuhl nutzende Menschen braucht es eine Vermittlungsstelle für barrierefreie und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnungen nach der DIN-Norm 18040-2. Wohnraumsuchende als auch die Vermittlungsstelle selbst würden durch zügig zu erstellende – bezirkliche – Kataster für barrierefreie Wohnungen unterstützt.
Für alle beschriebenen Maßnahmen, die im Zuständigkeitsbereich des Bundes liegen, werden die sozialdemokratischen Mitglieder von Bundestag und Bundesregierung aufgefordert, die notwendigen Gesetzesänderungen einzuleiten und im Sinne der Barrierefreiheit für die Menschen mit Behinderungen tätig zu werden.