Antrag 64/II/2023 Keine Aufweichung des Rechtsstaatsprinzips und Abkehr von der Menschlichkeit

Status:
Annahme

Mit dem Diskussionspapier des Bundesinnenministeriums „für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung und zu Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht“ beugt sich  das Ministerium einer Verschieben des politischen Diskursraums nach rechts. Es ist zu bedauern, dass eine Vielzahl der Verschärfungen welche bereits unter Führung des BMI durch Horst Seehofer erdacht wurden, nun in einem sozialdemokratisch geführten Haus umgesetzt werden sollen.

 

Eine immer restriktivere Politik die auf Abschreckung und Abschottung setzt, ist ungeeignet um den Herausforderungen unserer Zeit, zu der im Zuge globaler Ungleichheit und Klimawandel auch Migrationsbewegungen gehören, entgegen zu treten.

 

Durch die Verschärfungen würde es zu massiven Grundrechtseingriffen bei Menschen kommen, welche lediglich einen aufenthaltsrechtlichen Verstoß begangen haben. Diese Vierschiebung ist sowohl verfassungsrechtlich bedenklich als auch politisch nicht zielführend und falsch.

 

Wir fordern daher die Bundestagsfraktion der SPD im deutschen Bundestag sowie die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dazu auf, sich gegen solche Verschärfungen einzusetzen.

 

Dabei fordern wir konkret folgende Punkte aus dem Diskussionspapier abzulehnen:

 

  • Ausschreibung zur Fahndung zur Identitätsfeststellung

(Ist bisher nur vorgesehen für Abschiebung. Würde massiv Druck auf alle Betroffenen die keinen Pass oder Passersatz nachweisen können massiv erhöhen, da diese stets zur Fahndung ausgeschrieben werden könnten.

 

  • Ausweiseinteresse bei Bildung eine kriminellen Vereinigung unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung

(Dass Ausländerbehörden ohne vorherige rechtsstaatliche Verurteilung eigenhändig darüber entscheiden, ob eine Person aktuelles oder ehemaliges Mitglied einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB ist, ist eine Aufweichung rechtsstaatlicher Standards. Dies ist insbesondere angesichts des kriminologisch sehr vagen „Clan“-Begriffs problematisch, da Ausländerbehörden Verwandte von Mitgliedern krimineller Vereinigungen zunehmend in den Fokus nehmen könnten. Ein besonders schweres Ausweisungsinteresse festzustellen, also voraussichtlich einem Menschen den weiteren Aufenthalt in Deutschland zu verwehren, ist ein schwerer Eingriff – dieser sollte weiterhin an hohe Hürden wie eine rechtskräftige Verurteilung gekoppelt sein.)

 

  • Betreten aller Wohnungen oder andere Räumlichkeiten, die als Wohnung iSd GG eingeordnet werden können in Gemeinschaftsunterkünften

(bei Abschiebungen soll in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht nur die Wohnung des Betroffenen oder bei einem konkreten Verdacht eine andere Wohnung durchsucht werden können, sondern per se immer alle Wohnungen der gesamten Unterkunft. Das würde bedeuten, dass die Bewohner:innen einer Gemeinschaftsunterkunft jederzeit damit rechnen müssten, dass die Polizei in ihre Wohnung eindringen darf. Ein Rückzugsraum wäre ausgeschlossen. Bei möglicherweise traumatisierten Menschen ist dies gefährlich und unmenschlich und darüber hinaus ein massiver Grundrechtseingriff in Art. 13, Unverletzlichkeit der Wohnung. Bei Anhaltspunkten, dass sich eine Person in einer anderen Wohnung / einem anderen Bereich einer Gemeinschaftsunterkunft aufhält, sind Durchsuchungen nach § 58 (6) Aufenthaltsgesetz ohnehin schon möglich – ein generelles Durchsuchungsrecht ohne entsprechende Anhaltspunkte lehnen wir ab.)

 

  • Verschärfte Regelung für nächtliche Durchsuchungen in Gemeinschaftsunterkünften

(bestehende Beschränkungen sollen aufgehoben werden. Gerade Durchsuchungen bei Nacht sind für die Betroffenen traumatisierend bzw. retraumatisierend, nicht zuletzt für Kinder)

 

  • Aufhebung der Ankündigung der Abschiebung bei Abschiebehaft

(War bisher eine Möglichkeit um noch einmal juristschen Beistand zu suchen und ist sicher auch für Verabschiedung etc. emotional und menschlich geboten)

 

  • Aufhebung der Ankündigung der Abschiebung nach ausgesetzter Abschiebung für mindesten 1 Jahr

(Bisher wurden geduldete Personen 1 Monat vor wieder anstehenden Abschiebung informiert. Durch diese Information konnte Beratung eingeholt werden und geprüft werden, ob die Möglichkeit für einen geregelten Aufenthaltstitel in der Zwischenzeit gegeben ist.)

 

  • Ausweitung von Haft

Die Möglichkeit Menschen in Haft zu nehmen sollen massiv ausgeweitet werden: Bei Verstoß gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote als selbständiger Haftgrund, bei Menschen die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Ausweitung der Sicherungshaft vor einer Abschiebung auf sechs Monate. Einführung von Mitwirkungshaft.)

 

  • Verlängerung des Abschiebegewahrsams von 10 auf 28 Tage

(Freiheitsentziehende Maßnahme ohne Straftat)

 

  • Durchsuchung zum Zweck der Kostenübernahme für die Abschiebung

(Ausweitung des Begriffs der Hilfeleistung für Einreise. Zuvor nur Schleuser erfasst, jetzt auch Menschen, die in einer anderen Form Hilfe geleistet haben und damit Gefahr laufen durchsucht und finanziell geschädigt zu werden)

 

  • Abschiebung während eines Strafverfahrens

(Staatsanwaltschaften müssen nicht mehr ihr Einverständnis geben, dass trotz eines laufenden Verfahrens die Abschiebung vollzogen wird.

 

  • Ausweitung der Anforderungen an Mitwirkungspflichten

(Neben dem Erscheinen und der ärztlichen Untersuchung soll jetzt auch Mitwirkung bei der Identitätsklärung eingefordert. Ist diese aber in Fällen bei denen es keinen ausreichenden Unterlagen mehr gibt, nicht möglich, könnten Restriktionen bis zu Mitwirkungshaft folgen.)

 

  • Keine aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage

(Anordnungen der Wohnsitzauflage oder einer Sicherheitsleistung sollen sofort vollziehbar sein. Auswirkungen sind bei Vollzug nicht mehr rückgängig zu machen – z.B. durch Verlust der Wohnung. Daher stellt auch dies einen möglichen massiven Eingriff in Grundrechte dar.)

 

  • Streichung der Erfordernis der wiederholten Begehung einer Tat

(Bereits der einmalige Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften wie Verweigerung der Wohnsitznahme oder Meldepflicht wird direkt strafbar. Vorher waren wiederholte Begehungen bzw Nichtnachkommen trotz wiederholtem Hinweis erforderlich. Die Verschärfung führt zu einer Kriminalisierung  auch unbeabsichtigter Versäumnise. Außerdem steht die Ausweitung aufenthaltsrechtlicher Verstöße und dem damit zusammenhängenden Strafrahmen späteren Legalisierungsbemühungen entgegen, wie die Diskussion über die Ausschluss-Gründe vom Chancen-Aufenthaltsrecht auch bei rein ausländerrechtlichen Verstößen gezeigt hat. )

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)
Beschluss: Annahme
Text des Beschlusses:

Mit dem Diskussionspapier des Bundesinnenministeriums „für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung und zu Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht“ beugt sich  das Ministerium einer Verschieben des politischen Diskursraums nach rechts. Es ist zu bedauern, dass eine Vielzahl der Verschärfungen welche bereits unter Führung des BMI durch Horst Seehofer erdacht wurden, nun in einem sozialdemokratisch geführten Haus umgesetzt werden sollen.

 

Eine immer restriktivere Politik die auf Abschreckung und Abschottung setzt, ist ungeeignet um den Herausforderungen unserer Zeit, zu der im Zuge globaler Ungleichheit und Klimawandel auch Migrationsbewegungen gehören, entgegen zu treten.

 

Durch die Verschärfungen würde es zu massiven Grundrechtseingriffen bei Menschen kommen, welche lediglich einen aufenthaltsrechtlichen Verstoß begangen haben. Diese Vierschiebung ist sowohl verfassungsrechtlich bedenklich als auch politisch nicht zielführend und falsch.

 

Wir fordern daher die Bundestagsfraktion der SPD im deutschen Bundestag sowie die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dazu auf, sich gegen solche Verschärfungen einzusetzen.

 

Dabei fordern wir konkret folgende Punkte aus dem Diskussionspapier abzulehnen:

 

  • Ausschreibung zur Fahndung zur Identitätsfeststellung

(Ist bisher nur vorgesehen für Abschiebung. Würde massiv Druck auf alle Betroffenen die keinen Pass oder Passersatz nachweisen können massiv erhöhen, da diese stets zur Fahndung ausgeschrieben werden könnten.

 

  • Ausweiseinteresse bei Bildung eine kriminellen Vereinigung unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung

(Dass Ausländerbehörden ohne vorherige rechtsstaatliche Verurteilung eigenhändig darüber entscheiden, ob eine Person aktuelles oder ehemaliges Mitglied einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB ist, ist eine Aufweichung rechtsstaatlicher Standards. Dies ist insbesondere angesichts des kriminologisch sehr vagen „Clan“-Begriffs problematisch, da Ausländerbehörden Verwandte von Mitgliedern krimineller Vereinigungen zunehmend in den Fokus nehmen könnten. Ein besonders schweres Ausweisungsinteresse festzustellen, also voraussichtlich einem Menschen den weiteren Aufenthalt in Deutschland zu verwehren, ist ein schwerer Eingriff – dieser sollte weiterhin an hohe Hürden wie eine rechtskräftige Verurteilung gekoppelt sein.)

 

  • Betreten aller Wohnungen oder andere Räumlichkeiten, die als Wohnung iSd GG eingeordnet werden können in Gemeinschaftsunterkünften

(bei Abschiebungen soll in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht nur die Wohnung des Betroffenen oder bei einem konkreten Verdacht eine andere Wohnung durchsucht werden können, sondern per se immer alle Wohnungen der gesamten Unterkunft. Das würde bedeuten, dass die Bewohner:innen einer Gemeinschaftsunterkunft jederzeit damit rechnen müssten, dass die Polizei in ihre Wohnung eindringen darf. Ein Rückzugsraum wäre ausgeschlossen. Bei möglicherweise traumatisierten Menschen ist dies gefährlich und unmenschlich und darüber hinaus ein massiver Grundrechtseingriff in Art. 13, Unverletzlichkeit der Wohnung. Bei Anhaltspunkten, dass sich eine Person in einer anderen Wohnung / einem anderen Bereich einer Gemeinschaftsunterkunft aufhält, sind Durchsuchungen nach § 58 (6) Aufenthaltsgesetz ohnehin schon möglich – ein generelles Durchsuchungsrecht ohne entsprechende Anhaltspunkte lehnen wir ab.)

 

  • Verschärfte Regelung für nächtliche Durchsuchungen in Gemeinschaftsunterkünften

(bestehende Beschränkungen sollen aufgehoben werden. Gerade Durchsuchungen bei Nacht sind für die Betroffenen traumatisierend bzw. retraumatisierend, nicht zuletzt für Kinder)

 

  • Aufhebung der Ankündigung der Abschiebung bei Abschiebehaft

(War bisher eine Möglichkeit um noch einmal juristschen Beistand zu suchen und ist sicher auch für Verabschiedung etc. emotional und menschlich geboten)

 

  • Aufhebung der Ankündigung der Abschiebung nach ausgesetzter Abschiebung für mindesten 1 Jahr

(Bisher wurden geduldete Personen 1 Monat vor wieder anstehenden Abschiebung informiert. Durch diese Information konnte Beratung eingeholt werden und geprüft werden, ob die Möglichkeit für einen geregelten Aufenthaltstitel in der Zwischenzeit gegeben ist.)

 

  • Ausweitung von Haft

Die Möglichkeit Menschen in Haft zu nehmen sollen massiv ausgeweitet werden: Bei Verstoß gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote als selbständiger Haftgrund, bei Menschen die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Ausweitung der Sicherungshaft vor einer Abschiebung auf sechs Monate. Einführung von Mitwirkungshaft.)

 

  • Verlängerung des Abschiebegewahrsams von 10 auf 28 Tage

(Freiheitsentziehende Maßnahme ohne Straftat)

 

  • Durchsuchung zum Zweck der Kostenübernahme für die Abschiebung

(Ausweitung des Begriffs der Hilfeleistung für Einreise. Zuvor nur Schleuser erfasst, jetzt auch Menschen, die in einer anderen Form Hilfe geleistet haben und damit Gefahr laufen durchsucht und finanziell geschädigt zu werden)

 

  • Abschiebung während eines Strafverfahrens

(Staatsanwaltschaften müssen nicht mehr ihr Einverständnis geben, dass trotz eines laufenden Verfahrens die Abschiebung vollzogen wird.

 

  • Ausweitung der Anforderungen an Mitwirkungspflichten

(Neben dem Erscheinen und der ärztlichen Untersuchung soll jetzt auch Mitwirkung bei der Identitätsklärung eingefordert. Ist diese aber in Fällen bei denen es keinen ausreichenden Unterlagen mehr gibt, nicht möglich, könnten Restriktionen bis zu Mitwirkungshaft folgen.)

 

  • Keine aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage

(Anordnungen der Wohnsitzauflage oder einer Sicherheitsleistung sollen sofort vollziehbar sein. Auswirkungen sind bei Vollzug nicht mehr rückgängig zu machen – z.B. durch Verlust der Wohnung. Daher stellt auch dies einen möglichen massiven Eingriff in Grundrechte dar.)

 

  • Streichung der Erfordernis der wiederholten Begehung einer Tat

(Bereits der einmalige Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften wie Verweigerung der Wohnsitznahme oder Meldepflicht wird direkt strafbar. Vorher waren wiederholte Begehungen bzw Nichtnachkommen trotz wiederholtem Hinweis erforderlich. Die Verschärfung führt zu einer Kriminalisierung  auch unbeabsichtigter Versäumnise. Außerdem steht die Ausweitung aufenthaltsrechtlicher Verstöße und dem damit zusammenhängenden Strafrahmen späteren Legalisierungsbemühungen entgegen, wie die Diskussion über die Ausschluss-Gründe vom Chancen-Aufenthaltsrecht auch bei rein ausländerrechtlichen Verstößen gezeigt hat. )

 

Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Stellungnahme Landesgruppe 2024:

Das Rückführungsverbesserungsgesetz wurde gemeinsam mit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes verhandelt. Alle Kritikpunkte wurden gegenüber dem zuständigen Berichterstatter Helge Lindh kommuniziert (der die Kritik auch im Kern teilt), allerdings konnten bei den Verhandlungen sowohl durch die Haltung des BMI als auch insbesondere durch die Verhandlungsposition der FDP keine Veränderungen im Sinne des Antrags erzielt werden.

Beschluss des BPT 2023:

Überweisung an SPD-Bundestagsfraktion
Überweisungs-PDF: