Antrag 56/II/2024 Grundlegenden Reformbedarf der juristischen Ausbildung anerkennen und handeln!

Status:
Nicht abgestimmt

Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus wird aufgefordert,

  1. einen grundlegenden Reformbedarf der juristischen Ausbildung sowohl anzuerkennen als auch gezielt hinzusteuern und gegenüber der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz deutlich zu machen. Zu einer grundlegenden Reform gehört:
  • Unbegrenzte Anzahl an Prüfungsversuchen
  • Ruhetage zwischen den Prüfungen
  • Möglichkeit, die Examensprüfungen in verschiedene Semester aufzuteilen
  • Reduktion des Pflichtfachstoffs durch Verlagerung
  • Studium emotional entlasten/stressfreier gestalten
  • Zulassung anderer Prüfungs-/Unterrichtsformen neben Klausur/Vorlesung
  • Anpassung der Regelstudienzeit an die Durchschnittsstudienzeit
  • Digitalisierung von Vorlesungen und Seminaren
  • E-Prüfungen
  • Praxisorientierte Studium- und Prüfungsinhalte
  • Bachelor of Laws verpflichtend an allen Universitäten
  • stärkeres Angebot für Studierende die durchs Examen fallen
  • Bereitstellung gezielter finanzieller Mittel für universitätseigene Repetitorien, um den Qualitätsstandard an das Niveau kommerzieller Repetitorien anzupassen
  1. sich für einen breiten Stakeholder*innen-Dialog über Reformoptionen einer juristischen Ausbildung einzusetzen, welcher insbesondere die Belange von Studierenden abbildet und diese prioritär in solche Prozesse einbindet,
  2. hierzu auf eine Anhörung sachkundiger Personen sowie insbesondere Vertreter*innen betroffener Studierender im Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz des Abgeordnetenhauses hinzuwirken.
  3. mit Nachdruck auf eine langfristige Reform der juristischen Ausbildung hinzuwirken, welche nachweislich die Studienqualität erhöht und Änderungen im Interesse der mentalen Gesundheit Studierender vornimmt.
  4. die sozial gerechte Ausgestaltung einer solchen Reform umzusetzen, welche die Quote der Absolvent*innen aus Nichtakademiker*innen-Familie gemäß Erhebungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) langfristig erhöht
  5. im Rahmen der sozial gerechten Ausgestaltung einer Reform der juristischen Ausbildung konkrete Unterstützungsangebote voranzutreiben, um die Vorteilsnahme durch private Repetitorien, welche von bis zu 70% der Studierenden zur Examensvorbereitung herangezogen wird, obsolet zu machen.”

Auf der 95. Justizminister*innenkonferenz am 5. Juni 2024 haben die Justizminister*innen der Länder unter anderem auf Initiative des berichterstattenden Landes Berlin den Beschluss gefasst, „dass grundlegender Reformbedarf [der volljuristischen Ausbildung] nicht besteht”.

Dieser Beschluss ist mit Ergebnissen unterschiedlicher Erhebungen und den Erkenntnissen unterschiedlicher Verbände und Initiativen nicht in Einklang zu bringen. Der Reformbedarf wurde vielfach durch Studien belegt:

  • Die iur.reform-Studie mit fast 12.000 Teilnehmenden aus den Gruppen der Studierenden, Referendar*innen, Praktiker*innen und Lehrende zeigte, dass mehr als die Hälfte der Befragten mit der juristischen Ausbildung unzufrieden ist.
  • Die regelmäßige Absolvent*innenbefragung des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) ergab zuletzt, dass zwei Drittel der Absolvent*innen das Studium der Rechtswissenschaften nicht weiterempfehlen würden.
  • Die JurSTRESS-Studie der Universität Regensburg kam zu dem Ergebnis, dass 48 % der Studierenden in der Examensvorbereitung und insbesondere während der Prüfungen von Zuständen berichteten, die eine weitergehende ärztliche Abklärung einer Angststörung rechtfertigen würden. Rund 19 % der Studierenden litten an Symptomen, die mit einer depressiven Verstimmung verbunden werden. Dies sind deutlich erhöhte Werte in Bezug auf die gleichaltrige Vergleichsgruppe (Angstgefühle bei ca. 27 %, depressive Verstimmung bei ca. 6 %).

 

Die Folge des Beschlusses darf – insbesondere vor dem Hintergrund des auch von der Justizministerkonferenz anerkannten Problems der Nachwuchsgewinnung in kernjuristischen Arbeitsfeldern – nicht unterschätzt werden: Der Beschluss droht den Rückgang der Studierenden im Studiengang Rechtswissenschaften (um 20 % seit 2007) und damit den bereits jetzt offenkundigen und bis 2030 viel drastischer werdenden Fachkräftemangel in der Justiz zu beschleunigen.

Es bedarf deshalb einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Zukunft der juristischen Ausbildung. Dies erfordert, die Reformdiskussionen der vergangenen Wochen, Monate und Jahre zur Kenntnis zu nehmen und sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen, so zum Beispiel mit dem Hamburger Protokoll vom 1. Dezember 2023, in dem 16 Professor*innen, der BRF und iur.reform vier Kernforderungen für die Reform der juristischen Ausbildung herausgearbeitet haben.

Die von der Justizminister*innenkonferenz durchgeführte Befragung von lediglich 90 Personen im Jahr 2019 (also vor der Corona-Pandemie und zu anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen) ist hingegen aufgrund von eklatanten methodischen Mängeln nicht geeignet, als Debatten- oder gar Entscheidungsgrundlage zu dienen.

Das Studium der Rechtswissenschaften muss endlich an den Wandel der Zeit angepasst werden. Studierende der Rechtswissenschaften müssen emotional entlastet werden! Dies ist nur durch ein stressfreies, flexibles und digitalisiertes Studium möglich. Die Vorlesungs- und Prüfungsinhalte müssen praxisorientiert werden und auswendig zu lernendes Spezialwissen sollte weggelassen werden. Denn es gilt: Verständnis statt Auswendiglernen, Denken statt Pauke. Eine unbegrenzte Anzahl an Prüfungsversuchen nimmt den Studierenden zusätzlich eine enorme Last von ihren Schultern und hilft immens, die Prüfungsangst zu beseitigen. Die aktuellen Zahlen des statistischen Bundesamts zeigen, dass die Zahl der Jurastudierenden jährlich weiter sinkt. In Anbetracht des herrschenden Fachkräftemangels und der Pensionierungswelle in der Justiz müsste man jetzt alles dafür tun, das Studium endlich attraktiv und stressfrei zu gestalten.