Antrag 84/II/2023 Gewährleistung eines umfassenden Gewaltschutzes und Gründung einer „Koordinierungsstelle Gewaltschutz inklusiv“

Status:
Annahme mit Änderungen

Berlin zum sicheren und inklusiven Ort für Frauen mit Behinderungen machen

 

Wir Sozialdemokrat*innen begrüßen, dass sich in den letzten Jahren viele Verantwortliche in vielen Bereichen auf den Weg gemacht haben, um die Situation von gewaltbetroffenen Menschen – zumeist Frauen – mit Behinderungen zu verstehen.

 

Bis Berlin insbesondere für Frauen mit Behinderungen ein sicherer und inklusiver Ort ist, sind allerdings noch viele – auch gesetzgeberische – Maßnahmen einzuleiten bzw. auszubauen:

 

  • In Berlin ist eine Fachstelle mit einem inklusiven Team („Koordinierungsstelle Gewaltschutz inklusiv“) einzurichten und im Doppelhaushalt 2024/25 ausreichend zu finanzieren.
  • Erstellung einer umfassenden Berliner Studie zur Gewaltbetroffenheit von Frauen in den bedeutsamsten Teilhabe-Bereichen, u.a. Gesundheit und Pflege, Mobilität, (selbstbestimmtes bzw. betreutes) Wohnen, Eingliederungshilfe, Arbeitsmarkt und Beschäftigung.
  • Das im Wohnteilhabegesetz (WTG) geforderte Schutzkonzept bedarf dringend der fachlichen Konkretisierung und rechtlichen Ausformung, z.B. durch ein Muster-Schutzkonzept.
  • Aufnahme der Themen Behinderung als auch Gewalt- und Opferschutz in Ausbildung als auch Fortbildungsmaßnahmen zur Sensibilisierung von Fachkräften in allen gesellschaftspolitischen Bereichen.
  • Ausbau an einfachen, niedrigschwelligen und ausfinanzierten Zugängen zu Dolmetscher*innen für DGS und leichte Sprache.
  • Flächendeckende Ausfinanzierung von qualifizierten Selbstbehauptungskursen für Frauen (und ggf. auch für Männer) mit Behinderungen z.B.: über Sportvereine. Für die Teilnehmenden sollte dies kostenlos bzw. sehr günstig und ohne bürokratischen Aufwand erreichbar sein.
  • Damit betroffene Frauen mit Behinderungen insbesondere in und nach Gewaltsituationen rasch Hilfe erhalten können, sind Verwaltungs- und Hilfewege zu entwickeln, die im Bedarfsfall akut und ohne Vorlauf funktionieren. Eine psychosoziale, medizinische und rechtsmedizinische Akutversorgung muss nach sexualisierter Gewalt für alle Betroffenen gewährleistet sein. Betroffene Frauen brauchen barrierefreie Zugänge zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten und zu den Strafverfolgungsbehörden außerhalb der Einrichtungen. Hierfür sind für die Kommunikation mit Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen sensibilisierte und geschulte Ansprechpartner*innen in Beratungsprojekten, bei Polizei und Justiz sowie medizinischen Einrichtungen erforderlich.
  • Informationen zu Rechtsansprüchen, zu Hilfe und Schutz kommen bisher z.B. bei Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung oft gar oder nicht ausreichend an. Es braucht mehr und vielfältigere Zielgruppen- und Multiplikator*innen-Ansprachen. Hierzu gehören insbesondere auch die Frauen-Beauftragten in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM), die dadurch in ihrer Rolle auch stärker wertgeschätzt werden.
  • Frauen-Beauftragte in den WfbM haben bislang lediglich ein Mitwirkungerecht in den Werkstätten. Gesetzlich zu verankern ist ein Mitbestimmungsrecht. Weiterhin sind Frauen-Beauftragte auch im Bereich Wohnen verbindlich einzuführen und mit entsprechenden Rechten und Möglichkeiten zu versehen. Bereitzustellen sind die notwendigen Schulungen und Fortbildungen.
  • (Potentiell) gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen werden in Kampagnen (bspw. „Noteingang“) zwar mitgedacht – aber nicht erreicht. Es braucht mehr Anstrengungen und Kompetenz, um Frauen mit verschiedenen Arten von Behinderungen wirklich zu erreichen (kommunikative Barrierefreiheit).
  • Bedeutend mehr Aufmerksamkeit und Kontrolle braucht das Thema Übergriffe durch Mitarbeitende der Behinderten-Fahrdienste. Derzeit ist hier niemand für das Thema Gewaltschutz zuständig.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)
Beschluss: Annahme mit Änderungen
Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Stellungnahme Senat 2024:

Am 20.01.2021 wurde der Berliner Maßnahmenplan zur Umsetzung der UN-BRK (Behindertenrechtskonvention) vom Berliner Senat beschlossen. Der Berliner Maßnahmenplan ist das Ergebnis eines zwei Jahre währenden Diskussionsprozesses zwischen der Verwaltung, den Beauftragten und den Interessenvertretungen für Menschen mit Behinderungen. Frauen mit Behinderung sind überproportional oft von Gewalt betroffen. Der Schutz von Gewalt betroffenen Frauen hat für den Senat eine hohe Priorität. Im Bereich des Gewaltschutzes und im Rahmen der Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention) werden durch das Frauenhilfesystem stetig Bedarfe behinderter Frauen benannt und an die Fachabteilung herangetragen. Folgende speziell für die Bedarfe für Frauen mit Behinderung betreffenden Maßnahmen wurden bereits umgesetzt oder sind in Planung:

• Erstes komplett barrierefreies Frauenhaus im Juni 2021 eröffnet
• Ausbau weiterer barrierefreier Schutzplätze
• Barrierefreie Zugänge zu den Beratungsstellen und anderen Frauenprojekten
• Finanzierung der Mut-Stelle (fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt für Menschen mit kognitiven Einschränkungen)
• Finanzierung des Netzwerks Behinderter Frauen (Personal- und Sachkosten): weiterer Baustein für den Gewaltschutz, aber auch Kontakt- und Selbsthilfestelle mit Angeboten der sozialen Beratung, mit Veranstaltungen und Gruppen für eine bessere gesellschaftliche und gesundheitliche Teilhabe.
• Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul Konvention: Belange von Frauen mit Behinderungen bei der Erarbeitung der Maßnahmen mitberücksichtigt (intersektionaler Ansatz).
Zu den Maßnahmen, die der Runde Tisch „Istanbul Konvention umsetzen in Berlin“ auf Staatssekretärsebene am 23.2.2024 priorisiert hat, gehören z.B. der Ausbau barrierefreier Schutzplätze, der Ausbau der Sprachmittlung einschl. Gebärdensprache und die Schaffung von niedrigschwelligen Informations- und Unterstützungsangeboten bei Gewalt durch die pflegende Person etc.

Stellungnahme AH-Fraktion 2024:

Das im Antrag formulierte Ziel, Berlin zum sicheren und inklusiven Ort für Frauen mit Behinderungen zu machen, hat für die SPD-Fraktion eine besondere Bedeutung und wird von ihr mit Nachdruck verfolgt. Wir vertreten entschieden eine intersektionale Gleichstellung und setzen uns gegen die Mehrfachdiskriminierung aller Frauen ein. Niemand darf aufgrund einer Behinderung, rassistischen oder antisemitischen Zuschreibungen, Sprache, Alter, Gewicht, Religion und Weltanschauung, sozialem Status, sexueller oder geschlechtlicher Identität, Gesundheitszustand, Beeinträchtigung, Familienstand sowie Migrations- oder Fluchtstatus diskriminiert werden.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns dafür ausgesprochen, ausreichend Schutzplätze für von Gewalt betroffene Frauen, ihre Kinder und andere Personen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, bereitzustellen und nehmen dabei Frauen und Kinder mit Behinderungen besonders in den Blick (S. 18). Des Weiteren wollen wir den Zugang zum Hilfesystem für geflüchtete Frauen mit Behinderung verbessern (ibid.). Im Koalitionsvertrag haben wir zudem festgehalten, dass ein Senatsbericht zur Lebens- und Gesundheitssituation von Frauen mit Behinderung erstellt werden soll, um Bedürfnisse, Belastungen und Diskriminierungen zu erfassen, insbesondere im Hinblick auf Barrierefreiheit (ibid.).
Auf Antrag der Koalitionsfraktionen fand zudem im Ausschuss für Integration, Frauen und Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung bereits eine Besprechung zu dem Thema „Lebens- und Gesundheitssituation von Frauen mit Behinderung: Aktueller Stand und politischer Handlungsbedarf“ statt.
Überweisungs-PDF: