Die heute in Deutschland gültige Drogenpolitik der Verbote ist gescheitert und muss dringend reformiert werden. Obwohl die meisten Drogen illegal sind und der Besitz und Handel mit diesen eine Straftat darstellt, werden in Deutschland viele Drogen konsumiert. So zeigen Erhebungen, dass circa 3,1 % der 18- bis 59-jährigen Erwachsenen sowie 1,0 % der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen in Deutschland mindestens eine illegale Substanz (außer Cannabis) innerhalb von 12 Monaten konsumieren. Die Zahl der Abhängigen und Drogentoten ist hoch. Die Betroffenen werden gesellschaftlich stigmatisiert und mit harten Strafen belegt, dabei benötigen sie dringend Hilfe. Drogenabhängigkeit ist keine Straftat, sondern eine Krankheit.
Viele Politiker*innen weltweit tun so, als würden sie hart durchgreifen, indem sie vom Krieg gegen die Drogen reden. Dieser Krieg gegen die Drogen, der versucht, mit harter Hand und drastischen Strafen gegen Drogenkonsum vorzugehen, ist aber gescheitert. Weder hilft er, Drogenkonsum und -abhängigkeit zu reduzieren noch schafft er es, den globalen Schwarzmarkt im Drogenhandel wirksam einzudämmen. Denn trotz mehrerer Verschärfungen und der Aufnahme immer weiterer (neuer) Molekülverbindungen in den Betäubungsmittelkatalog ist die Zahl der Konsument*innen in den letzten 10 Jahre kontinuierlich gestiegen. Das Problem beginnt dabei schon beim Grundprinzip des Strafrechts: damit eine Droge verboten ist, muss die genaue Molekülverbindung als Betäubungsmittel aufgeführt sein. Die Behörden laufen also konstant den Entwicklungen des Schwarzmarktes hinterher und die Drogenkartelle werden noch dazu angespornt, möglichst erfinderisch zu sein und mit kleinen Änderungen immer neue Moleküle mit ähnlicher Wirkung auf den Markt zu bringen, um einer Strafbarkeit (kurzfristig) zu entgehen. Außerdem ist der Krieg gegen die Drogen ein Ausdruck eines Obrigkeits- und Polizeistaats, der mit unserem Verständnis von Freiheit nicht im Einklang steht.
Die Ursprünge der aktuellen deutschen und weltweit vorherrschenden Drogenpolitik liegen im China des 19. Jahrhunderts. Die Kolonialmacht Großbritannien setzte gezielt Opium ein, um möglichst große Teile der chinesischen Bevölkerung und damit auch China insgesamt abhängig zu machen. China begann, sich dagegen zur Wehr zu setzen und wollte Opiumimporte aus dem British Empire verbieten. In diesen Konflikt schalteten sich bald weitere Länder ein, allen voran die USA. So wurde im Jahr 1909 in Shanghai die Opiumkommission gegründet, 1911-1912 fand in Den Haag die erste und 1925 in Genf die zweite internationale Opiumkonferenz statt. Auf diesen Konferenzen wurde nicht nur der internationale Umgang mit Opium, sondern auch mit anderen Drogen beraten. Die Positionen der teilnehmenden Parteien waren zu Beginn der Konferenz höchst unterschiedlich. Im Laufe der Zeit setzte sich aber mehr und mehr die US-amerikanische Position durch. In den USA gab es Anfang des 20. Jahrhunderts eine starke Prohibitionsbewegung, die ein Verbot sämtlicher Drogen forderte. Diese sehr heterogene Bewegung wurde vor allem durch evangelikale Christ*innen getragen, die im Drogenkonsum einen unchristlichen Ausdruck der industriellen Moderne sahen. Die Prohibitionsbewegung in den USA war so erfolgreich, dass in den 1920er Jahren der Konsum, Besitz und Handel mit sämtlichen Drogen, inklusive Alkohol, verboten wurde. Dieses amerikanische Modell setzte sich mit der Zeit auf der ganzen Welt, auch in Deutschland, durch. Auf den Opiumkonferenzen wurden völkerrechtliche Verträge erarbeitet, die ein Verbot der meisten Drogen vorsahen. Diese wurden von vielen Ländern in nationales Recht umgesetzt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass unsere Drogenpolitik nicht nur auf christlich-fundamentalistischen Ideen basiert, sondern auch auf Kriminalisierung Betroffener, ihrer Stigmatisierung und Unsolidarität.
Aber wie kann eine moderne Drogenpolitik des 21. Jahrhunderts aussehen? Diese müsste in der Lage sein, die Zahl der Drogenabhängigen und -toten zu reduzieren und Betroffenen zu helfen, anstatt sie zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Als Vorbild könnte hierfür das sogenannte portugiesische Modell dienen. Portugal entkriminalisierte im Jahr 2001 den Konsum und Besitz sämtlicher Drogen für den Eigenbedarf. Welche maximale Menge als Eigenbedarf gilt, ist je nach Droge genau geregelt. Beispielsweise darf man bis zu 25 g Cannabis und bis zu 1 g Heroin besitzen. Lediglich der Handel mit Drogen bleibt strafbar. Werden bei einer Person in Portugal illegale Drogen innerhalb der Eigenbedarfsgrenzen gefunden, ist dies keine Straftat, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Die Drogen müssen dann abgegeben werden. Außerdem wird im Gespräch mit einer Kommission überprüft, ob eine Abhängigkeit vorliegt. Diese Kommission besteht aus einer*n Jurist*in und zwei weiteren Personen mit Expertise aus Medizin, Psychologie oder Sozialer Arbeit. Zudem wird über die Gefahren von Drogensucht aufgeklärt und über Hilfsangebote informiert. Liegt eine Abhängigkeit vor, kann die Person freiwillig einen Entzug antreten. Wird dies verweigert, darf man innerhalb von 6 Monaten nicht erneut mit der gleichen Droge erwischt werden, sonst drohen Konsequenzen wie beispielsweise der Führerscheinentzug. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der portugiesischen Drogenpolitik ist die Prävention. Sie ist fester Bestandteil des Schulunterrichts und ist gezielt auf junge Menschen ausgerichtet.
Die Bedeutung von Präventionsangeboten Dennoch sollte an dieser Stelle betont werden, dass Entkriminalisierung von Drogen nur mit gleichzeitigem Ausbau von diversen Präventionsangeboten geht. Noch drastischer: Präventionsangebote, die weitflächig verfügbar sind, für alle Bevölkerungsschichten, sollten die Voraussetzung für jegliche Art der Drogenpolitik sein. Eine progressive Drogenpolitik kann nur erfolgreich funktionieren, wenn alle Menschen einen informierten, selbstbestimmten Umgang mit Drogen erlernen. Dabei sollten unterschiedliche Angebote das Fundament legen: eine aufsuchende Drogenarbeit, Drug-Checking-Angebote, Gesundheits- und Suchtberatung sowie zielgruppenorientierte Informationskampagnen, Drogenkonsumräume.
Der portugiesische Weg ist eine Erfolgsgeschichte. Starben in den 90er Jahren noch über 350 Menschen pro Jahr an illegalen Drogen, so waren es 2020 noch 63. Mit 9 Drogentoten pro einer Million Einwohner*innen liegt Portugal weit unter dem EU-Schnitt von 18,3 und auch weit unter dem deutschen Wert von 22,3. 2022 sind in Deutschland 1990 Menschen am Konsum illegaler Drogen gestorben, diese Zahl wächst seit Jahren an und hat sich im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt. Im Jahr 2022 gingen außerdem 18.000 Krankenhausaufenthalte auf den Konsum von illegalen Substanzen zurück. Nach Schätzungen weisen rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland einen problematischen Konsum von Cannabis oder illegalen Drogen auf.
Viele der Drogen, die in Deutschland konsumiert werden, werden in Ländern des globalen Südens produziert. So liegen Hauptanbaugebiete von Koka (verarbeitet zu Kokain) überwiegend in abgelegenen ländlichen Gebieten in Bolivien, Kolumbien und Peru. Der Schlafmohnanbau (für Heroin) konzentriert sich auf Afghanistan, Myanmar, Mexiko und Laos. Viele der Personen, welche am Anbau oder der Produktion von Drogen beteiligt sind, tun dies aus wirtschaftlichem Zwang durch Alternativlosigkeit oder Druck durch kriminelle Strukturen. In vielen der Produktionsländer verursacht der Drogenanbau die Gründung bzw. Stärkung von kriminellen Strukturen, welche Korruption, Gewalt und Nichtachtung von Menschenrechten mit sich bringt. In Mexiko gab es 2022 bei rund 126 Millionen Einwohner*innen fast 32.000 Tötungsdelikte registriert. In Deutschland sind es bei ca. 82 Millionen 643 (2021). Ca 60% der Tötungsdelikte in Mexiko geschehen durch das organisierte Verbrechen und ca. 90% werden nie aufgeklärt. Die Gewalt zwingt Menschen zur Flucht oder sorgt für ihre Vertreibung. Besonders betrifft die Gewalt von Diskriminierung betroffene Personen wie Indigene oder FINTA. Auch verursacht die Produktion ökologische Schäden durch bspw. Brandrodungen oder Chemikalien welches sich auf die Lebensumstände der dort ansässigen Personen auswirkt.
Daher fordern wir:
- eine Neuausrichtung der deutschen Drogenpolitik, die sich am Vorbild Portugals orientiert.
- eine vollständige Entkriminalisierung des Besitzes aller illegalen Drogen bis zu einer gewissen Menge für den Eigenbedarf. Wie hoch dieser Wert ist, muss je nach Droge festgelegt werden.
- dass der Fokus der Strafverfolgung auf der Ermittlung gegen Großdealende und nicht auf Konsumierenden und Kleindealenden liegt. Entsprechende Anordnungen und Erlasse werden daraufhin überprüft und angepasst und Schulungen für alle Mitarbeitenden durchgeführt. Die bisherige Verfolgung von Kleindealer*innen ist nicht nur nicht zielführend, sie ist auch von Rassismus geprägt und kriminalisiert vor allem Menschen, die in Armut leben.
- den massiven Ausbau von evidenzbasierten Präventionsprogrammen. Hierfür müssen auch die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Die Programme sollen sich an den EU-Standards gemäß European Drug Prevention Quality Standards (EDPQS) orientieren.
- die stigmafreie Unterstützung von Abhängigen mit Drogenentzugsprogrammen. Neben dem physischen Entzug ist hierbei vor allem die psychologische Betreuung von Abhängigen entscheidend.
- eine ganzheitliche Betrachtung des Problems der Drogenabhängigkeiten. Diese treten vermehrt bei Personen auf, die in sozial prekären Situationen oder in Armut leben. Eine Unterstützung der Betroffenen muss also ihre gesamte soziale Situation in den Blick nehmen.
- dass alle Einsatzfahrzeuge zusätzlich zu Krankenwagen und Notarztfahrzeugen der Rettungsdienste mit Medikamenten, bspw. Naloxon- oder Adrenalinspritzen, ausgestattet werden und die Diensttuenden in ihrer Verabreichung geschult werden, um bei Fällen von Überdosis schnell helfen zu können. Eine Abgabe durch Apotheken an Suchterkrankte mit entsprechender Anleitung zur Nutzung wird geprüft. Schulungen zum Umgang mit Überdosisfällen sollen in Drogenpräventionsarbeit eingebaut werden.
- die Einrichtung von ausreichend Drogenkonsumräumen, in denen Drogen in einem geschützten Umfeld statt auf der Straße genommen werden. Hierbei muss auf die Anzahl der Räume und auf ausreichend lange Öffnungszeiten geachtet werden und die Finanzierung auch langfristig durch die jeweils zuständigen Behörden sichergestellt werden.
- das sogenannte Drug-Checking, also die Vor-Ort-Prüfung von Drogen auf ihre Zusammensetzung, bundesweit umzusetzen und auszubauen.
- die Förderung der Forschung zu medizinischen Potenzialen von Drogen sowie von Substitutionsbehandlungen von Abhängigen.
- die Förderung von lokalen Projekten und Initiativen, welche wirtschaftliche Alternativen zum Drogenanbau für Kleinbäuer*innen schaffen
- die Förderung von lokalen sozialen Projekten, welche Betroffene von Gewalt vor Ort schützen und Menschenrechte sichern
- Druck auf die mexikanische Regierung, die Tötungen aufzuklären
- Schutz für mögliche Opfer von Gewalt durch den Flüchtlingsstatus oder das Gewähren von subsidiärem Schutz