Die Jusos setzen sich schon seit langem für eine inklusive Gesellschaft ein, in der Menschen mit Behinderungen gleiche Chancen haben. Seit 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist ein Menschenrecht, daher liegt es in unserer Verantwortung, weiterhin bestehende Barrieren in der politischen Teilhabe, Bildung und im Alltag abzubauen, um echte Gleichstellung zu erreichen. Dazu gehört die Umsetzung umfassender Maßnahmen zur Barrierefreiheit und Inklusion. Rund 80.000 Menschen in Deutschland sind gehörlos, viele weitere haben andere Hörbehinderungen. Sie werden, obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention bereits seit 14 Jahren Gesetz ist, in vielen Bereichen weiterhin diskriminiert und ausgeschlossen. Das muss sich ändern!
Wir müssen bei uns selbst anfangen!
Auch in unseren Strukturen gibt es noch immer hohe Hürden für gehörlose Menschen, obwohl Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert, dass Menschen mit Behinderungen die gleiche Möglichkeit zur Teilnahme am politischen Leben haben müssen. Trotzdem haben Menschen mit Hörbehinderungen, wie Gehörlose, Taube und Schwerhörige, oft keinen Zugang zu den digitalen Inhalten unserer Partei, da diese häufig nicht barrierefrei sind, z.B. fehlen Untertitel. Ohne diese Untertitel können sie die Informationen nicht verstehen. Viele Gehörlose sind zusätzlich durch die deutsche Schriftsprache benachteiligt, da sie diese nicht ausreichend beherrschen. Das liegt daran, dass sie in der Schule oft nicht ausreichend gefördert wurden und der Unterricht meist in Lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) stattfindet. Dieses Problem wird als Sprachdeprivation bezeichnet.
Um die Inhalte für Gehörlose zugänglich zu machen, sollten daher auch Video-Beiträge in Deutscher Gebärdensprache (DGS) angeboten werden. Auch taubblinde Menschen sind oft von unseren Social-Media-Beiträgen ausgeschlossen, da es keine schriftlichen Beschreibungen gibt. Außerdem sollten Videos mit Audiodeskriptionen versehen werden, damit Menschen mit Sehbehinderungen verstehen können, wer spricht und was im Video gezeigt wird.
Wir fordern deshalb, dass alle Beiträge aller Parteigliederungen und aller Mandatsträger*innen gut lesbare Untertitel enthalten, um sie für Menschen mit Hörbehinderungen zugänglich zu machen.
Wir fordern außerdem, dass es mehr Sensibilität in der Produktion von Videos gibt und regen an, dass die Jusos Berlin für ihre Accounts Videos in Deutscher Gebärdensprache und nach dem Standard der BITV 2.0 Verordnung anbietet, die eine uneingeschränkte und barrierefreie Gestaltung von moderner Informationstechnik ermöglichen soll, um mehr Leute anzusprechen und für uns gewinnen zu können.
Auch im Bildungsbereich ist noch viel zu tun!
Das SGB IX (Neuntes Sozialgesetzbuch) regelt die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, um deren Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu fördern. In diesem Rahmen erhalten Menschen mit Hörbehinderungen Unterstützung durch Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher*innen. Diese Maßnahmen sollen ihnen eine wirksame Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.
In der Praxis erfahren Menschen mit Hörbehinderungen jedoch oft Benachteiligungen durch die Umsetzung der Regelungen in den §§ 82 und 112 des SGB IX, die die Förderung der Verständigung und die Bildung betreffen. Die Normen sind allerdings sehr offen formuliert, was den Sachbearbeiter*innen in den konkreten Entscheidungen große Interpretationsspielräume gibt. Das kann von Vorteil sein, allerdings muss man feststellen, dass die Sachbearbeiter*innen in den Sozialämtern, aufgrund eines immer größeren Spardrucks, diese Regelungen häufig restriktiv interpretieren., was zu Diskriminierungen führt.
Die Bewilligung von Dolmetschleistungen wird oft streng an den Stundenplan der Schule gebunden, was den Zugang zu diesen Leistungen einschränkt. Man erhält also nur für die im Stundenplan aufgeführten Unterrichtsstunden Dolmetscher*innen, wobei auch dort bestimmte Fächer, wie Sport, nicht automatisch, sondern nur mit zusätzlicher Begründung übernommen werden, während außerschulische Aktivitäten wie Exkursionen und Kursfahrten nicht abgedeckt sind. Dies bedeutet, dass für jede solche Veranstaltung ein neuer, umfangreicher bürokratischer Antrag gestellt werden muss, dessen Bewilligung unsicher ist, insbesondere bei Kursfahrten ins Ausland. Darüber hinaus übernehmen die Sozialämter zwar die Kosten für Schriftdolmetschungen, z.B. im Englischunterricht, nicht jedoch für die notwendige Technik wie Mikrofone und Empfänger. Dies führt oft zu technischen Problemen, die die Leistung der Dolmetscherinnen beeinträchtigen, und die Eltern müssen häufig die zusätzlichen Kosten tragen. Wenn die Anträge auf Unterstützung nicht bewilligt werden, bleibt den Betroffenen oft nur der Weg zum Gericht. Diese zusätzliche Belastung beeinträchtigt die Bildungsergebnisse der Betroffenen erheblich.
Obwohl ihnen das Recht zusteht, gleichberechtigt am Bildungssystem teilzunehmen, ist der Besuch einer Regelschule für sie mit einem erheblichen Aufwand verbunden, statt, dass sie sich einfach auf die Schule konzentrieren können. Um den Betroffenen zu ermöglichen, sich voll auf ihre Bildung zu konzentrieren, sollten die Sozialämter die Kosten für diese Dolmetschleistungen und die benötigte Technik vollständig übernehmen.
Wir fordern deshalb, dass Exkursionen, Kursfahrten und auch außerschulische Veranstaltungen in das Sozialgesetzbuch aufgenommen werden, damit es einen sicheren Rechtsanspruch auf Gebärdendolmetscher*innen gibt. Dies gilt insbesondere auch für Kursfahrten in europäische Länder, bei denen die Bereitstellung von Gebärdensprachdolmetscher*innen selbstverständlich sein muss. Darüber hinaus muss die Übernahme der Technikkosten für Schriftdolmetschungen explizit im SGB IX festgeschrieben wird. Nur dann erfüllt das Sozialgesetzbuch die Anforderungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention. Schließlich fordern wir die Einrichtung einer zentralen Beschwerde- und Aufsichtsstelle, die die Einhaltung und korrekte Umsetzung der Regelungen des SGB IX überwacht und sicherstellt.
Deutsche Gebärdensprache als Unterrichtsfach!
Nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) soll die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ab der Sekundarstufe I als Wahl- und Wahlpflichtfach eingeführt werden. Die DGS ist eine eigenständige Sprache, die gesetzlich verankert ist. Leider ist dies bisher so gut wie nicht umgesetzt worden. Das Lernen der Sprache für hörende Menschen hilft bei der Inklusion und kann Kommunikationsprobleme beheben. Außerdem kann das frühzeitige Angebot eines solchen Unterrichtsfaches dazu führen, mehr Menschen, z.B. für die Studiengänge Deaf Studies oder Gebärdensprachdolmetscher*innen zu begeistern, was wiederum die großen Personalprobleme in diesen Feldern bekämpfen kann. Zudem könnten hörende Schüler*innen, die die DGS frühzeitig lernen, später in der Arbeitswelt barrierefrei mit Gehörlosen kommunizieren.
Wir fordern deshalb, dass der Beschluss der Kultusministerkonferenz endlich ernst genommen und umgesetzt wird. Außerdem fordern wir, dass geprüft wird, ob die Einführung eines Wahlpflichtfaches DGS schon in der Grundschule umsetzbar ist, um schon frühzeitig das Erlernen der DGS zu ermöglichen.
Here’s my number, call me maybe!
Der Tess-Relay-Dienst ist ein nichtstaatlicher Relay-Service für Gehörlose und Schwerhörige in Deutschland, der es ihnen ermöglicht, hörende Personen anzurufen. Dabei dolmetschen Gebärdensprach- oder Schriftdolmetscher*innen den Anruf in Laut- und Gebärden- oder Schriftsprache. Der Dienst wirkt jedoch veraltet, wie aus der Zeit der „ersten Telefone“ und traditionellen Telefonzentralen.
Er bietet nicht mal die Möglichkeit, selbst Telefonnummern einzugeben, eine eigene Telefonnummer zu besitzen, sodass man direkt von hörenden Personen angerufen werden kann oder Telefonnummern einzuspeichern und so eine Kontaktliste anzulegen. Auch ein Anrufbeantwortersystem ist nicht vorhanden. Möchte man über dieses System eine Nachricht hinterlassen, muss man eine E-Mail senden, sodass die gehörlose Person später zurückrufen kann.
Gehörlose und Schwerhörige erleben jährlich technologische Fortschritte, doch der Tess-Relay-Dienst hinkt diesen Entwicklungen weit hinterher, was zur Folge hat, dass Gehörlose und Schwerhörige nicht die gleiche Selbstständigkeit erlangen können.
Dies ist ein unzumutbarer Zustand, gerade wenn man sieht, dass es in den USA, Kanada, Großbritannien oder Australien bereits deutlich fortschrittlichere Lösungen gibt.
Deshalb fordern wir, dass Deutschland seiner Verantwortung gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht wird und entweder selbst einen modernen Telefondienst entwickelt oder entsprechende Initiativen aktiv unterstützt!
Stell dir vor, es brennt und keiner versteht dich!
Auch in den Rettungsdiensten wird unzureichend an gehörlose oder schwerhörige Menschen gedacht. Sie können in der Regel nicht barrierefrei mit der Polizei oder Rettungsdiensten kommunizieren, da bei diesen in der Regel nicht mal Grundkenntnisse in Deutscher Gebärdensprache vorliegen. In der Folge ist die Gefahr von Missverständnissen, etwa bei einem medizinischen Notfall, sehr hoch. Wir fordern deswegen, dass in den Rettungsdiensten die Sensibilität für die DGS gesteigert wird und verpflichtende Schulungen zur Kommunikation stattfinden!
Auch die Tagesschau macht mit: Leichte Sprache!
14 Millionen Menschen sind auf Leichte Sprache angewiesen. Sie verwendet einfache Wörter, Erklärungen für Fachbegriffe, vermeidet Abkürzungen, arbeitet mit kurzen Sätzen und arbeitet mit möglichst vielen Bildern. Sie hilft Menschen mit Lese- und Lernschwierigkeiten, kognitiven Behinderungen sowie Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, Informationen zu verstehen. Dadurch fördert sie Inklusion und Teilhabe, indem sie es ermöglicht, selbstständig zu agieren, etwa bei der Nutzung von Informationen, Wahlprogrammen oder auf Webseiten. Verschiedene Ministerien und Behörden, wie das Bundesministerium für Gesundheit oder das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, nutzen diese Form der Kommunikation.
Bis heute ist jedoch, anders als bei der Deutschen Gebärdensprache, nicht eindeutig gesetzlich festgelegt, ob Leichte Sprache als eigenständige Sprache oder als Kommunikationsform gilt. Es bleibt unklar, nach welchen Kriterien diese Unterscheidung getroffen werden sollte. Das ist deswegen wichtig, weil Menschen mit Sprachbehinderungen nur dann das Recht haben, diese Sprache, etwa in der Schule oder auf der Arbeit, zu verwenden, wenn diese gesetzlich anerkannt ist. Angesichts der hohen Zahl von Menschen, die auf die Leichte Sprache angewiesen sind und ihrer Wirkung, fordern wir, dass sie, genauso wie die Deutsche Gebärdensprache, als eigenständige Sprache anerkannt wird.
Zusammenfassend fordern wir,
- dass alle Social-Media Beiträge aller Parteigliederungen und aller Amts- und Mandatsträger*innen gut lesbare Untertitel enthalten, um sie für Menschen mit Hörbehinderungen zugänglich zu machen und mit einer Bildbeschreibung bzw. einem Alternativtext versehen werden, um Barrieren für sehbehinderte und blinde Menschen zu reduzieren.
- dass es mehr Sensibilität für Inhalte für Gehörlose gibt und regen an, auf dem Social Media Accounts der Jusos Berlin auch Videos in Deutscher Gebärdensprache zur Verfügung zu stellen
- dass Anträge und interne Dokumente der Jusos und der SPD in einfacherer Sprache als bisher geschrieben werden.
- dass Exkursionen, Kursfahrten und auch außerschulische Veranstaltungen in das SGB IX aufgenommen werden, damit es einen sicheren Rechtsanspruch auf Gebärdendolmetscher*innen gibt,
- dass die Übernahme der Technikkosten für Schriftdolmetschungen explizit im SGB IX festgeschrieben wird,
- die Einrichtung einer zentralen Beschwerde- und Aufsichtsstelle, die die Einhaltung und korrekte Umsetzung der Regelungen des SGB IX überwacht und sicherstellt,
- dass der Beschluss der Kultusministerkonferenz zur Einführung eines Wahlpflichtfaches Deutsche Gebärdensprache in der Sekundarstufe I endlich flächendeckend umgesetzt wird,
- dass geprüft wird, ob die Einführung eines Unterrichtsfaches DGS schon in der Grundschule umsetzbar ist,
- dass Deutschland seiner Verantwortung gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht wird und entweder selbst einen modernen Telefondienst entwickelt oder entsprechende Initiativen aktiv unterstützt
- dass in den Rettungsdiensten die Sensibilität für die DGS gesteigert wird und verpflichtende Schulungen zur Kommunikation stattfinden,
- dass die Leichte Sprache, genauso wie die Deutsche Gebärdensprache, als eigenständige Sprache anerkannt wird
Zum Abschluss möchten wir betonen, dass die Umsetzung all unserer Forderungen im Einklang mit dem Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention stehen sollte: „Nicht über Menschen mit Behinderung reden, sondern mit ihnen!“ Aus diesem Grund ist auch dieser Antrag in enger Zusammenarbeit mit einer gehörlosen Person entstanden.