Antrag 198/II/2024 Detox des Jahrhunderts - PFAS abschaffen!

Status:
Nicht abgestimmt

Der Kongress der Party of European Socialists möge beschließen:

 

Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS, sind eine mehr als 10.000 Einzelsubstanzen umfassende Gruppe von Chemikalien. Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und werden daher in den verschiedensten Branchen eingesetzt, um Antihaft-, flecken- oder wasserfeste Produkte herzustellen. Neben der bekanntesten Verwendung in beschichteten Pfannen findet man PFAS unter anderem in Regenjacken, Kettenfett, Zahnseide, Lebensmittelbehältern, Feuerlöschschaum und Kosmetik. Allein in der EU werden mehr als 100.000 Tonnen PFAS pro Jahr produziert.

 

Die Stoffe kommen in der Natur nicht vor und können durch Wasser, Licht oder Bakterien in der Umwelt auch nicht zeitnah abgebaut werden. PFAS sind außerdem sehr mobil, sodass sie in Wasser, Luft, Regen, pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln nachgewiesen werden können. Sie stellen auch ein Risiko für Tier- und Pflanzengesundheit und mithin für Biodiversität dar. PFAS stören eine Reihe biochemischer Aktivitäten in Pflanzenzellen, wie Photosynthese, Genexpression, Proteinsynthese, Kohlenstoff- und Stickstoffstoffwechsel.

 

PFAS gelangen auch in den menschlichen Körper und belasten ihn. Einige bestimmte werden mit einer Reihe ernsthafter Probleme für die menschliche Gesundheit, unter anderem mit Krebs, Geburtsfehlern, Leber- und Schilddrüsenerkrankungen, Unfruchtbarkeit, Nierenerkrankungen sowie immunologischen Auswirkungen, in Verbindung gebracht. Schätzungen zufolge belasten die jährlichen Kosten für die Behandlung der gesundheitlichen Folgen von PFAS die europäischen Gesundheitssysteme zwischen 52 und 84 Milliarden Euro.

 

An mehr als 1.500 Orten in Deutschland lassen sich PFAS nachweisen, in ganz Europa an mehr als 17.000, wobei die Dunkelziffer aufgrund nicht vollständiger Schadenserkundung viel höher ist. Eine systematische Prüfung des Wassers und der Böden an Standorten mit hohem Risiko bleibt noch aus. Zu den häufigsten Hotspots zählen Flughäfen und Militärstandorte, Kläranlagen und Deponien sowie Standorte der Textil- und Metallindustrie und der Altpapierverarbeitung. Im Rahmen des Forever Pollution Project haben Reporter*innen rund 1.000 dieser Standorte angefragt, wovon der Großteil bisher keinerlei Messungen vorgenommen hat. In vielen Fällen einer bewiesenen PFAS-Belastung haben die Behörden offenbar nicht einmal die Bevölkerung vor Ort informiert. Für die Eintragsquellen der Schadstoffe besteht darüber hinaus häufig weiterer Erkundungsbedarf.

 

Laut Studien der NGO Pesticide Action Network Europe aus Mai 2024, liegt Kontamination von 94% ihrer Oberflächenwasser- und 63% ihrer Flaschenwasserproben durch TFA (Trifluoressigsäure), ein hoch persistentes Abbauprodukt von PFAS-Pestiziden und fluorierten Gasen,  bereits weit über den in der überarbeiteten ab 2026 geltenden Trinkwasserrichtlinie festgelegten Grenzwerten.

 

Je mehr PFAS produziert werden und in die Umwelt gelingen, desto mehr reichern sie sich an und desto schwieriger und teurer wird die Sanierung der flächendeckenden Verseuchung. Bislang ist es selbst mit besonders teuren Verfahren nur schwer möglich, aus PFAS-haltigen Abwässern und Gegenständen die Giftstoffe herauszufiltern oder zu verbrennen. Laut Expert*innen der Kreislaufwirtschaft gelangt die Mehrheit der mit PFAS belasteten Plastik auch ins Recyclingsystem. Eine Studie des Nordischen Ministerrates schätzt die Sanierungskosten allein für Europa bereits auf 16 Milliarden Euro. In Deutschland haben Behörden bisher bei den allerwenigsten Schadensfällen überhaupt mit einer Sanierung begonnen. 2020 schrieb die Bundesregierung, dass bei weniger als einem Prozent aller PFAS-Verdachtsfällen die Sanierung abgeschlossen sei.

 

Februar 2023 hat die zuständige EU-Behörde ECHA (European Chemicals Agency) den Vorschlag von fünf Ländern inklusive Deutschlands vorgestellt, die gesamte Stoffgruppe der PFAS ganz überwiegend zu verbieten. Bislang sind nur zwei Stoffe der Gruppe verboten, PFOS und PFOA. Eine Entscheidung wird wohl erst im Jahr 2025 und fallen.

 

Industrieverbände und Großunternehmen arbeiten schon hart daran, die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten zu beeinflussen, das bevorstehende Verbot abzuschwächen. Laut LobbyFacts, einem gemeinsamen Projekt von Corporate Europe Observatory und LobbyControl, tauchen sieben sog. Giftlobbys unter den 50 Organisationen auf, die am meisten für die Lobbyarbeit in der EU ausgeben. Darüber hinaus unterliegen die Lobbyausgaben von Big Tech und Big Energy die von diesen und weiteren Unternehmen und Industrieverbänden in der Chemie- und Plastikindustrie deutlich. Die Industrie hat tiefe Taschen und kann und muss für das giftige Erbe in unseren Körpern, Böden, Luft und Gewässern zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Es gibt zurecht einen Schutzwall für das öffentliche Interesse gegen die Lobbyarbeit der Tabakindustrie in Bezug auf die öffentliche Gesundheit, und es gibt immer mehr Bestrebungen, dass dasselbe auch für die Industrie der fossilen Brennstoffe und die Chemieindustrie gilt. Es ist höchste Zeit, die Verursacher von Umweltverschmutzung auch aus der politischen Entscheidungsfindung zu verbannen.

 

Wir fordern daher:

  • Ein umfassendes EU-Verbot von der PFAS-Stoffgruppe sowie ein Einfuhrverbot von Agrarprodukten, die mit PFAS-haltigen Pestiziden hergestellt werden.
  • Öffentliche Förderung neuer Technologien an Kläranlagen und Deponien, um die weitere Verschmutzung von Wasser und Böden zu verhindern.
  • Eine Nachverschärfung der europäischen Trinkwasserrichtlinie auf der Grundlage der Leitlinien der EFSA, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit.
  • Eine Pflicht zur regelmäßigen und flächendeckenden Messung der Grund- und Oberflächenwasser sowie Böden an und in der Nähe von industriellen und militärischen Standorten, baulichen und technischen Anlagen sowie öffentlichen Parks, Wäldern und Badestellen.
  • Eine Informations- und Aufklärungspflicht gegenüber der Bevölkerung vor Ort, wenn PFAS in bedeutender Menge erfasst werden.
  • Die verpflichtende Kennzeichnung PFAS-haltiger Produkte und Behälter, die sich bis Einführung des Verbots noch im Warenumlauf befinden, samt Warnungen über mögliche gesundheitliche Folgen.
  • Eine verpflichtende Kostenbeteiligung nach Verursacherprinzip für Unternehmen und Konzerne, die PFAS-haltige Produkte herstellen, sowohl für die Sanierung betroffener Orte als auch für weitere Forschung zu den gesundheitlichen Folgen der PFAS.
  • Eine neue und umfassende Verpflichtung auf Bundes- und Europaebene, Entscheidungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit vor dem Einfluss der Chemieindustrie zu schützen.