Unternehmen stehen heute unter ständigem Veränderungsdruck und gerade Startups im Bereich der Digitalwirtschaft sind stark auf die Ideenschöpfung ihrer Mitarbeiter*innen angewiesen, um überleben zu können. Dennoch setzen sich gerade diese Unternehmen kaum für den Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten ein. Darüber hinaus ist betriebliche Mitbestimmung für viele Beschäftigte in dieser Branche ein Fremdwort. Laut dem IAB-Betriebspanel[1] waren im Jahr 2015 nur 41% der Arbeitnehmer*innen in der deutschen Privatwirtschaft durch Betriebsräte*innen repräsentiert. Besonders gering fällt dieser Anteil in kleinen Unternehmen (5 bis 50 Beschäftigte) und im Informations-, Kommunikations- und Dienstleistungsbereich aus.
Begründung: die beschriebenen Konsequenzen (absolute Konkurrenz, Selbstoptimierung, Individualisierung) sind vor allem neoliberale Phänomene und sollten so benannt werden trägt zum schlechten Image der betrieblichen Mitbestimmung. Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wird Studierenden täglich bewusst gemacht und an vielen Hochschulen predigen konservative Wirtschaftsprofessor*innen die furchtbaren Konsequenzen der Arbeit von Gewerkschaften und Betriebsräten. Junge Beschäftigte sind daraufhin nach ihrem Berufseinstieg erst recht dazu motiviert, sich von ihren Kollegen*innen abzuheben und gegenüber den Chefs zu profilieren, indem sie sich gegen die Gründung eines Betriebsrats aussprechen. Aus diesen Gründen liegt der inhaltliche Schwerpunkt dieses Antrags auf Hochschulabsolventen, aber betriebliche Mitbestimmung sollte selbstverständlich jedem*r Arbeitnehmer*in zugänglich sein.
In einem Startup, das nur aus den Gründer*innen besteht mag eine Arbeitnehmer*innen Vertretung nicht notwendig sein, jedoch gibt es viele Startups mit wachsenden Beschäftigungszahlen. In diesen Unternehmen wird das familiäre Gefühl weiterhin in den Vordergrund gestellt und drängt so Mitarbeiter*innen oftmals durch sozialen Druck dazu, unter prekären Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Arbeitsforscher*innen sind sich jedoch darüber einig, dass die neue Generation am Arbeitsmarkt einen stärkeren Wert darauf legt, autonom und in demokratische Prozesse eingebettet zu arbeiten. Dennoch wird in vielen Startups propagiert, dass Gewerkschaften und Betriebsräte*innen der „old economy“ zugehören, die Arbeitsvorgänge verlangsamen und auf Dauer zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Es gehört heute zur Arbeitsrealität, dass Mitarbeiter*innen entlassen werden, die sich über die Gründung einer Arbeitnehmer*innenvertretung informieren und sich gewerkschaftlichen Beistand suchen. Diese Kultur der Einschüchterung und kapitalistischen Herrschaft des Managements über die Arbeitnehmer*innen schafft prekäre Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und schadet den Unternehmen, da sie Kreativität im Keim erstickt. Schließlich können Ideen nur dort dauerhaft gedeihen, wo die grundlegenden Bedürfnisse der Beschäftigten nach einem sicheren Arbeitsplatz und guten Arbeitsbedingungen erfüllt sind.
Die zunehmende Vernetzung der Arbeitnehmer*innen und neue technische Möglichkeiten erleichtern die Anwendung von direktdemokratischen Elementen, wie beispielsweise Abstimmungen zu Unternehmensprozessen über mobile Kommunikationsplattformen. Diese Formen der Mitbestimmung in der Arbeitswelt 4.0 werden noch zu wenig abseits der Arbeitsforschung diskutiert und müssen der jungen Generation am Arbeitsmarkt als in der Praxis realisierbare Instrumente präsentiert werden. Sie zeigen, dass die Arbeitswelt 4.0 über Potential für eine Verbesserung der Situation von Beschäftigten verfügt, obwohl wir bisher eher ihre negativen Konsequenzen sehen, wie die Entgrenzung der Arbeit und den Zwang zur ständigen Erreichbarkeit von Arbeitnehmer*innen. Auf lange Sicht sollten neuen Formen der betrieblichen Mitbestimmung, die sich in der Praxis als erfolgreich erweisen, im Betriebsverfassungsgesetz rechtlich institutionalisiert werden.
Forderungen
Deshalb fordern wir Jusos:
- dass Schüler*innen als potentielle zukünftige Arbeitnehmer*innen bereits in allen weiterführenden Schulformen und Berufsschulen über die Möglichkeiten zur betrieblichen Mitbestimmung und zum Schutz ihrer Rechte im Arbeitsalltag aufgeklärt werden. Ferner sollten zu den Unterrichtsinhalten auch die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung gehören, um ein Verständnis für die Arbeit von Gewerkschaften bekommen zu können. Schließlich verfügen Schüler*innen im Schulalltag bereits über Möglichkeiten zur Mitbestimmung und es sollte ihnen verdeutlicht werden, dass sich das Teilhabe an Entscheidungsprozessen durch ihr ganzes Leben ziehen kann. Das Betriebsverfassungsgesetz sollte keinem*r Schulabgänger*in komplett unbekannt sein. Daher soll das Thema der betrieblichen und gewerkschaftlichen Mitbestimmung fest im Rahmenlehrplan diverser Fächer (wie z.B. WAT, GW, Geschichte und Politik u.a.) integriert und verpflichtend unterrichtet werden.
- Die Möglichkeit für und Förderung von gewerkschaftlich organisierten Workshops an Hochschulen und beruflichen Schulen für Studierende als potenzielle Arbeitnehmer*innen, da so der Weg zu einer erfolgreichen Arbeitnehmer*innenvertretung und mehr Demokratisierung in Unternehmen darlegt wird. Negative Propaganda gegen Betriebsräte*innen kann auf diesem Weg ebenfalls kritischer evaluiert werden von jungen Beschäftigten.
- Eine Image-Kampagne des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für Betriebsratsarbeit, da jungen Menschen über die sozialen Medien ihre Rechte als Arbeitnehmer*innen vermittelt werden können und sie erfahren, was sich prekären Arbeitsbedingungen entgegen setzen lässt. Für den Hashtag ‚Betriebsrat‘ lassen sich bisher nur 651 Einträge finden – da geht noch mehr!
- Die Unterstützung vonDemonstrationen, Flyeraktionen und Diskussionsveranstaltungen der SPD, da sie Solidarität mit Arbeitnehmer*innen, die in Startups unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten ausdrücken und Aufmerksamkeit auf diese Problematik lenken. Hierbei sollte auf die Expertise der Gewerkschaften zurückgegriffen werden, da sie ursprünglich für diesen Arbeitsbereich zuständig sind und viele Erfahrungen mit solchen Aktionen besitzen.
- Generell eine stärkere Zusammenarbeit und einen vertieften Austausch der SPD mit den Gewerkschaften, um Kampagnen wie die der „offensive Mitbestimmung“ vom DGB voranzutreiben.
[1] Das Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit ist eine jährliche repräsentative Arbeitgeber*innenbefragung zu beschäftigungspolitischen Themen.
[2] Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans Böckler Stiftung führt eine repräsentative Panel-Befragung von Betriebsräten*innen in Unternehmen ab 20 Beschäftigten durch.