Wir fordern: Die bundesweite Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen durch die ersatzlose Streichung des §43 StGB.
Wir treten außerdem weiterhin dafür ein, dass das Fahren ohne Fahrschein („Schwarzfahren“) entkriminalisiert wird. Weitere Vergehen sollen zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft werden.
Wir fordern die SPD auf, sich für die Erarbeitung eines Konzeptes für einen fairen, gerechten und sozialen Umgang mit Menschen, die sich Geldstrafen nicht leisten können, einzusetzen.
Rund zehn Prozent aller Inhaftierten in Deutschland sitzen eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe ab. Damit ist Deutschland Spitzenreiter im europäischen Vergleich – weit vor Frankreich, England und Wales, Spanien und den skandinavischen Ländern.
Die Ersatzfreiheitsstrafe wird dann verhängt, wenn Verurteilte ihre Geldstrafen nicht bezahlen können. Meistens handelt es sich um Delikte wie „Schwarzfahren“ oder kleinere Diebstähle. Obgleich solche Delikte von Personen aus allen Bevölkerungsteilen begangen werden, müssen vor allem ökonomisch und sozial benachteiligte Menschen aufgrund ihrer Zahlungsunfähigkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe ableisten, also nicht, weil sie die Geldstrafen nicht bezahlen wollen, sondern es schlichtweg nicht können. Die Geldstrafe wird wie folgt berechnet: Ein Tagessatz entspricht 1/30 des Nettoeinkommens. Häufig wird das zur Verfügung stehende Nettoeinkommen sowie der Bedarf an Einkommen zur Sicherung eines Mindestlebensstandards grob geschätzt. Nicht selten werden die Menschen zu bis zu 30 Tagessätzen verurteilt und müssen folglich bis zu einem ganzen Monatsgehalt als Strafe zahlen.
Wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann, muss pro Tagessatz einen Tag im Gefängnis verbringen. Personen, die die geforderte Summe nicht aufbringen können, erleiden dadurch
- eine unverhältnismäßige Strafe für ein minderes Delikt, das keinen größeren Schaden verursacht und das deswegen auch nicht mit einer Freiheitsstrafe eingebüßt werden sollte.
- Sie werden damit für dieselben Delikte stärker bestraft als zahlungskräftigere Personen.
Die Tagessätze von Geldstrafen sind oftmals unangemessen hoch. Selbst bei Berücksichtigung des Nettohaushaltseinkommens, kommen nah am Existenzminimum lebende Menschen schnell in Bedrängnis. Sie werden verhältnismäßig stärker belastet als besserverdienende Menschen. Somit ist die Ersatzfreiheitsstrafe eine Armutsstrafe.
Die Freiheitsstrafe stellt für Betroffene mehrfache Bestrafung dar und setzt eine Abwärtsspirale in Gang: Selbst nach (wiederholten) kurzen Haftstrafen haben Betroffene es besonders schwer einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung zu finden. Oft führt ein Haftbefehl auch zu einer Kündigung und gesellschaftlicher Stigmatisierung. Während der Haftstrafe können Gefangene arbeiten. Dennoch zahlen sie nicht in die Sozialsysteme ein, weshalb sie langfristig auch von einem deutlich höheren Altersarmutsrisiko betroffen sind. Statt zu resozialisieren, führt die Ersatzfreiheitsstrafe zu einem weiteren sozialen und ökonomischen Abstieg in der Gesellschaft. Die Freiheitsstrafe verschärft soziale Ungleichheiten!
Das Strafrecht soll Gerechtigkeit durchsetzen und keine Ungleichheiten reproduzieren, daher ist ein anderer Umgang mit Menschen, die sich Geldstrafen zu den geforderten Fristen und Höhen nicht leisten können, nötig. Formal können Betroffene innerhalb von zwei Wochen nach Rechtsprechung Einspruch gegen die Umwandlung der Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe erheben, einen Antrag auf Ratenzahlung stellen oder die Ableistung der Strafe durch gemeinnützige Arbeit beantragen. Viele Betroffene sind jedoch nicht über ihre Rechte informiert, lassen die kurze Frist verstreichen oder sehen sich überfordert, eine gemeinnützige Arbeit zu finden. Oft fehlt der Zugang zu Rechtsberatung, Rechtsbeistand und psychosozialer Unterstützung. Menschen mit höherer Bildung, mit mehr Vermögen und Einkommen werden erheblich seltener durch Ersatzfreiheitsstrafen bestraft und sind demnach auch nicht von den eben genannten sozialen Folgeschäden einer Ersatzfreiheitsstrafe betroffen.
Nicht nur für die einzelnen Betroffenen stellen die Ersatzfreiheitsstrafen unverhältnismäßige Strafen mit erheblichen Folgen dar. Eine inhaftierte Person verursacht pro Tag über 100 Euro an Kosten. Bei durchschnittlich fünf bis 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe für kleine Delikte wie Schwarzfahren kommen jährlich mindestens 200 Millionen Euro an Kosten nur die Inhaftierung zustande. Auch diese Kosten sind als unverhältnismäßig anzusehen. Die von der SPD Berlin bereits geforderte Herabstufung des Schwarzfahrens von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit reicht noch nicht aus, um dieses Problem ausreichend zu lösen. Denn auch wenn das bei einer Ordnungswidrigkeit verhängte Bußgeld nicht gezahlt werden kann, können Ersatzfreiheitsstrafen drohen. Die SPD muss sich weiterführende Konzepte zur Entkriminalisierung solcher geringfügigen Delikte einsetzen. Diese Konzepte sollen unbedingt die unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Voraussetzungen verschiedener Menschen mitbedenken und somit ein sozial faires und verhältnismäßiges Verfahren bei kleinen Delikten ermitteln.
Wir fordern die SPD auf, sich für die Erarbeitung eines Konzeptes für einen fairen, gerechten und sozialen Umgang mit Menschen, die sich Geldstrafen nicht leisten können, einzusetzen.
Dabei ist sicherzustellen, dass alle rechtlichen Möglichkeiten zur Umgehung einer Ersatzfreiheitsstrafe, insbesondere im Bereich der Kleinkriminalität, vollständig ausgeschöpft und Betroffene entsprechend belehrt werden.
Ferner ist zu bedenken, dass die Ersatzfreiheitsstrafe resozialisierungsfeindlich und im Hinblick auf den Freiheitsentzug und den Tatvorwurf sowie den Kosten der Haft und der Höhe der Geldstrafe teilweise unverhältnismäßig ist. Dem ist entgegen zu wirken.