Antrag LV02/IV/2017 2017: Die Zeit ist reif für mehr Gerechtigkeit!

Status:
Erledigt

Entschliessung zum Wahlkampf und Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl 2017

Möchte die SPD 2017 nur wieder mitregieren dürfen, oder will sie einen Politikwechsel in Richtung mehr soziale Gerechtigkeit durchsetzen? Um dafür eine Mehrheit zu gewinnen, muss sie viel mehr Wähler „von ihrer eigentlichen Kernkompetenz der sozialen Gerechtigkeit überzeugen“. Schon nach der Bundestagswahl 2013, auf dem Parteitag im November in Leipzig, versuchte der Vorsitzende Sigmar Gabriel die SPD-Basis davon zu überzeugen: „Ja, die Deutschen wollten auch dieses Mal mehr soziale Gerechtigkeit und sahen das Auseinanderdriften von Arm und Reich als Problem an. Die SPD konnte die Wählerinnen und Wähler aber nicht ausreichend von ihrer eigentlichen Kernkompetenz der sozialen Gerechtigkeit überzeugen. Der Zwiespalt der Agendapolitik war von uns nicht auszuräumen.“   (Sigmar Gabriel: Rede beim ordentlichen SPD-Bundesparteitag am 14. 11. 2013 in Leipzig, Mitteilung für die Presse. Herausgeberin: Andrea Nahles, S. 5.)

Wenn die SPD 2017 erfolgreicher sein will als 2013, dann muss sie endlich den Mut aufbringen, den „Zwiespalt der Agendapolitik auszuräumen“, und zwar mit einem linken Programm gegen „das Auseinanderdriften von Arm und Reich“ und für mehr soziale Gerechtigkeit. Ein solches Reformprogramm, oder „Solidarprojekt“, ist für die SPD notwendig, um mehr Wähler von ihrer Kernkompetenz zu überzeugen, um die Flüchtlingkrise zu bewältigen und den rasanten Vormarsch der AfD zu stoppen. Doch paradoxerweise bemühen sich Medien und Politiker aus der demokratischen Mitte der intellektuell-politischen Rechten, also fast aller Parteien, unter Berufung auf Flüchtlingskrise und AfD, eine soziale Linkswende zu verhindern und sogar eine weitere Rechtswende der demokratischen Parteien durchzusetzen. Dafür agitieren sie massiv mit der falschen Diagnose, mit iher Flüchtlingspolitik habe Merkel die CDU „nach links bewegt – und rechts von sich einen Platz frei gemacht“ (Die ZEIT, 3. März 2016), den jetzt die AfD einnehme.

Diese in Medien und Parteien der „Mitte“ weit verbreitete  verharmlosende Bewertung der rechtsradikalen Ideologie der AfD ignoriert die Tatsache: Schon seit vielen Jahrzehnten gibt es in Deutschland ein latent rechtsradikales Potenzial von etwa 15 Prozent, das jetzt die AfD und ihre willigen Helfer aus der „Mitte“ mobilisiert haben, indem sie Angst vor und Hass auf Flüchtlinge schürten. Und damit verschleiern sie zugleich die wirklichen Ursachen für unsere sozialen Probleme: Nicht wachsende Ungleichheit und exzessiv wachsender Reichtum einer superreichen „Parallelgesellschaft“ sind Ursache für zunehmende soziale Unsicherheit und Armut, sondern die muslimischen Flüchtlinge: Nicht der kriminelle Pegida-Demagoge Lutz Bachmann, sondern Die WELT (online) vom 10. 5. 2016 lügt und hetzt: „Die Wähler (die AfD wählen, H. H.) wollen nicht zugunsten der Flüchtlinge auf Staatsgeld verzichten. … Denn selbst der unpolitischste Bürger begreift, dass große Teile des Staatsgeldes fortan den Neuankömmlingen aus dem Orient zukommen werden. Für Rentner, Arbeitslose, Mütter, Sozialhilfeempfänger bleibt da wenig übrig.“

Gegen diese falsche Diagnose muss die SPD mit einer richtigen Diagnose die Menschen über die tatsächlichen Ursachen unserer sozialen Misere aufklären:

Nicht ein Linksschwenk Merkels, der neoliberale Rechtsruck der demokratischen Parteien ist Ursache für die soziale Krise und den Aufstieg der AfD.

Wenn „für Rentner, Arbeitslose etc. wenig übrig bleibt“, dann nicht wegen der Flüchtlinge, sondern wegen der neoliberalen Gegenreformen, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft haben, so dass sich eine wachsende Minderheit ausgeschlossen fühlt und nicht mehr an Wahlen teilnimmt. (In Bremen Mai 2015 in „gutbürgerlichen“ Vierteln 75 Prozent, in „Prekariatsvierteln“ 35 Prozent Wahlbeteiligung.) Wegen dieser sozialen Ungerechtigkeit konnte die AfD – und die Rechtspopulisten europaweit –  , zusätzlich zum latent vorhandenen rechtsradikalen Potenzial ein genuin linkes Wählerpotenzial mit rechtsradikalen Parolen für sich gewinnen. (Bei der Landtagswahl am 13. März 2016 erhielt in der Arbeiterstadt Bitterfeld der AfD-Direktkandidat 33,4 Prozent der Stimmen, die SPD 8,4 Prozent. In Österreich stimmten bei den Präsidentschaftswahlen 72 Prozent der Arbeiter für den rechtspopulistischen FPÖ-Kandidaten.)

SPD und Grüne müssen erkennen: Nur mit einem sozialen Reformprogramm für einen Politikwechsel in Richtung mehr Gerechtigkeit können wir die durch den neoliberalen Rechtsruck verursachte Krise der repräsentativen Demokratie bewältigen und den Vormarsch der rechtsradikalen AfD stoppen, bevor „alles in Scherben fällt“.

Für ein solches Reformprogramm muss sich die SPD nicht in einem Eilverfahren – ex nihilo – neu erfinden. Sie kann anknüpfen an die in den vergangenen Jahren wieder intensiver gewordenen Diskussionsprozesse in den Gewerkschaften, den Sozialverbänden und sozialen Bewegungen, den kritischen Medien und Sozialwissenschaften, ja sogar selbst in der SPD. Dadurch ist in einer breiten Öffentlichkeit – ausgenommen nur die abgehobenen obersten Etagen der Machteliten – die Notwendigkeit eines sozialen Politikwechsels als dringende Zukunftsaufgabe erkannt worden. Und es liegen zahlreiche Publikationen vor, die das fundiert begründen und die nicht Merkels humane Flüchtlingspolitik von 2015 diffamieren, sondern ihr Festhalten an der inhumanen neoliberalen Austeritätspolitik kritisieren.

Aus der Überfülle solcher Dokumentationen, die die SPD für ihr Wahlprogramm 2017 nutzen kann, sei hier nur kurz auf 3 Beispiele verwiesen:

  1. „Die Zeit ist reif: Mehr Gerechtigkeit wagen.“ Das Positionspapier, das im April 2016 der Landesparteitag der SPD-Schleswig-Holstein in Kiel – nach mehrjährigen Diskussionsprozessen – beschlossen hat.
  2. „Ein Appell zum Umsteuern“, vorgestellt von Gesine Schwan und Hans-Jürgen Urban (Vorstand der IG-Metall) am 14. April 2016 in der Frankfurter Rundschau. (Näheres:  HYPERLINK „http://www.europa-neu-begruenden.de“ www.europa-neu-begruenden.de) Dieser Appell wurde schon nach kurzer Zeit von fast 2000 Multiplikatoren unterschrieben, u. a. von Grünen, LINKEN, Sozialdemokraten (Ralf Stegner)
  3. „Wachsende Ungleichheit“. „Dossier 2016“ des Dortmunder Bundestagsabgeordneten Marco Bülow.

Diese 3 Dokumente, und auch zahlreiche andere Publikationen, sprechen Klartext: Es geht nicht darum, künftig das Wort „soziale Gerechtigkeit“ noch inflationärer zu gebrauchen. Und es reicht auch nicht, die Probleme und Aufgaben aufzuzählen: Zukunftsinvestitionen in die maroder werdende Infrastruktur, in Bildung und Digitalisierung, Kampf gegen die skandalöse Kinderarmut im reichen Deutschland, gegen drohende Altersarmut und gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Denn Parteien, die das alles versprechen, ohne über höhere Steuern für Superreiche zu sprechen, belügen sich selbst, und vor allem die Wähler.

Ein glaubwürdiges Programm für einen sozialen Politikwechsel muss daher einige Mindestforderungen zur Steuerpolitik enthalten:

  1. Mühelos erzielte Kapitaleinkommen dürfen mit höchstens 25 Prozent nicht mehr geringer besteuert werden als Einkommen für Arbeit. (Ein Staat, der das tut, ist ein Klassenstaat!)
  2. Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
  3. Angemessene Erbschaftssteuer
  4. Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Die Steuerprogression darf nicht mehr bei rund 50 000 Euro enden.

Machtoptionen für einen Politikwechsel Richtung mehr soziale Gerechtigkeit!?

Da es die Wähler sowieso schon wissen, kann die SPD zugeben, dass sie es auch weiß: Dieses Programm für einen linken Politikwechsel können wir nicht in einer Großen Koalition mit der Union durchsetzen. Aber nur eine Große Koalition ablehnen, heißt nur, die SPD  findet sich damit ab, dass die Union nach der Wahl 2017 mit den Grünen so weiter machen muss wie bisher. Wenn die SPD mit ihrem renovierten Markenkern soziale Gerechtigkeit wieder mehr Wähler gewinnen will, muss sie ihnen auch eine realistische Machtoption für die Durchsetzung dieses Programms anbieten. Dafür kann sie, muss sie aber nicht unbedingt eine ausdrückliche Koalitionsaussage für Rot-Rot-Grün machen. Aber wenn diese Option tabu und ausgeschlossen bleibt, dann erkennen die Wähler: Die SPD garantiert den Unionsparteien, dass sie auch in den kommenden Jahrzehnten die Richtlinien der Politik bestimmen dürfen. Und sie kennt nicht mehr das Ziel von Willy Brandt: Eine Mehrheit links der Unionsparteien.   

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme 65/III/2016 (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

 

 

Antrag für den Bundesparteitag zur Vorlage LV-Klausur