Während die Corona-Pandemie allmählich in Vergessenheit gerät, kämpfen tagtäglich viele Menschen weiterhin mit den Folgen einer unter Umständen Jahre zurückliegenden Covid-Infektion. Diese Einschränkungen und Symptome die über die akute Krankheitsphase hinausgehen werden als Long Covid bzw. Post-Covid-Beschwerden bezeichnet, sie können bis hin zu schweren Folgeerkrankungen wie ME/CFS (Chronisches Fatigue-Syndrom) reichen.
Betroffene sind häufig dauerhaft in ihrer Lebensführung eingeschränkt. Als chronisch Erkrankte sind sie häufig nicht mehr in der Lage, ihrem Arbeits- und Sozialleben wie gewohnt nachzugehen. Manche sind aufgrund ihrer Symptomatik komplett arbeitsunfähig. Bisher gibt es wenig belastbare Daten zur Prognose von Long Covid und man kann wie bei ME/CFS von langwierigen, oft nie vollständig ausheilenden Verläufen ausgehen.
Diesen Betroffenen wurde seit Beginn der Pandemie immer wieder umfassende Hilfe versprochen. Doch bis heute bleibt diese Hilfe aus. Nach Aussage der Charité-Professorin Carmen Scheibenbogen sind die Betroffenen vielmehr überwiegend nicht gut bis gar nicht versorgt. Die von der Charité eingerichtete Post-Covid Ambulanz ist nicht annähernd in der Lage, die Nachfrage nach Sprechstunden zu bedienen und fokussiert sich auf besonders schwere Fälle. Leichtere Fälle bleiben oft unbehandelt. Dies entspricht nicht der Versorgung, die den Betroffenen unter anderem durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach öffentlich versprochen wurde. Dabei ist nicht bekannt, wie viele Betroffene es genau sind, denn es wird im Bezug auf Post-Covid- Erkrankungen weder Monitoring betrieben, noch gibt ein Register für Long Covid Betroffene. Somit fühlen sich Betroffene zurecht oft ungesehen und vergessen.
Auch im öffentlichen Diskurs ist seit dem medialen Ende der Corona-Pandemie von Langzeiterkrankten kaum noch die Rede. Die Sorgen und Bedürfnisse, der Umfang der Einschränkungen, die daraus entstehenden Folgeprobleme mit Behörden und Arbeitgebern sowie die psychische Belastung einer chronischen Erkrankung und zu oft gesellschaftlich zu wenig sichtbar – ob bei Long Covid, ME/CFS oder anderen chronischen Erkrankungen. Insbesondere weil man chronische Erkrankungen wie ME/CFS oft einer Person nicht ansieht, werden Beschwerden mitunter als Einbildung abgetan. Dass Menschen ihr Leben auf einmal nicht mehr bestreiten können, wird im schlimmsten Fall belächelt und als Faulheit verunglimpft oder Einschränkungen ignoriert.
Um die Versorgung der Betroffenen von Long Covid zu stärken, wurde im Berliner Koalitionsvertrag von 2023 der Aufbau von wohnortnahen Anlaufstellen für Long-Covid Patient*innen beschlossen. Presseberichten zufolge heißt es nun in einem Bericht des Senates, der Aufbau dieser Ambulanzen komme mit Haushaltsmitteln nicht in Betracht. Es handele sich nicht um eine Aufgabe des Landes Berlin. Bei der Versorgung von Long-Covid-Betroffenen stünden die Krankenkassen, Arztpraxen und Kliniken in der alleinigen Verantwortung. Als Trägerin der landeseigenen Kliniken hat der Senat jedoch mindestens darüber die Möglichkeit, Einfluss auf die Ausrichtung der Versorgung zu nehmen und so den Koalitionsvertrag zu erfüllen. Wir stehen zur hausarztzentrierten Versorgung und sehen daher die Anbindung von Betroffenen von Long Covid und ME/CFS primär an die hausärztliche Praxis als beste Lösung für die Betroffenen und für unser belastetes Gesundheitssystem. Dafür fehlt es jedoch bisher an Kapazitäten und Konzepten zur Versorgung — ohne diese beiden wichtigen Säulen ist weder Patientinnen noch Praxen geholfen, wenn (zurecht) komplexe Anforderungen auf überarbeitete, nicht darauf eingestellte Praxen ohne gute Versorgungskonzepte treffen.
Dabei fehlt es nicht nur an medizinischer Unterstützung. Zusätzlich brauchen Betroffene soziale Beratungsstellen, um zu erfahren, an welche Personen und Einrichtungen sie sich wenden können, um einen Plan zu entwerfen, wie ihr Leben mit Long Covid gestaltet und erleichtert werden kann. Derzeit helfen sich Betroffene häufig selbst, indem sie sich beispielsweise über soziale Medien vernetzen. Hier besteht jedoch die große Gefahr von Falschinformationen.; Des Weiteren sollten die Gefahr von Reinfektionen minimiert werden, da diese die Wahrscheinlichkeit von Long Covid Erkrankungen deutlich steigern. Dazu könnten bereits angeschaffte Luftfilter wieder in Betrieb genommen werden, das hätte auch einen Vorteil für Allergikerinnen. Die Wartung dieser Geräte ist weder aufwendig noch kostenintensiv. Die Einhaltung der DIN-Norm für die Qualität von Raumluft ist derzeit freiwillig. Dabei wäre es insbesondere an Orten mit großem Menschenaufkommen sinnvoll, diese DIN-Norm verpflichtend umzusetzen, beispielsweise durch den verpflichtenden Einsatz von CO2-Messgeräten in Innenräumen, wie in Lettland bereits umgesetzt.
Wir fordern daher:
- Einhaltung des Koalitionsvertrages durch Senator*innen der SPD bezüglich des Aufbaus von mehr Kapazitäten in Anlaufstellen für Long-Covid Patient*innen
- Erstellen eines Registers für Long-Covid Betroffene, Monitoring des Krankheitsverlaufs und der Symptome
- Einrichtung von Fördertöpfen explizit zur Erforschung hausarztzentrierter Versorgungskonzepte für an Long Covid und ME/CFS Erkrankte
- Finanzielle Stärkung der Forschung zur Behandlung von Long-Covid
- Verpflichtung von Arbeitgeber*innen, auf die Bedürfnisse von chronisch kranken Arbeitnehmerinnen, z.B. Menschen mit Long Covid einzugehen und ihnen beispielsweise verkürzte Arbeitszeiten, verlängerte Pausenzeiten und umfassendes Home-Office zu ermöglichen
- Verpflichtende Wiederinbetriebnahme von vorhandenen Luftfiltern und verpflichtende Einhaltung von Vorgaben zur Raumluftqualität
- Eine massive Senkung der bürokratischen Hürden für Nachteilsausgleiche bei Prüfungssituationen aller Art (Schule, Studium, Ausbildung etc.) für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen
- Eine massive Senkung der bürokratischen Hürden bei der Beantragung von Sozialleistungen, falls aufgrund einer chronischen Erkrankung eine Erwerbstätigkeit nicht möglich ist