Antrag 59/I/2023 Artikel 31 Istanbul-Konvention konsequent umsetzen: Sicherheit der Frauen und Gewaltschutz muss Vorrang haben vor Umgangs- und Sorgerecht

Status:
Annahme mit Änderungen
  1. Die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestags werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Artikel 31 der Istanbul-Konvention (IK) zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wirksam umgesetzt wird. Das zivilrechtliche Umgangs- und Sorgerecht muss unverzüglich so ausgestaltet werden, dass der Gewaltschutz Vorrang hat.
  2. Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses werden aufgefordert zu prüfen, ob die Umsetzung des Artikel 31 IK im Wege einer Bundesratsinitiative forciert werden kann und entsprechend zu handeln.
  3. Auf Bundes- und Landesebene sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit bei Entscheidungen über das Umgangs- und Sorgerecht Gewalttaten gegen den nicht-gewalttätigen Elternteil immer berücksichtigt werden. Die Vorschläge und Empfehlungen der unabhängigen Expertenkommission (GREVIO) sind einzubeziehen.

 

[1] Artikel 31 – Sorgerecht, Besuchsrecht und Sicherheit

(1) Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht betreffend Kinder berücksichtigt werden.

(2) Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet.

[2] Group of Experts on action against violence against woman an domestic violence.

[3] https://www.bmfsfj.de/resource/blob/202386/3699c9bad150e4c4ff78ef54665a85c2/grevio-evaluierungsbericht-istanbul-konvention-2022-data.pdf

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:
  1. Die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestags werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Artikel 31 der Istanbul-Konvention (IK) zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wirksam umgesetzt wird. Das zivilrechtliche Umgangs- und Sorgerecht muss unverzüglich so ausgestaltet werden, dass der Gewaltschutz Vorrang hat.
  2. Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses werden aufgefordert zu prüfen, ob die Umsetzung des Artikel 31 IK im Wege einer Bundesratsinitiative forciert werden kann und entsprechend zu handeln.
  3. Auf Bundes- und Landesebene sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit bei Entscheidungen über das Umgangs- und Sorgerecht Gewalttaten gegen den nicht-gewalttätigen Elternteil immer berücksichtigt werden. Die Vorschläge und Empfehlungen der unabhängigen Expertenkommission (GREVIO) sind einzubeziehen.

 

Beschluss: Annahme mit Änderungen
Text des Beschlusses:
  1. Die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestags werden aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Artikel 31 der Istanbul-Konvention (IK) zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wirksam umgesetzt wird. Das zivilrechtliche Umgangs- und Sorgerecht muss unverzüglich so ausgestaltet werden, dass der Gewaltschutz Vorrang hat.
  2. Die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses werden aufgefordert zu prüfen, ob die Umsetzung des Artikel 31 IK im Wege einer Bundesratsinitiative forciert werden kann und entsprechend zu handeln.
  3. Auf Bundes- und Landesebene sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit bei Entscheidungen über das Umgangs- und Sorgerecht Gewalttaten gegen den nicht-gewalttätigen Elternteil immer berücksichtigt werden. Die Vorschläge und Empfehlungen der unabhängigen Expertenkommission (GREVIO) sind einzubeziehen.

 

Beschluss-PDF:
Stellungnahme(n):
Stellungnahme Senat 2024:

Am 10.10.2023 hat der Berliner Senat den Landesaktionsplan zur Umsetzung des Europarats-übereinkommens zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, der sogenannten Istanbul Konvention, beschlossen. Der Landesaktionsplan wurde in einem ressortübergreifenden Prozess unter Federführung der für Frauen und Gleichstellung zuständigen Senatsverwaltung und unter Einbeziehung der Bezirke und der Zivilgesellschaft erarbeitet und umfasst 134 Maßnahmen. Es wird daran gearbeitet, alle Maßnahmen wirksam umzusetzen, was aufgrund des Umfangs ein Prozess ist, der Zeit in Anspruch nimmt. Zur Steuerung dieses Prozesses hat der Runde Tisch „Istanbul Konvention umsetzen in Berlin“ in seiner Sitzung am 23. Februar 2024 eine Priorisierung der Maßnahmen hinsichtlich der Reihenfolge ihrer Umsetzung vorgenommen, ohne dass hiermit eine Hervorhebung oder Abschwächung der Bedeutung der jeweiligen Maßnahme verbunden ist. Bei einigen Maßnahmen sind bereits erste Schritte zur Umsetzung erfolgt, so wird beispielsweise die Sanierung eines 9. Frauenhauses vorangebracht. Die Umsetzung von Artikel 31 obliegt der Fachgruppe Polizei, Strafverfolgung und Justiz unter der Federführung der Senatsverwaltung für Justiz. Über den konkreten Sachstand kann daher keine Auskunft seitens der SenASGIVA erfolgen. Im Sommer findet eine ressortübergreifende AG-Sitzung statt, in der sich über die Entwicklungen bei der Umsetzung der Maßnahmen ausgetauscht wird.

Stellungnahme AH-Fraktion 2024:

Die Umsetzung der Istanbul-Konvention, dem internationalen Abkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, hat für die SPD-Fraktion eine herausragende Bedeutung und wird von ihr als Anliegen wahrgenommen und bearbeitet, für dessen Umsetzung alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche involviert sein müssen. Das Bekenntnis zur Istanbul-Konvention wurde auch im Koalitionsvertrag festgehalten (S. 18). Berlin wird aktiv im Kampf gegen Diskriminierung und alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen engagiert sein, indem Maßnahmen zur Gewaltprävention und zum Opferschutz ergriffen werden. In Bezug auf das im Antrag vorgetragene Anliegen, die Priorität der Sicherheit von Frauen und Gewaltschutz vor Umgangs- und Sorgerecht sicherzustellen, ist hervorzuheben, dass hierzu bereits eine Anfrage aus der Fraktion gestellt wurde: Drucksache 19 / 14 843: „Berücksichtigung von vorheriger Gewalt in Sorge- und Umgangsverfahren im Sinne der Istanbul-Konvention (Art. 31)“. Aufgrund des tätigen Handelns des Senats, welcher der Erstellung eines Landesaktionsplans zur Umsetzung der Konvention eine besondere Priorität eingeräumt hat, wird derzeit von einer eigenen Bundesratsinitiative abgesehen.

Stellungnahme Landesgruppe 2024:

Die Istanbul-Konvenfion gilt seit Februar 2023 in Deutschland uneingeschränkt. Die Landesgruppe Berlin wird die weitere Umsetzung der geplanten Maßnahmen begleiten, damit diese wirksam umgesetzt werden können. Bereits nach geltender Rechtslage kann das Familiengericht das Umgangsrecht des Vaters kurzfrisfig einschränken bzw. ausschließen, sofern das Kindeswohl dies erfordert (§ 1684 Absatz 4 Satz 1 BGB). Zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls kann das Umgangsrecht oder sein Vollzug auch für längere Zeit oder auf Dauer ausgeschlossen werden (§ 1684 Absatz 4 Satz 2 BGB).

In Fällen, in welchen der Vater die Mufter angegriffen hat, hat das Familiengericht zudem den Schutz von Mufter und Kind zu berücksichfigen, wenn es über den Umgang entscheidet. Zur Verhinderung von Gewaltvorfällen im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Umgangsrechte wird das Gericht die Regelung so ausgestalten, dass es bei der Übergabe des Kindes nicht zu Begegnungen zwischen den Eltern kommt. Die jeweiligen Modalitäten richten sich nach dem Einzelfall, insbesondere nach Kindesalter sowie Art und Umfang eines dem Kindeswohl entsprechenden Umgangs. Die Übergabe erfolgt in der Regel durch eine den Umgang begleitende Person sowie ein zeitlich versetztes Kommen und Gehen der Elternteile ohne persönliche Begegnungen. In anderen Fällen kann die Übergabe durch oder in Anwesenheit übergabebereiter Drifter – wie Schule oder Kindergarten – geregelt werden. Bei Zuwiderhandlungen gegen gerichtliche Umgangsregelungen kann gemäß § 89 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen (FamFG) Ordnungsgeld oder Ordnungshaft angeordnet werden. Zudem kann ein solches Verhalten auch einen Verstoß gegen eine etwaige Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz darstellen.

Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermiftlungen durchzuführen und wenn nöfig hierfür Beweis zu erheben (§§ 26, 30 FamFG). Im Falle von Anhaltspunkten zählt hierzu die Ermiftlung, ob, wann und in welcher Form es zu Gewalt in der Familie gekommen ist, welche familieninternen Auswirkungen diese hat und welche Regelungen nöfig sind, um erneute Gewaltvorkommnisse möglichst auszuschließen. So können im Rahmen der Amtsermiftlungen medizinische Unterlagen eingesehen, Informafionen von der Polizei erfragt, frühere Verfahren beigezogen oder geprüft werden, ob es einer Beweiserhebung durch Einholung eines qualifizierten Sachverständigengutachtens (§ 163 FamFG) bedarf. Zudem sieht das Verfahrensrecht in Kindschaftssachen umfangreiche Beteiligungspflichten des Gerichts vor. Hierzu zählt die persönliche Anhörung des Kindes sowie der Eltern (§§ 159, 160 FamFG) und die Mitwirkung und Anhörung des Jugendamtes sowie von Pflegepersonen (§§ 161, 162 FamFG). Zudem ist in den meisten Verfahren den Kindern ein fachlich und persönlich geeigneter Verfahrensbeistand zu bestellen (§§ 158, 158a FamFG). Dieser hat die Aufgabe die Interessen des Kindes festzustellen, im Verfahren zur Geltung zu bringen und das Kind im Verfahren zu unterstützen (§ 158b FamFG).

Bei nicht nur vorübergehend getrenntlebenden Eltern ist bei der Ausübung einer gemeinsamen elterlichen Sorge ein Einvernehmen der Eltern nur bei den relafiv wenigen Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind erforderlich. Im Übrigen ist der Elternteil entscheidungsbefugt, bei welchem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält (§ 1687 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB). Soweit eine Verständigung mit dem anderen Elternteil geboten ist, besteht – zumindest nachdem es zu Gewaltvorfällen gekommen ist – keine Pflicht, sich mit diesem unmiftelbar zu treffen. Es können Vermiftlungsangebote etwa des Jugendamtes wahrgenommen werden. Im Übrigen sind erwiesene Gewaltvorfälle vielfach Umstände, wegen denen einem Antrag des gewaltbetroffenen Elternteils – zumeist der Kindesmufter – auf Übertragung der Alleinsorge gemäß § 1671 Absatz 1 BGB staftzugeben ist. Im Rahmen des Bundesförderprogramms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ (2021) werden zwei Projektmaßnahmen gefördert, die einen Beitrag zur Umsetzung des Grundsatzes der Istanbul-Konvenfion nach Arfikel 31 (Vorrang der Sicherheit des Opfers) sowie Arfikel 51 (Gefährdungsanalyse) leisten.

Im Rahmen der Umsetzung des Vorhabens „Lokale Strukturen und spezifische Verfahren zur systemafischen Berücksichfigung häuslicher Gewalt bei Sorge und Umgangsregelungen und in familiengerichtlichen Verfahren“ von „Zoom – Gesellschaft für prospekfive Entwicklungen e. V.“ sollen spezifische Lösungsansätze für den Konflikt zwischen Umgangsrecht und Gewaltschutz bundesweit idenfifiziert und (weiter-)entwickelt werden. Miftels Fallstudien sollen Konzepte erfolgsversprechender Praxis genauer untersucht und im Hinblick auf ihre Umsetzungsfaktoren analysiert werden. Die Ergebnisse der Erhebungen sollen aufbereitet werden und als Anreiz für die Weiterentwicklung lokaler Praxis dienen. Die zweite Maßnahme mit dem Projekftitel „Begleifforschung Praxisimplementafion eines Fragebogens zur Dokumentafion und zum Risk Assessment im Rahmen von Sorge- und Umgangsrechtsverfahren bei häuslicher Gewalt“ wird von der Katholischen Sfiftungshochschule München (KSH) umgesetzt.

Die KSH erprobt derzeit im Rahmen des Modellprojektes den Fragebogen zur Gefährlichkeitseinschätzung im Amtsgerichtsbezirk München sowie dessen Auswertung im Rahmen einer Begleifforschung1. Hintergrund ist das für den Amtsgerichtsbezirk München entwickelte Modell, das einen opferzentrierten Ablauf des kindschaftsrechtlichen Verfahrens für Betroffene von häuslicher Gewalt, Gewalt gegen Kinder und sexuellem Missbrauch entwirft, sowie für Fälle, bei denen das Kindeswohl durch deutlich eingeschränkte Elternfunkfion durch beispielsweise psychische Erkrankungen und Sucht gefährdet ist.

Der Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ (BMFSFJ-2018) wird in dieser Legislatur unter Leitung von Frau Ministerin Paus fortgeführt, denn er hat sich als ein wertvolles Instrument für ein koordiniertes Handeln von Bund (BMFSFJ und BMAS), Ländern und Kommunen zum effekfiveren Schutz von geschlechtsspezifischer Gewalt erwiesen. Der Runde Tisch begleitet insbesondere die Vorbereitung der legislafiven Schrifte und damit den Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung.

Die Istanbul-Konvention gilt seit Februar 2023 in Deutschland uneingeschränkt. Die Landesgruppe Berlin wird die weitere Umsetzung der geplanten Maßnahmen begleiten, damit diese wirksam umgesetzt werden können.

Beschluss des BPT 2023:

Überweisung an die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Landtagsfraktionen
Überweisungs-PDF: