I. Grundlagen
Menschen wollen einer Beschäftigung nachgehen, die sinnvoll und nützlich erscheint. Nützlich für einen selbst, nützlich für andere Menschen oder nützlich für die Gesellschaft. So entsteht gesellschaftliche Teilhabe, indem man gemeinsam mit anderen oder auch für andere arbeitet. Sei es in Form von Erwerbsarbeit, der selbstständigen oder abhängigen Beschäftigung, oder auch der ehrenamtlichen sowie der Reproduktionsarbeit. Was all diesen Formen von Entlohnung oft gemeinsam fehlt, ist eine dieser Arbeit gegenüberstehende Form der Anerkennung und Wertschätzung. Insbesondere Arbeit in Form von Erwerbsarbeit bietet jedoch einen grundsätzlichen Identifikationsrahmen und befördert soziale Inklusion und Teilhabe. Dies erreicht Erwerbsarbeit aufgrund der durch diese Form der Arbeit vermittelten Teilhabe an einem Prozess, der wichtige Lebensgrundlagen schafft und bessere Lebensbedingungen anstrebt – ein Prozess, durch den somit die eigene Reproduktion und gesellschaftlicher Fortschritt ermöglicht wird.
Klar ist dabei auch: im derzeitigen kapitalistischen System ist es nicht allen Menschen möglich, stets der Arbeit nachzugehen, der sie nachgehen wollen. Dies hat mit der ungleichen Verteilung von Produktionsmitteln aber auch von gesellschaftlichen Voraussetzungen zu tun. In unserer heutigen Gesellschaft bestimmt in vielen Bereichen die soziale Herkunft – Bildung, Ausbildung, Existenz von gesellschaftlichen Netzwerken – die Möglichkeiten, sich die eigenen Arbeitsbedingungen so zu wählen, dass sie den eigenen Vorstellungen am ehesten entspricht. Damit fehlt dem heutigen System bereits die Grundvoraussetzung für eine ausschließlich freie Entscheidung über Produktion und Arbeitseinsatz. Die kapitalistische Produktion koordiniert sich über Konkurrenz und Profit; sie ist dabei niemals stabil, sondern krisenanfällig. Diese Krisen werden sich auch in Zukunft auf den Arbeitsmarkt auswirken. Sie werden immer wieder die Arbeitsperspektiven der Menschen einschränken oder behindern, dessen regelmäßige Folge die gesellschaftliche Stigmatisierung und materielle Unterversorgung aufgrund von Erwerbsarbeitslosigkeit ist. Erwerbsarbeit als Grundlage zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kann somit zugleich ein Abhängigkeitsverhältnis mit Auswirkungen auf die eigenen Vorstellungen der Menschen sein. Diejenigen, die aus dem Arbeitsprozess ausgeschlossen werden, müssen daher ihren individuellen und den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechend durch den Sozialstaat unterstützt werden.
Ein gutes Arbeitsleben qualifiziert sich daher für uns auch dadurch, dass den Menschen ein gutes und selbstbestimmtes Leben, Planungssicherheit sowie auch Sinnstiftung ermöglicht wird. Die Menschen, die an den bestehenden Arbeitsprozessen teilnehmen, sind an der Gestaltung dieser Prozesse und der Rahmenbedingungen angemessen zu beteiligen. Für uns steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen und seinem Wunsch nach Emanzipation im Zentrum.
Innerhalb dieses Rahmens ist und bleibt Erwerbsarbeit für uns ein wesentliches Element des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. In der Tradition der Arbeiter*innenbewegung kommt ihr für unser politisches Handeln daher eine besonders gewichtige Rolle zu. Unser politisches Ziel bleibt die Aufhebung dieses Grundwiderspruchs!
II. Gute Ausbildung für Berlin
Ausgangslage
Der Berliner Ausbildungsmarkt ist durch eine Vielzahl von verschiedenen Problemfeldern und Herausforderungen geprägt. In der Darstellung dieser Felder stellt der DGB Ausbildungsreport 2014 die hohe Anzahl von 1.505 unversorgten Jugendlichen heraus, die in diesem Jahr keinen Ausbildungsplatz bekommen haben.
Diese Jugendlichen verharren nun im sogenannten Übergangssystem zwischen Schule und Beruf und absolvieren berufs- oder ausbildungsvorbereitende Maßnahmen bis sie eine Anschlussmöglichkeit finden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dieses Übergangssystem von einem Maßnahmendschungel geprägt ist, in dem die meisten Jugendlichen nur schwer wieder herausfinden. In der Konsequenz befinden sich aktuell circa 7.000 Jugendliche in diese Maßnahmendschungel. Weitere 7.307 Jugendliche werden von der Bundesagentur für Arbeit als „andere ehemalige Bewerber ohne Angabe eines Verbleibs“ geführt.
Aber auch mit dem erfolgreichen Antritt einer Ausbildungsstelle kommt es oft zu Komplikationen, wodurch circa 33,3 Prozent aller geschlossenen Ausbildungsverträge frühzeitig wieder gelöst werden. Auch hierbei steht Berlin an „erster“ Stelle. Im Vergleich liegt der Bundesdurchschnitt bei 24,4 Prozent.
In der Konsequenz ergibt sich somit eine Jugendarbeitslosigkeit von aktuell 10,3 Prozent (Februar 2015). Im Vergleich besteht im Bundesdurchschnitt eine Jugendarbeitslosigkeit von 5,7 Prozent.
Die Ursachen für die vergleichsweise doppelt so hohe Quote sind vielfältig. Berlin hat z.B. eine hohe Schulabbrecher*innenquote von 9,3 Prozent und belegt damit den zweiten Platz bundesweit. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 6 Prozent.
Zudem stellt die geringe Anzahl an ausbildenden Betrieben in Berlin eine untragbare Konkurrenzsituation zwischen den Jugendlichen dar. Gerade einmal 13,5 Prozent aller Betriebe in Berlin bilden diesbezüglich aus. Berlin liegt hierbei an letzter Stelle im Bundesvergleich. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 21,7 Prozent. Zugleich muss auch die Berliner Betriebsstruktur beachtet werden, in der mehrheitlich kleinere Unternehmen mit nur geringen Ausbildungspotenzialen vorhanden sind. Durch die knappen Ausbildungsmöglichkeiten wird vielen Jugendlichen somit der Weg zu einer nachhaltigen Berufsqualifikation verwehrt. Darüber hinaus muss an dieser Stelle auch betont werden, dass nachweislich Jugendliche mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund es generell schwerer haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
Von dieser insgesamt verbesserungswürdigen Integration in den Ausbildungsmarkt ist natürlich auch die Wirtschaft negativ betroffen.
Wenn Jugendliche eine Ausbildungsplatz bekommen haben wird dieser wie aufgezeigt in Berlin zu 33,3 Prozent frühzeitig wieder gelöst. Gründe hierfür sind oftmals eine mangelnde berufliche Orientierung der Jugendlichen, was sie bei der Ausbildung erwartet, wodurch falsche Erwartungshaltungen aufgebaut werden. Zudem werden nach DGB-Jugend Ausbildungsreport oft auch Konflikte innerhalb des Betriebs und eine fehlende Team-Chemie angegeben.
Ein weiteres erschwerendes Hemmnis vieler Auszubildenden* für die erfolgreiche Beendigung ihrer Ausbildung betrifft ihre Ausbildungsvergütung. Laut DGB-Jugend Ausbildungsreport liegt der Verdienst von 43,6 Prozent der Auszubildenden* (betrieblich) gerade einmal zwischen 251 und 500 Euro (brutto). Daraus können existenzsichernde Probleme erwachsen, die innerhalb der Betriebe zu Konflikten führen bzw. eine erfolgreiche Beendigung der Ausbildung unmöglich machen.
Trotz allem sollen an dieser Stelle aber beispielhaft auch Förderprogramme aus dem Arbeitsmarktrahmenprogramm „BerlinArbeit“ aufgezeigt werden, die sehr erfolgreich sind, um Jugendliche nachhaltig in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren.
Zur Bekämpfung der hohen Schulabbrecher*innenquote ist das Duale Lernen bzw. das Praxislernen hervorzuheben. Hierdurch werden Schüler*innen mit Schwierigkeiten in der Schule ein praxisorientiertes Lernumfeld geboten und ihnen somit ein alternativen Zugang zur Institution Schule ermöglicht. Zudem führt eine vertiefte Praxisorientierung auch zu einer besseren Ausbildungsentscheidung, wodurch Ausbildungsabbrüche auf dieser Ebene vorgebeugt werden kann. Leider gibt es zu wenig Stellen und keine systematische Vermittlung von Praxisstellen für Schüler*innen. Hierdurch stützt sich das Angebot zumeist auf das Engagement von einzelnen Lehrer*innen sowie Eltern. Als Folge besteht eine große Angebotsdiskrepanz zwischen den einzelnen Berliner Schulen. Generell gibt es nur wenig berufs- bzw. praxis- sowie zukunftsorientierten Unterricht in Regelschulen. Um diesen Zustand zu ändern, wäre die Einführung mehrerer Praktika in der Oberschule sowie ein weiteres, freiwilliges Kurzpraktikum in dem Oberstufenkurs Studium und Beruf, angebracht.
Im Bereich der Ausbildungsförderung ist die explizite Förderung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund herauszustellen. Sind die Programm „Ausbildung in Sicht“ und „Berlin braucht dich“. Letzteres stellt eine spezielle Integrationsförderung für die Ausbildung im öffentlichen Dienst dar. Darüber hinaus ist aber insbesondere das Berliner Ausbildungsprogramm BAPP hervorzuheben, wodurch die kleinteilige Betriebslandschaft aufgegriffen und im Verbundssystem gefördert wird. Auch diese strukturelle Fördermaßnahme, in der Zusammenführung und Unterstützung von Betrieben ist weiter auszubauen.
Während der Ausbildung und zur Vorbeugung von Ausbildungsabbrüchen stellen diverse Mentoring- und Mediationsansätze eine gute Möglichkeit dar. Hierbei werden Jugendliche individuell und in allen Lebenslagen bei der Ausbildung unterstützt sowie bei Konflikten ein konstruktiver Dialog zwischen allen Parteien ermöglicht.
Forderungen und Konsequenzen
In der Gesamtbetrachtung der vorgestellten Ausgangslage, der Ursachen sowie der bestehenden Förderung ergeben sich folgende Forderungen:
- Die praktische Berufsorientierung soll durch einen systematischen Ansatz zur Vermittlung von Partner*innen zur Akquise von Praktikums- und anderen praxisnahen Lernstätten unterstützt werden. Vorstellbar wäre hier eine zentrale Vermittlungsstelle auf Landes sowie Bezirksebene. Für eine ganzheitliche Verbesserung des praxisnahen Lernens sollte es dort auch für Jugendliche die Möglichkeit geben, ihre besuchten Lernstätten sowie absolvierten Praktika zentral zu evaluieren. Wir fordern die Abgeordneten* der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus dazu auf einen entsprechenden Antrag einzubringen.
- Jedes Konzept zur Ausbildungsförderung kann noch so gut sein, wenn letztendlich nicht genug Ausbildungsplätze vorhanden sind. Zugleich ruft die Wirtschaft stets laut nach hoch qualifizierten Fachkräften, ist aber nicht bereit diese selber auszubilden. Es ist daher notwendig, eine Ausbildungsplatzumlage einzuführen, um entsprechende Anreize zu setzen bzw. die Wirtschaft konsequent in die Verantwortung zur Fachkräfteausbildung zu nehmen. Die Umlagefinanzierung soll so ausgestaltet sein, dass alle Betriebe einen gewissen Prozentsatz (nach DGB 2 Prozent) ihrer Bruttolohnsumme in eine gemeinsame Kasse einzahlen. Die Bereitschaft zur Ausbildung wird unterstützt bzw. wer nicht oder zu wenig ausbildet, unterstützt andere Betriebe bei ihrer Ausbildung. In ähnlicher Form wird dies beispielsweise in Frankreich schon seit Jahren praktiziert. Wir fordern die Abgeordneten* der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus dazu auf, einen entsprechenden Antrag zur Konzeption einer Ausbildungsplatzumlage für Berlin einzubringen.
- Zugleich sollen bestehende gute Instrumente der Ausbildungsplatzakquise wie das BAPP ausgebaut werden. Wir fordern die Abgeordneten* der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus dazu auf entsprechende Anträge zur Konzeption neuer Ausbildungsplatzakquisemöglichkeiten bzw. den Ausbau bestehender Förderungselemente einzubringen.
- Es wird oft gesagt, Berlin ist eine wachsende Stadt für jede und jeden. Trotz allem haben es Jugendliche mit Migrationshintergrund sehr viel schwerer einen Ausbildungsplatz zu bekommen als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Wir fordern die Abgeordneten* der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus daher dazu auf entsprechende Anträge zur Einrichtung neuer Instrumente bzw. zum Ausbau bestehender Förderungen zur Verbesserung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund am Ausbildungsmarkt einzubringen.
- Im System der Dualen Ausbildung sind Frauen* generell unterrepräsentiert. Zudem lässt sich in einem Vergleich der Branchen untereinander, immer noch eine „traditionelle“ Verteilung auf die unterschiedlichen Berufe erkennen. Frauen* sind seltener in Handwerksberufen anzutreffen, bilden jedoch den größten Anteil im sozialen Bereich. Hier gilt es bestehende Projekte weiter auszubauen und neue Maßnahmen zu entwickeln.
- Wenn Jugendliche einen Ausbildungsplatz erhalten haben, wird dieser aber zu circa 33,3 Prozent der Fälle wieder frühzeitig gelöst. Eine Verstärkung von objektiven Konfliktschichtungsinstanzen in Form von bspw. Ausbildungsassistenzen und ausbildungsbegleitenden Maßnahmen sind hierbei unbedingt zu empfehlen. Alle Auszubildenden* sowie alle Ausbildungsbetriebe sollten einen garantierten Anspruch auf solche Leistungen haben. Wir fordern die Abgeordneten* der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus dazu auf, einen entsprechenden Antrag zur verstärkten Förderung von Ausbildungsassistenzen und ausbildungsbegleitenden Maßnahmen einzubringen.
- Neben einer bedarfsgerechten Unterstützung bei der Ausbildung, muss eine bedarfsgerechten Entlohnung der Auszubildenden* realisiert werden. Eine sichere Entlohnung darf nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern muss auch für den Ausbildungsmarkt gelten. Die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung ist daher unumgänglich. Diese soll sich am Bafög-Höchstsatz orientieren. Wir fordern die Abgeordneten* der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sowie im Bundestag dazu auf, einen entsprechenden Antrag einzubringen.
- Berufsorientierung muss in der Schule anfangen und daher braucht es eine gezielte Integration in den Schulalltag an Oberschulen anhand von mehreren Pflichtpraktika und einem integrierten freiwilligen Kurzpraktikum im Oberstufenkurs Studium und Beruf. Wir fordern die Abgeordneten der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus auf, einen entsprechenden Antrag zu stellen.
- Die Organisation vieler gewerblicher Ausbildungen in Lernfeldern ist nicht praktikabel. Entweder muss die Ausbildung wieder in Fächern stattfinden oder die Lernfelder müssen so umstrukturiert werden, dass die logische Reihenfolge der Lerninhalte wieder Sinn macht. Wir fordern die SPD- Fraktion dazu auf, in dem Sinne über den Senat eine Initiative in der Kultusministerkonferenz anzustoßen.
III. Gute Arbeit für Berlin
Analyse
Berlins Arbeitsmarkt boomt seit Jahren. In Berlin werden überdurchschnittlich viele Jobs geschaffen, was vor allem an den vielen Neugründungen im Bereich der Startup—Unternehmen und an der überdurchschnittlich starken Berliner Kreativwirtschaft liegt. Aber auch das industrielle Gewerbe ist in den letzten Jahren wieder stark gewachsen und ist mittlerweile für über 100.000 Jobs unmittelbar verantwortlich. Jedoch haben davon diesen überaus positiven Trends lange Zeit nur gut qualifizierte Menschen profitiert, die häufig für ihre neuen Jobs aus anderen Bundesländern nach Berlin zogen. Die Arbeitslosenstatistik – insbesondere die Statistik der Langzeitarbeitslosen – hat sich dabei kaum bewegt. Zwar sind in den letzten Monaten auch unter den Langzeitarbeitslosen positive Trends zu beobachten, wie nachhaltig sich diese auswirken ist aber nicht klar.
Trotz aller positiver Trends bleibt festzuhalten: Berlin ist leider immer noch die Hauptstadt der prekären Beschäftigung. Seit den 90er Jahren ist das sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnis vor allem in der Industrie und im Öffentlichen Dienst auf dem Rückzug. Dies ist gerade in der Industrie und im Öffentlichen Dienst zu spüren. Im Gegenzug ist ein rasanter Anstieg von prekären Beschäftigungsformen bei abhängig Beschäftigten ebenso wie bei Selbstständigen zu verzeichnen. Diese Arbeitsverhältnisse sind vor allem im Niedriglohnsektor und in mehr oder minder erzwungener Selbstständigkeit zu finden. In Berlin leisten die Menschen die meisten Jahresarbeitsstunden und bekommen dafür im Vergleich zu anderen deutschen (Groß-)Städten den geringsten Stundenlohn. Ein Drittel der arbeitenden Berliner Bevölkerung muss sein Gehalt aufstocken lassen, weil es trotz Arbeit nicht über das sogenannte Existenzminimum kommt. Geringfügige Beschäftigung in Gestalt von Minijobs sowie Leiharbeit und Solo-Selbstständigkeit sind in Berlin weiter verbreitet als in anderen Großstädten. Viele existierende Jobs – gerade in der Kreativ- und Startupbranche – sind zu dem in hohem Maße von arbeitsmarktspezifischen Risiken betroffen und zudem unzureichend versichert. Gute Arbeit sieht anders aus!
Forderungen
Prekäre Beschäftigung bekämpfen
- Da gerade Berlin von prekärer Beschäftigung besonders schwer betroffen ist, fordern wir unsere Mitglieder des Berliner Senats auf, sich spätestens in der nächsten Legislatur mit hoffentlich anderem Koalitionspartner für Bundesratsinitiativen zu folgenden Punkten einzusetzen:
- Die Möglichkeiten zur Befristung ohne Sachgrund im Teilzeit- und Befristungsgesetz sollen gestrichen werden.
- Die Leiharbeit muss rereguliert werden. Dabei sollen die Leiharbeitnehmer*innen von Tag eins an den gleichen Lohn gezahlt bekommen wie die Stammbelegschaft. Weiterhin soll die Höchstüberlassungsdauer von Leiharbeiter*innen in einem Betrieb ein Jahr betragen und ein Wiedereinstellungsverbot hieran anschließen.
- Es muss eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, die nach einer Reduzierung auf eine Teilzeitstelle ein Recht auf Wiederaufstockung auf eine Vollzeitstelle einräumt.
- Eine Mindestvergütung für Praktika während der Ausbildung muss auf Mindestlohn festgesetzt werden. Absolvent*innenpraktika nach dem ersten Master-, Diplom- und Magisterabschluss sollen untersagt werden.
- Geringfügige Beschäftigung in Gestalt von Minijobs muss grundsätzlich abgeschafft werden.
- Bei subventionierten kulturellen Einrichtungen muss es einen Haustarif für die dort auftretenden Künstler*innen geben.
- Der Mindestlohn muss auch für die Arbeit in Behindertenwerkstätten gelten.
- Weiterhin fordern wir unsere Mitglieder des Senats auf, mit gutem Beispiel voran zu gehen und dafür Sorge zu tragen, dass:
- sachgrundlose Befristungen im Berliner Öffentlichen Dienst nicht mehr vorgenommen werden.
- der Stellenabbau im Berliner Öffentlichen Dienst gestoppt und langfristig wieder mehr Jobs geschaffen werden.
Langzeitarbeitslosen helfen – ÖBS wieder aufbauen
Der rot-rote Senat war mit der Etablierung des Berliner öffentlichen Beschäftigungssektors ein Vorreiter. Zwischen 2006 und 2011 wurden im ÖBS rund 7500 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Langzeiterwerbslose geschaffen. Sie verdienten dort nach Tarif bzw. wurden ortsüblich bezahlt, erhielten aber mindestens 1.300,- Euro, also mindestens 7,50 Euro die Stunde. Die Tätigkeitsfelder lagen vor allem auf gemeinwohlorientierter Arbeit und stärkten somit das sozio-kulturelle Miteinander zusätzlich. Beschäftigten, die zuvor als auf dem ersten Arbeitsmarkt unvermittelbar eingestuft worden waren, erhielten neue berufliche Perspektiven und einige von ihnen haben aus dem ÖBS sogar den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt geschafft. Dieses Programm wurde von dem rot-schwarzen Senat wieder zerschlagen. Das halten wir für einen Fehler.
- Wir fordern die Abgeordnet*innen unserer Fraktion des Abgeordnetenhauses und die Mitglieder des Senates auf, sich für die erneute Errichtung eines Berliner Öffentlichen Beschäftigungssektors einzusetzen und diese spätestens in der nächsten Legislatur auch umzusetzen!
- Dabei sollen die zur Verfügung gestellten Mittel aufgestockt werden, um noch mehr Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit auf Partizipation zu verschaffen.
- Auch soll der neue ÖBS ein andere Konzeption erhalten: Der ÖBS darf nicht lediglich als Sprungbrett auf den ersten Arbeitsmarkt erachtet werden. Einige Teilnehmer*innen werden zwar während oder nach ihrer Tätigkeit in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können, doch das kann nicht für alle Teilnehmenden der Anspruch sein.
- Vielmehr soll der ÖBS gerade jene Menschen, die vom ersten Arbeitsmarkt als „arbeitsunfähig“ erachtet werden, eine langfristig Planungssicherheit gebende Erwerbsarbeit bieten. Hierfür muss der gezahlte Lohn selbstverständlich mindestens dem Mindestlohn entsprechen. Die Tätigkeitsfelder sollten sich an jenen der gemeinwohlorientierten, ehrenamtlichen Arbeit orientieren und diese durch eine Finanzierung durch den ÖBS zu bezahlter Arbeit machen.
Besser versichern und weiterbilden – Risiken im Erwerbsleben minimieren
Wir müssen versuchen, die Risiken und Brüche im Erwerbsleben der Menschenwieder aufzufangen, um ihnen Zukunftsängste zu nehmen und Planungssicherheit wieder zurückzugeben. Die Wiederherstellung sozialer Absicherung, die durch die Agenda 2010 zum Teil verloren gegangen ist, muss dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Dies möchten wir Jusos durch die Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung erreichen. Die Arbeitsversicherung soll Phasen von Arbeitslosigkeit, Weiterbildung, Arbeitszeitverkürzung, Verlängerung von Carearbeitszeiten und Sabbaticals finanziell abfangen. Die persönliche und berufliche Weiterbildung soll dabei durch betriebliche Fonds und individuell angesparte Weiterbildungskonten neu organisiert werden. Die Finanzierung soll paritätisch zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen erfolgen, wobei die Beitragsbemessungsgrenze entfallen soll und Bund darüber hinaus für sozial- und beschäftigungspolitisch sinnvolle Maßnahmen und in Krisenzeiten eine Steuerfinanzierung beiseite stellen kann. Vor allem für Berlin ist an dem Instrument der Arbeitsversicherung besonders wichtig, dass auch (Solo-)Selbstständige, wie es sie in Berlin besonders häufig gibt, endlich hinreichend versichert wären.
- Wir fordern deshalb unsere Mitglieder des Berliner Senats auf, die von den Jusos entwickelte Konzeption der Arbeitsversicherung auf der Bundesebene zu stützen und darauf hinzuwirken, diese auch umzusetzen.
IV. Für eine bessere Arbeitsvermittlung – und die Kritik der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik in Berlin
Analyse
Mit der Einsetzung der sog. Hartz-Kommission 2002 sollte in der Bundesrepublik Deutschland ein Wandel hin zu einer „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“ vollzogen werden. Herzstück der daraus folgenden Gesetzgebung war das sog. „Hartz IV“-Gesetz. Dadurch sollte die Eigenverantwortung des Einzelnen gefördert und gefordert werden, um durch diesen Druck und die Individualisierung von „Schuld“ eine höhere Beteiligung am Erwerbsarbeitsmarkt zu erreichen. Die Schuld für Erwerbslosigkeit sollte auf die Betroffenen abgewälzt werden.
Berlin verbleibt mit einer Arbeitslosenquote von 11,7% (2013) im Bundesländervergleich im obersten Viertel. Die Unterbeschäftigtenquote von 15,6% (2013) offenbart das volle Ausmaß der nach wie vor großen strukturellen Schwäche des Berliner Arbeitsmarktes. Hinzu kommt der hohe Anteil prekärer Beschäftigung in Berlin, der immer weiter expandiert.
Außerdem weist Berlin seit Einführung von „Hartz IV“ konstant hohe SGB-II-Quoten, also den Anteil von Personen in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften an der Bevölkerung von 15 bis unter 65 Jahren, auf. Mit 20,7% im Jahr 2012 war die SGB-II-Quote trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung kaum besser als im Jahr 2006 (21,7%). Damit ist hat Berlin sowohl unter den 15 größten Städten als auch unter den 16 Bundesländern den höchsten Wert.
Insgesamt ist die „aktivierende Arbeitsmarktpolitik“ in ihrer derzeitigen Form sehr kritisch zu bewerten. Sie leidet an grundlegenden Widersprüchen. Ihre Logik folgt einer negativen Aktivierung, d.h. der Fokus liegt auf einer angedrohten Bestrafung, sofern eine Erwerbsbeteiligung, auch unter sehr unvorteilhaften Bedingungen für die Betroffenen, nicht eingegangen wird. Dies wird durch Sanktionen bis hin zur Vollsanktionierung und durch verschärfte Zumutbarkeitskriterien hergestellt. Auf der anderen Seite ist die finanzielle Ausstattung für Weiterbildungsmaßnahmen sowie deren Qualität unzureichend, von psychosozialen Beratungsangeboten ganz zu schweigen.
Mit dieser Herangehensweise wird hauptsächlich Angst geschürt, während die positiven motivationalen Grundlagen der Individuen untergraben werden. Dadurch produziert die Aktivierungspolitik ein Paradoxon, indem sie jene subjektiven Ressourcen zu zerstören droht, auf die sie eigentlich angewiesen ist und sich damit gleichermaßen jedes emanzipatorischen Gehalts beraubt.
Ein weiterer zentraler Widerspruch bleibt das enorme Missverhältnis zwischen gemeldeten Arbeitsstellen und der Anzahl der Arbeitslosen. Bspw. waren in Berlin im Februar 2015 20.995 freie Arbeitsstellen bei 205.079 Arbeitslosen gemeldet. Selbst wenn man eine Erwerbsbeteiligung für unverzichtbar für die Lebensqualität eines Menschen hielte, ist eine auf Druck basierende Arbeitsvermittlung nicht geeignet dieses Grundproblem aufzulösen und degeneriert damit in ein absurdes Schikane-System. Mehr noch, der klassische marxistische Reservearmeemechanismus wird durch diese Form der Arbeitsvermittlung wieder verstärkt und sorgt besonders im Bereich des Niedriglohnsektors für eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Die Effekte schlagen also auf einen Großteil der Erwerbstätigen voll durch und äußern sich in Abstiegsängsten. Auch eine Förderung der Weiterbildung kann dieses Grundproblem nicht auflösen.
Aus diesen Gründen sind grundlegende Reformmaßnahmen bei der Arbeitsvermittlung notwendig.
Forderungen
Sanktionen abschaffen
Die aktivierende Arbeitsmarktpolitik, die hauptsächlich durch das Androhen negativer Sanktionen Arbeitslose auch zur Annahme sehr unvorteilhafter Arbeitsstellen zwingt bzw. zwingen möchte, ist grundsätzlich falsch. Sie bringt Arbeitslose in eine äußerst prekäre Situation und unterhöhlt die Voraussetzungen, das eigene Leben selbstbewusst zu gestalten. Eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist so nicht möglich und nicht wünschbar. Das zentrale politische Ziel bleibt die vollständige Abschaffung von Sanktionen in der Arbeitsvermittlung.
- Der Berliner Senat wird aufgefordert, sich bundespolitisch für die vollständige Abschaffung der Sanktionen aus dem SGB II und III einzusetzen.
- Der Berliner Senat wird aufgefordert, sich bundespolitisch für die Anhebung der ALGII-Sätze auf eine Grundsicherung, die mindestens eine sozio-kulturelle Teilnahme gewährleistet, einzusetzen.
Solange dies politisch nicht durchsetzbar ist, hat der Berliner Senat bundespolitisch Initiativen zu ergreifen, um die Sanktionspraxis abzuschwächen und den Betroffenen größere Spielräume einzuräumen. Besonders sozialpolitisch völlig unhaltbare Regelungen sind unverzüglich zu korrigieren. Dazu gehören Wohnungslosigkeit und der Entzug der Versicherung in der staatlichen Krankenversicherung, die Konsequenz der Sanktionspraxis sein können. Auch weiterhin bleiben die verschärften Sanktionen für Menschen unter 25 Jahren ein nicht zu rechtfertigbarer Fehler.
Solange der Berliner Senat eine vollständige Abschaffung von Sanktionen bundespolitisch nicht durchsetzen kann, wird er zu folgenden bundespolitischen Initiativen aufgefordert:
- die Übernahme der Kosten für die Unterkunft sollen in Zukunft in keiner Weise mehr durch Sanktionen gekürzt werden dürfen
- die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung sollen ebenfalls nicht mehr gekürzt werden können
- eine ungleiche Behandlung von unter 25jährigen Menschen gegenüber älteren Menschen bei den Sanktionen ist abzuschaffen
- Sanktionszeiträume dürfen nicht länger überlappen
- die Anwendung von Sanktionen aufgrund von Vorschriften wird zur Ermessensentscheidung der Fallmanager und nicht mehr automatische Rechtsfolge
- ein Konzept vorzulegen, welches geringere Sanktionsbeträge vorsieht und eine vollständige Sanktionierung des Regelbedarfs ausschließt,
- die mit dem Arbeitslosen vereinbarten Pflichten in der Eingliederungsvereinbarung sind stärker zu individualisieren, d.h. es steht nicht mehr allein die Erforderlichkeit der Eigenbemühungen im Fokus, sondern auch die Geeignetheit für die Situation des/der Arbeitslosen
- Sanktionen, die sich aus Pflichtverletzungen aufgrund einer per Verwaltungsakt erlassenen Eingliederungsvereinbarung ergeben, müssen geringer ausgestaltet sein, als solche, die aufgrund einer Eingliederungsvereinbarung mit Einverständnis des/der Arbeitslosen begründet sind
- Arbeitsverhältnisse, die nicht den ortsüblichen bzw. tariflichen Bedingungen vergleichbarer Tätigkeiten entsprechen sind nicht länger zumutbar
Öffentliche Weiterbildung besser ausfinanzieren
Der Arbeitsmarkt hat sich stark dynamisiert. Anforderungen und Berufsprofile wandeln sich in immer kürzeren Zeitabständen. Durch diese Beschleunigung strukturellen Wandels verschärft sich das mismatch-Problem, wonach die Qualifikationen Arbeitssuchender und angebotener Stellen nicht zusammenpassen. Daher wurde die Bedeutung lebenslangen Lernens als politisches Ziel ausgegeben. Menschen sollen im Laufe ihres Lebens, auch in späteren Lebensphasen, immer Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen haben. Der politischen Rhetorik folgten bisher aber kaum Taten, ganz im Gegenteil.
Im Bereich der Weiterbildung für Erwachsene existieren zwei Klassen, während die betriebliche Weiterbildung ausreichend ausfinanziert ist und dem Weiterbildungspersonal weitgehend gute Arbeitsbedingungen bieten kann, sehen sich diejenigen, die nur Zugang zu öffentlichen Weiterbildungsmöglichkeiten haben, einem völlig unterfinanzierten System gegenüber. Das wirkt sich gleichermaßen negativ auf die Qualität der Angebote aus.
Die Ausgaben für die Erwachsenenbildung in Berlin sind unzureichend. Die Bundesländer sollten mindestens 1% ihrer Bildungsausgaben für die Erwachsenenbildung ausgeben, ein Stand, der in den 1970er Jahren bereits von vielen Bundesländern erreicht wurde und seitdem systematisch verringert wurde. Dies ist ein völliger Widerspruch zur Forderung nach dem „lebenslangen Lernen“. Gemäß einer GEW-Studie kam Berlin im Jahr 2014 nur auf einen Anteil von 0,33%.
- Der Berliner Senat und die Abgeordnetenhausfraktion der SPD wird daher aufgefordert, den Anteil der Ausgaben für die Erwachsenenbildung gemessen an den gesamten Bildungsausgaben des Landes auf 1% zu steigern, ohne absolute Kürzungen in anderen Bereichen vorzunehmen.
Auch die Mittel für die Aus- und Weiterbildung, die nach Sozialgesetzbuch II und III finanziert werden, wurden in den letzten zehn Jahren stark gekürzt. Die BA vergibt dabei Aufträge für Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen an freie Träger. Seit 2004 begann sie, die Maßnahmen zentral auf der Basis der „Vergabe- und Vertragsordnungen“ (VOL/A) auszuschreiben. Das ist eine Rechtsvorschrift, die die Vergabe öffentlicher Aufträge an private Firmen regelt. Sie kann bspw. beim Kauf von Ausstattungsgegenständen oder Straßensanierungen sinnvoll sein, ist für Bildungsmaßnahmen aber kaum geeignet. Da der BA hier eine Monopolstellung zukommt, wurden die Stundensätze bei den freien Trägern für die Trainer*innen weit nach unten gedrückt. Der für die Branche eingeführte Mindestlohn kann vielfach durch Honorarkräfte und die 50%-Regelung umgangen werden, wonach ein Träger den Mindestlohn nur zahlen muss, wenn mehr als 50% seiner Angebote aus SGB II und III-Maßnahmen bestehen. In der Folge ist der Weiterbildungssektor der BA hoch prekär, mit überarbeiteten Arbeitskräften. Darunter leidet die Qualität der Maßnahmen und damit auch die Teilhabemöglichkeiten der interessierten Arbeitssuchenden.
- Der Berliner Senat wird daher aufgefordert, sich bundespolitisch dafür einzusetzen, die Maßnahmen nach SGB II und III besser auszufinanzieren als auch eine Veränderung der Vergabepraxis zu erwirken. Neben einem angemessenen Mindestlohn muss auch ein angemessenes Mindesthonorar festgelegt (Stundensatz von mind. 30,21 €) werden. Gewinnt ein Anbieter eine Ausschreibung aufgrund eines geringeren Stundensatzes, so ist, dem österreichischem Modell nachempfunden, eine „vertiefte Angebotsprüfung“ vorzunehmen.
Instrumentenreform von 2012 untersuchen
Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat im Jahr 2012 die sog. Instrumentenreform durchgeführt. Dabei wurden die Anzahl der Arbeitsmarktmaßnahmen stark reduziert. Abgesehen von der neuerlichen Initiative von Arbeitsministerin Nahles für Langzeitarbeitslose gibt es keine Möglichkeiten der öffentlich geförderten Beschäftigung mehr.
- Das unter Führung von Andrea Nahles stehende Bundesarbeitsministerium soll von der Landesgruppe der Berliner Abgeordneten aufgefordert werden, eine Evaluation der Reform zu erarbeiten. Dabei ist besonders zu untersuchen, wie sich die Reform auf Menschen mit starken und multiplen Vermittlungshemmnissen ausgewirkt hat. Der Berliner Senat wird aufgefordert, Stellungnahmen dazu aus den Berliner Jobcentern einzuholen.
Arbeitsweise der BA überprüfen
Im Jahr 2013 kam es zu einem neuerlichen Skandal bei der Arbeitsvermittlung durch die BA. Nach Prüfung von sieben Arbeitsagenturen und sieben Regionaldirektionen kritisierte der Bundesrechnungshof das System der Zielsteuerung der BA und warf ihr Manipulationen bei der Vermittlungsstatistik vor. Die Zielsteuerung konzentriert sich demnach auf die Vermittlung „potenzialstarker Kunden“, bei denen eine Vermittlung schnell und leicht erfolgen könnte. Menschen mit großen Vermittlungshemmnissen würden hingegen zu wenig berücksichtigt. Der Vermittlungsskandal hat weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt als jener im Jahr 2002, der zur Reform der Bundesanstalt hin zur Bundesagentur für Arbeit führte. Bis heute ist weitgehend unklar, inwieweit der Vorstand der BA Konsequenzen daraus gezogen hat und den versprochenen Umbau des Zielsteuerungs- und Prämiensystems vorgenommen hat. Diese mangelnde Transparenz bei einem politisch hochrelevanten Thema offenbart, dass die vollzogene starke Trennung zwischen Vorstand und dem Verwaltungsrat zu überdenken ist.
- Der Berliner Senat soll über die Mitglieder der öffentlichen Körperschaften im Verwaltungsrat sowie über die eigenen Mitglieder der Selbstverwaltungsausschüsse in den Arbeitsagenturen in Berlin Rechenschaft von den Vorständen einholen, inwieweit das Prämien- und Zielsteuerungssystem der BA nach dem Vermittlungsskandal 2013 umgebaut wurde. Besonders ist zu prüfen, inwieweit Vermittlungsleistungen auch für Menschen mit großen und multiplen Vermittlungshemmnissen ein angemessenes Gewicht im Zielsteuerungssystem bekommen haben. Die Zielsteuerung ist auch darauf hin zu überprüfen, inwieweit sie Vermittlungen in Arbeitsstellen mit angemessenen Arbeitsstandards (bspw. Normalarbeitsverhältnis, Tariflohn etc.) ein höheres Gewicht gibt.
Struktur der Bundesagentur für Arbeit – Sozialpartner*innen re-integrieren
Die bereits kritisierte Intransparenz bzw. die Ermangelung eines breiten Diskurses zur Zielsteuerung der BA ist auch der allgemeinen Struktur der Bundesagentur geschuldet. Im Zuge der Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit wurde die allgemeine Triparität der operativen Geschäftsführung bestehend aus den Sozialpartner*innen und öffentlichen Vertreter*innen aufgehoben. Anstelle dessen wurde auf oberster Bundesebene eine Geschäftsführung mit drei Geschäftsführer*innen (real alle männlich) und einem Verwaltungsrat geschaffen. Allen in diesem Verwaltungsrat sind die Sozialpartner*innen integriert und können beratend an der Steuerung der Ziele sowie deren Umsetzung mitwirken. An der operativen Ausgestaltung der Arbeit sind sie jedoch nicht mehr beteiligt.
In ähnlicher Weise durchzieht dieses Prinzip des Ausschlusses der Sozialpartner*innen alle nachgeordneten Organisationsbereiche von der Bundeszentrale, zu den Regionaldirektionen, den Agenturen für Arbeit und den gemeinsamen Einrichtungen (vgl. Jobcenter).
Um die Arbeit der Bundesagentur und ihren Organen wieder transparenter und diskursiver zu gestalten, ist eine Re-Integration der Sozialpartner*innen unbedingt von Nöten. Eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Arbeitsvermittlung sowie qualifikationsfördernde Maßnahmen bedürfen der Integration relevanter Repräsentant*innen der Arbeitswelt.
- Die SPD auf Landesebene ist somit aufgefordert auf die Landesgruppe Berlin im Bundestag hinzuwirken, einen entsprechenden Antrag zur Re-Integration der Sozialpartner*innen auf allen operativen Ebenen der Bundesagentur für Arbeit einzubringen.
Zudem ist die Ausgestaltung der gemeinsamen Einrichtung bzw. Jobcenter in Berlin durch eine Vereinbarung nach § 44 b Abs. 2 SGB II zwischen dem Land, vertreten durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, geregelt. Hierdurch ergeben sich auf Berliner Landesebene direkte politische Handlungsmöglichkeiten zur Re-Integration der Sozialpartner*innen in die operative Steuerung der Berliner Jobcenter.
- Der Landesparteitag der SPD soll daher die Abgeordnet*innen der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus dazu auffordern einen entsprechenden Antrag zur Re-Integration der Sozialpartner*innen in die operative Steuerung der Berliner Jobcenter einzubringen.