Feministische Außenpolitik: Worum geht es?
Ausgangslage
Bereits vor 20 Jahren haben die Vereinten Nationen erkannt, dass Frauen* eine stärkere Rolle im Kampf für Frieden und Sicherheit einnehmen müssen und verabschiedeten die UN-Resolution 1325 ‚Frauen, Frieden, Sicherheit‘, die sich dafür einsetzt Frauen* in Konfliktvermeidungs, -lösungs- und Stabilisierungsprozessen einzubinden. Ein Engagement, was durch mehrere Studien bestätigt wird: Zum einen sind Frauen* am stärksten von Gewalt und Konflikten betroffen und zum anderen haben Friedensabkommen eine 35% höhere Wahrscheinlichkeit länger als 15 Jahre zu halten, wenn Frauen* in den Verhandlungen involviert sind. Doch die Realität sieht anders aus: in allen größeren Friedensverhandlungen zwischen 1992 und 2018 waren nur 13% aller Verhandlungspartner*innen weiblich. Da ein höheres Maß der Gleichstellung der Geschlechter mit einer geringeren Konfliktbereitschaft zwischen Staaten und innerhalb eines Staates verbunden ist, bleibt die Geschlechterungleichheit eine der zentralsten Hürden auf dem Weg zu einem nachhaltigen und stabilen Frieden in der Welt. Gleichzeitig zeigt sich ein ungleiches Geschlechterverhältnis auch innerhalb des deutschen diplomatischen Personals mit gerade einmal 13% Botschafterinnen*.
Die Problematik in der Umsetzung
Nachdem Schweden bereits seit 2014 unter dem Begriff einer ‚feministischen Außenpolitik‘ eine Geschlechterperspektive in seine Außenpolitik integriert, begegnet man in Deutschland diesem Begriff allerspätestens seit Beginn der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat und der Schwerpunktsetzung auf Frauen, Frieden und Sicherheit immer häufiger. Obwohl das bestehende internationale Regelwerk zur Beteiligung und dem Schutz von Frauen*, verankert z.B. im Völkerrecht, in der Menschenrechtscharta sowie in der Agenda 2030, bereits umfassende Akzente setzt, mangelt es an der konsequenten Umsetzung dieser Richtlinien und Vorgaben – weltweit und auch in Deutschland. Zum einen wurde in einer im April 2019 von Deutschland eingebrachten Resolution des UN-Sicherheitsrates zur Stärkung des Kampfes gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten, auf Druck der USA, der Begriff ‚sexuelle und reproduktive Gesundheit‘ für Opfer sexueller Gewalt gestrichen. Zum anderen wurde im deutschen Kontext der zweite Nationale Aktionsplan der deutschen Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 aus 2017 zwar wirkungsorientierter als der erste formuliert, dennoch fehlte erneut ein eigenes Budget für die Umsetzung der geplanten Maßnahmen.
Wie definieren wir eine feministische Außenpolitik?
Feministische Außenpolitik beschreibt einen umfassenden Ansatz der das Individuum, unabhängig von dessen sexueller Orientierung, der Herkunft und Hautfarbe, in das Zentrum außenpolitischen Handelns stellt und ganzheitliche Gleichberechtigung als verbindliche Arbeitsanweisung in Ministerien sieht. Unter Gleichberechtigung verstehen wir die Wahrnehmung bestehender gleicher Rechte für alle Menschen weltweit.
In diesem Sinne sollen patriarchale Machtkonstruktionen und strukturelle Ungleichheiten zugunsten eines geschlechtergerechten und inklusiven Entscheidungsprozesses aufgebrochen, hinterfragt und dekonstruiert werden, um sich für eine friedlichere und gerechtere Welt einzusetzen. Konkret bedeutet das, dass innerhalb einer feministischen Außenpolitik die Situation von Frauen* und anderen strukturell benachteiligten Gruppen mitgedacht und die Frage gestellt und beantwortet werden muss, welche Konsequenzen eine politische Maßnahme für diese Gruppen mit sich bringt, wo sich Unterschiede in der Wirkung auftun und wie diesen begegnet werden kann.
Geschlechtergerechte internationale Politik ist kein Nice-to-Have!
Nach unserem feministischen und internationalistischen Selbstverständnis sind diese gleichberechtigte Beteiligung und der Einbezug der feministischen Perspektive kein Nice-to-Have, sondern ein Recht, das Menschen gegenwärtig vorenthalten wird. Eine feministische Außenpolitik muss dabei unbedingt intersektional sein, das heißt sie umfasst eine gegenseitige Solidarität von verschiedenen unterrepräsentierten und diskriminierten Gruppen in nationalen und internationalen Verhandlungs- und Entscheidungsprozessen. Strukturelle Diskriminierung kann und muss grundsätzlich nur mit einem gleichberechtigten Partizipationsanspruch aller Menschen begegnet werden. Diese gleichwertige Behandlung und Beteiligung aller Menschen werden von der feministischen Außenpolitik nicht als Utopie verworfen, sondern als real- und sicherheitspolitisch notwendige Maßnahme zur Überwindung und Vorbeugung von Krisen und Konflikten erkannt. Verantwortung in der Welt beschränkt sich so nicht auf Einsätze der Bundeswehr, sondern beschreibt die Herstellung eines kohärenten Zusammenwirkens aller beteiligten Akteur*innen und Ministerien, um Ungleichheit als Krisen- und Konfliktursache entgegenzuwirken. Neben der Intersektionalität, muss eine feministische Außenpolitik in allen relevanten außenpolitischen Politikfeldern ressortübergreifend, entlang eines Querschnitts-Ansatzes, verfolgt werden.
Das Jahr 2020 bietet nun zwei wichtige Möglichkeiten für die deutsche Bundesregierung und das sozialdemokratisch geführte Auswärtige Amt sich stark für diese Axe von Frauen*, Frieden und Sicherheit zu machen, da zum einen ein weiterer dritter Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung von Resolution 1325 vorgelegt wird und Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Um diesen Moment zu nutzen, wollen wir uns für ein starkes Bekenntnis für eine feministische Außenpolitik einsetzen, damit bestehende internationale Regelungen und nationale Aktionspläne effektiv umgesetzt werden und so ihren Beitrag zu einer inklusiven, gerechteren und friedlicheren Welt für alle leisten. Gerade in Zeiten, in denen wir uns auf internationalem Parkett steigenden populistischen und nationalistischen Tendenzen gegenübergestellt sehen und der Einsatz für Menschenrechte für alle Menschen weltweit und besonders für die Rechte von Frauen* und anderen marginalisierten Gruppen von verschiedenen Seiten erschwert wird, müssen wir ein starkes und klares Zeichen setzen.
Feministische Außenpolitik endlich umsetzen!
Weder im Rahmen der Vereinten Nationen, noch der Europäischen Union oder der Bundesrepublik Deutschland mangelt es an Plänen und Absichtserklärungen. Der Grundsatz der Gleichberechtigung ist somit keine Utopie einzelner Verbände, sondern ein verbindlich vereinbarter Standard in den internationalen Beziehungen. Was die konkrete Umsetzung dieser Ziele angeht, hält sich der Fortschritt jedoch in engen Grenzen und ist weit hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Daher unsere Forderung: Feministische Außenpolitik endlich umsetzen!
Der erste Schritt ist ein klares Bekenntnis der politischen Verantwortlichen zu diesen Zielen. Eine effektive Umsetzung feministischer Politik darf kein freundlicher Hinweis von Minister*innen oder Kommissar*innen sein, sondern eine klare und ressortübergreifende Arbeitsanweisung nach schwedischem Vorbild. Die Einbeziehung einer genderspezifischen Perspektive bei der Planung und Durchführung politischer Maßnahmen, ist dementsprechend nicht optional, sondern ein zwingend notwendiges Element einer Politik, die den Anspruch vertritt, alle Menschen gleichermaßen zu vertreten. Insbesondere für Personalplanung und -strukturierung, steht hier die Notwendigkeit einer konsequenten Umsetzung nicht zur Debatte! Lassen Kanzler*innenamt oder Kommissionspräsident*in diese Aufforderung vermissen, muss es Aufgabe der deutschen und europäischen Sozialdemokrat*innen sein, in den von ihnen geführten Ressorts eine kohärente Politik in diesem Sinne abzustimmen.
Feministische Außenpolitik ist Friedenspolitik!
Die nationale Exportpolitik der deutschen Bundesregierung hat auch gerade für Frauen* und Minderheiten negative Konsequenzen zur Folge. In Krisengebieten leiden vor allem diese Gruppen unter den Folgen an rein wirtschaftlichen Überlegungen gebundenen Rüstungsexporten. Daher fordern wir, dass Exportvorhaben einer speziellen Prüfung aus der Genderperspektive unterzogen werden.
Besonders im Rahmen von bewaffneten Konflikten sind Deutschland und Europa gefordert, die spezifischen Auswirkungen sexualisierter Gewalt in ihrem konkreten Handeln Rechnung zu tragen. Das betrifft nicht nur die Ausgestaltung entsprechender Missionen zur Konfliktprävention und Friedenssicherung, sondern auch die Schaffung eines Zugangs von Frauen* und Mädchen* zu geeigneten Ansprechpartner*innen, sowie Rechtswegen, um sich gegen sexualisierte Angriffe zur Wehr setzen zu können. Ein geeignetes Instrument hierfür kann beispielsweise der Internationale Strafgerichtshof der Vereinten Nationen darstellen. Angesichts der Tatsache, dass drei von fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates die Rechtmäßigkeit dessen Rechtsprechung nach wie vor grundsätzlich nicht anerkennen, ist es in dieser Hinsicht notwendig konsequent sich auch gegenüber traditionellen Verbündeten, wie den Vereinigten Staaten, durchzusetzen.
Internationale Wirtschaft aus Genderperspektive betrachten!
Als wesentlicher Teil der Außenpolitik müssen auch internationale Handelsbeziehungen verstärkt eine Genderperspektive einnehmen. Zum einen kann hier ein Lieferkettengesetz, welches sich konsequent für Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen weltweit einsetzt, eine wichtige Funktion übernehmen. Darüber hinaus müssen Fragen der Nachhaltigkeit, Gender- und Arbeitnehmer*innenrechte zu einem verbindlichen Vergabekriterium mit höchster Priorität bei international ausgeschriebenen Großaufträgen, sowie zwischenstaatlicher Projekte werden. Bestehende Kooperationen sind regelmäßig auf grobe strukturelle Unvereinbarkeit mit diesen Prinzipien zu prüfen, und gegebenenfalls durch angemessene Partner*innenschaften zu ersetzen.
Klimawandel feministisch denken!
Des Weiteren lässt sich auch das Klima nicht ohne Geschlechterperspektive diskutieren. Der Klimawandel ist ein internationales Phänomen und Frauen* sind stärker von den Folgen betroffen. Die Hauptverursacher sind die Industrienationen des globalen Nordens, während insbesondere Frauen und Minderheiten im globalen Süden die Auswirkungen zu spüren bekommen. Frauen* sind aufgrund ihrer traditionellen gesellschaftlichen Rolle oft in einer schwächeren Position, arbeiten häufig in der Landwirtschaft und sind verantwortlich für die Wasserversorgung. Sie sind aber nicht nur Opfer. Da sie oft das Land bewirtschaften, sowie die Wasser- und Energieversorgung regeln, können sie, wenn es ihnen ermöglicht wird, auch mächtige Akteurinnen* für Veränderungen bei der Entwicklung von Anpassungs- und Abmilderungsstrategien in ihren Gemeinschaften sein.
Eine feministische Außenpolitik hilft die Rechte von Frauen* zu fördern und zu schützen, damit sie aktiv an der Entscheidungsfindung über Klimapolitik teilnehmen können. Außerdem achtet eine feministische Herangehensweise bei der Bekämpfung des Klimawandels darauf, die Ungleichheiten der derzeitigen patriarchalen Strukturen nicht zu verstärken, sondern aufzulösen.
Gendergerechtigkeit im sozialen Kontext
Ebenso müssen soziale und kulturelle Rechte aus einer geschlechtergerechten Perspektive gedacht und in internationale Vereinbarungen integriert werden. Eine politische Beteiligung von Frauen* und Minderheiten muss als außen- und entwicklungspolitisches Ziel gelten. Eine Umsetzung kann durch fördernde Maßnahmen, wie Listenquoten, Wahlkampffinanzierung, und politische Bildung erfolgen. Des Weiteren ist eine Gewährleistung von reproduktiven Rechten auch mit traditionellen internationalen Partner*innen im Dialog konsequent und regelmäßig anzusprechen.
Eine feministische Außenpolitik mit und durch die Zivilgesellschaft umsetzen!
Eine Außenpolitik, die sich konsequent den Schutz der Rechte des Individuums zum Ziel setzt, kann und darf sich nicht in der Verordnung von oben nach unten erschöpfen. Parteien, Gewerkschaften und NGOs sind ebenso Teil der internationalen Beziehungen, wie staatliche Institutionen und Konzerne. Während letztere sich mehrheitlich der Schaffung wirtschaftlichen Wachstums verpflichtet sehen, sind es vor allem erstgenannte Akteur*innen, die sich um dessen gerechtere Gestaltung bemühen. In der Welt, in der wir leben, muss es aus sozialdemokratischer Perspektive klar sein, an wessen Seite wir stehen. Die gerechte Teilhabe an der Verteilung von Ressourcen, Rechtsgütern und Repräsentation, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe, ist unser erklärtes Ziel, welches ohne Partner*Innen vor Ort nicht nachhaltig erreicht werden kann. Die internationalen Beziehungen als eine geschlossene Gesellschaft von wenigen Privilegierten kann keine gerechte Politik für die Lebensgrundlage aller schaffen. Dem Aufbrechen dieser Strukturen sind wir zum Wohle aller verpflichtet.
In Konsequenz fordern wir die verpflichtende Beteiligung von lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen an politischen Planungsprozessen. Insbesondere in allen Bereichen, welche die Verteilung finanzieller Ressourcen, wie Subventionen oder Hilfsgeldern, zum Gegenstand haben. Ziel ist es vor allem Akteur*innen zu beteiligen, welche sich für Geschlechtergerechtigkeit, Nachhaltigkeitsaspekte und Arbeitsrechte einsetzen. Für Fragen der Projektförderung gilt diese Forderung mit der gleichen Dringlichkeit.
Feministische Außenpolitik von Innen nach Außen!
Um eine wirkliche Umsetzung dieser Ziele zu ermöglichen, darf die gendergerechte Perspektive nicht nur auf rein außenpolitische Themen beschränkt sein, sondern muss auch innerhalb von Ämtern und Institutionen praktiziert werden. Dafür bedarf es weiterhin der effektiven Schaffung von Strukturen, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Behörden, Ministerien und Kommissionen sind hier gefordert ein aktives Genderbudgeting umzusetzen. Darunter verstehen wir nicht allein eine finanzielle Aufstockung der Mittel, sondern auch die Schaffung der notwendigen Personalstrukturen und einer funktionalen Verankerung dieser Prinzipien, beispielsweise in der Leistungsbewertung von Funktionsträger*innen.
Internationalismus und Feminismus auch in unserem Verband konsequent leben!
Es versteht sich von selbst, dass auch wir als Verband an die Einhaltung dieser Grundsätze gebunden sind. Das bedeutet zum einen, dass wir bei unseren internationalen Kooperationen und Delegationsreisen zu einer Geschlechter-ausgewogenen Besetzung unserer reisenden und leitenden Delegierten verpflichtet sind. Zum anderen haben wir auch den Anspruch, mit feministisch ausgerichteten Partner*innenorganisationen zusammenzuarbeiten, welche ebenfalls einen geschlechtergerechten Grundsatz in ihrer Zusammenstellung ermöglichen. Ebenso müssen zivilgesellschaftliche Nicht-Regierungsorganisationen, besonders die, die sich mit der Gendergerechtigkeit beschäftigen, verstärkt in Konfliktpräventions- und Bewältigungsprozessen integriert werden. Feminismus und Internationalismus bilden in diesem Sinne zwei Seiten derselben Medaille. Es muss daher unser Anspruch sein, internationale Partner*innen in entsprechende politische Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Das betrifft sowohl die Ausarbeitung eigener Beschlüsse, sowie die Kritik der globalpolitischen Entscheidungen Dritter. Unserem Verband stehen über YES, IUSY und andere, diverse geeignete Instrumente der Vermittlung zur Verfügung, um diesem Anspruch gerecht zu werden.
Unsere Funktionsträger*innen haben die Verantwortung die Einhaltung dieser Grundsätze von unseren Partner*innen konsequent einzufordern. Sollte sich die Umsetzung in bestimmten internationalen Kontexten als schwierig erweisen, liegt es an uns, mit Organisationen die einen feministischen Ansatz verfolgen, die Zusammenarbeit zu suchen, um eine geschlechterübergreifende Perspektive auf feministischen Grundsatz zu ermöglichen.
Weiterleitung auch an den PES-Kongress