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Antrag 248/I/2018 Konsensliste

11.05.2018

Die im Antragsbuch sowie auf dieser Seite mit (K) gekennzeichneten Empfehlungen der Antragskommission wurden im Konsens ausgesprochen.
Der Landesparteitag stimmt diese mit (K) gekennzeichneten Anträge en bloc ab.

Antrag 243/I/2018 Maßnahmen zum Schutz der Stadt vor den Folgen des Klimawandels, insbesondere bei Starkregen

1.05.2018

Spätestens seit dem Starkregen im Sommer 2017 ist auch in Berlin das Problem der schnellen Abführung großer Regenmengen zu einer neuartigen Herausforderung für die Stadtgesellschaft geworden.

 

Selten vorkommende Starkregenereignisse, für die die öffentlichen Entwässerungssysteme nicht ausgelegt sind, werden bisher nicht in den üblichen Planungsverfahren berücksichtigt. Ihre Häufigkeit und noch vielmehr ihre Ausmaße werden voraussichtlich zunehmen. Dieses erfordert eine vorsorgende, langfristige Risiko-Planung des öffentlichen und privaten Raums, um Überflutungsvorsorge und Starkregenmanagement gewährleisten zu können.

 

Daher werden die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Berliner Abgeordnetenhauses aufgefordert, sich unter Einbindung der Bezirke und der Berliner Wasserbetriebe(BWB) dafür einzusetzen, dass den Auswirkungen des Klimawandels in Berlin, insbesondere denen von Starkregenereignissen mit folgenden Maßnahmen entgegengewirkt wird:

 

  • Starkregenrisikomanagement muss konsequent bei Neubau- wie auch in Bestandsquartieren umgesetzt werden. Dabei sind geltende Normen und Regelwerke wie z.B. DIN 1986 (Planung und Ausführung von Entwässerungsanlagen) sowie DWA-Merkblatt M 119 „Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge – Analyse von Überflutungsgefährdungen und Schadenspotenzialen zur Bewertung von Überflutungsrisiken“, welche planerischen Vorgaben für Starkregenmanagement im privaten und im öffentlichen Raum enthalten, zu beachten. Ziel ist eine Berlinweite, flächendeckende Überflutungs- und Risikoprüfung einzuführen, auch für den öffentlichen Raum, wie z.B. Straßen, nach den Beispielen von New York, Amsterdam u. w. Wichtige Erkenntnisse des KURAS-Forschungsprojektes sind dabei in der Praxis zu berücksichtigen
  • Es bedarf einer verbindlichen Festlegung der Zuständigkeiten zwischen Senat, Bezirken und den Berliner Wasserbetrieben zur Umsetzung geeigneter Maßnahmen einschließlich deren dauerhaften Betriebs. Dazu ist u.a. ein Akteurskreis „Starkregen“ unter Beteiligung der zuständigen Senatsverwaltungen (SenUVK, SenSW, SenInn), Bezirken, BWB, Feuerwehr u.w. nachhaltig zu installieren.
  • Die zuständigen Stellen, sowohl auf Senats- wie auch auf Bezirksebene erhalten zügig und dauerhaft eine angemessene Ausstattung, damit sie zuverlässig die stadtweite Umsetzung der Maßnahmen und deren dauerhaften Betrieb und die Pflege, wie z.B. die ober-und unterirdischer Anlagen gewährleisten zu können.
  • Abstimmung der Maßnahmen mit Brandenburg auf allen Ebenen.

 

Antrag 201/I/2018 Die Friedensnobelpreisträgerin zum Vorbild nehmen – Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag jetzt!

30.04.2018

Der Besitz von Atomwaffen ist weiterhin ein existenzielles Risiko für die Menschheit. Deren Abschaffung bleibt ein wichtiges friedenspolitisches Ziel. 2017 wurde erstmals ein bindender Atomwaffenverbotsvertrag vorgelegt, der bislang von 56 Ländern unterzeichnet wurde. Ebenfalls im vergangen Jahr wurde die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dies sollte uns in der Unterstützung der Abrüstungsinitiative bestärken. Eine Stationierung vom Atomwaffen in Rheinland-Pfalz ist über ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr begründbar. Darüber hinaus stellen die Atomwaffen ein Sicherheits- und Umweltrisiko dar.“ durch „Die fortwährende Stationierung von Atomwaffen in Rheinland-Pfalz steht einer friedensorientierten Sicherheitspolitik grundsätzlich entgegen, ist moralisch verwerflich und stützt den derzeit bedauerlicherweise herrschenden Trend der gegenseitigen Aufrüstung. Zudem stellen jene ein erhebliches Risiko für die Umwelt dar.

 

Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, dem Atomwaffenverbotsvertrag der UNO-Generalversammlung beizutreten und ihn zu ratifizieren. Die Bundesregierung soll zudem in Gespräche mit anderen Staaten treten, die dem Atomwaffenverbotsvertrag noch nicht beigetreten sind und für einen Beitritt werben. Einen Fokus soll die Bundesregierung insbesondere auf Staaten richten, die aktuell über Atomwaffen verfügen.

 

Außerdem wird die Bundesregierung aufgefordert, Verhandlungen mit der US-amerikanischen Regierung aufzunehmen, um die Stationierung von Atomwaffen („Nuclear Sharing“) auf dem NATO-Stützpunkt in Büchel zu beenden und auch zukünftig keine Atomwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren.

 

Desweiteren fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dazu auf, sich

  • in diplomatischen Konsultationen u.a. im Rahmen der Vereinten Nationen und in bilateralen Gesprächen mit Nuklearstaaten als Verhandlungspartnerin für den Atomwaffensperrvertrag einzusetzen und
  • sich für die rechtliche Verbindlichkeit des Atomwaffensperrvertrags einzusetzen, um an der vollkommenen Abschaffung von Atomwaffen wesentlich mitzuwirken.

 

Antrag 229/I/2018 Soziale Teilhabe durch ein Solidarisches Grundeinkommen und die Überwindung von Hartz IV

30.04.2018

Das Prinzip der Sozialstaatlichkeit ist in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben. Daraus leitet sich die Verpflichtung der Gesellschaft ab, allen ihren Mitgliedern mindestens ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Unser Anspruch geht darüber hinaus: Wir wollen eine solidarische Gesellschaft, in der jeder Mensch nicht nur existenzsichernd gegen allgemeine Lebensrisiken abgesichert ist, sondern entsprechend seiner persönlichen Bedürfnisse in seiner Entwicklung gefördert wird.

 

Ein solidarisches Grundeinkommen gestalten

Der Debattenanstoß für ein Solidarisches Grundeinkommen hat eine wichtige gesamtgesellschaftliche Diskussion in Gang gesetzt. Das Solidarische Grundeinkommen ist eine Maßnahme des sozialen Arbeitsmarktes, die zum Ziel hat, Langzeitarbeitslosen statt dem Hartz-IV-Bezug auf der Basis des Mindestlohns einen Job anzubieten, bei dem sie unbefristet gesellschaftliche und kommunale Aufgaben übernehmen können, bestenfalls bei kommunalen der landeseigenen Unternehmen. Im Kern handelt es sich bei dem Solidarischen Grundeinkommen um eine Lohnarbeitsbeschaffungsmaßnahme – nicht mehr und nicht weniger. Sie kann nur eine Maßnahme für einen Teil der Erwerbsarbeitslosen sein und darf deshalb keinen Ersatz für eine notwendige Debatte um die Überwindung von Hartz IV darstellen. Zum einen soll das solidarische Grundeinkommen ohne Sanktionsmechanismen funktionieren und enthält damit keinen „Zwang zur Arbeit“. Damit kann es kein Modell für diejenigen sein, die einer solchen kommunalen Arbeit auf Mindestlohnniveau nicht nachgehen wollen oder können, hier müssen andere Lösungen getroffen werden. Auch Aufstocker*innen und Menschen ohne Erwerbsarbeit, die nicht als Langzeitarbeitslose zu qualifizieren sind, kommen für die Maßnahme nicht in Betracht.

 

Darüber hinaus hat das Solidarische Grundeinkommen mit den Modellen von bedingungslosen Grundeinkommen („BGE“), wie sie seit Jahrzehnten in der Gesellschaft diskutiert werden, absolut nichts zu tun. Dies wird aber durch den Namen der Maßnahme suggeriert. Die Forderung nach einem Solidarischen Grundeinkommen entbindet sozialdemokratische Politik jedoch nicht von der Obliegenheit, sich mit den Modellen des BGE auseinanderzusetzen und sich entsprechend zu positionieren. Bei den Bürger*innen die Erwartung zu wecken, dass die SPD sich nun für ein Grundeinkommen einsetzt, wie es seit Jahren diskutiert wird, wäre falsch.

 

Dennoch finden wir die Grundidee des Solidarischen Grundeinkommens aus folgenden Gründen unterstützenswert:

  1. Von dem anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung und der guten Konjunktur profitiert zwar insbesondere das obere Zehntel der Einkommensschicht, jedoch sind auch die Arbeitslosenzahlen in den letzten zehn Jahren gesunken. Diese positive wirtschaftliche Entwicklung hat jedoch an der Tatsache nichts geändert, dass viele Bezieher*innen von ALG II keine Erwerbsarbeit finden. Das liegt zum einen daran, dass viele einfache, repetitive Tätigkeiten weggefallen sind und im Zuge der Digitalisierung weiter wegfallen werden. Für viele Langzeitarbeitslose ist es somit sehr schwer, in den ersten Arbeitsmarkt einzusteigen. Das kann eine Beschäftigung im Rahmen des Solidarischen Grundeinkommens ändern, in dem sie einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt ebnen kann. Dies kann vielen Langzeitarbeitslosen nach den vielen Jahren innerhalb des Sanktionsregimes von Hartz IV eine wirkliche Perspektive auf ein auskömmliches Einkommen bieten.
  2. Wir glauben, dass viele Menschen aufgrund der von Arbeitslosigkeit bedingten Armut in sozialer Isolation leben. Das heute vorgefundene soziale Sicherungssystem ist eher darauf bedacht, Fehlverhalten zu sanktionieren, statt Partizipation zu ermöglichen. Eine Erwerbsarbeit im Rahmen des Solidarischen Grundeinkommens kann Menschen nicht nur das Gefühl, sondern die Gewissheit geben, dass ihre Arbeit einen Mehrwert für die Gesellschaft hat und anderen Menschen konkret hilft. Arbeit ist für viele Menschen nach wie vor ein wertbildender und sinnstiftender Faktor. Ungewollte Arbeitslosigkeit führt deshalb bei vielen Menschen zu körperlichen und seelischen Krankheiten. Die Negativ-Spirale, in der viele Langzeitarbeitslose gefangen sind, kann eine solche Maßnahme durchbrechen.
  3. Die Probleme bei der Bewältigung der Zuzüge von Geflüchteten insbesondere im Jahr 2015 haben gezeigt, dass der Staat derzeit zentrale Aufgaben der Daseinsvorsorge Ehrenamtlichen überlässt. Diese verdienen für ihren Einsatz für diese Gesellschaft Respekt und Wertschätzung. Dennoch übernehmen sie bisweilen Aufgaben, die von derartiger Relevanz für den Staat und die Gemeinschaft sind, dass sie reguläre Erwerbsarbeit sein sollten. Wie in der Geflüchtetenhilfe könnte öffentlich geförderte Beschäftigung in der Pflege oder in KiTas entstehen – dort wo Bedarf an einer die Fachkräfte unterstützenden und gleichzeitig entlastenden Tätigkeit besteht. Dabei gilt es zu beachten, dass reguläre Tätigkeiten im Bereich des Öffentlichen Dienstes, die im Zuge der Privatisierung abgebaut wurden, durch eine Personalaufstockung in regulären Beschäftigungsverhältnisse im Öffentlichen Dienst übernommen werden.

 

Forderungen

  1. Es darf durch das SGE keine reguläre Beschäftigung verdrängt werden. Es ist vor allem dafür Sorge zu tragen, dass schon bestehende Stellen im Öffentlichen Dienst nicht in den zweiten Arbeitsmarkt ausgelagert werden oder ein Niedriglohnsektor im Öffentlichen Dienst geschaffen wird. Eine Entlohnung unterhalb des Mindestlohns lehnen wir strikt ab. Weiterhin sollen auch dort wo Bedarfe an fachlich qualifiziertem Personal im Öffentlichen Dienst existieren neue, reguläre Arbeitsplätze geschaffen werden. Gleichzeitig darf durch das SGE kein privater Mehrwert generiert werden. Es soll deshalb nicht möglich sein, öffentlich geförderte Stellen in der reinen Privatwirtschaft zu schaffen.
  2. Es muss gründlich geprüft werden, in welchen kommunalen Unternehmen welche Tätigkeiten durch öffentlich geförderte Stellen abgedeckt werden können. Diese sollen auf einer Positivliste festgeschrieben werden, die bei Bedarf erweitert werden kann. Durch SGE-Stellen dürfen keine Tarifverträge unterlaufen werden. Die Einrichtung der Stellen ist deshalb auch unter den Tarifparteien von TVöD und TV-L zu koordinieren. Die Auswirkungen auf das Tarifsystem sind in Begleitstudien zu untersuchen.
  3. Ziel muss es sein, die betreffenden Menschen durch die öffentlich geförderte Beschäftigung einen Einstieg in reguläre Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Dies ist nicht zu Letzt deshalb von hoher Bedeutung, da auch der sozialversicherungspflichtige Job auf Mindestlohnniveau im Alter nicht für eine Rente über der Grundsicherung reicht. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Beschäftigten während sie das SGE beziehen qualitativ hochwertige Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten. Die Weiterbildungsangebote sollen dabei den individuellen Wünschen der Beschäftigten angepasst sein. In diesem Zusammenhang sind auch Modelle wie das „Arbeitslosengeld Q“ noch einmal zu diskutieren.
  4. Gute und qualifizierte Arbeit ist wichtig! Schulhausmeister*innen und Erzieher*innen in Jugendfreizeiteinrichtungen beispielsweise brauchen bestimmte Qualifizierungen, auf die in diesem Fall Schul- und JFE-Träger, Schüler*innen und Jugendliche bauen. Auch bei Arbeitsplätzen des solidarischen Grundeinkommens muss darauf geachtet werden, dass Personen den übernommenen Aufgaben gerecht werden können., also dafür qualifiziert sind oder nötigenfalls dafür qualifiziert werden.
  5. Die angebotene Arbeit darf nicht wie bei früheren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen völlig sinnlos sein, sondern muss einen für die Beschäftigten nachvollziehbaren Zweck haben. Beschäftigung darf hierbei kein Selbstzweck sein. Es ist vielmehr danach zu schauen, welche Art von Arbeit heute vielfach durch zeitintensiven Einsatz von Ehrenamtlichen geleistet wird, obwohl sie zu den Aufgaben der öffentlichen Hand gehört.
  6. Das SGE kann als Maßnahme des sozialen Arbeitsmarktes kann nur dann gut funktionieren, wenn es Teil einer viel tiefergreifenden Reform des Arbeitslosengeldes und der Arbeitsvermittlung ist. Es muss klar sein, dass das übergeordnete Ziel die Abschaffung von Hartz IV und die Gestaltung einer echten Alternative zu diesem repressiven System ist. Hiermit würde auch ein Mentalitätswechsel in den Arbeitsagenturen einhergehen. Die Mitarbeiter*innen, die momentan damit beschäftigt sind, Sanktionen zu verhängen, könnten sich stattdessen damit beschäftigen, den Menschen auf ihre persönliche Situation zugeschnittene Angebote zu machen. Dabei sind auch die Zielgruppen in den Blick zu fassen, die nicht Zielgruppe der SGE-Maßnahmen sind.
  7. Menschen, die besondere Unterstützung und Hilfestellung benötigen, müssen diese erhalten, unabhängig davon, ob sie ein – wie auch immer gestaltetes – solidarisches Grundeinkommen in Anspruch nehmen können oder wollen. Zu den möglichen Unterstützungsleistungen zählen z. B. psychosoziale Betreuung, Schuldner*innenberatung, Beratungs- und Hilfsangebote bei (psychischen) Erkrankungen etc.
  8. In Berlin ist in insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit nach wie vor auf erschreckend hohem Niveau. Gerade bei jungen Menschen unter 25 Jahren gilt: Qualifizierung, Berufsausbildung und Integration in den ersten Arbeitsmarkt müssen absoluten Vorrang vor anderen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten haben! Hier ist zu diskutieren, wie die Jugendberufsagenturen gestärkt und die Möglichkeiten des Zusammenwirkens unterschiedlichen Rechtskreise (SGB II, III und VIII) verbessert werden können.

 

Solidarität und Sicherheit statt Sanktionen

Spätestens seit dem von den Regierungen Schröder gemeinsam mit den Konservativen vorangetriebenen Sozialstaatsabbau in Verbindung mit Arbeitsmarktreformen zulasten von Arbeitnehmer*innen und auf die Solidarität unserer Gesellschaft dringend angewiesenen Menschen im Rahmen der sogenannten Agenda 2010 ist unsere Gesellschaft davon weit entfernt. Im Gegenteil: Mit den Sozial- und Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 – allen voran „Hartz IV“ – wurde ein gesellschaftliches Klima der Verunsicherung und Angst geschaffen, das sich 2017 mit der Wahl der selbsternannten Alternative für Deutschland in den Deutschen Bundestag manifestiert hat. Gerechtfertigt durch eine neoliberale Weltanschauung, die im Gegensatz zu den Grundwerten der Sozialdemokratie steht und die vermeintliche Notwendigkeit, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken zu müssen, wurde der Sozialstaat geschliffen und unsere Gesellschaft systematisch entsolidarisiert. Wenn die SPD als sozialdemokratische Partei gegenüber den Wähler*innen Glaubwürdigkeit wiedererlangen und ihre politische Existenzberechtigung nicht vollständig einbüßen möchte, muss sie diese Fehler der Vergangenheit klar als solche benennen und aufarbeiten.

Wir wollen einen Sozialstaat, der so ausgestaltet ist, dass Menschenwürde und Respekt im Mittelpunkt stehen, der die nötige soziale Sicherheit bietet und aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle ermöglicht. Die folgenden Punkte sollen dabei als erste Schritte für eine weitergehende Umgestaltung des Sozialsystems dienen.:

  1. Der Grundsatz des Förderns muss in den Vordergrund gerückt werden, Sanktionen sind vollständig abzuschaffen und durch positive Anreize für Leistungsberechtigte zu ersetzen, zum Beispiel Zugang zu zusätzlichen Qualifizierungsmaßnahmen.
  2. Die Bundesagentur für Arbeit ist zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung weiterzuentwickeln. Sämtliche Jobcenter werden in diese Bundesagentur eingegliedert. Die Kosten trägt der Bund. Das Recht auf Weiterbildung wollen wir im Rahmen unseres Konzepts des Umbaus der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung realisieren.
  3. Maßnahmen zur Qualifizierung für Arbeitssuchende sind tatsächlich an deren persönlichen Bedürfnissen und Zielen auszurichten. Sie sind direkt von der Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung durchzuführen und nicht von freien Trägern, die nach Profitmaximierung streben.
  4. Die Regelungen für die Zumutbarkeit von Arbeit sind zu ändern: Wir wollen gute und sichere Arbeit, die der beruflichen Qualifikation von Arbeitssuchenden entspricht, nicht Arbeit um jeden Preis.
  5. Die Bezugsdauer von ALG I soll an der Beitragsdauer berechnet werden, aber mindestens 24 Monate betragen. .
  6. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende müssen der Höhe nach dem tatsächlichen sozio-kulturellen Existenzminimum entsprechen und dürfen dieses unter keinen Umständen unterschreiten.
  7. Die Erhöhung der Vermögensfreibeträge in der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf ein Niveau, dass es ermöglicht in der Regel in der eigenen Immobilie bzw. Mietwohnung wohnen zu bleiben und vorhandene private (Alters-) Vorsorge zu erhalten. Als Bedarfsgemeinschaft sollen in Zukunft nicht mehr automatisch alle Paare zählen, die (auch wenn erst seit Kurzem) zusammenwohnen, sondern nur noch verheiratete Paare (siehe §7 Abs. 3 BG)
  8. Das Zuflussprinzip ist abzuschaffen und Steuerrückerstattungen oder Nebenkostenguthaben dürfen nicht auf die Leistungen der Grundsicherung angerechnet werden.
  9. Die Macht der Arbeitsvermittler*innen in den Jobcentern ist zu weitreichend. Sie entscheiden über sämtliche Maßnahmen, die im Rahmen des Jobcenters zur Arbeitsaufnahme stattfinden sollen. Ebenso obliegen ihnen viele Ermessensentscheidungen, die vorerst keiner weiteren Kontrolle unterliegen. Die Widerspruchsrechte von Leistungsempfängern sind zu stärken. Dafür muss die Widerspruchsfrist von einem auf drei Monate verlängert werden und der*m Leistungsempfänger*in bei Wahrnehmung seines*ihres Rechtes eine Beratungsstelle zur Verfügung gestellt werden. Entscheidungen der*s Arbeitsvermittler*in sollen nachvollziehbar sein. Positive Anreize sind im Sinne eines Dienstleistungsverständnisses zu setzen. Wir setzen auf längerfristige Begleitung durch eine*n einzige*n Arbeitsvermittler*in. Gleichzeitig hat die*der Leistungsberechtigte ein weiterführendes Recht einräumen die*den Arbeitsvermittler*in zu wechseln.
  10. Ein Umzug darf nicht zu Sanktionen führen. Umzugskosten sollen übernommen werden, unabhängig davon, ob der Umzug aufgrund eines Jobangebots erfolgt oder nicht.
  11. Es braucht eine unabhängige Stelle für Beschwerden und Informationen. Jede*r muss sich über die eigenen Rechte informieren können. Des Weiteren brauchen wir bessere Informationen über bestehende Beratungsangebote, z.B. von zivilgesellschaftlichen Trägern.
  12. Kindergeld ist nicht mehr als bedarfsminderndes Einkommen auf ALG II anzurechnen.

 

Antrag 185/I/2018 Rechtschaffenheit kennt keine Altersgrenze – Lehren aus dem „Koblenzer Neo-Naziprozess“

30.04.2018

Im Jahr 2012 begann der „Koblenzer Neo-Naziprozess“ gegen die rechtsterroristische Vereinigung Aktionsbüro Mittelrhein am Landgericht Koblenz. Den damals 26 Angeklagten wurde auf über 900 Seiten Anklageschrift u.a. die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Brandstiftung vorgeworfen. Die Angeklagten sollen Andersdenke bedroht und Hakenkreuze gesprüht haben. Der Hass der angeklagten Nazis soll in gewalttätigen Überfällen gegen Linke gegipfelt haben, wie z.B. auf das linksautonome Wohnprojekt Praxis in Dresden-Löbtau im Februar 2011, auf linke Aktivist*innen beim Verteilen von Flugblättern in Wuppertal im Januar 2011 und in Bad Neuenahr im Mai desselben Jahres.

 

An über 300 Verhandlungstagen wurde reichlich Beweismaterial vorgetragen. Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht. Das Verfahren wurde im Mai 2017 endgültig eingestellt – weil der Vorsitzende Richter laut Landesrichtergesetz wegen Vollendung seines 65. Lebensjahres in Pension treten musste und ein neues Verfahren nicht begonnen wurde. Letzteres wurde damit begründet, dass ein neues Verfahren womöglich zehn Jahre dauern würde und daher unverhältnismäßig lang sei. Zwar hat das Oberlandesgericht Koblenz im Dezember 2017 entschieden, dass der Prozess fortgesetzt werden muss. Da die zuständige Kammer jedoch in neuer Besetzung verhandeln wird, muss die Beweisaufnahme wieder von vorne beginnen.

 

Auch in Berlin treten Richter*innen gem. § 3 Berliner Richtergesetz mit Ende des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet haben, in den Ruhestand. Dies darf ausdrücklich nicht hinausgeschoben werden. Dass laufende Strafverfahren abgebrochen werden und neu beginnen müssen, weil eine Richterin oder ein Richter pensioniert wird, kommt zwar nicht häufig, aber trotzdem immer wieder vor. Bei der Geschäftsverteilung achten die Gerichtspräsidien auf anstehende Pensionierungen und ergreifen entsprechende Maßnahmen. Dies beruht auf einer Prognose, wie lange bestimmte Strafverfahren wohl dauern werden. Gerade bei unerwartet „komplizierten“ Prozessen kann diese Prognose aber auch falsch sein. Insbesondere im Bereich des Rechtsterrorismus, aber auch bei anderen schweren Gewalttaten schwächen diese Ausnahmefälle das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat massiv.

 

Ein Prozessabbruch kann am effektivsten vermieden werden, wenn zu Beginn eines Strafverfahrens eine weitere Richterin oder ein weiterer Richter hinzugezogen wird, der den Prozess nach der Pensionierung seiner Kollegin bzw. seines Kollegen übernehmen kann. Das Institut des Ergänzungsrichters bzw. der Ergänzungsrichterin (§ 192 GVG) wird aufgrund knapper personeller Ressourcen und der hohen Belastung der Gerichte jedoch nur selten genutzt.

 

Um Prozessabbrüche vollständig zu vermeiden, fordern wir daher:

  1. Eine deutliche Verbesserung der personellen Ausstattung der Gerichte – nicht nur in der Strafgerichtsbarkeit. Dazu gehört die Schaffung zusätzlicher Richter*innenstellen, aber auch zusätzliches Personal in den Geschäftsstellen. Die Hinzuziehung einer Ergänzungsrichterin oder eines Ergänzungsrichters darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil gerade keine personellen Kapazitäten dafür vorhanden sind.
  2. Eine Änderung des § 192 GVG. Bisher heißt es dort, dass Ergänzungsrichter*innen bei Verhandlungen längerer Dauer hinzugezogen werden können. Der Wortlaut soll zukünftig lauten: „Unter Berücksichtigung der Zahl der Angeklagten und des Umfangs einer Sache sollen Ergänzungsrichter[*innen] bestellt werden“.
  3. Der Landesgesetzgeber soll darüber hinaus prüfen, ob § 3 des Berliner Richtergesetzes um eine Ausnahmeregelung ergänzt werden kann, die Richter*innen in bestimmten Fällen ein Hinausschieben ihrer Pensionierung ermöglicht, ohne das Recht auf den gesetzlichen Richter anzutasten. Es muss sichergestellt sein, dass die Justizverwaltung, welche über die Verlängerung zu entscheiden hat, den Vorgang nicht dazu nutzen kann, die Besetzung eines Spruchkörpers zu beeinflussen.