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Antrag 141/I/2018 Die 2004 eingeführte volle Verbeitragung von Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist abzuschaffen

2.05.2018

Die mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) 2004 eingeführte volle Verbeitragung von Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung (bAV) in der Kranken- und Pflegeversicherung während der Auszahlungsphase ist wieder abzuschaffen; die entsprechenden Regelungen sind auf den Rechtsstand vor Inkrafttreten des GMG (halber Beitragssatz) zurückzuführen.

 

Antrag 118/I/2018 Ernennung Staatssekretär

30.04.2018

Die SPD Berlin missbilligt die Nominierung bzw. Ernennung von Jörg Kukies als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Die Mitglieder des Parteivorstands, der SPD-Bundestagsfraktion und des Bundeskabinetts werden aufgefordert, einer Ernennung Jörg Kukies zum Staatssekretär im Bundesfinanzministerium nicht zuzustimmen bzw. auf die Ernennung einer anderen qualifizierten Persönlichkeit hinzuwirken, die in glaubwürdiger Weise eine wirklich sozialdemokratische Finanzpolitik entwickeln und umsetzen kann.

 

Jörg Kukies trägt als langjähriger führender Mitarbeiter des internationalen Finanzkonzerns Goldmann Sachs zumindest geschäftspolitische Mitverantwortung für Ursachen der zurückliegenden Krise des internationalen Finanzsystems, durch die zahlreiche Menschen und auch Staaten in Europa und darüber hinaus in eine schwerwiegende finanzielle Notlage geraten sind. Zur Stabilisierung des globalen Finanzsystems und betroffener Staaten wurden viele Milliarden Euro und Dollar Steuermittel eingesetzt, die der Sozial-, Bildungs-, und Entwicklungspolitik fehlen. Auch die für deutsche Sparer verlustreiche Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist eine Folge der durch Jörg Kukies verantworteten Geschäftspolitik.

 

Außerdem gehört es zur global praktizierten Personalpolitik von Goldmann Sachs, dass ihre Manager Zeitweise in führende Finanzpolitische Positionen wechseln. Dabei besteht nicht nur die reale Gefahr von Lobbyismus im Sinne von Goldmann Sachs, sondern auch die Möglichkeit von Einblicken in die Strategien der für die Bankenbeaufsichtigung und -regulierung zuständigen Institutionen. Aktuelle Beispiele sind der amerikanische Finanzminister und der Präsident der Europäischen Zentralbank.

Antrag WV132/I/2018 Besondere Berücksichtigung der unter 25 Jährigen im Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) des Landes Berlins

30.04.2018

Jugendliche und junge Erwachsene (bis 25 Jahre) werden im PsychKG nicht explizit geschützt. Dabei ist diese Gruppe besonders schutzbedürftig, da sich ihr Krankheitsverlauf anders verhält als bei Erwachsenen. Auch liegen verschiedene Abhängigkeiten, insbesondere zur Familie vor.

 

Dies äußert sich zum Beispiel in ihrer Wohnsituation, da diese Menschen häufig noch zuhause wohnen oder in einer Wohngemeinschaft, also in einem Abhängigkeitsverhältnis. Bei Streit mit und Überforderung der Eltern oder Sozialarbeiter*innen kommt es schnell zum Rauswurf oder zur Flucht. Leben sie auf der Straße oder in einer nicht entsprechend ausgestatteten Unterkunft führt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer gravierenden Verschlechterung und im schlimmsten Fall einer Zwangseinweisung. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen geraten in eine Spirale. Hier gilt es anzusetzen.

 

Wir fordern folgende Maßnahmen:

  • Anpassung der gesetzlichen Regelungen, um die Schutzbedürftigkeit von bis zu 25 Jahre alten Personen explizit festzuhalten
  • Einrichtungen ausbauen, deren Personal für die speziellen Bedürfnisse und Besonderheiten explizit geschult ist (Notunterkünfte und dauerhafte Wohngemeinschaften)
  • Präventionsmaßnahmen verstärken, wie Anlaufstellen und Hilfsangebote für die Jugendlichen aber auch die Eltern, die sowohl begleitend als auch in akuten Krisensituationen unterstützen

 

Antrag 99/I/2018 Die Zeit der Notpflaster ist vorbei - Kinder verdienen mehr!

30.04.2018

Einführung der Kindergrundsicherung und einer*s Beauftragte*n für Kinderrechte JETZT!

Immer noch leben in Deutschland über 600.000 Kinder in absoluter Armut . Unter absoluter Armut leidet, wer nicht einmal seine absoluten Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung sowie eine medizinische Grundversorgung) befriedigen kann. 2,5 Millionen Kinder- und Jugendliche gelten als arm , das bedeutet nicht nur schlechtere Versorgungs-, Bildungs- und Teilhabechancen im Vergleich zu Gleichaltrigen. Es zeigt, dass die Vorstellung, dass alle Kinder in unserem Land von Geburt an die gleichen Chancen haben, nach wie vor eine Illusion ist. Zahlreiche Studien zeigen, dass Kinderarmut einen kaum zu überwindenden Teufelskreis erzeugt. Wer arm aufwächst, bleibt oft ein Leben lang von Armut bedroht. Betroffen sind vor allem Kinder von Alleinerziehenden oder aus Familien im ALG II-Bezug. Seit über 10 Jahren kämpfen die Sozialverbände, Arbeiterwohlfahrt, die Jusos und Bündnisse wie „Kinderarmut hat Folgen“ dafür, dass Kinder nicht mehr sozial benachteiligt aufwachsen und von Beginn an die gleichen Chancen haben. Immer wieder konnten Akteur*innen, die sich seit über einem Jahrzehnt für eine Kindergrundsicherung in ganz Deutschland stark machen, kleine Erfolg – wie die Reform des Unterhaltsvorschusses – verbuchen. Doch angesichts der Dimensionen von Kinderarmut, die bereits jedes 5. Kind in ganz Deutschland betrifft und in Berlin sogar jedes 3. Kind, reicht das ändern von „Schräubchen“, wie z.B. das geringfügige anheben des Kindergeldes oder des nach wie vor kaum genutzten Kinderzuschlages, nicht aus. Diese Notpflaster lesen sich gut auf dem Papier, doch in der Realität tragen sie oftmals sogar noch mehr zu der Ungerechtigkeit in unserem Land bei. Denn das aktuelle Fördersystem ist intransparent, bürokratisch und sozial ungerecht:

 

Das Kindergeld wird beispielsweise auf das Sozialgeld angerechnet. Kinder, deren Eltern Hartz-IV erhalten, bekommen also kein Kindergeld. Eine Schande, da gerade für Kinder in Familien mit SGB II-Bezug das Risiko der Kinderarmut besonders hoch ist.

 

Auch Leistungen, die einkommensschwachen Familien vermeintlich helfen sollen, greifen deutlich zu kurz. So greift der Kinderzuschlag beispielsweise nur in sehr starren Einkommensgrenzen und ist enorm kompliziert zu beantragen. Zusätzlich wird kaum über ihn informiert, so dass viele Familien, die eigentlich Geld mittels des Familienzuschlags erhalten könnten, dieses gar nicht erst beantragen. Der Kinderzuschlag verkommt so zu einem zahnlosen Papiertiger. Wir wollen bei der finanziellen Existenzsicherung von Kindern kein bürokratisches Klein-Klein, sondern ein solidarisches System, in dem jede*r und jede*m geholfen wird.

 

Die Schwäche des aktuellen Systems wird besonders deutlich, wenn man sich anschaut, wie viel stärker gutverdienende Familien entlastet werden. Alleine durch Steuerfreibeträge können hier schnell 100 € mehr im Monat für Gutverdiener*innen zusammenkommen. Was erneut die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land aufzeigt, indem weniger privilegierte Eltern geringer entlastet werden als solche, die bereits Gut- oder Spitzenverdiener*innen sind. In einem reichen Land wie Deutschland sollte es keine Kinderarmut geben. Darüber sind sich alle politischen Akteure*innen einig. Doch wie viel die Verantwortlichen dann wirklich bereit sind in die gleichwertigen Lebensverhältnisse und Zukunft der Kinder in Deutschland zu investieren kann bestenfalls als Notpflaster bezeichnet werden. Eines ist klar und wurde in den vergangen Jahren durch zahlreiche Studien (u.a. der AWO, Bertelsmannstiftung und selbst der beteiligten Ministerien) immer wieder aufgezeigt: Was bisher an Fördermaßnahmen getan wird, reicht bei weitem nicht aus!

 

Wir fordern eine politische Gesamtlösung im Kampf gegen Kinderarmut:

Wir fordern erneut, eine Grundsicherung für jedes Kind einzuführen. Diese soll dabei neben dem verfassungsrechtlichen Existenzminimum auch einen Betrag für Erziehung, Betreuung und Ausbildung umfassen. Dieser muss regelmäßig von einer unabhängigen Expert*innen-Kommission, in der auch insbesondere die Wohlfahrts- und Sozialverbände vertreten sind, neu berechnet werden. In aktuellen empirischen Berechnungen wird die Kindergrundsicherung bei momentan 564 € veranschlagt. Damit Gut- oder Spitzenverdiener*innen nicht weiter höhere Beiträge erhalten, muss ab einem bestimmten Haushaltseinkommen eine stufenweise Reduktion des Betrages stattfinden. Eine Anrechnung der Kindergrundsicherung auf anderen Sozialleistungen, wie beispielsweise ALG II,  lehnen wir ab. Unsere Forderung, Sozialleistungen grundsätzlich nicht zu kürzen, schließt an unsere bestehende Beschlusslage an.

 

Darüber hinaus fordern wir alle SPD-geführten Landesregierungen auf, sich an der kommenden Bundesratsinitiative zur Einführung einer „Kindergrundsicherung“ zu beteiligen, und alle SPD-Bundestagsabgeordneten, diese in den Abstimmungen zu unterstützen.

 

Wir fordern zudem, dass die seit 2017 bestehende Berliner „Landeskommission zur Bekämpfung von Kinderarmut“, der Senatsverwaltungen, Wohlfahrtsverbände, Arbeitsagentur u.v.m. angehören, bundesweit ausgeweitet wird. Dazu fordern wir die Einführung einer*s Beauftragten für Kinderrechte, die*der eng mit den Landeskommissionen und Landesbeauftragten für Kinderrechte zusammenarbeitet. Die*der Beauftragte soll in ihrer Arbeit durch einen dafür zuständigen parlamentarischen Ausschuss im Deutschen Bundestag unterstützt werden.

 

Wir schließen uns dabei der Forderung des Deutschen Kinderhilfswerkes an, dass die*der Bundesbeauftragte* für Kinderrechte nicht Beauftragte*r des Bundestages, sondern der Bundesregierung sein soll. Wie bei der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, soll auch der*die Beauftragte für Kinderrechte im Rang einer*eines Staatsministers*Staatsministerin* stehen. Dadurch hat er*sie direkten Zugang zum Bundeskabinett und damit zur zentralen politischen Schaltstelle unseres Landes, kann aktuelle Gesetzesvorlagen überwachen und jährlich über die Entwicklung berichten. Die*der Bundesbeauftragte* für Kinderrechte soll in den Ressortbereichen Arbeit und Soziales oder Familien, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt sein.

 

Gemeinsam mit Bündnispartner*innen und Sozial- und Wohlfahrtsverbänden werden wir dafür kämpfen, dass alle Kinder in Deutschland ein Leben frei von Armut führen können und die gleichen Chance haben!

Antrag 148/I/2018 “Mein Körper geht nur mich etwas an!”: Stop Fatshaming!

30.04.2018

Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten beschäftigen wir uns mit verschiedenen Formen der Diskriminierung. In unserer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft ist seit jeher zu beobachten, dass die Akzeptanz verschiedener Körperformen sowie deren Freiheit, selbst darüber verfügen und entscheiden zu können, umstritten ist. Alles was nicht der Norm entspricht, wird angeschaut und verurteilt. Die patriarchal-kapitalistische Gesellschaft verkörpert ein Körperideal, welches es einzuhalten gilt und propagiert, dass ein gesunder Körper ein schlanker Körper ist. Doch kann ein Mensch in dieser Abhängigkeit selbstbestimmt leben? Und ist diese kapitalistische Gesellschaftsform ein Abbild unserer vielfältigen Gesellschaft? Nein! Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten beginnt Selbstbestimmung bei jeder*jedem Einzelnen, die*der aus eigener Überzeugung heraus freie Entscheidungen trifft. Besonders Frauen* und queere Personen müssen sich immer wieder Räume für ihren eigenen Körper erstreiten.

Oft sind sie Stigmatisierungen und Ausgrenzung ausgesetzt. Dabei steht jedem Menschen das Recht auf ein Leben unabhängig gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu.

 

Wir fordern eine Gesellschaft, der Freien und Gleichen. Wir wissen jedoch, dass dieser Weg noch erkämpft und verteidigt werden muss. Aus diesem Grund wollen wir uns eingehend mit Gewichtsdiskriminierung auseinandersetzen, es in die SPD sowie in die Gesellschaft tragen und die Gesellschaft dahingehend verändern, dass Diskriminierung aufgrund des Gewichts bekämpft und die Diversität der Körperformen akzeptiert wird.

 

Analyse der derzeitigen Situation

Gegenwärtig befinden wir uns in unruhigen Zeiten, in dem der Wegfall bestehender Bezugspunkte, Identitätsprobleme auf den Körper übertragen. Daneben ist unsere schnelllebige und moderne Gesellschaft stark von visuellen Medien geprägt. Durch diese Prägung gewinnt der Körperkult zunehmend an Bedeutung und wird als Symbol der Klassenidentität wahrgenommen, wodurch Menschen  und insbesondere Geschlechter ihrer Körperform nach in gesellschaftliche Schichten kategorisiert werden: Dünnen und schlanken Körpern werden Adjektive wie gesund, fit, fleißig und zielstrebig zugesprochen. Dicken und hochgewichtigen Körpern hingegen werden Eigenschaften wie unsportlich, krank, unmotiviert und faul verknüpft. Im Rahmen des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) ergab eine repräsentative Umfrage, dass zwei Drittel der befragten Personen Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihres Gewichts und ihres äußerlichen Erscheinungsbildes in den entscheidenden Lebensbereichen wie dem Arbeitsmarkt, Bildung, Mobilität, Freizeit, Privatleben, Gesundheit und Pflege machten. Vor allem im Bereich Gesundheit und Pflege kritisierten die befragten Personen die mangelhafte Ausstattung der Krankenhäuser im Gesundheitssystem und die herablassende Äußerungen durch das Krankenhauspersonal.

Laut einer Umfrage der DAK finden 75 Prozent der Männer* und 67 Prozent der Frauen* hochgewichtige Menschen unästhetisch.

 

Bereits Kinder und Jugendliche werden insofern sozialisiert, dass sie andere dicke und hochgewichtige Kinder und Jugendliche ausgrenzen. Diskriminierung aufgrund eines hohen Körpergewichts passiert somit täglich, überall und betrifft immer mehr Menschen. Die negativen sozialen und gesundheitlichen Konsequenzen von Gewichtsdiskriminierung führen zu gesellschaftlicher und sozialer Ausgrenzung. Zudem führen Stress und Ausgrenzung zu Körperbildstörungen, Essstörungen und Depressionen. Besonders Frauen* und queere Personen sind von dieser Art der Diskriminierung betroffen, die neben intersektioneller Diskriminierung wie Herkunft, sexuelle Orientierung oder des Alters, weit verbreitet ist.

 

Studien besagen, dass Frauen* ihrem Körper eine weitaus höhere Bedeutung für das eigene Selbstbild zuschreiben als Männer*. Auslöser dieser verzerrten Wahrnehmung ist, dass Frauen* stärker von kapitalistisch-gesellschaftlichen Zwängen betroffen sind. Die kapitalistisch-sexistische Mode- und Schönheitsindustrie bekräftigt diese Zwänge, die das Bild der perfekten und makellosen Figur mit entsprechender Kleidergröße sowie den permanenten Druck des Diäthaltens als Lebensmittelpunkt der Frau* propagieren.

 

Gewichtsdiskriminierung als bildungspolitische Aufgabe verstehen

Schon in der frühkindlichen Erziehung ist Gewichtsdiskriminierung offensichtlich zu erkennen. Internationale Studien zeigen, dass Gewichtsdiskriminierung die mit Abstand häufigste Form von Diskriminierung an Schulen ist und bereits in der ersten Klasse nachgewiesen werden kann. Diese Kinder und Jugendliche, die unter Gewichtsdiskriminierung im Kindergarten und in der Schule leiden, weisen doppelt so häufig Suizidversuche und depressive Zustände auf wie Kinder und Jugendliche, die nicht unter Gewichtsdiskriminierung leiden.

Daher fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie auf, Gewichtsdiskriminierung, Schönheitsideale und Körperdiversität in die Rahmenlehrpläne des Landes Berlin für die Fächer Geschichte, Sachkunde, Sozialkunde, Biologie, Ethik und Philosophie aufzunehmen.

Zudem fordern wir die zuständige Senatsverwaltung auf, die Lehrkräfte mit pädagogischen Aus-, Fort- und Weiterbildungen für Gewichtsdiskriminierung zu sensibilisieren.

 

Außerdem werden in der Literatur dicke und hochgewichtige Menschen als defizitär dargestellt oder gar nicht berücksichtigt. Bereits in Kinderbüchern lassen sich stereotypische Darstellungen finden, die Gewichtsdiskriminierung spürbar verstärken.

Daher fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das Land Berlin auf, zusätzliche finanzielle Mittel für die Bibliotheken zur Verfügung zu stellen, um gezielte Titel sowie Bücher in den Bestand aufzunehmen, die ein positives Körperbild fördern. Dabei soll das Land Berlin vor allem den Schwerpunkt im Bereich der Kinder- und Jugendbücher setzen und entsprechende Verlage mit Landeszuschüssen unterstützen. Ziel ist es, dass verstärkt Bücher in den Bestand der Bibliotheken aufgenommen werden, die die Diversität verschiedener Körperformen aufzeigen und mit Vorurteilen, die gegenüber einem hohen Körpergewicht bestehen, aufräumen.

 

Anonymisierte Bewerbungsverfahren für die Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst bis 2020

Ein Foto im Lebenslauf ruft bekanntlich Vorurteile hervor. Vor Allem bei dicken und hochgewichtigen Menschen senkt ein Foto die Chance, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, erheblich. Das zeigt eine Studie der Universität Tübingen, in der dicke Frauen* besonders bei Personalentscheidungen schlecht abschnitten: 98 Prozent der befragten Personalleiter*innen trauten dicken Frauen* keine prestigeträchtigen Berufe in Führungspositionen wie Ärztin* oder Architektin* zu. Anonymisierte Bewerbungsverfahren können dafür sorgen, dass dicke und hochgewichtige Menschen in der Vorauswahl für ein Bewerbungsgespräch nicht aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes aussortiert werden. Bereits von März 2014 bis März 2015 wurde im Rahmen des Berliner Pilotprojekts Vielfalt fördern das Verfahren der anonymisierten Bewerbung getestet. Wir fordern die Senatskanzlei und die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf, das im Pilotprojekt getestete Verfahren der anonymisierten Bewerbung in der öffentlichen Verwaltung und den Landesbetrieben flächendeckend bis 2020 einzuführen.

 

Verbeamtung für Menschen mit hohem Körpergewicht erleichtern

Gemäß Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzbuches (GG) muss eine Person nach Ermittlung ihrer*seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichberechtigten Zugang zur Verbeamtung haben. Die besagte Eignung einer Person für den öffentlichen Dienst wird u. a. in Form einer amtsärztlichen Untersuchung ermittelt. Da das Körpergewicht im medizinischen Kontext oft voreilige und denunzierende Schlüsse auf den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit einer Person zieht, erhalten dicke und hochgewichtige Verbeamtungskandidat*innen nach dieser Untersuchung häufig einen negativen Bescheid. Seit einem richtungsweisenden Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2013 hat dieser diskriminierende und negative Bescheid der amtsärztlichen Untersuchung keinen Bestand mehr. Leider findet diese Rechtsprechung weder im Berliner Kammergesetz noch in der Weiterbildungsordnung der Berliner Ärztekammer Geltung.

 

Daher fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und die Berliner Ärztekammer auf, die Weiterbildungsordnung um das Merkmal der Gewichtsdiskriminierung auszuweiten. Durch intern organisierte Fort- und Weiterbildungen sollen Amtsärzt*innen über die  Diversität der Körperformen aufgeklärt und sensibilisiert werden. Vor allem muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Gewichtssituation nicht als Grund für alle Erkrankungen eine Rolle spielen darf. Niemandem darf aufgrund seiner*ihrer Gewichtssituation eine vorurteilsfreie Behandlung verweigert werden.

Gleichzeitig fordern wir die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung dazu auf, im Bereich der gesundheitlichen Versorgung die Ärzt*innenschaft sowie das Gesundheitspersonal für Diskriminierung des Körpergewichts gesetzlich zu sensibilisieren und diese Vorgabe in die Berufsordnung zu übernehmen. Des Weiteren setzen wir voraus, dass entsprechende medizinische Geräte in Krankenhäusern und Arztpraxen angeschafft werden, damit die notwendigen Untersuchungen von dicken und hochgewichtigen Menschen gewährleistet wird.

 

Health-at-Every-Size-(HAES)-Ansätze fördern

Medizinische Maßnahmen für “gesunde Ernährung“ erfolgen in der Regel um “Übergewicht“ und Adipositas präventiv zu bekämpfen. Denn oft wird gesunde Ernährung mit einem gesunden und schlanken Körpergewicht gleichgesetzt. Gesunde Ernährung führe automatisch zu einem gesunden Körpergewicht, wodurch „gesund“ in unserer Gesellschaft meist mit „dünn“ oder “schlank” gleichgesetzt wird. Bereits dicke Kinder und Jugendliche erfahren eine starke Ablehnung durch Gleichaltrige. Sie sehen sich mit dem Vorurteil konfrontiert, ihr Dicksein sei ein Defizit sowie ein Zeichen mangelnder Ernährungsbildung und Willenskraft. Der Stigmatisierung des dicken und hochgewichtigen Körpers durch die ausschließliche Gleichsetzung von „dünn“ mit „gesund“ muss hier entschlossen entgegengewirkt werden.

 

Darum fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung auf kurzfristig Mitglieder für die Landesgesundheitskonferenz zu berufen, die einen Health-At-Every-Size-(HAES)-Ansatz vertreten.

Langfristig fordern wir die zuständige Senatsverwaltung auf ein Aktionsprogramm und Aufklärungsbroschüren zu entwickeln, die eine körperpositive Entwicklung fördert, Gewichtsvielfalt als Teil der menschlichen Diversität begreift und Gewichtsdiskriminierung entscheidend bekämpft.

 

Body Mass Index (BMI) als Gesundheitsindikator abschaffen

Der Body Mass Index (BMI) berechnet das vermeintliche Über-, Unter- und Normalgewicht eines Menschen. Seine Aussagekraft als Gesundheitsindikator ist in der Fachwelt stark umstritten, denn der BMI lässt weder Schlüsse über die Körperfettverteilung noch über den Anteil der Muskelmasse der betreffenden Person zu. Aktuell wird er beispielsweise im Rahmen der Einschulungsuntersuchungen bei Kindern des Landes Berlin eingesetzt. Aufgrund seines zweifelhaften Nutzens finden wir, dass der Body Mass Index keine weitere Verwendung als Gesundheitsindikator finden darf und somit abgeschafft werden muss.

 

Mobilität dicker und hochgewichtiger Menschen im Öffentlichen Nahverkehr verbessern

Derzeit stellen enge Gänge, Armlehnen, die nicht hochgeklappt werden können, Ritzen oder Giebel, wie sie sich beispielsweise zwischen Kunststoffschalensitzen ergeben, ein schmerzhaftes Hindernis für dicke und hochgewichtige Personen dar.Dabei würden breite Gänge und geeignete Sitzmöglichkeiten dicken und hochgewichtigen Menschen die uneingeschränkte Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs ermöglichen. Auch wenn sich § 8 Abs. 3 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) für die “Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen“ ausspricht und sich das “Ziel [gesetzt hat,] bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen.“, werden die Bedürfnisse dicker und hochgewichtiger Menschen bei der Gang- und Sitzplatzgestaltung der öffentlichen Verkehrsmittel mit diesem Begriff der Barrierefreiheit bisher nicht beachtet. Wir fordern daher die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz auf, die hochgewichtige Personengruppe sowie ihre Bedürfnisse detailliert im Nahverkehrsplan des Landes Berlin zu nennen.

 

Erweiterung der Vorschriften zur Barrierefreiheit der Landesbauordnung

Bei der Planung von öffentlichen Gebäuden und Gewerbebauten werden die Bedürfnisse von dicken und hochgewichtigen Menschen häufig nicht bedacht. So werden beispielsweise zu enge Durchgänge und unzureichend belastbares oder einengendes Mobiliar vorgesehen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verlangen, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen durch eine entsprechende Erweiterung der Landesbauordnung und der zugehörigen Informationsmaterialien, die Barrierefreiheit für dicke und hochgewichtige Menschen gewährleistet. Darüber hinaus fordern wir die zuständige Senatsverwaltung auf, einen entsprechenden Antrag zur Aktualisierung der DIN-Norm 18 040 für barrierefreies Bauen einzubringen.

Wir fordern, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen diese Maßnahmen bis zum Jahr 2020 umsetzt.

 

Gewichtsdiskriminierende Werbung auf den bezirkseigenen Werbeflächen verbieten

Mehreren Berliner Bezirken liegen Beschlüsse vor, die “diskriminierende, frauen*feindliche und sexistische Außenwerbung“ auf den bezirkseigenen Werbeflächen untersagen. Der Begriff “diskriminierend“ schließt in diesem Fall eine Diskriminierung anhand von Gewicht nicht ein. Da in unserer Gesellschaft und Medienlandschaft das Schönheitsideal im weiblichen* Geschlecht verankert ist, werden vor allem Frauen*, die diesem Schönheitsideal nicht entsprechen, benachteiligt und sind in hohem Maße von zugespitzter und sexistischer Werbung betroffen.

Aus diesem Grund fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung auf, gewichtsdiskriminierende und sexistische Außenwerbung im Land Berlin zu untersagen.

Gewichtsvielfalt als Teil von Diversität verstehen und kommunizieren

 

Obwohl Gewichtsdiskriminierung eine viel verbreitete Form der Diskriminierung ist, wird in den aktuellen Diversity-Ansätzen des Berliner Senats, wie dem Netzwerk Vielfalt und Chancengleichheit und dem Berliner Diversometer, der Begriff “Gewicht” nicht berücksichtigt. Wir fordern das Land Berlin auf, die entsprechende Erweiterung der Gewichtsdivielfalt in ihr Verständnis von Diversität aufzunehmen und die Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) zur gewichtsvorbeugen Botschafterin dieses erweiterten Verständnisses von Diversität zu ernennen. Durch Fachveranstaltungen, Aufklärungsseminaren und die Bereitsstellung entsprechender Informationsmaterialien kann die Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) das erweiterte Verständnis von Diversität nachhaltig in die Gesellschaft tragen. Zudem ist das Land Berlin Mitglied der “Charta der Vielfalt”. Die “Charta der Vielfalt” und ihre Mitglieder – zu der u.a. verschiedene Unternehmen und Institution angehören – verpflichten sich dazu, die Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Diversität in der Arbeitswelt voranzubringen. Durch ihre Mitgliedschaft kann das Land Berlin die inhaltliche Ausrichtung in Mitgliederversammlungen mitgestalten und eine entsprechende Erweiterung der Charta in Bezug auf Körpervielfalt als Teil von Diversität anregen.

 

Erweiterung des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) um das Merkmal Gewicht

Darüber hinaus muss der Zuständigkeitsbereich der Landesantidiskriminierungsstelle (LADS) um Diskriminierungen dicker und hochgewichtiger Menschen erweitert werden.

 

Die Arbeit der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung ist auf die in §1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sowie auf die in Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 der Berliner Verfassung genannten Diskriminierungsmerkmale ausgerichtet und ist in den folgenden Berliner Landesgesetzen festgeschrieben:

 

  • Berliner Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG)
  • Berliner Landesgleichstellungsgesetz (LGG)
  • Berliner Partizipations- und Integrationsgesetz (PartIntG)
  • Berliner Seniorenmitwirkungsgesetz (BerlSenG)
  • Gesetz zur Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher sexueller Identität (SexGlBerG).

 

Da bisher Gewichtsdiskriminierung weder in den oben genannten Berliner Landesgesetzen berücksichtigt wird noch unter keine der im Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) genannten Merkmale vollständig eingliedern lässt, fordern wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hiermit die Aufnahme und Ausweitung der Berliner Landesgesetze auf das Merkmal Gewicht.

Die Lücke im Diskriminierungsschutz des Landes Berlin muss endlich geschlossen werden, sodass Klagen aufgrund von Diskriminierung des Körpergewichts rechtswirksam sind.