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Antrag 88/I/2022 Völkerstrafrecht stärken auf nationaler und internationaler Ebene

17.05.2022

Im Jahr 2022 Jahr feiern wir das 20-jährige Jubiläum des Inkrafttretens des Römischen, Statuts, der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag sowie das Bestehen des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) in Deutschland. Anlässlich dieses Jubiläums, des erfolgreichen Al-Khatib-Verfahrens in Koblenz, weiterer Verbrechen in Syrien sowie der Ukraine und anderswo, sowie des Bekenntnisses im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, die „Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen weltweit zu beenden“ sowie sich für die „Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts einzusetzen“, fordern wir die SPD-Bundestagsfraktion sowie die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dazu auf, Völkerstrafrecht auf nationaler wie internationaler Ebene konkret zu stärken.

 

Auf nationaler Ebene betrifft dies drei zentrale Punkte: das Schließen der Regelungslücken im deutschen Völkerstrafgesetzbuch und die Anpassung an das Römische Statut hinsichtlich der Straftatbestände des Verschwindenlassens sowie der sexualisierten, reproduktiven und geschlechtsbezogenen Gewalt; das Sicherstellen der stärkeren Beteiligung von Betroffenen und des besseren Zugangs der Zivilbevölkerung an Prozessen; und das Stärken der personellen und materiellen Ausstattung der für die Prozesse zuständigen Strafsenate der Oberlandesgerichte und der Generalbundesanwaltschaft sowie das Verbessern der internationalen Zusammenarbeit.

 

Auf internationaler Ebene gilt es, den Internationalen Strafgerichtshof und Beweissicherungsmechanismen zur Aufarbeitung von Straftaten politisch und finanziell umfassend, dauerhaft und nicht nur anlassbezogen, umfassend zu unterstützen.

 

Stärkung des Völkerstrafrechts auf nationaler Ebene

1. Verfolgen des Straftatbestands des Verschwindenlassens:

Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch erkennt den Tatbestand des zwangsweisen Verschwindenlassens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an (§ 7 I Nr. 7 a) VStGB), formuliert aber eine engere Definition im Vergleich zum Römischen Statut. Dies erschwert oftmals die Nachverfolgung und Verurteilung des Verbrechens, wie zuletzt beim Al-Khatib Verfahren in Koblenz, und muss daher angepasst werden.

 

Daneben muss das Wissen über und die Fähigkeit zur Kontextualisierung des Verbrechens geschärft werden, um entsprechende Ermittlungen und schließlich die Verfolgung zu gewährleisten. Hierfür sind entsprechende Schulungen für Ermittler*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen notwendig.

 

2. Abschaffung geschlechtsbezogener Verzerrungseffekte:

Um eine effektive Verfolgung von sexualisierter, reproduktiver und geschlechtsbezogener Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder als Kriegsverbrechen in Deutschland zu ermöglichen, muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, sowohl den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB als auch den des § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB zu reformieren und jedenfalls an die Mindeststandards des Römischen Statuts anzugleichen.

  1. Der Tatbestand der sexuellen Sklaverei und der Auffangtatbestand „jede andere Form sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere“ müssen in die Auflistung der Tathandlungen aufgenommen werden.
  2. Das Tatbestandsmerkmal der erzwungenen Schwangerschaft muss entsprechend der Definition in Art. 7 (2) (f) Römisches Statut erweitert werden. Wer eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält, muss bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen auch dann bestraft werden können, wenn dies in der Absicht geschieht, schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen.
  3. Der dem internationalen Strafrecht fremde Tatbestand der sexuellen Nötigung sollte gestrichen werden.

 

3. Stärkere Beteiligung von Betroffenen an Prozessen:

  1. Um zu gewährleisten, dass die Betroffenen von Völkerstraftaten an Strafverfahren teilnehmen können und die hierfür erforderliche anwaltliche Unterstützung erhalten, müssen Völkerstraftaten nach dem VStGB (§§ 6 – 13) in den in § 395 Abs. 1 StPO (Nebenklagebefugnis) und § 397a Abs. 1 StPO (Rechtsanspruch auf Verfahrensbeistand) enthaltenen Katalog der dort angeführten Straftaten aufgenommen werden.
  2. Die Kommunikation und Dokumentation von Strafverfahren zu Völkerstraftaten muss erheblich verbessert werden, um die weltweite Aufmerksamkeit über derart besondere Verfahren im Sinne des Menschenrechtsschutzes zu erhöhen und Betroffene stärker zu involvieren. So sollte die Außenkommunikation der deutschen Gerichte, etwa von Form von Pressemitteilungen oder soziale Medien, intensiviert und regelmäßig in die jeweilige Sprache der Betroffenen übersetzt werden. Außerdem sollte die Dokumentation durch Betroffene während der Prozesse ermöglicht und Übersetzungsangebote gewährleistet werden.
  3. Daneben muss das Angebot psychosozialer Begleitung der – oftmals schwer traumatisierten Opfer und Zeugen – ausgeweitet werden. Die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung nach § 406g StPO ist aktuell für die in § 397a StPO genannten Straftaten möglich. Dazu zählen die Verbrechen des VStGB nicht. Dies gilt es zu ändern.
  4. Ferner muss der Zeug*innenschutz verbessert werden. Als Vorbild können hier die Mechanismen des IStGH dienen.

 

Ausstattung der deutschen Gerichte verbessern und internationale Kooperation vertiefen

Es ist zu begrüßen, dass die personellen Mittel der Generalbundesanwaltschaft in den letzten Jahren erhöht wurden. Diese Mittel müssen jedoch weiter gestärkt werden. Um die Verfahren erfolgreich durchzuführen, muss insbesondere gewährleistet werden, dass auch die Spezialabteilungen innerhalb der einzelnen Anklagebehörden mit ausreichenden Personalmitteln ausgestattet sind. Im Interesse einer Effizienzsteigerung sollte geprüft werden, ob die Gerichtsbarkeit bei einem Oberlandesgericht gebündelt werden kann, das die Verfahren in Deutschland zentral bearbeitet.

 

Von zentraler Bedeutung für die Ermittlungen der Justizbehörden ist die Zusammenarbeit mit dem entsprechenden Referat beim Bundeskriminalamt (Referat Völkerstrafrecht-Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen (ZBKV)) und den ZBKV-Ansprechstellen der Landeskriminalämter. Auf eine Stärkung dieser Stellen sollte hingewirkt werden.

 

Den Austausch mit der internationalen Strafgerichtsbarkeit und neuen Beweissicherungsverfahren wie dem von der UN-Generalversammlung geschaffenen IIIM- Mechanismus für Syrien oder dem vom UN-Menschenrechtsrat eingerichteten IIMM für Myanmar muss weiter vertieft werden. Der IIIM und IIMM könnte in einen permanenten Mechanismus umgewandelt werden, der bei Bedarf zur Anwendung käme, um Beweise zu sammeln und schließlich nationale und internationale Strafverfolgungsbemühungen zu unterstützen.

 

Daneben muss die zwischenstaatliche Zusammenarbeit ausgebaut werden. Innerhalb der EU gilt es, die Kooperation im Rahmen des EU Genocide Networks zu stärken. Bei der Ermittlungszusammenarbeit können die EU-Agenturen, insbesondere Eurojust und Europol, einen wichtigen Beitrag leisten. Die Bundesregierung sollte ferner auf eine gemeinsame Initiative europäischer Staaten zur Stärkung der Strafgerichtsbarkeit sowie auf eine Harmonisierung der nationalen Völkerstraftrechtsansätze innerhalb der EU hinwirken.

 

An das Bündnis gegen Straflosigkeit im Rahmen der Allianz für Multilateralismus gilt es anzuknüpfen und konkrete Initiativen zu entwickeln und umzusetzen. Ein weiterer Anknüpfungspunkt könnte die Alliance for Democracy sein.

 

Stärkung des Völkerstrafrechts auf internationaler Ebene

Dem Internationalen Strafgerichtshof kommt unverändert eine zentrale Position in der Verfolgung von Völkerstraftaten zu. Es ist dringend notwendig, dass die Bundesregierung an ihrer finanziellen und politischen Unterstützung des IStGH anknüpft und weiter ausbaut sowie andere Staaten kontinuierlich davon überzeugt, dies ebenfalls zu tun. Zudem sind Investitionen, etwa in digitale Technologien, zur zeitgemäßen Verbrechensaufarbeitung unerlässlich geworden. Neben der unzureichenden finanziellen Ausstattung für die große Bandbreite an Verfahren ist ein Grundproblem beim IStGH die fehlende Planungssicherheit des eigenen Personals aufgrund einer relativ kurzfristigen Budgetplanung. Die aktuellen Ermittlungsbemühungen zu den russischen Verbrechen in der Ukraine verdeutlichen die Notwendigkeit, Kapazitäten zur Nutzung, Auswertung und Überprüfung digitaler Informationen zu stärken. Neben der Mittelerhöhung muss die Bundesregierung zugleich auf die konsequente Umsetzung der aktuellen Reformprozesse des IStGH, einschließlich der Reform des Auswahlverfahrens der Richter*innen, drängen.

 

Daneben sollte sich die Bundesregierung weiterhin bilateral und multilateral dafür einsetzen, dass sich weitere Staaten dem IStGH anschließen. Bei zentralen internationalen Akteuren wie den USA als ständigem Mitglied des UN-Sicherheitsrats muss die Bundesregierung ihre Bemühungen fortsetzen, eine Unterstützung der Arbeit des IStGH etwa in Form von Überweisungen von unter das Völkerstrafrecht fallenden Fällen (Kriegsverbrechen, Genozidverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) durch den UN-Sicherheitsrat oder den UN-Menschenrechtsrat an den IStGH oder ein gleichwertiges Ad-hoc-Tribunal sowie durch Unterstützung von Ermittlungen des Chefanklägers des IStGH zu erreichen.

 

Neben der Unterstützung für den IStGH sollte sich Bundesregierung dafür engagieren, internationale Beweissicherungsmechanismen (aktuell für Syrien, Irak, Myanmar) zu stärken und darauf zu drängen, eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen zu gewährleisten.

 

Um die Kriegsverbrechen in Syrien, Jemen und jüngst in der Ukraine zu ahnden, sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, Prozesse entweder durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrats für den IStGH oder durch Schaffung eines Ad-hoc-Tribunals einzuleiten.

Antrag 115/I/2022 Produktions-und Humanitärkrisen präventiv verhindern I

17.05.2022

Wir fordern die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung zur präventiven Eindämmung künftiger globaler Krisen zu einer übergreifenden Strategie auf, die unter anderem die folgenden Maßnahmen beinhaltet:

  • Weitere Etat-Aufstockung des UN-Welternährungsprogramm (WFP) und eine zusätzliche Finanzmittelausstattung für humanitäre Hilfe durch das Bundesentwicklungsministerium
  • Finanzielle Unterstützung der Ukraine zur Aufrechterhaltung bzw. zum Wiederaufbau der heimischen Getreideproduktion durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
  • Bereitstellung dieser zusätzlichen Finanzmittel für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durch das Bundesministerium der Finanzen.
  • Das Einsetzen des Auswärtigen Amtes bei starken agrarproduzierenden Ländern (z.B. USA, Argentinien, China) zur Verfügungstellung weiterer Ernteerträge für das WFP zur direkten Linderung möglicher Versorgungskrisen und präventiven Verhinderung von Spekulationsblasen

 

Antrag 150/I/2022 Hände weg von den Daten - Kein Big Data für die Polizei!

17.05.2022

Durch die fortschreitende Digitalisierung lassen sich immer mehr Daten über Menschen und ihr Leben erheben. Diese Daten entstehen maßgeblich im digitalen Raum. So zeigen immer wieder Untersuchungen, dass Unmengen an Daten im Internet über die Nutzer*innen gesammelt werden – oftmals ohne ihr Wissen. Weiterhin gibt es Berichte, dass selbst digitale Profile von Menschen von Diensten angelegt werden, die diese Dienste (z.B. Facebook) gar nicht selbst nutzen. Klar ist: Es werden immer mehr Daten über Menschen erhoben, ob sie es wissen oder nicht.

Im Zuge der Pandemiebekämpfung wurden auch Apps zur Kontaktnachverfolgung eingesetzt. So arbeitete die Corona-Warn-App mit Open Source (also einem öffentlich einsehbaren und bearbeitbaren Code) und möglichst datensparsam, um die notwendigen Daten zur Kontaktnachverfolgung zu erheben. Neben der von der öffentlichen Hand finanzierten Corona-Warn-App gab es auch kommerzielle Alternativen, wie die Luca-App. Diese wurde vor allem zur Kontaktnachverfolgung in Restaurants eingesetzt. Dazu musste allerdings immer ein Name eingegeben werden, sodass die Nutzung – anders als bei der Corona-Warn-App – nicht anonym war. Diese fehlende Anonymität versuchte sich die Polizei in mehreren Ländern zunutze zu machen. So wurde beispielweise in Mainz ohne Rechtsgrundlage seitens der Polizei auf Daten aus der Luca-App zurückgegriffen, um Zeug*innen in einem mutmaßlichen Tötungsdelikt ausfindig zu machen. Das heißt, in diesem Fall wurden ohne richterlichen Beschluss, die persönlichen Daten von Unbeteiligten abgefragt. In Baden-Württemberg gab es ähnliche Fälle und auch in Brandenburg kündigte die Polizei an, dass Daten aus der Luca-App genutzt werden sollten.

 

Dies sind allerdings nicht die einzigen Fälle, in denen Strafverfolgungsbehörden Daten von Unbeteiligten massenhaft abgreifen. So beschloss vor kurzem das bayerische Landeskriminalamt, die umstrittene Software Palantir einzusetzen. Diese Software wird bereits von Hessen genutzt und setzt das sogenannte Datenmining ein. Dabei werden Daten aus verschiedenen Datenbanken miteinander verknüpft. Palantir ist für den Bereich der Big Data, also sehr große Datenmengen, konzeptioniert. Zwar soll die Software nach Angaben des bayerischen LKAs nicht mit dem Internet verbunden werden und keine neuen Daten erhoben werden, aber dennoch werden Daten nicht für den Zweck verwendet, für den sie ursprünglich gespeichert worden sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass Daten so zweckentfremdet werden, ist dadurch sehr groß. Die Software soll für Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden. Allerdings werden durch die Verknüpfung von Datenbanken auch massiv persönliche Daten von Menschen abgefragt, die nicht im Kontext von Terrorismusbekämpfung erhoben worden sind. Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte hält dies für einen deutlichen Eingriff in die Grundrechte vieler Menschen. Wie genau welche Daten abgefragt und verknüpft werden, ist zudem nicht öffentlich bekannt. Der Vertrag, den die bayerische Polizei mit Palantir abgeschlossen hat, ist so ausgelegt, dass andere Länder und auch der Bund diesem leicht beitreten und die Software auch nutzen können. Viele Expert*innen hegen allerdings Zweifel an der Datenschutz- und Verfassungskonformität der Software. Nach Berichten hat das Unternehmen seine Produkte auch der Berliner Polizei vorgestellt. Für uns ist ein Einsatz einer Software, die nachweislich im Widerspruch zum Grundgesetz steht, nicht hinnehmbar. Wir lehnen eine solche Kooperation strikt ab.

 

Die Daten, die von Strafverfolgungsbehörden in Deutschland erhoben werden, sind hochsensibel. Immer wieder gab es in den letzten Jahren Berichte darüber, dass Adressen von Aktivist*innen, Politiker*innen oder Prominenten ohne Rechtsgrundlage abgefragt worden sind. Fast wöchentlich gibt es neue Berichte über rechtsextreme Polizist*innen. Der Einsatz undurchsichtiger, umstrittener und datenschutzrechtlich hoch zweifelhafter Software wird diese angespannte Lage nicht verbessern. Stattdessen müssen Menschen nun Sorge habe, dass ihre Daten ohne Grund auf einmal in Terrorismuskontexten auftauchen, nur weil eine Software dies entschieden hat. Die neuen Möglichkeiten, die sich auch für Strafverfolgungsbehörden durch die Digitalisierung ergeben, dürfen kein Freifahrtschein für Grundrechtseinschränkungen sein.

 

Wir fordern daher:

  • Die Berliner Polizei wird weder die Luca-App, noch vergleichbare Apps ohne richterlichen Beschluss für die Strafverfolgung oder andere Ermittlungen nutzen.
  • Die Berliner Polizei wird Auswertung- und Analysesoftware wie z.B. Palantir nicht für die Auswertung eingriffsintensitätsarmer Daten nutzen.
  • Berlin wird sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass strenge Datenschutzmaßgaben insbesondere an den polizeilichen Umgang mit Daten beschlossen und umgesetzt werden. Das Ziel dieser Maßgaben muss sein, Grundrechte zu schützen und den Einsatz sowie den Kauf von Software wie Palantir zu unterbinden.

 

Antrag 151/I/2022 Hände weg von den Daten - Kein Big Data für die Polizei!

17.05.2022

Durch die fortschreitende Digitalisierung lassen sich immer mehr Daten über Menschen und ihr Leben erheben. Diese Daten entstehen maßgeblich im digitalen Raum. So zeigen immer wieder Untersuchungen, dass Unmengen an Daten im Internet über die Nutzer*innen gesammelt werden – oftmals ohne ihr Wissen. Weiterhin gibt es Berichte, dass selbst digitale Profile von Menschen von Diensten angelegt werden, die diese Dienste (z.B. Facebook) gar nicht selbst nutzen. Klar ist: Es werden immer mehr Daten über Menschen erhoben, ob sie es wissen oder nicht.

 

Im Zuge der Pandemiebekämpfung wurden auch Apps zur Kontaktnachverfolgung eingesetzt. So arbeitete die Corona-Warn-App mit Open Source (also einem öffentlich einsehbaren und bearbeitbaren Code) und möglichst datensparsam, um die notwendigen Daten zur Kontaktnachverfolgung zu erheben. Neben der von der öffentlichen Hand finanzierten Corona-Warn-App gab es auch kommerzielle Alternativen, wie die Luca-App. Diese wurde vor allem zur Kontaktnachverfolgung in Restaurants eingesetzt. Dazu musste allerdings immer ein Name eingegeben werden, sodass die Nutzung – anders als bei der Corona-Warn-App – nicht anonym war. Diese fehlende Anonymität versuchte sich die Polizei in mehreren Ländern zunutze zu machen. So wurde beispielweise in Mainz ohne Rechtsgrundlage seitens der Polizei auf Daten aus der Luca-App zurückgegriffen, um Zeug*innen in einem mutmaßlichen Tötungsdelikt ausfindig zu machen. Das heißt, in diesem Fall wurden ohne richterlichen Beschluss, die persönlichen Daten von Unbeteiligten abgefragt. In Baden-Württemberg gab es ähnliche Fälle und auch in Brandenburg kündigte die Polizei an, dass Daten aus der Luca-App genutzt werden sollten.

 

Dies sind allerdings nicht die einzigen Fälle, in denen Strafverfolgungsbehörden, Daten von Unbeteiligten massenhaft abgreifen. So beschloss vor kurzem das bayerische Landeskriminalamt, die umstrittene Software Palantir einzusetzen. Diese Software wird bereits von Hessen genutzt und setzt das sogenannte Datenmining ein. Dabei werden Daten aus verschiedenen Datenbanken miteinander verknüpft. Palantir ist für den Bereich der Big Data, also sehr große Datenmengen, konzeptioniert. Zwar soll die Software nach Angaben des bayerischen LKAs nicht mit dem Internet verbunden werden und keine neuen Daten erhoben werden, aber dennoch werden Daten nicht für den Zweck verwendet, für den sie ursprünglich gespeichert worden sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass Daten so zweckentfremdet werden, ist aber dadurch sehr groß. Die Software soll für sogenannte Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden. Allerdings werden durch die Verknüpfung von Datenbanken auch massiv persönliche Daten von Menschen abgefragt, die nicht im Kontext von Terrorismusbekämpfung erhoben wurden sind. Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte hält dies für einen deutlichen Eingriff in die Grundrechte vieler Menschen. Wie genau welche Daten abgefragt und verknüpft werden, ist zudem nicht öffentlich bekannt. Den Vertrag, den die bayerische Polizei mit Palantir abgeschlossen hat, ist so ausgelegt, dass andere Länder und auch der Bund diesem leicht beitreten können und die Software auch nutzen können. Viele Expert*innen hegen allerdings Zweifel an der Datenschutz- und Verfassungskonformität der Software. Nach Berichten hat das Unternehmen seine Produkte auch der Berliner Polizei vorgestellt. Für uns ist ein Einsatz einer Software, die nachweislich im Widerspruch zum Grundgesetz steht, nicht hinnehmbar. Wir lehnen eine solche Kooperation strikt ab.

 

Die Daten, die von Strafverfolgungsbehörden in Deutschland erhoben werden, sind hochsensibel. Immer wieder gab es in den letzten Jahre Berichte darüber, dass Adressen von Aktivist*innen, Politiker*innen oder Prominenten ohne Rechtsgrundlage abgefragt worden sind. Fast wöchentlich gibt es neue Berichte über rechtsextreme Polizist*innen. Der Einsatz undurchsichtiger, umstrittener und datenschutzrechtlich hoch zweifelhafter Software wird diese angespannte Lage nicht verbessern. Stattdessen müssen Menschen nun Sorge habe, dass ihre Daten ohne Grund auf einmal in Terrorismuskontexten auftauchen, nur weil eine Software dies entschieden hat. Die neuen Möglichkeiten, die sich auch für Strafverfolgungsbehörden durch die Digitalisierung ergeben, dürfen kein Freifahrtschein für Grundrechtseinschränkungen sein.

 

Wir fordern daher: 

  • Die Berliner Polizei wird weder die Luca-App, noch vergleichbare Apps für die Strafverfolgung oder andere Ermittlungen nutzen.
  • Die Berliner Polizei wird nicht Palantir oder vergleichbare Softwaren nutzen, die das Potential massiver Grundrechtsverletzungen aufweisen.
  • Berlin wird sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass strenge Datenschutzmaßgaben insbesondere an den polizeilichen Umgang mit Daten beschlossen und umgesetzt werden. Das Ziel dieser Maßgaben muss sein, Grundrechte zu schützen und den Einsatz sowie den Kauf von Software wie Palantir zu unterbinden.  
  • Die Berliner Polizei wird öffentliche Informationen dazu bereitstellen, welche Softwares durch sie zur Datenerhebung und -verfolgung genutzt werden.

 

Antrag 155/I/2022 Hass auf Telegram und anderen Messengern unterbinden – Geltendes Recht auch online durchsetzen

17.05.2022

Im Netz finden massenweise Gesetzesverstöße statt: Beleidigungen, Bedrohungen, Aufrufe zu Gewalt bis hin zu Volksverhetzung. Zuletzt steht besonders der Messenger-Dienst Telegram unter Kritik. Er ist derzeit eine der wichtigsten Plattformen von Pandemie-Leugner*innen und der verschwörungsideologischen Szene. In den Gruppen und Kanälen der App vermischen sich unter anderem Querdenker*innen und Rechtsextreme. Dabei werden sowohl irreführende und falsche Informationen über die Pandemie verbreitet, Proteste organisiert und Hass und Hetze verbreitet.

 

Durch eine Suchfunktion und das problemlose Hinzufügen von Kontakten in Gruppen, kann das dazu beitragen, dass sich unterschiedlichste Menschen radikalisieren. Unter anderem solche, die sich auf Telegram einfach nur umschauen möchten oder den Messenger nur nutzen, um im Kontakt mit ihrer Familie oder Freund*innen zu bleiben.

 

Im Dezember 2021 berichtete das ZDF-Magazin „Frontal“ über Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten auf Telegram. Während andere Plattform-Betreiber wie Facebook oder Twitter mittlerweile verstärkt gegen solche rechtswidrigen Inhalte in ihren Netzwerken vorgehen, löscht oder sperrt der Messenger-Dienst Telegram nur selten. Telegram ist dafür bekannt, Meinungsfreiheit äußerst weit auszulegen und Behörden abblitzen zu lassen. Das hat die Plattform in autoritären Ländern wie Belarus, wo Demonstrant*innen seit Monaten für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land kämpfen zu einem wichtigen Werkzeug für demokratische Protestbewegungen gemacht, führt aber hierzulande auch zur Situation, dass Mordaufrufe einfach stehen bleiben und nicht gelöscht werden.

 

Telegram ermöglicht es, private Nachrichten auszutauschen. Daneben können Nutzer*innen über den Dienst aber auch öffentlich kommunizieren, in Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern oder über sogenannte Kanäle. Wegen dieser Funktionen stufen deutsche Justizbehörden Telegram mittlerweile nicht mehr als bloßen Messenger, sondern als soziales Netzwerk ein. Damit fällt der Dienst unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Das verpflichtet Anbieter*innen sozialer Netzwerke dazu, rechtswidrige Inhalte auf ihren Plattformen zu löschen, wenn sie ihnen gemeldet werden. Ab Februar 2022 gilt zudem die Pflicht, bestimmte strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt zu melden, inklusive der IP-Adresse, über die die Nutzer*innen identifizierbar sind. Wir bleiben bei unserer Ablehnung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Dass private Unternehmen nach eigenem Ermessen Daten an Strafverfolgungsbehörden ohne richterlichen Beschluss schicken, entspricht nicht unserer Auflassung des Rechtsstaats.

 

Telegram hält diese Verpflichtungen jedoch nur sporadisch ein. Das Unternehmen mit Sitz in Dubai ist für deutsche Behörden in der Vergangenheit nur schwer erreichbar gewesen und Schreiben von Staatsanwaltschaften und des Bundesamtes für Justiz, die den Messenger nach den Regeln des NetzDG behandeln wollte, blieben zunächst unbeantwortet. Um Druck aus Telegram auszuüben, haben sich daher in den letzten Monaten Forderungen zur Regulierung des Messengers – vom Ausschluss aus den App-Stores bis hin zur Blockade mittels Netzsperren, die das Bundesministerium des Innern und für Heimat als letzte Konsequenz ins Spiel gebracht hat, überschlagen.

 

Laut Recherchen von Netzpolitik.org ist Telegram nun seit Beginn diesen Jahres sehr punktuell gegen einige Verschwörungsinhalte in deutschen Gruppen vorgegangen – möglicherweise ein erstes Signal des Einlenkens. Manche Gruppen ließen sich nicht öffnen und Kommentare in Kanälen seien nicht sichtbar. Dabei handele es sich jedoch offenbar nur um wenige Einzelfälle.

 

Zudem soll es Anfang Februar ein erstes Gespräch des Innenstaatssekretärs Markus Richter mit Verantwortlichen bei Telegram gegeben haben, nachdem Google der Bundesregierung eine E-Mailadresse zur Kontaktaufnahme von Telegram verraten hatte.

 

Trotz aller Probleme mit Telegram ist ein Großteil der Kommunikation über den Messenger völlig legal. Eine Sperrung des Messenger-Diensts ist daher weder zielführend noch verhältnismäßig. Für uns ist die Bekämpfung und vor allem Verfolgung von Straftaten online wie offline eine Kernaufgabe unseres Rechtsstaates. Die Verfolgung von Straftaten, wie Beleidigungen, Drohungen, Aufrufen zu Gewalt und Volksverhetzung auf Telegram darf nicht von der Kooperationswilligkeit der Betreiber des Messenger-Dienstes abhängig sein, sondern muss konsequent durch den deutschen Staat erfolgen.

 

Eine General-Sperre für soziale Netzwerke beinhaltet daneben das Risiko, dass problematische Kommunikation schlicht auf andere Plattformen abwandert. So wird das Problem nur verlagert, nicht aber effektiv bekämpft. Wenn also ein Messenger-Dienst vielfach genutzt wird, um Straftaten zu verüben, ist nicht die Blockierung des Dienstes zielführend, sondern vor allem ein gezielter Einsatz von Polizei und Bundeskriminalamt, die auch im digitalen Raum in die Lage versetzt werden müssen, geltendes Recht durchzusetzen und so sichere kommunikative Teilhabe zu ermöglichen.

 

Die fehlende Handlungsfähigkeit des deutschen Staates im Bezug auf Telegram zeigt, dass es an digitalen Kompetenzen und dem Willen, Recht im Digitalen durchzusetzen fehlt.

 

Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass es offenbar einen Bericht von ZDF-Journalist*innen braucht, bis Polizei und Staatsanwaltschaft auf Mordpläne gegen Ministerpräsident*innen in öffentlich zugänglichen und mitlesbaren Chatgruppen aufmerksam werden und handeln. Immer wieder gibt es desweitern Fälle, bei denen Menschen unter Klarnamen zu schweren Straftaten bis zu Morden aufrufen. Passiert ist lange Zeit nichts und gehandelt wurde erst, als eine große Öffentlichkeit entstanden ist.

 

Deswegen fordern wir:

  • Wir fordern, dass das Bundeskriminalamt entsprechend ausgestattet und für den Umgang mit Straftaten im Netz geschult wird, damit verübte Straftaten konsequent verfolgt und vor Gericht gebracht werden können.
  • Wir fordern eine bessere personelle Ausstattung und Schulung deutscher Polizei- und Justizbehörden, um geltendes Recht in digitalen Strukturen effektiv durchzusetzen.
  • Wir fordern niedrigschwellige Meldestellen für Online-Delikte bei den Landeskriminalämtern, um Straftaten auf Messenger-Plattformen wie Telegram unkompliziert und direkt melden zu können.
  • Beleidigungen, Drohungen, Volksverhetzung und Aufrufe zu Gewalt in öffentlichen Kanälen sind für alle einsehbar und verstoßen klar gegen das Gesetz. Chatgruppen können infiltriert werden, es besteht lediglich ein Vollzugsdefizit. Wir halten deshalb fest an unserer Forderung nach auf Plattformen wie Telegram zugeschnittene Schwerpunktstaatsanwaltschaften, um Ermittlungsverfahren tatsächlich durchzuführen.