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Antrag 48/II/2017 Sichere Fluchtrouten statt Festung Europa!

14.10.2017

Die S&D-Fraktion möge beschließen:

In Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Recht auf Leben eines jeden Menschen verbrieft: „Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt.“ Wenn ein Recht auf Leben ernstgenommen wird, so muss dies auch beinhalten, dass Menschen vor lebensbedrohlichen Situationen in ein sicheres Land fliehen können, ohne für diese Flucht mit ihrem Leben zu bezahlen. Ein Recht auf Leben muss folglich ein Recht auf sichere Flucht vor Bedrohung beinhalten.

 

Leider müssen wir feststellen, dass sich die Europäische Union von diesem Anspruch zunehmend entfernt. Satt ein sicherer Zufluchtsort für Flüchtende zu sein, rüstet die Europäische Union ihre Außengrenzen immer stärker zu tödlichen Festungsmauern. Allein von Januar bis Juli 2017 sind mindestens 2500 Menschen bei ihrer versuchten Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Rund 300.000 Menschen wagten die Lebensgefährliche Überfahrt laut UN-Angaben im Jahr 2016. Dabei stünde eine Vielzahl von Mitteln und Wegen zur Verfügung, um dies vermeiden. Jeder Mensch, der sich bei seiner Flucht nach Europa in Lebensgefahr begeben muss, straft den Anspruch der Europäischen Union, Wertegemeinschaft und Vorbild für Grund- und Menschenrechte zu sein, Lügen.

 

Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland versuchen die europäischen Außengrenzen weiter vom Mittelmeer weg in die Sahara zu verlegen, um die Migration auf den europäischen Kontinent weiter zu erschweren. Unter dem Vorwand der Terrorismus- und Schlepperbekämpfung werden Grenzanlagen ausgebaut und der Grenzschutz militarisiert. Dazu schrecken die EU-Staaten nicht vor einer Kooperation mit Diktaturen zurück. Schon heute ist der Weg durch die Wüste ähnlich gefährlich wie der darauffolgende Weg über das Meer. Sie ist schon heute ein vergessener Friedhof – allerdings werden die Leichen nicht angespült und NGOs können die nordafrikanischen Staaten kaum bewegen, weil weder Sicherheit noch rechtsstaatlicher Schutz vor Willkür garantiert ist.

 

Derweil machen sich die Europäischen Regierungschef*innen einen schlanken Fuß: Anstatt den innereuropäische Streit um die Aufnahme von Flüchtenden unter den Mitgliedländern zu lösen und den rassistischen Reflexen in den Mitgliedsländern mutig entgegenzutreten, verlagern sie ihre „Problemlösung“ nach Außen.

Wir müssen erleben, wie Zäune errichtet und mit Waffengewalt verteidigt werden, Deals mit Despoten gemacht und Flüchtende in Internierungscamps von marodierenden Verbrechern zurückgeschoben werden. Anstatt flüchtende Menschen zu schützen, werden die Europäischem Grenzen vor dem Übertritt durch Flüchtende „geschützt“. Auch die deutsche Bundesregierung nimmt dies nicht nur billigend in Kauf, sondern beteiligt sich aktiv an Deals mit Erdoğan und der libyschen Küstenwache. Dabei werden sehenden Auges massive Menschenrechtsverletzungen und zahllose Todesfälle in Kauf genommen.

 

Über Parteien hinweg kommt sowohl aus Deutschland als auch aus anderen Ländern der EU immer wieder die Forderung zur Bekämpfung von sogenannten Fluchtursachen. Gemeint sind hier eine ganze Bandbreite von Maßnahmen, die sich wahlweise auf die ‚Bekämpfung’ von Armut und kriegerischen Konflikten oder Direktmaßnahmen in sogenannten Drittstaaten zur Verhinderung von Fluchtmöglichkeiten richten. Diese Form von aktionistischem Handeln lehnen wir ab. Als internationalistischer Jugendverband erkennen wir an, dass Menschen solange von ihren Heimatländern flüchten werden, wie globale Ungleichheiten, sowohl in ökonomischer Hinsicht als auch in Belangen der körperlichen Unversehrtheit sowie der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe, in dem Ausmaß existieren, wie es heute der Fall ist. Mit ein wenig Entwicklungszusammenarbeit und Hochrüstung der  Grenzen in Drittstaaten ist es deshalb nicht getan. Deutschland und die Europäische Union insgesamt tragen zu einem erheblichen Teil zur Verstetigung von globalen Ungleichheiten durch asymmetrische Handelspolitik, Waffenexporte und teils imperialistische Außenpolitik bei. Die Flucht bietet deshalb für viele Menschen eine wesentlich konkretere Perspektive, ihre Lebensumstände zu verbessern – und in letzter Konsequenz ihr Leben zu retten – als vage Zusagen der Entwicklungszusammenarbeit, die mithin einzig auf das Erschließen von neuen Märkten ausgerichtet sind. Bestünde tatsächlich ein ernst gemeintes Interesse an der Bekämpfung von Fluchtursachen durch die Europäische Union – und nicht an der Bekämpfung von Flucht –, müssten Maßnahmen in viel stärkerem Ausmaß auf die Bekämpfung von globalen Ungleichheiten ausgerichtet sein.

 

Die Europäische Union hat im Mittelmeer eine Militärmission („Sofia“) zur „Bekämpfung von Schlepperkriminialität“ ins Leben gerufen. Anstatt eine Seenotrettungsmission zur Rettung von Menschen auf dem Mittelmeer zu finanzieren, kreuzen nun Kriegsschiffe vor der libyschen Küste, um den Schleppern ihr Geschäft zu erschweren. Die frühere Mission ‚Mare Nostrum‘ war eine Seenotrettungsmission, die zumindest ein Mindestmaß an Hilfe gewährte – auch wenn sie ebenfalls bereits Ansätze der aktuellen Fehlentwicklung enthielt. Dabei läge der Schlüssel, um das Geschäftsmodell der Schlepper zu unterbinden, in der Hand der Europäischen Union selbst: Die Schlepper können nur so lange Geld mit der tödlichen Mittelmeerüberfahrt verdienen, wie es keine legalen Wege zur Flucht nach Europa gibt. Offenbar besteht bei den Regierungschef*innen derzeit eine höhere Bereitschaft, Geld für unsinnige Militäraktionen aufzuwenden, als dieses Geld in die Rettung von Menschenleben, humanitäre Visa und Integrationsmaßnahmen zu investieren.

 

Für uns ist klar, dass internationale Solidarität und die Durchsetzung des Rechtes auf Leben nicht an den Europäischen Außengrenzen aufhören dürfen. Egal aus welchem Grund oder von welchem Ort ein Mensch flieht, niemand darf dafür mit seinem Leben bezahlen. Der gefährlichen Spirale zwischen Hochrüstung der Grenzen und immer gefährlicheren Fluchtrouten muss endlich ein Ende gemacht werden. Unser Ziel ist, dass alle Menschen dort leben können, wo sie wollen. Als Sofortmaßnahmen für sichere Fluchtrouten fordern wir jedoch von der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union:

 

1. Sichere Fluchtwege Schaffen: Vergabe humanitärer Visa

 

Kein Mensch müsste sich auf ein Schlauchboot zur Mittelmeerüberfahrt begeben, wenn die sichere Flucht legalisiert wäre. Beispielsweise ist eine Einreise per Flugzeug sicher und deutlich billiger, jedoch nach EU-Richtlinie 2001/51/EG nicht legal: Fluggesellschaften haften demnach, wenn Passagiere im Zielland wegen fehlender Papiere abgewiesen werden. Das Unternehmen muss eine Strafe zahlen, den Rückflug organisieren und für Unterkunft und Verpflegung bis zur Rückreise aufkommen. Entsprechend werden Personen ohne Visum nicht transportiert.

 

Wir fordern daher:

  • Es muss eine humanitäre Visafreiheit eingeführt werden. Jeder Grenzübertritt – ob auf dem Land-, See- und Luftweg –  mit dem Ziel, in einem Staat einen Asylantrag zu stellen, muss legalisiert sein. Diese Regelung muss die Durchreise einschließen.
  • Die Bereitstellung humanitärer Visa (nach dem Beispiel Italiens) zur legalen Einreise und zur Übernahme der Reisekosten in die Europäische Union. Bis zum Zeitpunkt einer Einigung muss die deutsche Bundesregierung eine entsprechend hohe Anzahl für die Einreise nach Deutschland zur Verfügung stellen und den sicheren Transport in die Europäische Union organisieren und finanzieren.
  • Die humanitären Visa sind gebührenfrei und unbürokratisch in den Botschaften und Konsulaten zu gewähren. Dafür müssen die nötigen personellen Aufstockungen in den Botschaften so schnell wie möglich umgesetzt werden, um die Wartezeiten zu minimieren.
  • Die Familienzusammenführung von geflüchteten Personen ist umgehend wieder aufzunehmen und ebenfalls schnell und unbürokratisch über die Vergabe humanitärer Visa zu ermöglichen.
  • Die EU-Richtlinie 2001/51/EG muss ersatzlos gestrichen werden.

 

 

2. Libysche Folter-Camps schließen

 

Der UNO-Koordinator für Libyen, Martin Kobler, beschreibt die Situation in den Libyschen Camps als „furchtbar, entsetzlich und grauenhaft“. Die Menschen sind unterernährt, willkürlicher Gewalt ausgesetzt und auf engstem Raum zusammengepfercht. Es wird von systematischen Erschießungen berichtet. Viele dieser Camps werden „privat“ von Milizen betrieben. Schätzungen zufolge hat die libyschen Regierung nicht mehr als 30 Prozent des libyschen Territoriums unter Kontrolle.

 

Wir fordern daher:

  • Alle Menschen, die sich in libyschen Camps befinden, sind umgehend in sichere Camps umzusiedeln. Eine Rückführung flüchtender Menschen nach Libyen darf keine Option sein.
  • Die Menschenrechtsverbrechen in den Camps sind vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Menschenrechte anzuklagen.
  • Jegliche Unterstützung der Europäischen Union, die in die Hände der autonomen Milizen gelangen könnte, beispielsweise über die libyschen Küstenwache, ist sofort einzustellen

 

3. Flüchtlingscamps nach UN-Standards

 

Die finanzielle Ausstattung von UN Organisationen zur Hilfe und Unterbringung für Geflüchtete muss sofort verbessert werden. UNHCR und das World Food Program sind immer wieder genötigt, die grundlegenden Standards in den Camps zu senken, die Essensrationen zu kürzen und können im Winter nicht sicher vor dem Erfrieren schützen. Solche Umstände sind unverantwortbar.

 

Daher bekräftigen wir erneut unsere bereits bestehenden Forderungen:

 

  • Die Bundesregierung muss alle notwendigen Finanzmittel bereitstellen, um die humanitären Standards in den Flüchtlingscamps zu gewährleisten.
  • eine drastische und dauerhafte Erhöhung der durch die Bundesregierung zur Verfügung gestellten Plätze im Rahmen des Resettlement-Programms
  • eine Reform des Resettlement-Verfahrens: Das Resettlement-Auswahlverfahren darf nicht nach Bildungsstand, Herkunft oder Religionszugehörigkeit entschieden werden, sondern je nach Notlage.
  • unmittelbar nach der Ankunft sollte eine intensive Erstbetreuungsphase mit gesundheitlicher und psychologischer Unterstützung stattfinden.
  • Die Geflüchtetenunterbringungen auf dem europäischen Festland müssen ebenfalls dringend verbessert werden. Vielfach erfüllen sie selbst nicht humanitäre Mindeststandards.

 

4. Europäische Seenotrettung

 

Wir fordern:

  • Die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX muss unverzüglich abgeschafft werden. Es steht für die menschenrechtswidrige und militarisierte Grenzabschottung der EU. Da die Agentur zudem nicht demokratisch kontrolliert werden kann, bleibt nur die gänzliche Auflösung.
  • die Wiedereinsetzung einer Europäische Seenotrettungsmission nach dem Vorbild der Mission „Mare Nostrum“ mit zusätzlichen Mitteln und Finanzen. Diese können durch eine Umwidmung der Mission „Sofia“ zur Verfügung gestellt werden. Es ist Aufgabe der Europäischen Union sicherzustellen, dass ihre Außengrenzen nicht zum Massengrab werden. In der derzeitigen Situation ist dies nur mit einer staatlich organisierten Seenotrettung möglich.
  • Die Staaten mit südlicher EU-Außengrenze können die Integration von tausenden Geflüchteten nicht alleine schultern. Die aus Seenot geretteten Flüchtenden müssen virtuell auf alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nach einem festen Schlüssel solidarisch verteilt werden. Wenn ein Staat weniger Geflüchtete aufnimmt, als er müsste, muss er an diejenigen Staaten, die mehr Geflüchtete aufnehmen, als der Schlüssel besagt, zahlen. Diese Regelung kann auch durch die partielle Streichung von EU-Geldern an diesen Staat durchgesetzt werden. Die Verpflichtung zu den oben genannten Ausgleichszahlungen bleibt weiterhin bestehen. Außerdem müssen für Unterbringung, Betreuung und Asylverfahren Mindeststandards gelten, von denen einige EU-weit, andere Mitgliedslandspezifisch sein müssen.
  • Eine Rückführung von Menschen in nicht-sichere Staaten muss ausgeschlossen werden. Das Non-Refoultment-Prinzip der Genfer Flüchtlingskonvention gilt uneingeschränkt.

 

5. Keine Deals zur gewaltsamen Zurückhaltung von Flüchtenden

 

Die sogenannte „Flüchtlingsdeal“ mit der Türkei, sowie informelle Abkommen mit anderen Mittelmeer-Anreinerstaaten über die gewaltsame Zurückhaltung von flüchtenden Menschen sind umgehend aufzukündigen. Sie sind aus moralischen und humanitären Gründen nicht zu rechtfertigen, widersprechen internationalem Recht und machen die Europäische Union politisch erpressbar.

 

6. Die Kriminalisierung humanitärer Hilfe stoppen

 

Seitdem die europäische Seenotrettungsmission beendet wurde, haben es sich gut ein Dutzend Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) zur Aufgabe gemacht, die Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. Rund 40 Prozent der Rettungen im Mittelmeer wurden in den letzten 1,5 Jahren von privaten Helfer*innen durchgeführt. Dass diese eigentlich staatliche Verantwortung auf Laien und NGOs abgewälzt wird, ist an sich bereits Grund für Kritik. In den letzten Monaten wurde die humanitäre Hilfe auf dem Mittelmeer jedoch regelrecht kriminalisiert. Von rechten Bewegungen in Italien, Österreich und Deutschland ausgehend wurden absurde Anschuldigungen erhoben, die NGOs würden mit Schleppern kooperieren und Schleuser-Tätigkeiten durchführen. Ohne jegliche Beweise und trotz massiver Dementi seitens der NGOs wiederholte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière ähnliche Anschuldigungen und die Italienische Regierung nötigte den NGOs einen „Code of Conduct“ auf, der ihre Arbeit massiv einzuschränken droht. Als die libyschen Küstenwache einseitig eine 70-90 Seemeilen große „Search-and-Rescue-Zone“ vor ihrer Küste ausrief, und somit internationale Hoheitsgewässer annektierte, erfolgte von der Europäischen Union keinerlei Reaktion – obgleich die EU den Aufbau der libyschen Küstenwache finanziert und unterstützt. Die Seenotrettungs-NGOs  sehen sich seither massiven Übergriffen und Bedrohungen durch die libysche Küstenwache ausgesetzt, viele haben ihre Rettungsaktivitäten vorerst eingestellt oder stark eingeschränkt. Die nun fehlenden Rettungskapazitäten wurden von staatlicher Seite jedoch nicht ersetzt, sodass die Situation vor der libyschen Küste für die Flüchtenden nun noch gefährlicher ist als zuvor.

 

Daher fordern wir:

  • Ein Ende der Kriminalisierung von humanitärer Hilfe auf dem Mittelmeer durch die Bundesregierung und insbesondere das Innenministerium
  • Die Aufbauhilfe für die libysche Küstenwache so lange auszusetzen, bis die libysche Küstenwache ihre Übergriffe auf NGOs glaubhaft unterlässt und die einseitig erklärte „Search- and – Rescue- Zone“ aufgibt.
  • Sicherheitsgarantien für die im Mittelmeer operierende NGOs durch die Europäische Union und Deutsche Bundesregierung. Keine humanitäre Organisation darf dazu gezwungen werden, bewaffnetes Personal an Bord zu nehmen.
  • Nach der Umsetzung dieser Sofortmaßnahmen muss die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland damit beginnen, die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit für alle Menschen zu realisieren. Es kann unter keinen Umständen gerechtfertigt sein, dass ein Teil der Menschheit ihr Leben riskieren muss, um Grenzen zu überwinden, während ein privilegierter Teil genauso wie Waren und Kapital sich grenzenlos bewegen kann. Eine Welt ohne Grenzen ist möglich.

 

7. Internationale Solidarität ermöglichen statt Flucht bekämpfen

 

Die Europäische Union gemeinsam mit den 28 Mitgliedstaaten trägt nach Eigenangaben mehr als 50 Prozent der weltweiten Mittel für Entwicklungszusammenarbeit. Globale Ungleichheiten als zentrale Ursache für Fluchtbewegungen konnten bisher allerdings nicht wirksam eingedämmt werden. Seit der Verstärkung von Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 hat die Europäische Union zusätzliche budgetäre Mittel in die Hand genommen, um den sogenannten Grenzschutz in den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten zu verstärken. Zusätzlich wurden über die längerfristigen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit hinaus verstärkt Mittel für Nord-und Westafrika bereitgestellt, die die ‚Fluchtursachen’ bekämpfen sollen. Entwicklungszusammenarbeit muss sich stärker an Maßgaben internationaler Solidarität messen lassen, damit sie ihre intendierte oder vorgeschobene Wirkung erzielen. Sofortmaßnahmen sind nur dann hilfreich, wenn sie akute humanitäre Krisen bekämpfen und somit Flucht zu einer Option anstatt zu einer lebenserhaltenen Notwendigkeit macht.

 

Deshalb fordern wir:

  • Einen ehrlichen Umgang in der Diskussion um die Bekämpfung von Fluchtursachen. Gerade die SPD muss als Partei der internationalen Solidarität (gem. Hamburger Programm) stärker die Wechselwirkung zwischen dem deutschen Engagement im Ausland und Fluchtbewegungen in die Europäische Union thematisieren. Aktionistische Konzepte der SPD zur Bekämpfung von Fluchtursachen in Zeiten hoher Flüchtlingsbewegung müssen allgemeinen Konzepten der Bekämpfung von globalen Ungleichheiten weichen.

 

Die Anerkennung der Flucht als legitimes Mittel zur Verbesserung der individuellen Lebenssituation. Fluchtbewegungen werden zuvörderst durch globale Ungleichheiten ausgelöst. Die Ermöglichung von Flucht ist daher oft das schnellste und effektivste Mittel internationaler Solidarität, unabhängig davon, ob sich die individuelle Fluchtmotivation aus kriegerischen Konflikten, Verwehrung gesellschaftlicher und politischer Teilhabe, Verletzung der körperlichen Unversehrtheit oder ökonomischen Erwägungen speist.

Antrag 54/II/2017 Berliner Pflegeoffensive: 12 Punkte für einen Neustart in der Pflege

14.10.2017

12 Punkte für einen Neustart in der Pflege

 

Politik, Kranken- und Pflegekassen, Arbeitgeber und Gewerkschaften sowie Betroffenen-Verbände können gemeinsam mehr in der Pflege bewegen. Wir fordern einen Neustart in der Pflege und laden zu einer Debatte über diesen 12-Punkte-Plan ein:

 

1. Anpassung der Ausbildungskapazitäten an den Bedarf

Es wird ein bundeseinheitliches Verfahren zur Ermittlung des Fachkräftebedarfs auf Grundlage der Bevölkerungsprognosen, Fluktuationszahlen sowie Verweildauer entwickelt. Abgeleitet von der Bedarfsprognose werden die erforderlichen Ausbildungskapazitäten der einzelnen Bundesländer ermittelt. Die Länder richten ihre Ausbildungskapazitäten im Rahmen der neuen Fondsfinanzierung nach dieser Personalbedarfsplanung aus. Um den Bedarf der erforderlichen Lehrkräfte in Schulen und Praxisanleiter/innen in den Betrieben zu decken, werden die Weiterbildungskapazitäten für bedarfsgerecht erhöht. Pensionierte Lehrkräfte und Praxisanleiter/innen können für Bewältigung von Engpässen kurzfristig mobilisiert werden.

 

2. Durchlässiges Ausbildungssystem

Die neue dreijährige Ausbildung zur „Pflegefachkraft“ soll der Kern eines durchlässigen, transparenten Ausbildungssystems werden. Sackgassen werden vermieden, Perspektiven im Aufstieg und Verantwortungsübernahme eröffnet. Die Helfer/in-Ausbildungen werden ebenfalls generalistisch ausgerichtet, ermöglichen Schulabschlüsse und sind anschlussfähig hin zur Fachkraft-Ausbildung. Akademische Weiterbildungen werden praxisgerecht ausgebaut. Ausbildungen in Teilzeit oder berufsbegleitend sind besonders attraktiv und müssen gestärkt werden.

 

3. Orientierung zum Pflegeberuf in Schulen und bei den Arbeitsagenturen

Zukünftig werden bei der Agentur für Arbeit auch Ausbildungsplätze in der Pflege gemeldet und statistisch erfasst. Dies ermöglicht – wie in der dualen Ausbildung – eine bessere Vermittlungsquote der Bewerberinnen und Bewerber. Im Rahmen der Berufsorientierung in den Schulen und der Jugendberufsagenturen wird das Berufsbild Pflege mit einer Offensive integriert. Die Offensive umfasst auch eine bundesweite Werbekampagne. Mit einem Modellprojekt werden junge Auszubildende in der Pflege als „Role Models“ ausgebildet und werben in die Schulen.

 

4. Bessere Bezahlung

Im zukünftigen Gesundheitsfachberuf „Pflegekraft“ muss auch die einheitliche Vergütung sichergestellt werden.  Der Lohnunterschied zwischen Altenpfleger/innen und Krankenpfleger/innen beträgt im Durchschnitt 30 Prozent. Mit der generalistischen Ausbildung werden die Ausbildungsvergütungen angeglichen. Diese Angleichung muss zukünftig auch bei den Fachkräften erreicht werden, mit dem Ziel, höhere Gehälter insbesondere in der Altenpflege zu erreichen. Ziel ist es, in der Pflege zu allgemeinverbindlichen Flächentarifverträgen zu gelangen. Dafür wird mit den Sozialpartnern ein Pakt „Neustart in der Pflege“ initiiert. Dieser umfasst nicht nur Vergütungsfragen, sondern auch Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Arbeitsplätze. Der Mindestlohn für Altenpflege wird auf 15 Euro erhöht.

 

5. Gute Arbeitsbedingungen

Gute Arbeitsbedingungen umfassen u.a. Gesundheitsmanagement, Entbürokratisierung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sollte dies nicht zustande kommen, werden ambulanten Pflegediensten und stationären Altenpflegeeinrichtungen gesetzlich verbindliche Vorgaben gemacht und die Refinanzierung über die Pflegekassen gesichert. Leiharbeit in der Pflege wird verboten.

 

6. Verbindliche Personaluntergrenzen

Es werden sowohl in der Krankenpflege wie in der ambulanten und stationären Altenpflege auf Bundesebene Personaluntergrenzen gesetzlich festgelegt. Bis dies erreicht ist, sollen die Länder ermächtigt werden, über Landesgesetzgebung verbindliche Personaluntergrenzen nicht nur in der Krankenpflege, sondern auch in der stationären wie ambulanten Altenpflege sicherzustellen. Die Refinanzierung muss über die Kranken- und Pflegekassen garantiert werden.

 

7. Gleiche Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen

Den Stellenwert der Krankenpflegekräfte im Gesundheitssystem wird gestärkt. Die Differenzierung nach „ärztlichem und nichtärztlichem Personal“ ist nicht zeitgemäß. Die Pflegekräfte werden als gleichwertige Berufsgruppe in der Statistik aufgeführt. Die Pflegeleistung in einem Krankenhaus wird zum Qualitätsmerkmal definiert. Die Klinikvorstände werden paritätisch mit Pflegedirektoren/innen und Chefärzten/innen besetzt.

 

8. Unterstützung von pflegenden Angehörigen

2008 wurden in der Pflegeversicherung (§ 92c SGB XI) Pflegestützpunkte eingeführt, um eine flächendeckende, neutrale und niedrigschwellige Beratung für alle Angehörigen und Pflegebedürftigen zu schaffen. Diese Aufgabe haben die Länder unterschiedlich umgesetzt: während in Rheinland-Pfalz und Berlin mindestens pro 90.000 Einwohner/innen ein PSP zur Verfügung steht, hat Bayern nur acht Pflegestützpunkte und Sachsen verfügt über keine einzige derartige Beratungsstelle. Deshalb müssen im SGB XI verbindlichere Standards festgelegt und in allen Ländern einheitlich umgesetzt werden. Aus den Erfahrungen kann auch eine qualitative Weiterentwicklung abgeleitet werden: Vernetzung im Sozialraum, aufsuchende Beratung, interkulturelle Öffnung und aktive Begleitung der Digitalisierung sollen gestärkt werden. Spezifische Beratungsangebote für pflegende Kinder und Jugendliche sowie für Familien, die ihre Kinder pflegen, müssen gestärkt werden.

 

9. Vereinbarkeit von Pflege & Beruf

Das Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) müssen zusammengeführt und weiterentwickelt werden:

  • Nutzerfreundliche Ausgestaltung des Rechtsanspruchs für pflegende Angehörige auf 10-tägige Freistellung mit Lohnfortzahlung mit dem Ziel, einen niederschwelligen Zugang analog zum Kinderkrankengeld zu ermöglichen;
  • Einführung von Freistellung sowie einer steuerfinanzierten Lohnersatzleistung über einen längeren Zeitraum, bspw. über sechs Monate, analog zum Elterngeld;
  • Überarbeitung des Konzepts der 24-monatigen Familienpflegezeit; berücksichtigt werden sollen auch Aspekte der Partnerschaftlichkeit und existenzsichernden Teilzeitarbeit, Übergänge in das Modell der Familienarbeitszeit werden geprüft.

 

Insgesamt muss ein Rechtsanspruch zum Erwerb von Rentenansprüchen der berufstätigen pflegenden Angehörigen eingeführt und aus Bundesmitteln finanziert werden.

Die Tages- und Nachtpflege wollen wir stärken und deshalb den Rechtsanspruch verstärken. Zukünftig soll es für häuslich versorgte Pflegebedürftige eine ausreichende, wohnortnahe, zielgruppengerechte und flexibel gestaltbare Tages- und Nachtpflege und Betreuung (Tageszeitenbetreuung) geben.

 

10. Qualitätssicherung

Gute Pflege benötigt gute Bedingungen, aber auch Qualitätsentwicklung und Aufsicht sowie Kontrolle. Im Pflegestärkungsgesetz II sind die Kontrollrechte des Medizinischen Dienstes der Kassen (MDK) gestärkt worden. Die Länder müssen nun auf die Anwendung und Evaluation drängen. Im SGB XI sollen zusätzlich die Kontrollmöglichkeiten der Sozialhilfeträger ausgeweitet werden. Die Beratungsbesuche bei pflegenden Angehörigen durch die Kassen sollen qualifiziert und nach einheitlichen Standards durchgeführt werden.

 

11. Digitalisierung

Wir wollen technische Innovationen nutzen, um die Qualität der Pflege zu erhöhen, und die Pflegekräfte zu entlasten. Gewonnene zeitliche Spielräume durch Digitalisierung, assistierte Lösungen oder Robotik sollen genutzt werden, um mehr Zeit für die Mensch-zu-Mensch-Beziehung in der Pflege zu gewinnen.

 

12. Pflege gehört in die Mitte unserer Gesellschaft!

Pflege-Preise, Pflege-Kampagnen und Dialog-Prozesse sind wichtige Instrumente zur Verbesserung unseres Bildes von Pflege. Die Kommunikation darüber muss in den Lebenswelten der Menschen ankommen: Kita, Familie, Schule, Universität, Kultur, Arbeitsplatz, Sportverein, u.v.m. Pflege gehört zur Lebensplanung dazu, Tabus müssen verschwinden. Denn Pflege geht uns alle an!

 

Antrag 60/II/2017 „Dirty Diaries“ auch in Deutschland!

14.10.2017

Mainstream-Pornos zeigen in der Regel sexistische und rassistische Stereotype, in denen Konsens kein Thema ist und die bestimmten, „optimalen“ Körpertyp zum Standard erheben. In diesen Filmen wirkt Sex eher wie eine Performance oder Leistungssport: Alles funktioniert scheinbar auf Anhieb, es gibt keine Kommunikation zwischen den Darsteller*innen, kein Ausprobieren, Scheitern und Neu-Ausprobieren. Diese Darstellungsformen in Mainstream-Pornos können Konsument*innen in ihrer Sexualität und im Menschenbild nachhaltig beeinflussen. Auch Jugendliche starten damit viel zu oft mit völlig unrealistischen Vorstellungen in ihr Sexualleben und haben nicht die Möglichkeit ein selbstbewusstes Verhältnis zu sich, ihrem Körper, ihrer Sexualität und Gesundheit zu entwickeln. Dabei geht es um eine Ergänzung der außerschulischen Bildungsarbeit.

 

Schweden hat mit den „Dirty Diaries“ dieses Problem in Angriff genommen. Die „Dirty Diaries“ sind eine feministische Pornosammlung, die 2009 vom staatlichen Schwedischen Filminstitut finanziert wurden und fernab vom standardisierten Mainstream-Porno Menschen und Sexualität in all ihrer Vielfalt zeigt.

 

Dieser feministische Porno beinhaltet mindestens die folgenden Aspekte:

  • Regisseur*innen und Produzent*innen, die die Vielfalt der Gesellschaft abbilden
  • Gute und gerechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung
  • Die Darstellung von Vielfalt an Körperformen, Geschlechtern, ethnischer Herkunft, Sexualität und Sexualpraktiken
  • Die realistische Darstellung von Lust aller Beteiligter
  • Verhütung (wenn nicht, dann nur im (dokumentierten) Konsens)
  • Die explizite Darstellung von Konsens und Kommunikation

 

Es gibt also nicht den einen feministischen Pornofilm. Feministischer Porno ist die Gesamtheit aller den Definitionen folgenden Filmen.

 

Selbstverständlich kann die Einführung und die Verfügbarkeit von feministischen Pornos nicht eine grundsätzliche Reformierung des Sexualkundeunterrichts ersetzen, sondern lediglich ergänzen. Unterstützend fordern wir aber, dass im Sexualkundeunterricht an Schulen auf die Verfügbarkeit feministischer Pornos verwiesen wird.

 

Da vor allem im Internet kostenlose Pornographie konsumiert wird, muss auch feministischer Porno gebührenfrei, dauerhaft und niedrigschwellig verfügbar sein. Daher fordern wir eine Filmförderung nach schwedischem Vorbild.

 

Eine solche Filmförderung ist über verschiedene Kanäle möglich:

 

  • Als Sexualbildung über die Landes- und Bundeszentrale(n) für politische Bildung und die Landes- und Bundeszentrale(n) für gesundheitliche Aufklärung
  • Als Filmförderung. Dieses Instrument ist denkbar im Rahmen einer Ausschreibung mit vorgegebenen Mindestkriterien, einer freien Bewerbung um Fördermittel oder einer Preisverleihung. Hierbei muss auf die Liste der Kriterien, deren Nachprüfbarkeit und/oder auf die Zusammensetzung der Kommission geachtet werden.
  • Durch den Aufkauf und das kostenlose Verfügbarmachen in der Online-Mediathek der öffentlich-rechtlichen Sender. Wir fordern, dass die Altersfreigabe für Pornografie hierfür überprüft und ggf. heruntergesetzt wird.

 

Wir fordern, dass die angeführten Kanäle geprüft werden und die Förderung über die geeigneten Kanäle und in wirkungsvoller Höhe begonnen wird.

 

Wir fordern die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und der SPD-Fraktionen in den Landesparlamenten auf, entsprechend tätig zu werden.

Antrag 78/II/2017 Autoverkehr – aber bitte klimafreundlich! oder Die Zukunft ist elektrisch!

14.10.2017

Die Sozialdemokratie bedarf einer erneuerten umweltpolitischen Ausrichtung, die sich nicht an Konzerninteressen, sondern an die Einhaltung klima-sowie umweltpolitischer Standards orientiert.

 

Daher fordern wir:

  • Umweltschädliche Subventionen verhindern eine klimagerechte Verkehrspolitik und müssen deshalb sukzessive abgebaut werden. Das Privileg für den Dieselkraftstoff bei der Mineralölsteuer wird abgeschafft;
  • Die Schadstoffgrenzen müssen eingehalten und Elektromobilität vorangetrieben werden. Ab 2035 werden keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor in Deutschland zugelassen. Die dafür notwendige Infrastruktur muss jetzt geschaffen werden;
  • Die Automobilhersteller*innen müssen für das Erreichen der Umwelt- und Klimaziele im Verkehrssektor in die Pflicht genommen werden. Autos, die die Grenzwerte auf der Straße nicht einhalten, müssen auf Kosten der Konzerne nachgebessert und wo nötig umgetauscht werden;
  • Für eine wirksame Verkehrswende muss Mobilität auch jenseits des motorisierten Individualverkehrs gestaltet werden. Der ÖPNV und der Radverkehr sind daher sowohl in urbanen als auch ländlichen Regionen echte Alternativen zum Auto auszubauen. Des Weiteren sollen Ansätze zur Reduzierung des Autoverkehrs gefördert werden.