1. Einleitung: Die Außenpolitik die wir wollen!
Die Sozialdemokratie hat seit ihrer Gründung vor mehr als 150 Jahren den Anspruch verfolgt, den Kampf um eine gerechtere Gesellschaftsordnung nicht nur innerstaatlich, sondern darüber hinaus im Verbund mit anderen auf internationaler Ebene zu führen. Die Sozialdemokratie war stets zentraler Teil einer internationalen Freiheits- aber vor allem auch Friedensbewegung. Diesem Grundsatz sehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns bis heute verpflichtet. In diesem Geiste steht auch bis heute unser Grundsatzprogramm, nach dem wir unsere internationale Politik an dem Ziel ausrichten, Konflikte zu verhindern und Frieden zu schaffen, indem wir auf Verständigung, internationale Solidarität und gemeinsame Sicherheit durch Kooperation setzen – ganz im Sinne der Präambel des Grundgesetzes, die fordert, dass deutsche Politik “dem Frieden der Welt zu dienen” habe.
Aktuelle Konflikte, Krisen und Kriege führen uns dabei vor Augen, dass Frieden und Sicherheit selbst da wo sie einmal erreicht und belastbar erscheinen, keineswegs automatisch von Dauer sind: Frieden und Sicherheit zu wahren bleibt andauernde Aufgabe. Ziel von Friedenspolitik – nach außen wie nach innen – muss es sein, in internationaler Kooperation dauerhaft gesellschaftliche, politische und rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Konflikten zum einen präventiv entgegengewirkt wird und zum anderen vorhandene Konflikte nicht gewaltsam ausgetragen, sondern zivil gelöst werden.
Die Größe, die geographische Lage, die historischen Erfahrungen, Wiedervereinigung, wieder erlangte Souveränität und die ökonomische Stärke der Bundesrepublik Deutschland erfordern eine Debatte über die Außen- und Sicherheitspolitik. Dies gilt vor allem im Verhältnis des diesen Begriffen zugeschriebenen Werte- und Interessenfundaments. Die Bedeutung der außenpolitischen Verantwortung bildet hier den Kernpunkt des Diskussionsprozesses.
Nur allzu oft wird ein „mehr“ an außenpolitischem Engagement gleichgesetzt mit militärischen Instrumenten oder Einsätzen der Bundeswehr. Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verstehen jedoch die Rolle der Bundesrepublik vor allem – nicht zuletzt aus historischer Verantwortung – als Akteur auf ziviler Ebene. Zudem lehnt mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung ein stärkeres militärisches Engagement als heute praktiziert ab. In der Debatte um den Begriff der außenpolitischen Verantwortung, um den Zusammenhang von Entwicklungspolitik und Konfliktprävention und über die Rolle der Bundeswehr stehen wir daher vor der Aufgabe, uns als Sozialdemokratie, uns insgesamt als Gesellschaft darauf zu einigen, welche Grundsätze uns als Akteur aus sozialdemokratischer Perspektive in der internationalen Politik leiten.
Zentrale Wegmarken in der Debatte sind für uns, den Anspruch auf Gleichheit der Rechte aller Menschen als einer Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung und den Frieden nicht zu vernachlässigen. Nach unserer Auffassung müssen gerade in der Außenpolitik Verhandlung, Zusammenarbeit und Diplomatie im Vordergrund stehen. Internationale Solidarität muss essenzieller Bestandteil deutscher Außenpolitik sein. Auch Entwicklungszusammenarbeit ist als zentrales Instrument der Außenpolitik zu begreifen. Diese Eckpfeiler unserer Definition von außenpolitischer Verantwortung bilden dabei einen übergeordneten Rahmen, der im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes Handlungsleitfaden und Wertefundament deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sein muss.
Angesicht der derzeit geführten Debatte und im Hinblick auf die derzeit sehr komplexen Herausforderungen durch die Vielzahl an Krisen, Konflikten und Kriegen in der Welt befindet sich die deutsche Außenpolitik also in einer großen Umbruchphase. Eingerahmt von einem vermeintlich allgemeingültigen Narrativ, in dem wirtschaftliche und militärische Stärke einhergehen mit politischem Einfluss, befinden wir uns in Deutschland in einer Debatte um unsere zukünftige Rolle als Akteur in der globalen Politik. Wichtig ist dabei, dass Außenpolitik nicht länger ein „Nischenthema“ unserer Partei sein darf, sondern eine zentrale Rolle erhalten muss. Gerade in aktuellen Konfliktlagen können wir zum Teil kein einheitliches und klares Konzept erkennen.
Dieser Antrag will einen Beitrag leisten im Diskurs um die Bedeutung von Verantwortung der deutschen Politik in der internationalen Gemeinschaft. Er will anknüpfen an wegweisende sozialdemokratische Impulse wie die Ostpolitik, Wandel durch Annäherung, gemeinsame Sicherheit, das Wirken Willy Brandts in der Nord-Süd Kommission, das Verständnis von Entwicklungspolitik als globale Strukturpolitik und die Etablierung des Politikfelds der zivilen Krisenprävention. Gleichzeitig fordert der Antrag eine Neujustierung des sozialdemokratischen außenpolitischen Kompasses: Die europäische Integration und das transatlantische Verhältnis bleiben für deutsche und europäische Friedenspolitik zentral, aber gelingende, globale Friedenspolitik muss neue regionale und globale Mächte weltweit anders sehen als bisher. Nur gemeinsam mit diesen wird eine belastbare und nachhaltige globale Friedensordnung angesichts der geschilderten Konflikte und Spannungen Aussicht auf Erfolg haben; nicht ohne sie und schon gar nicht gegen sie. Gerade die deutsche Sozialdemokratie ist gefordert, diese Einsicht in eine moderne deutsche Außenpolitik umzusetzen, die alte Stereotype von einer unterentwickelten, “3. Welt” und der globalen Dominanz des Westens endlich zu den Akten legt und mit einer aktualisierten weltpolitischen Landkarte realistische Friedenspolitik betreibt.
Ebenso ist eine Debatte darüber zu führen, inwieweit NATO und EU, die noch aus der Zeit des Kalten Kriegs und des Ost-West-Konflikts stammen, für eine neue und ausgewogene Sicherheitsarchitektur in Europa ausreichen oder ob sie stärker angepasst, fortentwickelt oder ergänzt werden müssen.
2. Zivile Krisenprävention ausbauen!
Als konkreten Ausfluss des unter Ziff. 1 beschriebenen friedenspolitischen Leitbilds und des überragenden Interesses an einer friedlichen, stabilen und gerechten Weltordnung in Kombination mit einer besonderen Skepsis und Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Mittel ergibt sich die Notwendigkeit zivile Formen und Mittel der Friedensförderung und Krisenprävention ins Zentrum der Außenpolitik zu rücken. Während zu Zeiten des Kalten Krieges Krisen, Konflikte und Kriege immer unter dem Damokles-Schwert einer kriegerischen Konfrontation der beiden Blöcke gesehen wurden, sorgen wir uns heute nicht mehr, den einen Frieden zu bewahren. Wir sorgen uns, an vielen Orten dieser weithin befreiten und doch so unruhigen Welt Frieden überhaupt erst wiederherzustellen. Allerdings zeigte dann die Realität der Kriege auf dem Balkan, dass vornehmlich ein militärisch geprägtes Instrumentarium zur Verfügung stand. Die zivilen Mittel, die insbesondere für die Konsolidierung des Friedens benötigt wurden, standen hingegen kaum zur Verfügung.
Diese Einsicht fand Ausdruck in dem von der rot-grünen Bundesregierung verabschiedeten „Gesamtkonzept“ (2000) und „ressortübergreifenden Aktionsplan (2004) zur „zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“. Diese setzen den Rahmen und gaben den Startschuss für die Entwicklung eines neuen Politikfelds und Instrumentariums der deutschen Außenpolitik.
Über 10 Jahre nach diesem politischen Aufbruch ist die politische Dynamik in dem Politikfeld allerdings in weiten Teilen zum Erliegen gekommen. Zudem hat sich die Welt in diesem Zeitraum dramatisch verändert: verändertes Konflikt- und Gewaltgeschehen, einer Relativierung des Einflusses des Westens im Allgemeinen und der USA im Besonderen, einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, der Schwächung der europäischen Integration und der EU sowie dem Aufstreben neuer weltpolitischer Mächte. All dies erfordert eine Wiederbelebung und Aktualisierung dieses ur-sozialdemokratischen Politikfelds. Erschwerend kommt hinzu, dass die Umsetzung dieses Handlungsfeldes durch verschiedene Ministerien erfolgt, was bis heute oft zu einem inkohärenten Gesamtansatz führt.
Wir fordern:
- die Entwicklung einer ressortübergreifenden Strategie für Friedensförderung und Krisenprävention, die den bisherigen Aktionsplan ersetzt und im Gegensatz zu diesem klare, politische Prioritäten setzt und entsprechende Mittelzuweisungen begründet;
- die Überprüfung der bisherigen Zusammenarbeit der relevanten Ministerien und Behörden und die Schaffung effektiver ressortübergreifender Strukturen und Instrumente zur Friedensförderung;
- eine deutliche Ausweitung des finanziellen, personellen und politischen Engagements für Friedensförderung und Krisenprävention;
- eine zeitgemäße Neubestimmung unseres multilateralen Engagements zur Friedensförderung. Dieses muss (a) die Vereinten Nationen endlich wirklich ins Zentrum stellen und diese systematisch stärken und (b) das partnerschaftliche Verhältnis vor allem innerhalb der EU und im Transatlantischen Verhältnis neu beleben. All dies wird hingegen wenig bewirken, wenn deutsche Außenpolitik nicht auch endlich (c) aktiv neue Partnerschaften zur Friedensförderung mit aufstrebenden Mächten weltweit schließt im Sinne einer (hier besteht der aktuell größte Handlungsbedarf im Sinne der unter 1. geforderten) Neujustierung des sozialdemokratischen außenpolitischen Kompasses.
- eine Stärkung der Deutschen Entwicklungszusammenarbeit und ihrer konfliktsensiblen Ausrichtung, als zentralem Instrument einer strukturellen Krisenprävention, die an wesentlichen systemischen Konfliktursachen wie Armut, sozioökonomische Disparitäten und mangelnden Zugang zu staatlichen Leistungen der Daseinsvorsorge ansetzen kann. In diesem Sinne muss die Realisierung des Ziels 0,7 Prozent des BIP für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden, endlich umgesetzt werden.
- eine Ausweitung von Forschung und Evaluierung zu Konfliktursachen und -lösungen aus globaler und lokaler Sicht sowie die Einbeziehung der modernen Formen von Gewalt (Terror, hybride Kriege, virtuelle Kriegsführung) in diese Forschungen, um so erfolgreiche friedenspolitische Instrumente entwickeln zu können. Zudem fordern wir die Verstärkung der Regionalstudien an Forschungseinrichtungen zur Erhaltung und Entwicklung unserer Kompetenz in internationalen Fragen.
- eine verstärkte Zusammenarbeit der relevanten Bundesministerien und der Bildungsministerien der Länder mit der Friedensbewegung in Deutschland (z.B. mit der Kooperation für den Frieden = Dachverband von über 60 Organisationen und Initiativen) mit dem Ziel, die Arbeit dieser Gruppen zu stärken und für die Entwicklung einer Friedenskultur innerhalb Deutschlands zu nutzen.
Dazu gehört, der Bevölkerung die Alternativen zu militärischen Mitteln und die Potenziale gewaltfreier, ziviler Konfliktbearbeitung besser bekannt zu machen. Ein wichtiger Ansatz ist dabei, die Friedenserziehung in Schulen und in der Erwachsenenbildung zu fördern. Deshalb sind bei der Gestaltung von Lehrplänen, der Unterrichtsgestaltung und der Lehreraus- und -Fortbildung Friedensorganisationen zu beteiligen.
3. Internationale Organisationen stärken und strategisch austarieren!
Sozialdemokratische Außenpolitik hat immer ein starkes Bekenntnis zur Einbettung in internationale Organisationen umfasst. Zu recht! Dieser grundlegende Konsens ist jedoch bislang noch nicht genügend konkretisiert worden. Insbesondere eine Gewichtung und bewusste Priorisierung des Engagements in den verschiedenen Organisationen ist bisher noch nicht erfolgt. Dabei ist dies nicht zuletzt angesichts von Widersprüchen hinsichtlich der Funktionsweise der verschiedenen Institutionen und einer teilweise bestehenden Konkurrenz zwischen diesen Organisationen dringend geboten. Ein sozialdemokratisch begründeter Institutionen-Mix kann hier nur ansatzweise skizziert werden, müsste aber dringend in einer friedenspolitischen Strategie (siehe 2.) ausbuchstabiert werden. Basis für den im Folgenden skizzierten Institutionenmix ist die sozialdemokratische Leitidee gemeinsamer Sicherheit. Aus ihr ergibt sich, dass es gerade für den Einsatz von notfalls zwangs- oder gar gewaltbewehrten Politiken (Sanktionen, friedensichernde oder gar friedenerzwingende Einsätze) eine klare Präferenz für UN und OSZE geben muss, die hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Mitglieder, einen “übergreifenden” Charakter haben. Dem gegenüber handeln sowohl EU als auch NATO bei Einsätzen außerhalb der Grenzen ihrer Mitgliedstaaten gerade nicht im Sinne kollektiver Sicherheitssysteme – wenngleich die Bedeutung der EU über diesen Aspekt hinausgeht, sondern schlicht und ergreifend als externe Akteure. Dem entsprechend ist es angezeigt, dass diese Organisationen ihre Fähigkeiten und Ressourcen im Rahmen von UN und OSZE zur Verfügung stellen und nicht etwa versuchen, ein Pendant hierzu zu bilden.
Eine internationale Sicherheitspolitik muss darüber hinaus aber nach wie vor das Ziel haben, eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Insoweit sind politische Prozesse die zu einer Reduzierung der Atomwaffen führen, grundsätzlich ein richtiger Schritt, können und dürfen aber nicht das letztendliche Ziel sein. Die Folgen der Atomwaffenpolitik zeigen sich gerade nach dem Ende des kalten Krieges deutlich in der stetig wachsenden Verbreitung dieser Massenvernichtungswaffen, insbesondere in Staaten, deren politisches Umfeld als durchaus schwierig anzusehen ist.
Wir fordern:
- Vereinte Nationen – Sicherheitsrat und Blauhelme: Im Kern der globalen Friedens- und Sicherheitsarchitektur müssen die Vereinten Nationen stehen, deren universeller Charakter vor allem für die notwendige Neutralität von Friedensmissionen Gewähr bietet. Sie sollten der primäre organisatorische und legitimatorische Bezugsrahmen für solche Missionen und alle grundlegenden Fragen von Krieg und Frieden bleiben, wenngleich auch regionale Organisationen eine wichtige Rolle spielen sollten. Die Reform der Vereinten Nationen ist von zentraler Bedeutung um ihre Legitimität und Effektivität zu stärken. Eine ständige Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat sollte nicht länger im Zentrum des Reformengagements stehen.
- OSZE – Vertrauensbildung und Beobachtermissionen für gemeinsame Sicherheit: Für die europäische Sicherheit würde es als zweites gelten, die OSZE wiederzubeleben, so dass sie einen Rahmen für gemeinsame Sicherheit bieten kann, der sowohl NATO-Mitglieder, EU-Mitglieder als auch solche Staaten in Europa umfasst, die in keiner der beiden Organisationen Mitglied sind.
- EU – Europäischer Auswärtiger Dienst und Entwicklungszusammenarbeit: Die Europäische Union sollte vor allem ihr ziviles und entwicklungspolitisches Instrumentarium im internationalen Konfliktmanagement weiterentwickeln. Im Zentrum sollte der EEAS stehen, der eine wirklich gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln und durchsetzen soll. Europäische militärische Fähigkeiten sollten primär für UN- oder OSZE Missionen geführte Missionen bereitgestellt werden, an Stelle der bisher oftmals favorisierten EU-geführten Missionen. Die friedenspolitische Kernlogik der EU bleibt aber die Sicherung des dauerhaften Friedens zwischen ihren Mitgliedstaaten, die uns zwar mittlerweile häufig selbstverständlich erscheint, dies aber keineswegs ist.
- NATO – Risikoversicherung und transatlantische Einbettung: Der NATO würde schließlich vor allem die Rolle einer Versicherung zukommen, die möglichst nicht zum Einsatz kommen sollte. Zudem könnte sie Fähigkeiten und Know-how für Friedensmissionen von OSZE und UN bereitstellen und wäre weiterhin der passende Ort für den intensiven transatlantischen Sicherheitsdialog.
- Die SPD bekräftigt, dass ein Ziel der internationalen Abrüstungspolitik der globale Verzicht und die entsprechende Abschaffung von Atomwaffen sein muss. Die Reduzierung von Atomwaffen auf Null ist insoweit lediglich der Weg, nicht das Ziel einer solchen Politik. Der Bundesvorstand der SPD, die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und die sozialdemokratische Mitglieder der Bundesregierung werden diese Politik im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und Verantwortung verfolgen.
4. Konfliktursachen bekämpfen: strengere Auflagen für die Rohstoffpolitik, wirtschaftliche Ungleichheiten global abbauen
Konflikte haben vielfältige Ursachen. Der Abbau von Rohstoffen steht dabei häufig nicht im Fokus der Analyse. Viele Konflikte lassen sich aber auf den Rohstoffhunger der modernen globalen Gesellschaft zurückführen. Aus diesem Grund und aus sozialer und ökologischer Verantwortung heraus, muss die Rohstoffpolitik ein wichtiger Eckpfeiler einer erfolgreichen Außenpolitik sein.
Die deutsche Wirtschaft ist, wie die der meisten westlichen Staaten, bei der Herstellung ihrer Produkte auf eine Fülle an Rohstoffen aus aller Welt angewiesen. Internationale Konzerne verkaufen dem deutschen Verbraucher ihre Produkte, deren Herstellung besonders im Elektronik- und Kommunikationsbereich von einer Vielzahl wertvoller Rohstoffe abhängt. Durch die hohe Nachfrage nach diesen Produkten tragen auch deutsche Firmen und die Bundesregierung eine unternehmerische und politische Mitverantwortung für die Folgen des Abbaus dieser mineralischen und energetischen Rohstoffe.
Im Jahre 2010 formulierte das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die eigene Rohstoffstrategie wie folgt: „dass nachhaltige Entwicklung sowie wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt ohne gute Regierungsführung, ohne Achtung der Menschenrechte und ohne Beachtung ökologischer und sozialer Standards nicht möglich ist.“ (BMWi 2010).
Daher gilt es, den augenblicklichen Verbrauch ökologischer und sozialer zu gestalten. Das Beispiel eines Mobiltelefons, in welchem bis zu 60 verschiedene wertvolle Rohstoffe verarbeitet werden, von verschiedenen Kunststoffen bis hin zu Kupfer, Gold und einer großen Anzahl Seltener Erden, verdeutlicht das Ausmaß der Lieferketten und die Komplexität, mit der man sich konfrontiert sieht, wenn es um eine Regulierung und Prüfung der Rohstoffe geht.
Der Abbau der Seltenen Erden ist in den meisten Fällen mit gravierenden Folgen für Mensch und Natur verbunden. Oft werden die Erze durch Behandlung mit Laugen oder Säuren aufgeschlossen. Diese und andere Verfahren stellen eine Gefahr für das Grundwasser dar und können auch zum Austritt von schädlicher radioaktiver Strahlung führen. Es bedarf der Einhaltung globaler Umweltgrenzen des Rohstoffverbrauchs und ein ökologisches Umsteuern, um Mensch und Natur effektiv zu schützen.
Beispiele aus dem Kongo oder Peru machen die soziale Komponente der Rohstoffpolitik deutlich. So finanzieren sich die Konfliktparteien im Kongo durch den Verkauf von Tantal (auch Coltan genannt), Wolfram, Zinn und Gold. In Peru häufen sich die Fälle sozialer Unruhen, die teilweise zu schweren Ausschreitungen mit Toten führen, da der Abbau von Gold in den umliegenden Regionen die lokale Landwirtschaft und die Wasserversorgung der Bevölkerung bedroht. Dass die benötigten Rohstoffe oft aus Konfliktgebieten kommen, sollte nicht hingenommen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen und ökologischen Katastrophen in Europa oft kein Klagerecht besitzen und es somit in der Verantwortung der deutschen Politik liegt, gegen diese Verhältnisse rechtlich vorzugehen.
Es gibt durchaus Möglichkeiten die Herkunft von Rohstoffen trotz einer langen Verarbeitungskette nachzuverfolgen. Auf diese Weise können Unternehmen die Lieferketten oft bis nach Asien überprüfen und die Schmelzen dazu anhalten, keine Rohstoffe aus Konfliktregionen zu verarbeiten. Der Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act in den USA macht vor, wie die Industrie zu solch einer Selbstüberprüfung angehalten werden kann. Zwar regional auf den Kongo und seine Nachbarstaaten begrenzt, macht dieser deutlich, wie Unternehmen besonders aus Prestigegründen dazu gebracht werden können, ihren Rohstoffkonsum sozialverträglicher zu gestalten.
In Deutschland liegt es in der Hand der Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht werden. Unternehmen sollten garantieren müssen, dass sie die Menschenrechte bei der Herstellung ihrer Produkte und der Beschaffung der benötigten Rohstoffe wahren. In diese und andere Schritte sind nicht nur die Industrie, sondern auch gesellschaftliche Akteure einzubeziehen.
Viele (regionale) Konflikte haben fehlende oder unterschiedliche wirtschaftliche Perspektiven zur Ursache. Deutsche Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik müssen mithelfen, Konfliktursachen zu vermeiden oder zu verringern. Mit der “Post 2015-Agenda” wurde der Anspruch formuliert, eine nachhaltige Entwicklung mit sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Dimension für alle Länder global zu gestalten. Dieser Ansatz muss sich in allen Politikbereichen widerspiegeln. Die dort formulierten Ziele gehen von der Armutsbekämpfung über Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, Verfügbarkeit von Wasser und Sanitärversorgung, Energiesicherheit bis zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum bei Vollbeschäftigung und gesicherter guter Arbeit, Infrastruktur mit nachhaltiger Industrialisierung, einem Abbau von Ungleichheit innerhalb und zwischen den Staaten, nachhaltigem Siedlungs- und Städtebau, nachhaltigem Konsum- und Produktionsmuster. Bekämpfung des Klimawandels, nachhaltiger Meeresschutz. Schutz und nachhaltige Nutzung der Landökosysteme. friedliche und inklusive Gesellschaftsformen verbunden mit rechtsstaatlichem Schutz sowie globale Partnerschaft für eine nachhaltige Entwicklung. Diese Ziele müssen Leitlinie des Regierungshandelns sein. Dies schließt mit ein, dass Wirtschaftspolitik nicht einseitig auf Wettbewerbsfähigkeit und Standortwettbewerb zulasten anderer Länder und Regionen setzen darf.
Wir fordern:
- Die Aufnahme von verbindlichen, international anerkannte Sozial- und Umweltstandards wie die ILO-Kernarbeitsnormen in sämtliche Handelsabkommen inklusive des Streikrechts als zentralen Bestandteil der Vereinigungsfreiheit.
- Verpflichtende Zertifizierungen für Konfliktmineralien sowie strenge Sorgfaltsprüfungen der Lieferkette ab der Mine bis zum Verbraucher/Verbraucherin.
- Für eine gesellschaftsnahe Rohstoffpolitik sollen zivilgesellschaftliche Gruppen und NGOs ein Beratungsrecht im Rohstoffausschuss der Bundesregierung erhalten.
- Opfern von Menschenrechtsverletzungen, die deutsche Unternehmen oder ihre Tochtergesellschaften zu verantworten haben, soll die Möglichkeit gegeben werden, in Deutschland ihr Recht auf Entschädigung geltend zu machen.
- Eine nachhaltige und strukturierte Umsetzung der in der Post 2015-Agenda formulierten Ziele durch die Bundesregierung.
5. Schutzverantwortung wahrnehmen!
Die Debatte um die Frage, ob und wann von außen in einen anderen Staat militärisch eingegriffen werden darf und kann, beschäftigt seit Ende des Kalten Krieges die öffentliche Debatte. Die Massaker in Screbiniza und Ruanda werden oft als Beispiele für die Folgen eines militärischen Nichteingreifens angeführt. Aber auch aktuelle Konflikte wie der Ukraine-Konflikt oder der militärische Vormarsch des sogenannten “Daesh” im Irak und in Syrien werfen diese zentrale Frage auf.
Das Völkerrecht und das darin enthaltene Konzept der “Schutzverantwortung” enthält die Möglichkeit im Falle eines Scheiterns aller zivilen Bemühungen Zwangsmaßnahmen einzusetzen. Dabei wird auch eine militärische Intervention als letztes Mittel für die Verhinderung und Beendigung von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermöglicht. Die Entscheidung über ein Eingreifen obliegt dem UN-Sicherheitsrat, dessen permanente Mitglieder angehalten sind, im Falle der Schutzverantwortung auf ihr Vetorecht zu verzichten. In diesem Zusammenhang fordern wir die Reform der UNO Arbeitsstrukturen.
Militärische Interventionen aus anderen Motiven wie etwa zur Sicherung von Ressourcen und Handelswegen sieht das Völkerrecht ausdrücklich nicht vor. Diese strengen Grenzen müssen aus sozialdemokratischer Sicht die Leitlinie für den Einsatz von militärischer Gewalt bilden.
Wir fordern:
- Für die Sozialdemokratie gelten die Grundsätze der Diplomatie und der Vorrang des Zivilen. Zwangsmaßnahmen, die von der internationalen Staatengemeinschaft durchgeführt werden, müssen grundsätzlich nicht-militärischer Art sein. Wirtschaftliche Sanktionen, zivile friedenssichernde Maßnahmen und polizeiliche Interventionen sind zum Schutz der Bevölkerung militärischen Einsätzen vorzuziehen.
- Der Einsatz militärischer Mittel ist nur als letztes Mittel einer sorgfältig geprüften Einzelfallentscheidung im engen Rahmen unter strengen Kriterien zur Verhinderung gravierendster Menschenrechtsverletzungen legitim. Jedes Eingreifen in bewaffnete Konflikte in einen souveränen Staat bedarf eines Mandats der Vereinten Nationen. Der Schutz der Zivilbevölkerung hat dabei oberste Priorität. Langfristig soll eine solche Eingreiftruppe direkt der UN unterstellt werden.
- Das Eingreifen in einen Staat erfordert ein langfristiges Engagement in der jeweiligen Konfliktregion. Die Voraussetzungen für Frieden und Stabilität erfordern Rahmenbedingungen, in denen die Menschenwürde jeden Einzelnen nachhaltig gewährleistet werden kann. Ohne eine Verpflichtung zur Entwicklung der gesamten Region, soll die SPD um Bundestag, einem militärischen Einsatz nicht zustimmen.
- Am Parlamentsvorbehalt für militärische Auslandseinsätze darf nicht gerüttelt werden.
6. Abrüsten, Abrüsten, Abrüsten!
Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bildet der Grundsatz von Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung einen tragenden Baustein im Wertefundament deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.
Im Zweifelsfall ließ sich in den vergangenen Jahren eine Zustimmung des Bundestags zu (militärischen) Auslandseinsätzen der Bundeswehr finden. Wir sind uns zwar bewusst, dass nicht jeder Einsatz am Rande der Legitimität steht. Internationale Missionen, wie z.B. diejenige zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen, leisten einen wesentlichen Beitrag zur Abrüstung. Doch all diese punktuellen Maßnahmen werden ebenso wie die zivile Konfliktprävention nicht zuletzt durch die derzeitige Handhabung der Rüstungsexportpolitik konterkariert. Wir sind uns darin einig, dass auch Rüstungsexporte in einem nicht unerheblichen Maße dazu beitragen, Gewalt zu befördern. Wir finden, die SPD muss hier eine klarer restriktive Haltung einnehmen.
Wiederholt werden deutsche Rüstungsgeschäfte kritisch diskutiert. Problematisch sind dabei insbesondere Lieferungen in Länder, in denen Menschenrechte verletzt werden oder verletzt werden könnten, wie z.B. die Lieferung von Leopard II-Panzern nach Saudi-Arabien. Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur der Welt, dessen Export zu über 60% an sogenannte Drittstaaten geht, ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Waffen und Waffenlizenzen in den weltweiten Umlauf gelangen. Dabei ist besonders die Verbreitung von Kleinwaffen gefährlicher, als es möglicherweise auf den ersten Blick den Anschein hat. Diese Waffen verbreiten sich rascher als andere Waffen und finden vor allem in Bürgerkriegen Anwendung. Auch der Verkauf von Waffenlizenzen ist gefährlicher, als gemeinhin angenommen.
Die Genehmigung von Rüstungsexporten orientiert sich derzeit an den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung“. Nach diesen Leitlinien ist die Lieferung unter anderem in sogenannte „Spannungsgebiete“ verboten. Die dort festgehaltenen Grundsätze werden jedoch von den politisch Verantwortlichen extrem weit ausgelegt. Die Entscheidungen über Rüstungsexporte werden in einem geheimen Gremium – dem Bundessicherheitsrat – ohne Mitwirkung des Parlaments getroffen. Eine derart wichtige Entscheidung muss aus unserer Sicht nicht nur parlamentarisch legitimiert sein, eine solche Entscheidung muss zudem transparent diskutiert werden. Eine gesetzgeberische Initiative, um Rüstungsexporte wirksam einzugrenzen und transparent zu gestalten, lässt allerdings bis heute auf sich 357 warten. Wir sind uns dabei grundsätzlich einig, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen nicht als Argument dienen darf, um Waffenexporte zu legitimieren.
Die fünf durch den Atomsperrvertrag anerkannten Kernwaffenstaaten (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA) verfügen nach wie vor über schätzungsweise 16.075 einsatzbereite und -fähige Nuklearwaffen. Zwar ist seit dem letzten START-Abkommen auf Seiten der USA und Russland ein dezenter und regelmäßiger Rückgang zu verzeichnen. Allerdings gibt es in keinem der mittlerweile neun Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, ernsthafte Anzeichen für deren umfängliche Abrüstung. Wir finden, die Krise des atomaren Nichtverbreitungsregimes muss überwunden werden.
Wir fordern:
- Die Einführung eines Waffenkontroll- und Rüstungsexportgesetzes. Kernpunkte eines solchen Gesetzes müssen sein: Die Einführung eines Zustimmungserfordernisses des Deutschen Bundestages für die Ausfuhr von Waffen und Rüstungsgütern außerhalb der EU. Eine wirksame Endverbleibskontrolle. Die Lieferung, das Zuverfügungstellen oder die Ausfuhr militärischer Güter, die in nicht-konventionellen Bereichen eingesetzt werden können, von Waffen und Rüstungsgüter in Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen bekannt sind, in denen bewaffnete Auseinandersetzungen drohen oder bestehende Konflikte durch Waffenlieferungen verschärft werden, sowie die lizensierte Waffenproduktion außerhalb Deutschlands sind verboten. Die Prüfung dokumentierten Menschenrechtsverletzungen und des Bevorstehens bewaffneter Auseinandersetzungen bzw. deren Verschärfung erfolgt im Einzelfall. Die letztendliche Entscheidung trifft stets der Deutsche Bundestag.
- Die Bundesregierung wirkt auf EU-Ebene auf eine Regelung zur restriktiveren Handhabung von Waffenexporten sowie deren wirksamer Kontrolle hin. Auf UN-Ebene wirkt die Bundesregierung auf die wirksame Implementierung des Arms Trade Treaty (ATT) sowie auf seine Verschärfung bzw. wenn eine solche nicht möglich sein sollte auf einen Waffenkontrollvertrag hin, der alle Staaten zu restriktivem Waffenexport sowie einer wirksamen Exportkontrolle verpflichtet.
- Die vollständige Abschaffung und weltweite Ächtung von Atomwaffen. Bis dahin wirkt die Bundesregierung auf allen Ebenen darauf hin, dass die Grundsätze und Verpflichtungen des Atomwaffensperrvertrages (NPT) – insbesondere die Abrüstungsverpflichtung aus Artikel VI – eingehalten werden. Eine umfassende Modernisierung der Arsenale wirkt dem Vertrag aus unserer Sicht ebenso entgegen wie der ausbleibende Abzug aller Nuklearwaffen aus Deutschland. Weiterhin muss darauf hingewirkt werden, dass möglichst alle Staaten dem Atomwaffensperrvertrag beitreten. Darüber hinaus ist auf den Abschluss des Vertrags über das Verbot von spaltbarem Material für Waffenzwecke (FMCT) sowie das Inkrafttreten des Atomteststopp-Abkommens (CTBT) hinzuwirken.
- Das Biowaffenübereinkommen (BWC) muss weiterentwickelt werden. Es bedarf hier ähnlich wie im Chemiewaffenübereinkommen (CWC) eines effektiven Überprüfungs- und Kontrollsystems, das mit umfassenden Rechten ausgestattete Inspektionen ermöglicht.
- Die Rüstungspolitik ist auf Ebene der Europäischen Union zu vereinheitlichen. In diesem Rahmen können notwendig zu erhaltende Verteidigungs- und Rüstungsfähigkeiten auf einzelne Mitgliedsstaaten verteilt werden, womit es nicht länger notwendig wäre, die ganze Bandbreite an Rüstungsproduktion in jedem einzelnen Mitgliedsstaat zu realisieren. Dadurch freiwerdende Produktionskapazitäten müssen im Rahmen eines geordneten und unterstützten Konversionsprozesses der zivilen Produktion zugeführt werden.
- Den Ankauf, den Einsatz oder die Entwicklung von Kampfdrohnen lehnen wir ab. Für das als Offensivwaffe konzipierte Gerät fehlt es nicht nur an einer sicherheits- und verteidigungspolitischen Notwendigkeit. Vielmehr ist ein Einsatz von Kampfdrohnen in ethisch vertretbarer Weise nicht durchführbar, denn die anwachsende Distanz zwischen Steuerungs- und Einsatzort erhöht möglicherweise das Risiko einer automatisierten Kriegsführung und die prinzipielle Einsatzbereitschaft militärischer Mittel, aufgrund der fehlenden Gefahr für das Leben eigener SoldatInnen.
- Wir fordern die Bundesregierung auf sich dafür einzusetzen, dass neben der Cyber-Rüstungskontrolle (IT-Waffen und IT-Rüstung) ein internationales Abkommen zu Cyber-Kriegsführung geschlossen wird. Der militärische Einsatz digitaler Technologien eröffnet einen weiten Raum in der militärischen Auseinandersetzung. Vor allem die Zivilbevölkerung muss vor dem großen Potenzial und der Zerstörungskraft IT-basierter Kriegsführung geschützt werden. Rüstung im Cyberspace muss der cyber defense, nicht dem cyber war dienen.
Die Bundesregierung soll sich für die Erarbeitung eines Grundkonzepts einsetzen. Dieses soll einer Definition der Begriffe Cyber Warfare, Cyber Crime, Cyber Terrorism und Cyber Defense dienen. Auf der Grundlage dieser Begriffsdefinition soll anschließend ein allgemeines Handlungs- und Reaktionskonzept aufgestellt werden, wie auf Akte des Cyber Warfares bzw. Terrorisms reagiert werden kann und sollte.“