Die Wählerinnen und Wähler haben entschieden. Die Große Koalition soll nicht weiter regieren. Die SPD hat mit einem historischen Tief den klaren Auftrag bekommen, in die Opposition zu gehen und sich zu erneuern.
Der Berliner Landesverband begrüßt
- die schnelle und klare Positionierung des Parteivorstands am Wahlabend, die Oppositionsrolle zu übernehmen;
- den vom Bundesvorstand eingeleiteten Prozess zur Erneuerung der SPD durch ein umfangreiches Arbeitsprogramm und Zukunftsdialoge.
In beide Vorhaben wird sich die Berliner SPD aktiv einbringen.
Erneuerung braucht Zeit. Wir müssen unser schlechtes Wahlergebnis tiefgreifend analysieren, Konsequenzen ziehen und neue Perspektiven für die Zukunft entwickeln.
Dennoch können wir heute schon folgende Schlüsse ziehen:
1. Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust wirkt nach
Nach einer Vielzahl von Fehlentscheidungen, wie mit der Agenda 2010, wie bei der Mehrwertsteuer oder dem Solidaritätszuschlag haben viele Menschen kein Zutrauen mehr in die Verlässlichkeit der SPD. Zudem konnte die SPD ihre eigenen Themen wie Mindestlohn, Leiharbeitsgesetz oder Frauenquote nicht als eigenen Erfolg verbuchen. Durch die ständigen Kompromisse ist ein erkennbares sozialdemokratisches Profil in der Regierung ausgeblieben. Jetzt ist es an der Zeit, eigenständige sozialdemokratische Konzepte in der Opposition zu erarbeiten und unsere Kernkompetenz „Soziale Gerechtigkeit“ mit konkreten Forderungen und Projekten zu verbinden.
Die Agenda 2010 hat der SPD nachhaltig geschadet. Das Vertrauen in die SPD als soziale Instanz, auf die Verlass ist, ist schwer gestört. Die SPD trägt Verantwortung für die Deregulierung in der Arbeitswelt. Der sich verbreiternde Niedriglohnsektor, Leiharbeit, Befristungen etc. führten dazu, dass heute trotz guter wirtschaftlicher Lage viele Menschen keine sicheren Arbeitsplätze haben, wovon sie sich und ihre Familien ernähren können. Hinzu kommt die Langzeitarbeitslosigkeit von rund 1 Million Menschen, die nicht abgebaut werden konnte. Hinzu kommen Ungerechtigkeiten in den Hartz IV-Gesetzen. Dieses verlorene Vertrauen gewinnen wir nicht dadurch, dass wir an der Agenda 2010 ständig herumdoktern und nachbessern. Damit muss Schluss sein.
2. Jede Zeit braucht ihre Antwort: Für einen „Neuen Sozialen Gesellschaftsentwurf“
Es wird Zeit, dass die SPD einen „Neuen Sozialen Gesellschaftsentwurf“ auf den Weg bringt, der die Agenda 2010 endgültig ablöst. Der „Neue Soziale Gesellschaftsentwurf“ soll sich erkennbar an den sozialdemokratischen Grundwerten orientieren, der Spaltung in Arm und Reich entgegenwirken und die Teilhabe aller am wirtschaftlichen Erfolg sichern. Dazu gehören die Re-Reregulierung des Arbeitsmarktes, Lohngerechtigkeit, Verteilungs- und Steuergerechtigkeit, Armutsbekämpfung, Bildungsgerechtigkeit, eine Krankenversicherung für alle, Kindergrundsicherung, Entlastung Alleinerziehender, Entlastung pflegender Angehörige, Familienarbeitszeit etc. Nur so kann die SPD wieder erkennbar werden mit konkreten Inhalten der sozialen Gerechtigkeit. Der Prozess zur Erarbeitung der neuen Agenda soll von der Basis der Partei heraus erarbeitet werden. Die Parteimitglieder, die zum großen Teil vor Ort vernetzt, beruflich wie familiär in der Gesellschaft verankert sind und in den letzten Monaten im Straßenwahlkampf und Tür-zu-Tür Aktionen unterwegs waren, haben ein gutes Gespür dafür, was konkret für die Menschen soziale Gerechtigkeitsfragen sind.
3. Das Soziale Europa als zentrales Zukunftsthema
Das Thema Europa konnte im Wahlkampf nicht als ein erkennbarer Schwerpunkt der SPD platziert werden. Obwohl die EU aus den Fugen geraten ist, die Verteidigung des friedlichen und freien Europas aktuell auf der Tagesordnung steht und wir mit Martin Schulz einen überzeugten und überzeugenden Europäer haben, konnte die SPD in diesem Wahlkampf damit nicht punkten. Jetzt ist es an der Zeit, dass die SPD sich als ein Teil einer Bürgerbewegung versteht und einbringt, die für ein freies und friedliches Europa kämpft. Die Sehnsucht danach ist in der Bevölkerung groß. Das soziale und solidarische Europa als ein Zukunftsprojekt muss die SPD in Zukunft stärker in den Mittelpunkt stellen. Im Hinblick auf die anstehenden Europawahlen und den Wunsch vieler Junger Menschen, sich für Europa zu engagieren, muss die SPD frühzeitig einen Aktionsplan und Angebote für eine zukunftsweisende Europapolitik entwickeln.
4. Oppositionsarbeit und Kampf gegen Rechts
Deutschland braucht eine starke Sozialdemokratie. Für die parlamentarische Demokratie ist eine selbstbewusste Opposition und ein echte Alternative zur Regierung von zentraler Bedeutung. Die SPD darf die Oppositionsstimme nicht der AfD überlassen. Weltweit erleben wir eine Zeit der Desintegration, des Gegeneinanders und des Rechtspopulismus. Nicht Versöhnung und Frieden beherrschen die Politik, sondern Aggression und Ausgrenzung. Diesen Rechtsdruck erleben wir auch in Deutschland. Die SPD wird auf allen Ebenen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bekämpfen. Sie wird aus der Opposition heraus die sozialen Themen nicht der AfD überlassen. Mit der „Neuen Sozialen Agenda“ wird die SPD die nächsten vier Jahre die konservative Bundesregierung stellen.
5. Neue Perspektiven und Machtoptionen entwickeln
Es war ein fataler Fehler, vor der Bundestagswahl 2013 die Koalition mit den Linken auszuschließen. Die Machtoption Rot-Rot-Grün muss als Projekt trotz der Konkurrenzsituation vorangebracht werden. Hierfür wollen wir aus Berlin heraus durch erfolgreiches Regieren aufzeigen, dass R2G eine Machtoption auch für den Bund ist. Gerade die vielen Neumitglieder geben Hoffnung, dass es viele Menschen in unserem Land gibt, die eine Sehnsucht nach einem freien und sozialen Europa, nach einer weltoffenen und solidarischen Gesellschaft haben. Ihnen in der SPD eine politische Heimat zu geben ist unser aller Auftrag.