Die Morde von Hanau lassen uns auch mehrere Wochen nach dem Tattag schockiert zurück. Wir trauern und nehmen Anteil an dem Schicksal der betroffenen Familien und Communitys. Politisch sind wir es den Opfern – Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu – schuldig, alles dafür zu tun, weitere rechtsterroristische Gewaltakte zu verhindern. Es kann nicht sein, dass der deutsche Staat immer und immer wieder darin versagt, seine eigenen und ausländische Bürger*innen vor rassistischen Angriffen zu schützen. Aus dem Versagen der staatlichen Sicherheits- und Ordnungsbehörden müssen Konsequenzen folgen. Es ist für uns weder nachvollziehbar, dass ein behördenbekannter Anhänger eines zutiefst rassistischen und verschwörungstheoretischen Weltbildes legal im Besitz von Schusswaffen sein darf und zudem relativ kurz vor der Tat einer ergebnislosen Routineüberprüfung unterzogen wird, noch ist es entschuldbar, dass auch 10 Jahre nach dem NSU die Gefahr durch rechten Terror von den Behörden weiterhin unterschätzt wird und nicht genug Ressourcen in seine Bekämpfung fließen.
Das Anschlagsziel von Hanau ist kein Zufall. Die messbare Verschiebung des demokratischen Diskurses, vor allem durch Aussagen und Handlungen prominenter Politiker*innen, verschieben die Grenze des „Sagbaren“ immer wieder und führen damit zu einer entsprechenden Antizipation und Sichtweise über die gesprochenen Personen und Gruppen im politischen Diskurs und auch in der Bevölkerung. Ein Beispiel ist die Aussage Horst Seehofers während einer Pressekonferenz zur Präsentation seines Masterplans Migration, an dem gleichzeitig sein Geburtstag war, bei dem er witzelnd sagte, dass er sich die 69 just an diesem Tag abgeschobenen Afghanen nicht zum Geburtstag gewünscht hätte. Dabei entsteht das Narrativ, dass Flüchtlinge aus Afghanistan ein lästiges Problem seien und deren Abschiebung ein willkommenes Geschenk. Das ist nach wissenschaftlichen Untersuchungen gefährlich für diejenigen gesellschaftlichen Gruppen (oder auch die Orte, an denen sich diese gesellschaftlichen Gruppen tendenziell öfter aufhalten), die durch diese Diskursverschiebung mit einem negativen Stigma behaftet werden und damit leichter zum Hassobjekt von radikalisierten rechten Täter*innen werden können.
Gleichzeitig haben Medien und politisch Verantwortliche in der Vergangenheit mit ihrer Berichterstattung bzw. mit öffentlichen Aussagen dazu beigetragen, Shisha-Bars als kriminalitätsbelastete Orte zu stigmatisieren und pauschal mit sogenannter „Clankriminalität“ in Verbindung zu bringen. Dahinter verbirgt sich im Kern Rassismus und diesem stellen wir uns entschieden entgegen.
Wir fordern deshalb
- eine Verschärfung des Waffenrechts in der Gestalt, dass Schusswaffen, die für das Töten oder Verletzen von Menschen hergestellt werden, nicht länger legal als Sportwaffen besessen, benutzt oder vertrieben werden dürfen. Von diesem Verbot ausgenommen sind Sportschusswaffen, die durch Modifikation an der Munition oder Waffe eine wesentlich geringere Gefährlichkeit für Menschen aufweisen,
- die Einführung eines zentralen Registers für Sportschütz*innen, auf das alle Bundes- und Landesbehörden Zugriff haben sowie die Verpflichtung, bei Sachverhalten, die sich auf die Zuverlässigkeit einer Person im Sinne des Waffengesetzes auswirken könnten, einen Abgleich mit der Datei vorzunehmen,
- die Verpflichtung sämtlicher Bundes- und Landesbehörden dazu, relevante Erkenntnisse über Sportschütz*innen unverzüglich an die für die Ausstellung der Waffenbesitzkarte zuständigen Behörden zu melden,
- eine verstärkte Sensibilisierung von Behördenmitarbeiter*innen im Umgang mit Bürger*innen, welche Verschwörungstheorien und Anzeichen eines rassistischen Weltbildes äußern,
- die Kontrollmaßnahmen gegenüber Inhaber*innen einer Waffenbesitzkarte kritisch zu evaluieren und gegebenenfalls zu intensivieren,
- bei den Staatsanwaltschaften Abteilungen für die Verfolgung von rechtsterroristisch bzw. rechts motivierten Straftaten einzurichten und sie finanziell und personell mit adäquaten Mitteln auszustatten,
bei der Polizei und bei den Ordnungsbehörden verpflichtende Schulungen zu interkultureller Kompetenz anzubieten.