Antrag 83/II/2025 Statistik heilt keine Seele – Bedarfsplanung reformieren, Kassenplätze schaffen

Status:
Annahme mit Änderungen

„Berlin ist überversorgt.“ So lautet die offizielle Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung zur psychotherapeutischen Versorgung in der Hauptstadt. Überversorgt – obwohl in vielen Berliner Bezirken Patient*innen über ein halbes Jahr auf einen Therapieplatz warten. Überversorgt – obwohl Kinder, Jugendliche und Studierende häufig keine Behandlung erhalten, bevor sich ihre Symptome verschärfen oder chronifizieren. Überversorgt – obwohl laut der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in der Versorgung hunderttausende Therapieplätze bundesweit fehlen. Was läuft hier schief?

 

Die Antwort liegt in einem veralteten, starren und realitätsfernen System: Die Bedarfsplanung für psychotherapeutische Kassensitze in Deutschland basiert bis heute auf einem statistischen Schlüssel aus dem Jahr 1999. Laut § 101 SGB V sowie der Bedarfsplanungsrichtlinie des G-BA wird der Bedarf ausschließlich anhand der Bevölkerungszahl eines Planungsbezirks berechnet – derzeit mit einem Richtwert von 1 Psychotherapeut*in pro 3.344 Menschen in Städten und 1:6.084 auf dem Land. Ein Versorgungsgrad über 110 % gilt dabei bereits als „Überversorgung“ – auch wenn real hunderttausende Menschen keine Hilfe bekommen.

 

Diese Berechnung ignoriert zentrale Einflussfaktoren: Morbidität, Altersstruktur, Sozialstruktur, psychische Belastung, Wartezeiten oder regionale Besonderheiten spielen keine Rolle. So kommt es dazu, dass trotz enormer Nachfrage keine neuen Kassensitze genehmigt werden – obwohl Wartezeiten regelmäßig mehr als 20 Wochen betragen.

 

Laut dem G-BA-Gutachten von 2018 fehlen bundesweit mindestens 2.400 Kassensitze, allein in Berlin wären nach Berechnungen der Bundespsychotherapeutenkammer mehr als 300 zusätzliche Sitze notwendig, um die Versorgung zu sichern. Gleichzeitig sind viele Praxen überlastet, neue Kassensitze können aber kaum gegründet werden – sie müssen teuer auf dem Sekundärmarkt gekauft werden, oft für 150.000–250.000 €, was den Zugang zusätzlich finanziell selektiv macht.

 

Deshalb fordern wir:

 

  • Eine grundlegende Überarbeitung und Modernisierung des Bedarfsberechnungsschlüssels: Neuevaluation alle drei Jahre unter Einbeziehung der Krankenkassendaten (ICD-F-Codes), Altersverteilung, Armutsquote, Migrationsanteil, Wartezeiten und psychischer Belastung. In Ausnahmefällen, wie z.B. einer pandemischen Lage, in der die psychische Belastung innerhalb der Bevölkerung stark ansteigt, muss es auch möglich sein, kurzfristig neue (und auch temporäre Kassensitze) zur Bewältigung der Situation zu schaffen
  • Eine deutliche Senkung des Versorgungsschlüssels in Berlin zu 1 Kassensitz pro 2.000 Menschen.
  • Flexible Kassensitzmodelle mit halben Sitzen, Tandemsitzen und Modellen gemeinsamer Versorgung in Teamstrukturen (z. B. Sozialpsychiatrische Zentren).
  • Reformierung der Vergabepraxis: In Regionen mit systematisch überhöhten Wartezeiten muss es auch bei rechnerischer Überversorgung möglich sein, neue Sitze zu vergeben.
  • Sicherzustellen, dass bis zu einer Reform des Vergabesystems, sozial schwache Haushalte ohne hohen bürokratischen Aufwand und Nachweis über Absage von Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz, den Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung von qualifiziertem Personal erhalten.
  • Transparenz über die Verfügbarkeit von Therapieplätzen und Gruppenangeboten in Form von einem landesweiten Register stärken
  • Eine Ausweitung und ausreichende Finanzierung von Zentren und Ambulanzen für Psychotherapieist zur Entlastung von Kassensitzen und besonders zur ausreichenden Versorgung während Notständen oder anderweitigen Engpässen in der Versorgungsinfrastruktur sicherzustellen
  • den Berliner Senat auf, bei der Vergabe von Geldern durch das Land in Infrastrukturprojekte, welche durch das zukünftige Länder- und Kommuneninfrastrukturierungsgesetz (LuKIFG) an das Land Berlin gehen, die psychotherapeutische Versorgung priorisiert wird.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme in der Fassung der AK (Konsens)
Fassung der Antragskommission:

Der Bundesparteitag möge beschließen:

 

„Berlin ist überversorgt.“ So lautet die offizielle Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung zur psychotherapeutischen Versorgung in der Hauptstadt. Überversorgt – obwohl in vielen Berliner Bezirken Patient*innen über ein halbes Jahr auf einen Therapieplatz warten. Überversorgt – obwohl Kinder, Jugendliche und Studierende häufig keine Behandlung erhalten, bevor sich ihre Symptome verschärfen oder chronifizieren. Überversorgt – obwohl laut der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) in der Versorgung hunderttausende Therapieplätze bundesweit fehlen. Was läuft hier schief?

 

Die Antwort liegt in einem veralteten, starren und realitätsfernen System: Die Bedarfsplanung für psychotherapeutische Kassensitze in Deutschland basiert bis heute auf einem statistischen Schlüssel aus dem Jahr 1999. Laut § 101 SGB V sowie der Bedarfsplanungsrichtlinie des G-BA wird der Bedarf ausschließlich anhand der Bevölkerungszahl eines Planungsbezirks berechnet – derzeit mit einem Richtwert von 1 Psychotherapeut*in pro 3.344 Menschen in Städten und 1:6.084 auf dem Land. Ein Versorgungsgrad über 110 % gilt dabei bereits als „Überversorgung“ – auch wenn real hunderttausende Menschen keine Hilfe bekommen.

 

Diese Berechnung ignoriert zentrale Einflussfaktoren: Morbidität, Altersstruktur, Sozialstruktur, psychische Belastung, Wartezeiten oder regionale Besonderheiten spielen keine Rolle. So kommt es dazu, dass trotz enormer Nachfrage keine neuen Kassensitze genehmigt werden – obwohl Wartezeiten regelmäßig mehr als 20 Wochen betragen.

 

Laut dem G-BA-Gutachten von 2018 fehlen bundesweit mindestens 2.400 Kassensitze, allein in Berlin wären nach Berechnungen der Bundespsychotherapeutenkammer mehr als 300 zusätzliche Sitze notwendig, um die Versorgung zu sichern. Gleichzeitig sind viele Praxen überlastet, neue Kassensitze können aber kaum gegründet werden – sie müssen teuer auf dem Sekundärmarkt gekauft werden, oft für 150.000–250.000 €, was den Zugang zusätzlich finanziell selektiv macht.

 

Deshalb fordern wir:

 

  • Eine grundlegende Überarbeitung und Modernisierung des Bedarfsberechnungsschlüssels: Neuevaluation alle drei Jahre unter Einbeziehung der Krankenkassendaten (ICD-F-Codes), Altersverteilung, Armutsquote, Migrationsanteil, Wartezeiten und psychischer Belastung. In Ausnahmefällen, wie z.B. einer pandemischen Lage, in der die psychische Belastung innerhalb der Bevölkerung stark ansteigt, muss es auch möglich sein, kurzfristig neue (und auch temporäre Kassensitze) zur Bewältigung der Situation zu schaffen
  • Diese dringend notwendige Reform ist eine politische Aufgabe und kann nicht ausschließlich der Selbstverwaltung von Ärzten*innen, Krankenhäusern und Krankenkassen im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) überlassen bleiben.“
  • Eine deutliche Senkung des Versorgungsschlüssels in Berlin zu 1 Kassensitz pro 2.000 Menschen.
  • Flexible Kassensitzmodelle mit halben Sitzen, Tandemsitzen und Modellen gemeinsamer Versorgung in Teamstrukturen (z. B. Sozialpsychiatrische Zentren).
  • Reformierung der Vergabepraxis: In Regionen mit systematisch überhöhten Wartezeiten muss es auch bei rechnerischer Überversorgung möglich sein, neue Sitze zu vergeben.
  • Sicherzustellen, dass bis zu einer Reform des Vergabesystems, sozial schwache Haushalte ohne hohen bürokratischen Aufwand und Nachweis über Absage von Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz, den Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung von qualifiziertem Personal erhalten.
  • Transparenz über die Verfügbarkeit von Therapieplätzen und Gruppenangeboten in Form von einem landesweiten Register stärken
  • Eine Ausweitung und ausreichende Finanzierung von Zentren und Ambulanzen für Psychotherapieist zur Entlastung von Kassensitzen und besonders zur ausreichenden Versorgung während Notständen oder anderweitigen Engpässen in der Versorgungsinfrastruktur sicherzustellen
  • den Berliner Senat auf, bei der Vergabe von Geldern durch das Land in Infrastrukturprojekte, welche durch das zukünftige Länder- und Kommuneninfrastrukturierungsgesetz (LuKIFG) an das Land Berlin gehen, die psychotherapeutische Versorgung priorisiert wird.

 

Beschluss: Annahme mit Änderungen
Beschluss-PDF:
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