Wir fordern die deutsche Bundesregierung und insbesondere die SPD dazu auf, in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf ein geeintes und eigenständig handlungsfähiges Europa hinzuwirken.
Folgende Maßnahmen sind hierbei essentiell:
I. Bessere europäische Koordinierung der nationalstaatlichen Rüstungsbeschaffung sowie des Rüstungstransports:
Die bisherigen europäischen Beschaffungen erfolgen – abgesehen von wenigen positiven Ausnahmen – zu unkoordiniert und mit einem zu starken Fokus auf den nationalstaatlichen Rahmen. Eine bessere Koordinierung ist sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus politischen Gründen notwendig. Wirtschaftlich ermöglicht die gemeinsame Beschaffung Skaleneffekte und Effizienzgewinne, wodurch die Stückkosten gesenkt werden. Politisch ist eine engere Abstimmung erforderlich, um eine tatsächlich integrierte europäische Verteidigungspolitik zu verwirklichen. Mit einer erneuten Trump-Administration besteht die Gefahr, dass US-Sicherheitsgarantien an den Erwerb US-amerikanischer Rüstungsgüter gekoppelt werden. Dies könnte die europäische rüstungsindustrielle Basis schwächen und weiter fragmentieren. Eine koordinierte europäische Beschaffungspolitik, einschließlich einer verstärkten Integration der Rüstungsproduktion, kann dieser Entwicklung entgegenwirken.
Der EU-interne Transport von Rüstungsgütern sollte angesichts der sich zuspitzenden Bedrohungslage ebenfalls unter den freien Warenverkehr fallen (aktuelle durchschn. Bearbeitungszeit von Freigabeanträgen umfasst 3-5 Tage), um eine schnelle Verlagerung von Verteidigung der EU-Außengrenzen essenzielle Rüstungsgüter im Angriffsfall ohne unnötige Verzögerung garantieren zu können.
II. Gemeinsame Kreditaufnahme zur Finanzierung der europäischen Wehrhaftigkeit:
Um eine stärkere Koordinierung und Skalierung der EU-Rüstungsbeschaffung zu ermöglichen, sollte sich die Bundesregierung für eine Aktivierung der sogenannten „Escape Clause“ aufgeben. Diese Regelung erlaubt es den EU-Mitgliedstaaten, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, ohne dass diese auf die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgeschriebene Begrenzung des Haushaltsdefizits angerechnet werden. Eine solche Ausnahmeregelung würde den Mitgliedstaaten dringend benötigten finanziellen Spielraum verschaffen, um in die europäische Verteidigungsfähigkeit zu investieren, ohne fiskalische Zwänge zu verschärfen.
Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung nicht nur für die Möglichkeit einer gemeinsamen Kreditaufnahme zur Finanzierung von Rüstungsgütern – den sogenannten „Defense Bonds“ – öffnen, sondern sich aktiv für deren zeitnahe Umsetzung einsetzen. Eine solche europäische Finanzierungsstruktur würde es ermöglichen, groß angelegte Investitionen in Verteidigungsprojekte zu tätigen, ohne dass einzelne Mitgliedstaaten unverhältnismäßig belastet werden. Zudem würde eine koordinierte Kreditaufnahme die europäische Rüstungsindustrie stärken, den Aufbau strategischer Autonomie fördern und die Abhängigkeit von Drittstaaten verringern.
III. Beschaffungskompetenzen mittel- bis langfristig auf EU-Ebene verlagern
Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) sollte mittel- bis langfristig erweiterte Kompetenzen erhalten, um ihre Entwicklung zu einer echten europäischen Beschaffungsbehörde voranzutreiben. Dies sollte neben der zentralen Koordinierung von Beschaffungsprozessen auch die Verwaltung gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsbudgets umfassen. Eine solche Institutionalisierung würde nicht nur die Effizienz der europäischen Verteidigungsbeschaffung steigern, sondern auch Innovationen gezielter fördern und eine nachhaltige industrielle Basis für die europäische Rüstungsindustrie schaffen.
Dabei sollten europäische und nationale Beschaffungsbehörden weiterhin parallel existieren, gemäß dem Prinzip der Subsidiarität. Während kleinere und mittlere Rüstungsprojekte auf nationaler Ebene oder in bilateralen Kooperationen organisiert bleiben können, sollten die kapitalintensivsten Projekte auf EU-Ebene gemanagt werden. Dies betrifft insbesondere Waffensysteme und Plattformen, deren Entwicklung und Produktion für einzelne Mitgliedstaaten finanziell nicht tragbar wäre und bei denen Skaleneffekte eine entscheidende Rolle spielen.
Darüber hinaus sollte die Einbindung Großbritanniens in europäische Verteidigungsinitiativen ähnlich der Beteiligung Norwegens an EU-Verteidigungsprogrammen gestaltet werden. Dies würde es dem Vereinigten Königreich ermöglichen, an gemeinsamen Beschaffungs- und Entwicklungsprojekten teilzunehmen, ohne eine EU-Mitgliedschaft vorauszusetzen. Angesichts der weiterhin engen militärischen und sicherheitspolitischen Verflechtung Großbritanniens mit der EU wäre eine solche Kooperation sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus strategischer Sicht sinnvoll.
Um den schnelleren Innovationszyklen moderner Technologien gerecht zu werden, müssen zudem neue Mechanismen für operationelle Tests geschaffen werden. Gemeinsame Test- und Evaluierungsprogramme mit anderen europäischen Streitkräften würden es ermöglichen, neue Technologien unter realen Bedingungen schneller zu erproben und ihre Einsatzreife zu beschleunigen. Dies könnte beispielsweise durch multinationale Testeinheiten, gemeinsame Übungsszenarien oder spezialisierte Testzentren erfolgen. Eine solche europäische Innovations- und Teststrategie würde dazu beitragen, technologische Überlegenheit zu sichern und den zeitlichen Rückstand in der Entwicklung neuer Waffensysteme im Vergleich zu globalen Akteuren zu verringern.
IV. Schnellere Umsetzung des Aufbaus eines eigenständigen europäischen Pfeilers innerhalb der NATO
Die Kommando- und Operationsstrukturen europäischer Streitkräfte sollten nicht länger zwingend auf eine Mitwirkung des US-Militärs ausgerichtet sein. Während die transatlantische Partnerschaft weiterhin eine zentrale Säule der europäischen Sicherheit bleibt, muss Europa in der Lage sein, eigenständig militärische Operationen in verschiedenen Szenarien durchzuführen – von Krisenbewältigung und Stabilisierungseinsätzen bis hin zu großangelegten Verteidigungsoperationen.
Dafür ist eine umfassende Verbesserung der militärischen Fähigkeiten auf mehreren Ebenen erforderlich. Neben der Modernisierung der materiellen Ausstattung, einschließlich logistischer Kapazitäten, Kommunikations- und Aufklärungssysteme sowie strategischer Luft- und Seetransportmittel, müssen auch die Trainings- und Ausbildungsziele europäischer Streitkräfte gezielt angepasst werden. Der Fokus sollte stärker auf eigenständige Kommando- und Entscheidungsstrukturen, die Interoperabilität zwischen europäischen Streitkräften und die Fähigkeit zur schnellen Reaktionsbereitschaft gelegt werden.
Ein zentraler Aspekt ist zudem der Ausbau und die bessere Nutzung bestehender europäischer Kommandozentralen, wie dem Military Planning and Conduct Capability (MPCC) der EU, um eigenständige militärische Führungskapazitäten zu gewährleisten. Parallel dazu müssen multinationale europäische Verbände, wie die EU-Battlegroups oder die NATO Response Force (NRF), konsequent weiterentwickelt und in ihrer Einsatzfähigkeit verbessert werden.
Konkrete Schritte zur Stärkung der Interoperabilität umfassen auch die Bildung multinationaler Bataillone (z.B. deutsch-französisch-niederländische Einheiten) und die Harmonisierung von Disziplinarrecht sowie Dienstgradabzeichen. Eine gemeinsame Rechtsstelle im BMVg könnte bei der Umsetzung des Disziplinarrechts unterstützen nicht-deutsche Kommandeure unterstützen.
Diese Maßnahmen zielen nicht darauf ab, die USA innerhalb der NATO zu isolieren oder die transatlantische Sicherheitsarchitektur infrage zu stellen. Vielmehr geht es darum, die europäische Handlungsfähigkeit zu stärken und eine gleichberechtigtere Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses zu erreichen. Eine militärisch eigenständig agierende EU würde auch die Glaubwürdigkeit der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erhöhen und Europa unabhängiger von geopolitischen Entwicklungen in den USA machen.
V. Ausbau der nuklearen Teilhabe über Frankreich und Großbritannien
Angesichts der schwindenden Verlässlichkeit des US-amerikanischen nuklearen Schutzschirms für Europa muss die Europäische Union zeitnah Gespräche mit Frankreich und Großbritannien über eine erweiterte nukleare Teilhabe führen. Diese beiden europäischen Nuklearmächte sollten als Garanten einer eigenständigen europäischen Abschreckungspolitik fungieren, um die strategische Sicherheit Europas langfristig zu gewährleisten.
Ein solcher Schritt erfordert eine umfassende Neubewertung der nuklearen Abschreckungsstrategie der EU sowie eine detaillierte Analyse der politischen, militärischen und finanziellen Implikationen. Dazu gehört die Frage, inwieweit europäische Staaten über eine engere Einbindung in die französischen und britischen Nuklearstrategien mitbestimmen könnten – etwa durch gemeinsame Planungsmechanismen, abgestimmte Abschreckungsdoktrinen oder die Bereitstellung logistischer und technologischer Unterstützung.
Zudem müsste eine grundsätzliche Neuverteilung der Verteidigungslasten innerhalb der EU erfolgen, um die Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses aufrechtzuerhalten. Während Frankreich und Großbritannien die nukleare Komponente bereitstellen, könnten andere EU-Mitgliedstaaten – insbesondere Deutschland – durch verstärkte Investitionen in konventionelle Rüstungsgüter und Trägersysteme zur Gesamtfähigkeit beitragen.
VI. Priorisierung der Sanierung von für die Landes- und Bündnisverteidigung notwendiger Infrastruktur:
Um der Rolle Deutschlands als europäische Drehscheibe für den militärischen Transport gerecht zu werden muss die Sanierung und Erneuerung verteidigungsrelevanter Infrastruktur finanziert durch das Infrastruktursondervermögen priorisiert werden. Insbesondere müssen jene 10 % der Straßen ausgebaut werden, die derzeit den Transport militärischen Großgeräts nicht ermöglichen. Öffentliche Infrastrukturinvestitionen sollten gezielt darauf ausgerichtet sein, logistische Engpässe zu beseitigen und die Mobilität europäischer Streitkräfte zu verbessern.
Diese Maßnahme ist essentiell, da die schnelle Verlegung von Truppen und schwerem Gerät im Krisen- oder Verteidigungsfall eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur erfordert. Derzeit sind jedoch zahlreiche Straßen, Brücken und Schienenwege nicht auf die hohen Achslasten und Dimensionen moderner Militärfahrzeuge ausgelegt. Dies führt zu erheblichen Einschränkungen bei der strategischen Truppenverlegung und könnte im Ernstfall die Reaktionsfähigkeit europäischer Streitkräfte erheblich verzögern. Eine Koordinierung mit der Connecting Europe Facility (CEF) sollte erfolgen, um die Finanzierung dieser Projekte sicherzustellen.
VII. Etablierung europäischer Test- und Experimentierzentren für die zivil-militärische Forschung und Entwicklung
Angelehnt an die von der Marine 2024 durchgeführten „OpEx“ soll den europäischen Streitkräften sollten europäische Streitkräfte regelmäßige Test- und Experimentierprogramme für die Entwicklung und Integration neuer Technologien etablieren. Diese Testzentren würden eine zentrale Rolle bei der Erprobung neuer militärischer Fähigkeiten spielen und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit der zivilen Forschungs- und Innovationslandschaft fördern.
Europäische Test- und Experimentierzentren für die zivil-militärische Forschung und Entwicklung sollten gezielt eingerichtet werden, um technologische Innovationen schneller und effizienter in die Streitkräfte zu integrieren. Dabei ist eine teilweise Dezentralisierung der Beschaffung notwendig, um flexiblere und anwendungsnahe Entwicklungs- und Testverfahren zu ermöglichen. Durch diese Zentren können neue militärische Plattformen, autonome Systeme und künstliche Intelligenz unter realistischen Bedingungen erprobt sowie Dual-Use-Technologien aus der zivilen Wirtschaft in militärische Anwendungen integriert werden. Darüber hinaus können die Testzentren auch für zivile Sicherheitsanwendungen wie Katastrophenschutz oder Cybersicherheit genutzt werden.