Wohnungsmangel, rasante Mietsteigerungen, immer mehr Eigenbedarfskündigungen und schleppender Neubau haben das Thema Mieten und Wohnen inzwischen zur neuen sozialen Frage und zu einer gigantischen Wachstumsbremse für Berlin gemacht. Zahlreiche Unternehmen können inzwischen Bewerberinnen und Bewerber mit einem Wohnsitz außerhalb Berlins nicht mehr einstellen, weil diese keine bezahlbare Wohnung finden. Das bremst die Entwicklung der ganzen Stadt. Vor allem auch, weil zusätzlich Umzug und Zuzug zu einem echten sozialen Risiko in Berlin geworden ist. Verschärft wird es noch durch die wachsende Zahl der Eigenbedarfskündigungen und Sanierungsumwandlungen.
Im Jahr 2021 haben die Berlinerinnen und Berliner eine klare Entscheidung getroffen, die wir nicht ignorieren können. Mit dem „Deutsche Wohnen enteignen“-Volksbegehren haben sie der Politik das klare Signal gesendet: „Tut etwas“ und „Vergesellschaftung muss wieder eine Augenhöhe im Markt herstellen“.
Berlin braucht jetzt ein grundlegendes Umsteuern in der Bau- und Mieten-Politik. Wir sind überzeugt, dass ein bloßes Fortschreiben kleinteiliger Antworten, ständige Appelle zur besseren Zusammenarbeit von Bezirken und Land, auch die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse gerade bei Planung und Genehmigung allein nicht helfen werden, die beschriebene Situation grundlegend zu verändern und die fehlenden über 110.000 bezahlbaren Wohnungen in den kommenden Jahren zu bauen. So wichtig bessere, schnellere, einfachere Verwaltungsverfahren und Zuständigkeiten, aber auch der Kampf um jedes noch so kleine Wohnungsprojekt sind, Berlin muss als europäische Metropole groß denken und handeln, sonst wird die Stadt einen sozialen und ökonomischen Kollaps erleben.
Darum haben wir im Folgenden sechs Eckpunkte formuliert, die uns leiten sollen. Oftmals wird es auch darum gehen, zu überlegen, wie diese Zielsetzungen konkret von einem SPD geführten Senat umgesetzt werden können. Aber wir wollen ein Gelingen ermöglichen und nicht ängstlich vor den Herausforderungen zurückzucken.
Eckpunkt 1 – Berlin braucht einen neuen Stadtteil (13. Bezirk)
Wir müssen den Mut zu großen Lösungen und Visionen im Wohnungsbau haben, denn Berlins Kollaps kann nur verhindert werden, wenn wir uns mutig zum Wohnungsbau bekennen. Darum müssen wir einen dreizehnten Stadtbezirk erbauen.
Was verstehen wir darunter?
Wir benötigen in den nächsten zehn Jahren einen großflächigen Zubau in der Größenordnung eines neuen Bezirks in Berlin mit rund 200.000 Wohnungen für bis zu 400.000 Menschen. Dieser 13. Bezirk wird nicht an einem einzigen Ort entstehen, sondern ganz Berlin wird gemeinsam diese Kraftanstrengung aufbringen müssen. In den bereits vom Senat benannten 24 Neuen Stadtquartieren sollen über 62.000 Wohnungen für rund 125.000 Menschen in Berlin entstehen. Wir wollen, dass diese Quartiere in Verantwortung des Senats vom AGH konsequent genehmigt und dann in kurzer Zeit gebaut werden. Dazu ist es erforderlich, dass die heute für Flüchtlingsbauten geltenden beschleunigten Regelungen des §246 BauGB in unserer dramatischen Wohnungsnot für ganz Berlin für alle Neubauten angewendet werden können. Hierzu machen wir bei der nächsten Bundesregierung Druck.
Eine solche Neubauoffensive im Umfang eines ganzen neuen Bezirks erfordert aber auch, dass wir bereit sind ganz neue Stadtteile zu denken, zu planen und zu genehmigen – sie am Ende aber auch durch- und umzusetzen. Wir sehen insbesondere das Tempelhofer Feld und Gebiete des ehemaligen Flughafens Tegel als besonders gut geeignet an, da sie auch infrastrukturell zumindest teilweise erschlossen sind. Wir wollen bis 2035 hier in großem Maße Städtebau betreiben.
Für das Tempelhofer Feld würde das bedeuten, dass wir den versiegelten Teil des Tempelhofer Feldes für den Bau von Wohnungen für genossenschaftliche Projekte, selbstbewohntes Eigentum und bezahlbare Mieten in Hand der landeseigenen Wohnungsunternehmen nutzen. Zugleich soll ein städtebaulicher Vertrag garantieren, dass die verbleibenden 70% des Tempelhofer Feldes über die nächsten 50 Jahre der Naherholung, der Grünfläche und der Freizeitnutzung garantiert zur Verfügung stehen und nicht bebaut werden dürfen. Wir wollen, dass Berlin sich hierfür für eine Internationale Bauausstellung bewirbt, sodass hier in den nächsten Jahren auch ein städtebaulich attraktiver, innovativer und nachhaltiger Stadtteil entsteht, der mit entsprechender Verkehrs-, Bildungs- und sozialer Infrastruktur ausgestattet wird. So könnte auf das Tempelhofer Feld ein weltweites Vorbild werden, wie nachhaltiges und sozial gerechtes Wohnen für bis zu 80.000 Menschen in der Metropole zukünftig aussehen kann.
Eckpunkt 2 – mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen
Wir wollen mehr Menschen bezahlbares Wohnen ermöglichen. Das beinhaltet ausdrücklich das Recht auf Wohnen in der eigenen Wohnung. Darum müssen wir deutlich mehr für Genossenschaften und für selbstbewohntes Eigentum tun. Dies soll daher auch im Zentrum des „neuen Bezirks“ in Berlin stehen. Dort sollen Menschen nicht nur zur Miete wohnen, sondern die Chance auf das Wohnen im Eigentum haben. Denn dies ist langfristig das bezahlbarste Wohnen und der beste Schutz vor Altersarmut. Darum werden wir ein Konzept erarbeiten, wie wir dies für Menschen mit mittleren Einkommen möglich machen. Ein Baustein kann dabei die Reduktion der Grunderwerbssteuer für die erste eigene selbstbewohnte Wohnung sein.
Daneben sind noch zwei weitere Ansätze wichtig: Aktuell ist Bauen von Flüchtlingsbauten (MUF) das einzige Instrument, bezahlbares Wohnen schnell und in Größenordnungen zu ermöglichen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie den entsprechenden §246 BauGB deutlich ausweitetet und über Flüchtlingsbauten hinaus anwendbar macht. Berlin muss endlich den Mut haben, vergleichbar zu Hamburg, mit Hilfe des §246 BauGB schnell und großflächig zu bauen. Dies wollen wir durch die Schaffung eines überragenden öffentlichen Interesses für neuen Wohnraum (z. B. für die Dauer von fünf Jahren) rechtlich absichern.
Hamburg hat auch gezeigt, dass binnen eines Jahres ganze Quartiere hochgezogen werden können, in nachhaltiger Bauweise, die zuerst einzelnen Gruppen zur Verfügung stehen, dann aber schrittweise im gesamten Wohnungsmarkt angeboten werden können. Allein die Zahl der unzureichend versorgten Flüchtlinge in Berlin rechtfertigt weit über 30.000 MUF-Bauten in der Stadt.
Ein zweiter Ansatz ist die Umwandlung von leerstehenden Bürogebäuden und die Nutzung ungenutzter Flächen in Gewerbehöfen in Mischgebieten. Da inzwischen der fehlende Wohnraum in Berlin das Haupthindernis für die Gewinnung von Fachkräften für Unternehmen ist (viele Unternehmen sortieren inzwischen Bewerbungen von Interessentinnen und Interessenten ohne Berliner Wohnsitz aus), muss ein neuer Konsens für die Nutzung solcher Gebiete gefunden werden, um diese Objekte gemeinsam mit der Wirtschaft weiterzudenken (Stichwort: Betriebs- oder Mitarbeiterwohnen).
Eckpunkt 3 – neue Investoren für den Wohnungsmarkt gewinnen
Wir wissen, dass Berlin für den „neuen Bezirk“ private Investoren benötigt. Daher wollen wir sie ermutigen, sich auch künftig aktiv am Wohnungsbau zu beteiligen und zusätzlich aktiv neue Investoren nach Berlin holen, die bislang noch nicht auf dem hiesigen Bau- und Wohnungsmarkt aktiv sind. Wir sehen ein Potenzial, gemeinsam mit dynamisch wachsenden oder sich in Berlin neu ansiedelten Unternehmen Betriebswohnungen und Junges Wohnen für Auszubildende (und Studierende) in Angriff zu nehmen und zu befördern. Siemensstadt zeigt, dass dies für Unternehmen ebenso interessant sein kann wie für Berlin.
Wenn wir dieses Bekenntnis zum privaten Bauen ernstnehmen, müssen wir aber auch massive Störfaktoren beseitigen, die derzeit privates Bauen behindern oder verhindern. Das Schneller Bauen Gesetz, das Senator Gäbler und die Koalition durchgesetzt hat, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dabei muss aber immer gelten: Das Ziel ist bezahlbares Wohnen, nicht hochpreisiges Wohnen.
Eckpunkt 4 – Bau- und Wohnkosten senken
Wir müssen die Kosten des Bauens und des Wohnens senken. Nur dann können wir bezahlbare Mieten und bezahlbare Nebenkosten sicherstellen. Wir sehen dafür zwei wesentliche Ansätze:
Erstens, in der Wärmewende dürfen wir den Fokus nicht ausschließlich auf die Gebäudehülle legen. Faktisch reicht in Berlin die Wärmepumpenfähigkeit in der Sanierung und der KfW55 Standard im Neubau aus, wenn wir dekarbonisierte Wärmenetze (Fernwärme und Nahwärme) als Rückgrat und als Solidargemeinschaft der Daseinsvorsorge verstehen und planen.
Ein weiterer Punkt sind die Gesetze und Regeln in Deutschland, die Innovationen und vor allem industrielle Produktion am Bau (z. B. durch serielles Bauen) behindern. Serielles Bauen halbiert nicht nur die Bauzeiten, sondern senkt die Kosten um mindestens 20% und vereinfacht zirkuläres, klimaneutrales und nachhaltiges Bauen. In Verbindung mit den richtigen nachhaltigen Materialien kann insbesondere der modulare Holzbau dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen und CO2 aus der Atmosphäre zu binden. Der Einbezug von sogenannten Life Cycle Assessments ermöglicht es, eine Grundlage zu schaffen, auf der technologieoffen die beste Lösung gefunden werden kann (bspw. Holz, CO²-bindende Betone, CO2-arme Herstellung von Zement, etc.). Zement und Stahl werden bereits durch nachhaltige Label zertifiziert (LESS und CCS). Diese sollen zum Einsatz kommen. Berlin und Brandenburg sollten gemeinsam das nachhaltige Bauen systematisch zu einem wirtschaftlichen Schwerpunkt der Region auszubauen.
Eckpunkt 5 – offensive Bodenpolitik
Dreh- und Angelpunkt einer neuen Stadtpolitik sind Grund und Boden. Darum braucht es nicht nur eine aktive Bodenpolitik, wie sie die SPD in den letzten Jahren in Berlin eingeführt hat, sondern eine offensive Bodenpolitik. Das bedeutet, wir müssen nicht nur landeseigenen Grund und Boden im Landesbesitz halten (und nur über Erbbaurecht zur Verfügung stellen), sondern auch offensiv Boden aufkaufen. Wir halten es für richtig, den Kern der Ankaufstrategie des Landes neu auszurichten: Denn der Erwerb bereits bewohnter Wohnungen entlastet den Markt nicht. Stattdessen sollte das Land vorrangig Grundstücke aufkaufen, z.B. vom Bund, der Bahn oder auch von zahlungsunfähigen Investoren. Berlin muss Druck für mehr landeseigene Flächen machen. Und Berlin muss landeseigene Flächen wie in Tempelhof und Tegel auch aktiv für den Wohnungsbau nutzen.
Ein wichtiger Beitrag für eine aktive Bodenpolitik ist eine verbesserte Datengrundlage. Dies ist u. a durch digitalisierte Register zu Baulücken, Leerstand, bewusster „Entmietung“, möglicher Nachverdichtung, Brachflächen etc. möglich.
Eckpunkt 6 – Geltendes Recht konsequent durchsetzen und Spekulanten entgegentreten
Die SPD muss deutlich machen, dass sie gravierende Regelverletzungen im Wohnungsmarkt nicht mehr duldet und mit aller Härte gegen Spekulation, Leerstand, überbewertete Grundstücke, leerstehende Büroräume usw. vorgehen wird.
Überall dort, wo Immobilien und Boden entweder gesetzeswidrig genutzt werden oder diese über mehrere Jahre nicht ihrer eigentlichen vorgesehenen Nutzung zugeführt werden, wird Berlin künftig eingreifen. Das Vergesellschaftungsrahmengesetz soll hier den Handlungsrahmen bieten. Damit kommen wir dem Votum der Berlinerinnen und Berliner nach, ohne ganze Wohnungsunternehmen zu enteignen oder zehntausende bewohnte Wohnungen zu erwerben, für die das Land nicht die finanziellen Mittel hat. Uns geht es um die Bekämpfung des bewusst regelwidrigen Verhaltens von Eigentümern, die durch die Nichtvermietung der Allgemeinheit Schaden zufügen. Wir sind der festen Überzeugung, dass schon die bloße Existenz eines solchen Gesetzes, spekulativ agierende Entwickler und Eigentümer zum Rückzug bewegen wird. Wir müssen erkennen, dass die Berlinerinnen und Berliner mit ihrem Votum zur Enteignung eines glasklar fordern: Wer sich nicht an Regeln hält, dessen Eigentum vergesellschaften wir. Ein Beitrag zur Durchsetzung geltenden Rechts ist die Schaffung von Transparenz bei Bestands- und Neumieten. Die Umsetzung dessen kann von einer entsprechenden App bis hin zu einem digitalen Mietwohnungskataster reichen.