Antrag 60/II/2018 Den neoliberalen Renditewahn stoppen - Für mutige Schritte gegen die Wohnungskrise

Status:
Erledigt

Berlin ist eine pulsierende Metropole. Immer mehr Menschen strömen in die Stadt. Doch die Popularität Berlins zieht auch internationale Investor*innen an, die in Zeiten der Niedrigzinspolitik der EZB ihr Kapital in den Wohnungsmarkt geben. Das hat u.a. zur Folge, dass die Mieten seit Jahren konstant steigen, allein in Berlin in den letzten Jahren um mehr als 80%. Der Zustrom in die Stadt und die Verknappung sowie Verteuerung von Wohnraum stellt die Stadtgesellschaft vor eine zunehmend schwer auszuhaltende Belastung. Auf der einen Seite fürchten Mieter*innen, die seit Jahrzehnten in Wohnungen wohnen, die Verdrängung aus ihren angestammten Kiezen. Menschen, die neu nach Berlin gekommen sind auf der anderen Seite sehen sich im ständigen Wettbewerb um bezahlbaren und doch sehr knappen Wohnraum. Beide Seiten sind jeweils der Spielball international agierender und auf Profit ausgerichteter Immobilienunternehmen. Das grundsätzliche Dilemma liegt dabei in dem Widerspruch, den Wohnraum als Ware aufzufassen, die je nach Bedarf produziert bzw. zur Verfügung gestellt werden kann. Dem ist mitnichten so! Gerade wenn wir uns angucken, dass knapp 300.000 bezahlbare Wohnungen in Berlin gemessen am Einkommen fehlen. Private Immobiliengesellschaften sind nicht daran interessiert, dem grundrechtlichen Anspruch nachzukommen und Wohnungen für alle Mieter*innen zu bauen. Im Gegenteil, denn der private Wohnungsmarkt richtet sich vor allem nach Kapitalverwertung und damit -maximierung zu erzielen. Die dem privaten Wohnungsmarkt zugrunde liegende Systematik tut alles, um die Nachfrage an Wohnraum und letztlich den Gewinn zu steigern. Immobilien sind zur Wertanlage wohlhabender Menschen geworden, die ihren Reichtum durch Rendite auf dem Wohnungsmarkt vermehren wollen. So gesehen heizt die derzeitige Wohnungsnot den Wohnungsmarkt weiter an. Um es mit einem Satz zu sagen: investiert wird von privater Seite auf dem Wohnungsmarkt nur da, wo die Kosten gering und der Gewinn groß ist. Denn wenn Wohnungen oder ganze Häuser von Investor*innen für zwei-bis dreistellige Millionenbeträge gekauft werden, sind daran oft Renditeerwartungen geknüpft, die es zu erfüllen gilt. Das führt bei bestehenden Immobilien zu Mieterhöhungen und oftmals Verdrängung – wie der aktuelle Fall in der Lützowstraße zeigt. Der privatwirtschaftliche Kauf von Immobilien setzt allerorts eine Teuerungsspirale in Gang, wodurch a) der Mietspiegel erhöht, b) der Boden und c) das Bauen an sich teurer wird.

 

Letzteres zeigt sich beim Thema Neubau. Wir müssen leider feststellen, dass einerseits Anreize für private Investor*innen nicht den gewünschten Effekt haben. Oftmals wird einfach am Bedarf vorbei gebaut, denn um erworbene Grundstücke so rentabel wie möglich zu bebauen werden vor allem teure Eigentumswohnungen oder gar Luxuswohnungen in Innenstadtlage gebaut. Gleichzeitig bleibt der Anteil von Sozialwohnungen berlinweit verschwindend gering. Dabei stellt sich dieser Punkt bei genauerer Betrachtung als hausgemachtes Problem einer fehlgeleiteten Stadtentwicklungspolitik dar, das insbesondere durch den Verkauf von knapp 50% der landeseigenen Sozialwohnungen seit den 2000er zur Haushaltskonsolidierung entstanden ist. Nicht nur fehlen dadurch Wohnungen im niedrigen (sozialverträglichen) Preissegment. Durch die vielerorts geschehene Umwandlung in Eigentumswohnungen hat sich auch der Mietpreis in der Stadt erheblich verändert. Diese Entwicklung kann nur noch schwer aufgehalten werden. Die von Seiten des Senats geplante Wohnungsbauoffensive hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2021 knapp 100.000 neue Sozialwohnungen zu bauen. Doch diese sind im Angesicht von netto 50.000 Zugezogenen pro Jahr nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

 

Die Sozialdemokratie darf dem nicht länger zusehen. Seit jeher verfolgt unsere Partei den Anspruch, dass durch den Kapitalismus entstandene Ungleichgewicht in der Gesellschaft durch eine entsprechende soziale Politik auszugleichen. Gemeinsam stehen wir auch im Kontext der Mieten- und Wohnthematik an der Seite derjenigen, die vermeintlich hilflos Kapitalinteressen gegenüberstehen. Die Wohnraumfrage entwickelt sich vor allem in urbanen Ballungsgebieten wie Berlin immer deutlicher zu DER sozialen Frage unserer Stadtgesellschaft. Das durch die Wertsteigerung betriebene Geschäft mit dem menschlichen Grundbedürfnis “Wohnen” darf in einer solidarischen und freiheitlichen Gesellschaft keine Daseinsberechtigung finden. Verdrängung, Ausgrenzung, Konkurrenzdruck sind für uns Sozialdemokrat*innen keine Pfeiler einer lebenswerten Gesellschaft. Doch genau diese Mechanismen werden durch Profitlogiken des privaten Wohnungsmarktes freigesetzt! Die soziale Ungleichheit in der jetzigen Situation des angespannten Miet- und Wohnsituation zu beheben sowie mit neuen Ideen und Forderungen in die Öffentlichkeit zu gehen, ist dringender denn je. Und es ist ja nicht so, als gebe es keine Gegenmodelle: Genossenschaften oder kommunale Unternehmen können Wege einer Wohnraumversorgung ohne Profitinteresse ebnen. Doch bedarf es aktuell weitergehende und drastischere Maßnahmen, um der grassierenden Ungerechtigkeit etwas Wirkungsvolles entgegensetzen zu können. Unser erklärtes Ziel muss daher eine Vergesellschaft des Wohnraumes sein! Damit sprechen wir uns nicht gegen selbstgenutztes Wohneigentum aus, sondern gegen die profitorientierte unternehmerische Ausbeutung von Wohnraum! – doch Vergesellschaftung bedeutet für uns mehr als Verstaatlichung. Denn im neoliberalen Staat betreiben auch öffentliche Unternehmen Renditeoptimierung, die Autokratie der Vorstände entzieht sich jeder Kontrolle. Vergesellschaftung bedeutet für uns deshalb Demokratisierung hin zur Selbstverwaltung.

 

Nichtsdestotrotz wird auf mittelfristige Sicht nicht der gesamte städtische Boden in staatliche Hand überführbar sein. Daher müssen effektivere Regularien für den Umgang mit privatem Grund und Boden entwickelt werden. Personen, die ein Mietshaus besitzen und selbst innerhalb der Immobilie wohnen, stehen nicht im Fokus der gegenwärtigen Problematik. Vielmehr muss das Gewinnstreben reguliert und die Anzahl der von einer Person oder einem Unternehmen privat zu besitzenden Wohnungen begrenzt werden. Große private Wohnungsunternehmen müssen der Vergangenheit angehören.

 

Unsere Gesetze und Vorhaben müssen dabei auf die natürliche Struktur städtischer und ländlicher Räume angepasst werden. Je dichter ein Raum besiedelt ist, desto weniger Bodeneigentum darf in privater Hand sein. In hochverdichteten Städten wie Berlin sollte Boden im Sinne des Allgemeinwohls in staatlicher Hand sein, um über seine Nutzung demokratisch entscheiden zu können. Dabei gilt die Formel: Je dichter ein Siedlungsraum desto höher der Anteil an gemeinschaftlich verwalteten Flächen. Immer da, wo viele Menschen ein Gut nutzen, führt es zu Konflikten und Effizienzverlusten, wenn sich dieses Gut in privater Hand befindet. Daher werden die Straßen, Leitungen oder Kanalisation einer Stadt vom Staat bereitgestellt und verwaltet und nicht für jedes Haus privat organisiert. Stadt bedeutet immer gemeinschaftliche Nutzung des vorhandenen Raumes und der vorhandenen Güter. Doch eine kluge und nachhaltige Mieten- sowie Wohnraumpolitik kann nur gelingen, wenn alle Entscheidungsträger*innen, auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, sich der Dringlichkeit bewusst sind. Nur wenn die SPD geschlossen an einem Strang zieht, kann etwas bewegt werden, dass die Situation merklich verändert. Die aktuell im Bundeshaushalt veranschlagten 1,5 Mrd. Euro für den sozialen Wohnungsbau sind wichtig, aber bringen insgesamt wenig, bei einem geschätzten jährlichen Bedarf von 10 Mrd. Euro. Daher hören unsere politischen Kämpfe nicht in Berlin auf, sondern fangen hier gerade erst an. Gemeinsam mit der SPD-Bundestagsfraktion sowie unseren Regierungsmitgliedern müssen wir Druck aufbauen, um beispielsweise zusätzliche Finanzmittel für den sozialen Wohnungsbau freizumachen. In Zeiten der sprudelnden ist genug Geld vorhanden: es geht jetzt darum, zu fordern und zu entscheiden, wie es verteilt wird – und dies ist eine politische Frage, bei der die SPD Standfestigkeit und einen klaren Kompass zeigen muss! Der Zugang zu gutem Wohnen muss staatlich garantiert werden. Das Ziel einer maximalen Wohnraumversorgung muss über wirtschaftlichen Interessen auf diesem Gebiet stehen.

 

Dem Trend der ineffizienten Wohnraumnutzung ist entgegen zu wirken. Luxusimmobilien benötigen zu viel Raum und befeuern dadurch eine weitere Erhöhung der Mietpreise. Einige wenige Menschen leben somit auf den Kosten der wirtschaftlich Schwächeren unserer Gesellschaft. Das werden wir nicht weiter akzeptieren. Dieser Effekt wird unterstützt durch die verstärkte Nutzung von Wohnungen als Singlehaushalt. Diese werden bei der Mietersuche von privaten Besitzer*innen stark bevorzugt, da sie, im Gegensatz zu WGs und großen Familien, für Vermieter*innen vergleichsweise weniger Aufwand verursachen. Jedoch nutzen gerade Menschen, die zusammen eine Wohnung nutzen, den ihnen zur Verfügung stehenden Raum weitaus effizienter. Hauptgrund für die geringere Wohnflächenbeanspruchung pro Person in Mehrpersonenhaushalten ist die gemeinsame Nutzung von Küche, Bad und Flur. Nichtsdestotrotz sind große Familien oder WGs auf dem Wohnungsmarkt nach wie vor benachteiligt. Diese Gruppen müssen bei der Wohnraumversorgung massiv gestärkt und unterstützt werden. Um möglichst viele Wohnungen für diese Art des Zusammenlebens zu qualifizieren, sollte bereits bei der Planung von Bauprojekten berücksichtigt werden, dass diese auf Mehrpersonenhaushalte zugeschnitten sind und die Anforderungen einer gemeinschaftlichen Nutzung, bspw. die unabhängige  Zugänglichkeit aller von den Bewohnenden gemeinsam genutzten Räume, erfüllen. Der Trend zu immer mehr Einpersonenhaushalten im hochpreisigen Mietsegment muss gebrochen werden.

 

Um diese Fehler zu beheben und eine Kehrtwende in der Wohnungs- und Bodenpolitik einzuleiten bedarf es einer Reihe von Sofortmaßnahmen sowie eine langfristige Strategie, um die derzeitige Wohnungskrise zu stoppen.

  1. Wir fordern die SPD Bundestags-, Landtags-, und Abgeordnetenhausfraktionen auf, sich für eine Mietpreisobergrenze einzusetzen. Diese Forderung ist nicht neu, doch muss diese endlich umgesetzt werden. Als ersten Schritt darf eine Miete die ortsübliche Vergleichsmiete – welche zentral vom Bundesamt für Statistik ermittelt wird – nicht überschreiten. Dies soll schnellstmöglich umgesetzt werden und kurzfristig für alle Menschen mit einem neuen Mietvertrag gelten. Langfristig wollen wir die Festlegung eines Höchstmietsatzes, der 6€ in angespannten Lagen nicht übersteigt. Damit wird erreicht, dass sich die Mietpreise stabilisieren und es für Spekulanten unattraktiver wird zu investieren.
  2. Wir fordern den die sozialdemokratischen Mitglieder in den Bezirksämtern, der Abgeordnetenhausfraktion sowie dem Senat auf, geeignte Maßnahmen zu ergreifen, um die politischen Kontrollelemente zu verstärken bzw. zurückzugewinnen. Einerseits müssen höhere Steuern auf Immobiliengewinne eingeführt werden. Andererseits muss die Grundsteuer zu einer Luxussteuer umgebaut werden, die nicht mehr auf die Mieter*innen umgelegt werden darf, sondern die Umlage auf das Hochpreissegment (das heißt auf ca. 0,9% der Berliner Wohnungen) konzentriert wird. Zudem soll eine Wiederveräußerungssperre bei einem möglichen Immobilienverkauf eingeführt werden. Welche es für einen gewissen Zeitraum untersagt, dass ein Objekt weiterverkauft wird. Diese Maßnahmen sorgen zum einen für Mehreinnahmen, welche ausschließlich in den staatlichen Wohnungsbau investiert werden sollen und zum anderen werden Spekulationen mit Immobilien vorgebeugt.
  3. Fordern wir die sozialdemokratischen Mitglieder im Abgeordnetenhaus sowie die Senatsmitglieder auf, dass die soziale Bindung im Land Berlin nicht auslaufen darf. Einmal gebundene Objekte sollten nicht mehr in private Immobilien zurückgewandelt werden können. Diesen Mechanismus gilt es, gesetzlich zu verankern, damit zukünftig keine Aufhebung der Sozialbindung durch profitgetriebene Regierungen möglich ist. Dadurch wird eine dauerhafte Kapazität von Sozialwohnungen geschaffen, ohne die Gefahr, dass diese nach 20-25 Jahren aus ihrer Sozialbindung fallen.
  4. Fordern wir die SPD-Mitglieder im Berliner Abgeordnetenhaus auf, darauf hinzuwirken, dass gesetzlich verankert ist, die landeseigenen Wohnungen und die dazugehörige Infrastruktur nicht an private Unternehmen und Investor*innen zu verkaufen. Denn aus der Geschichte zu lernen, heißt nicht dieselben Fehler zu begehen, die teilweise zu dieser Wohnungskrise führten.
  5. Fordern wir die SPD-Bundestagsfraktion und Regierungsmitglieder im Bund auf, den staatlichen Wohnungsbau über das aktuelle Volumen hinaus zu stärken, sowohl durch entsprechende Mittel als auch durch die Ein- bzw. Bereitstellung von mehr Personal in den kommunalen Ämtern. Dadurch kann bspw. das Vorkaufsrecht der Kommunen bestmöglich wahrgenommen, Bebauungspläne schnellstmöglich überarbeitet und vermehrte Kontrollen (Monitoring) durchgeführt werden.

 

Insgesamt sehen wir es als mittelfristiges Ziel an, als Partei des gesellschaftlichen Fortschritts eine gesamtgesellschaftliche Strategie zu entwickeln, deren selbsterklärtes Ziel die Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes und der Profitorientierung in diesem Bereich zugunsten der Allgemeinheit ist. Wir wollen uns dafür einsetzen, das Wohnen als Grundrecht anzuerkennen und an den Lebensbedürfnissen aller Menschen auszurichten. Das heißt im Zweifel auch, dem Widerstand der Immobilienwirtschaft zu trotzen und uns für jene einzusetzen, die im Kampf gegen Verdrängung allein gelassen werden. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft wurde in den letzten Jahren zu sehr von neoliberalen Einschnitten belastet, als dass wir in der aktuellen Situation durch eine konsensorientierte Politik zu befriedigenden Ergebnissen kommen. Es liegt an uns und unserer Haltung, ob wir dieser Entwicklung weiter zusehen oder ihr etwas Neues entgegensetzen wollen. Die Voraussetzung einer gemeinwohlorientierten Wohnungs- und Mietenpolitik gründet sich für uns daher aus dem Grundsatz, dass mit menschlichen Grundbedürfnissen keine Geschäfte gemacht werden dürfen!

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme der Neufassung der AK 60.1/II/2018 (Konsens)