Seit über zehn Jahren arbeitet unser Sozialstaat nunmehr nach dem politischen Mantra „Fördern und Fordern“. Das Handeln der Bundesagentur für Arbeit an sich basiert weiter auf dem Prinzip der „Produkteinsatzlogik“, wodurch jeder Mitteleinsatz durch einen betriebswirtschaftlichen Nettogewinn gerechtfertigt sein muss. Das Wohl der Menschen, die in dem geschaffenen sog. Hartz-System stecken, wird damit einem wirtschaftlichen Kalkül untergeordnet. Damit ist dieses System in seiner Gesamtheit abzulehnen und muss von Grund auf reformiert werden.
Auf dem Weg zur Reformierung unseres Sozialstaates werden jedoch auch Instrumente vorgestellt, die sich zwar immer noch in der skizzierten „Hartz-Logik“ bewegen, jedoch mehr als zuvor das Wohl der Betroffenen in den Vordergrund rücken. In diesem Sinne ist der sozialdemokratische Vorstoß zur Bekämpfung und präventiven Vorbeugung von Langzeitarbeitslosigkeit durch das neue Teilhabechancengesetz zu begrüßen.
Insgesamt entfaltet sich das neue Förderinstrumentarium in Form einer Übernahme des Arbeitsentgelts für Menschen über 25 Jahre, welche entweder seit 7 bzw. 2 Jahren im SGB II – Bezug sind. Intendierte Zielsetzung ist die nachhaltige Integration von Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit in den 1. Arbeitsmarkt. Zugleich könnten sich durch das staatliche Handeln negative sozioökonomische Risiken realisieren, wodurch der intendierte positive Effekt des Gesetzes gemindert werden könnte.
Folgende Maßnahmen sind hierdurch erforderlich:
- Der Einsatz dieses Förderinstrumentes muss auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen. Menschen, mit Förderanspruch, sollen entscheidende Mitsprache haben, ob das Instrument Anwendung findet bzw. mit welcher Arbeitsstelle ein gefördertes Arbeitsverhältnis eingegangen wird. Zugleich darf es keinerlei Sanktionierung geben, wenn die Maßnahme einseitig oder beidseitig vorzeitig beendet wird. Niemand darf gezwungen sein, sich der Verwertungslogik, in der marktwirtschaftliche Arbeitsverhältnisse in der Regel organisiert werden, zu unterwerfen. Aus unserer sozialistischen Tradition heraus hat Arbeit einen hohen Stellenwert für soziale Teilhabe und gesellschaftliches Mitwirken. Menschen sollte deswegen die Möglichkeit gegeben werden, durch Arbeit ein Gefühl der Selbstverwirklichung zu erhalten. Allerdings müssen wir anerkennen, dass nicht alle diese Form der vergüteten täglichen Betätigung nachgehen wollen oder können. Alle die dazu nicht in der Lage sind, sollten auch nicht dazu gezwungen werden.
- Um eine Verdrängung bestehender Arbeitsplätze zu verhindern, sollen die Beiräte der Jobcenter mitentscheiden, welche Beschäftigungen gefördert werden und welche nicht. Die Prinzipien der Zusätzlichkeit und der Wettbewerbsneutralität haben sich in der Praxis als zu große Hürden entpuppt und dazu geführt, dass viele der geförderten Tätigkeiten nicht den gesellschaftlichen Nutzen erbracht haben, der für eine wirkliche soziale Teilhabe notwendig wäre. Entsprechende Maßnahmen sollen durch einen konzertierten Prozess unter Beteiligung von Gewerkschaften, Arbeitgeber*innenverbänden, Sozialverbänden und öffentliche Vertreter*innen festgelegt werden. Um eine Verdrängung bestehender Arbeitsplätze zu verhindern, sollen die Beiräte der Jobcenter mitentscheiden, welche Beschäftigungen gefördert werden und welche nicht.
- Die Verknüpfung von Fördermaßnahmen an das Erreichen eines Lebensalters muss überwunden werden. Solidarität kennt kein Mindestalter und muss auch für Langzeitarbeitslose unter 25 Jahre gelten. Zudem gilt es zu prüfen, ob dieses Förderungsinstrumentarium bereits Menschen zugänglich gemacht werden sollte, die seit über 5 Jahren ALG II beziehen.
- Die Förderung darf tarifliche Regelungen nicht unterlaufen bzw. dazu führen die Tariflandschaft mittel- bis langfristig zu schwächen. Daher müssen bei der Auswahl der Förderung, tarifliche Beschäftigungsverhältnisse stets nicht-tariflichen Beschäftigungen vorgezogen werden.
- Die Definition Zielgruppe (SGB II-Leistungsbezug für mindestens 7 der letzten 8 Jahre) erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass potentielle Teilnehmende Schwierigkeiten haben, weitgehend „regulären“ Beschäftigungsverhältnissen nachgehen können – gerade vor dem Hintergrund, dass unter der Zielgruppe nahezu die Hälfte in den letzten 8 Jahren überhaupt nicht erwerbstätig war. Es ist deshalb umso wichtiger, die Teilnehmenden intensiv zu begleiten, um sie auf eine Eingliederung ins Erwerbsleben vorzubereiten. Dafür ist es wichtig, dass die geförderten Beschäftigten nicht nur bei freien Trägern „geparkt“ werden, um aus der Statistik rauszufallen, sondern, dass sie Tätigkeiten nachgehen, die möglichst nah am ungeförderten Erwerbsleben ist. Deswegen müssen Stellen auch in der Privatwirtschaft und bei öffentlichen Einrichtungen geschaffen werden. Wenn die Arbeitsmarktintegration sich als nicht realisierbar erweist, muss der Fokus auf sozialer Teilhabe der geförderten Beschäftigten liegen.
- Kommunen muss die Möglichkeit gegeben werden, das Programm auf die lokalen Bedürfnisse anzupassen. Langzeitarbeitslosigkeit in Nürnberg ist anders beschaffen als in Gelsenkirchen. Dafür bedarf es einer Öffnungsklausel, die Kommunen erlaubt die Zielgruppe lokal anzupassen
Am 18. Juli 2018 wurde vom Bundeskabinett der Entwurf für das Teilhabechancengesetz verabschiedet. Im Detail wird durch die Übernahme des Arbeitsentgelts gegen anhaltende Arbeitslosigkeit vorgegangen und präventiv einer Verstetigung von Arbeitslosigkeit vorgebeugt.
Insgesamt bestehen zwei Fördergruppen. Zum einen gilt die Förderung Menschen, die über 25 Jahre alt und die seit über 7 Jahren im ALG II – Bezug sind. Für diese wird das Arbeitsentgelt in Höhe des Mindestlohnes übernommen. Förderfähig sind hierbei nur sozialversicherungspflichtige Anstellungen bei privaten sowie öffentlichen Arbeitgebern. Die Gesamtförderung ist auf 5 Jahre ausgelegt, wobei in den ersten beiden Jahren der Förderung 100 % des Arbeitsentgelts übernommen und in den Jahren 3 bis 5 die Förderung sukzessiv um jeweils 10 % auf schließlich 70 % gemindert wird.
Zum anderen soll sich der präventive Charakter des Gesetzes durch die Förderfähigkeit von Menschen, die seit 2 Jahren im ALG-II Bezugskreis sind, entfalten. Die Förderung ist für diesen Kreis auf 2 Jahre ausgelegt, bei dem im ersten Jahr 75 % und im zweiten Jahr 50 % des Arbeitsentgelts übernommen wird. Zugleich besteht eine Nachbeschäftigungspflicht der Arbeitgeber*innen von 6 Monaten nach Beendigung der Förderung.
Die Vorteile dieses Gesetzes liegen auf der Hand:
- Menschen sind wieder Teil des normalen Arbeitslebens
- Sie erfahren Anerkennung für ihre Leistungen
- Sie erhalten für die Dauer der Förderung mehr individuelle Planungssicherheit
- Sie können im Arbeitsumfeld neue Fähigkeiten erwerben bzw. ihre bestehenden Fähigkeiten weiterentwickeln
- Es besteht eine erhöhte Chance auf eine nachhaltige Integration in den 1. Arbeitsmarkt
Zugleich werden durch das neue Gesetz aber auch Risiken offenbar, die einer Nachjustierung des gesetzlichen Rahmens bedürfen:
- staatliche Lohnsubventionen auf Niveau des Mindestlohns können zu einer Ausweitung der Beschäftigten im Niedriglohnsektor führen
- eine uneingeschränkte Subventionierung auf Mindestlohnniveau könnte zu einem Konkurrenzdruck zwischen regulär Beschäftigten und geförderten Beschäftigten führen
- Menschen werden möglicherweise unterhalb ihrer Qualifikation entlohnt
- „Mitnahmeeffekte“ könnten erzeugt werden, ohne wirkliche zusätzliche Beschäftigung zu schaffen
- Insgesamt könnten tarifliche Regelungen unter Druck geraten
- eine sinkende Arbeitslosenquote führt möglicherweise zu einer statistischen Legitimation bestehender Arbeitsförderungsinstrumentarien und Verteilungsverhältnisse, wobei tatsächlich eine steigenden Anzahl atypischer Beschäftigung vorliegt
Folgende Maßnahmen sind hierdurch erforderlich, um skizzierte Risiken zu verhindern und dargestellte positive Wirkungen des Teilhabechancengesetzes nachhaltig zu realisieren (Detail s. Beschluss):
- Einhaltung Kriterium der Freiwilligkeit beruhen.
- Einhaltung Kriterium der Zusätzlichkeit bzw. der Wettbewerbsneutralität
- Harmonie mit der Tariflandschaft