Antrag 115/II/2025 Schutz und Sichtbarkeit jüdischen Lebens – Gegen jeden Antisemitismus jeden Tag

Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des brutalen Massakers der Hamas an israelischen Zivilist*innen, erleben wir auch in Berlin und in ganz Deutschland einen drastischen Anstieg antisemitischer Vorfälle. In diesem Land, das sich zu „Nie wieder“ bekennt, müssen Jüdinnen*Juden aktuell jeden Tag um ihre Sicherheit fürchten – sei es auf der Straße, in der Schule, auf dem Campus oder im Internet. Sichtbare jüdische Identität ist für viele Menschen zur Gefahr geworden.

 

Allein in Berlin wurden im Jahr 2024 bisher 2.521 antisemitische Vorfälle dokumentiert – fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Deutschlandweit spricht der Bundesverband RIAS von über 8.600 Vorfällen im Jahr 2024 – das sind durchschnittlich mehr als 23 pro Tag. Seit dem 7. Oktober 2023 sind die täglichen Vorfälle im Vergleich zur Zeit davor um ein Vielfaches gestiegen. Dazu zählen Übergriffe, Bedrohungen, Sachbeschädigungen, Propaganda und digitale Hetze. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg gewalttätiger Übergriffe und der gezielten Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Die Angst ist real: Viele jüdische Menschen trauen sich nicht mehr, eine Kippa zu tragen oder hebräische Gespräche in der Öffentlichkeit zu führen. Jüdische Eltern haben Angst, ihre Kinder in eine jüdische Kita oder Schule zu schicken.

 

Hinzu kommt der stark gestiegene israelbezogene Antisemitismus, der unter dem Deckmantel vermeintlicher „Israelkritik“ die Grenze zum offenen Judenhass überschreitet. Fahnenverbrennungen, Holocaustverharmlosungen, antisemitische Parolen auf Demonstrationen und im Netz sowie die Leugnung des Existenzrechts Israels gehören zur bitteren Realität. Solche Narrative speisen sich aus verschwörungsideologischen, aus religiös begründetem Extremismus, aus rechtsextremen und auch aus linken Kontexten – sie dürfen nicht relativiert oder geduldet werden. Israelbezogener Antisemitismus ist Antisemitismus. Punkt.

 

Die Reaktionen von Politik und Gesellschaft reichen bislang nicht aus. Weder werden die Betroffenen ausreichend geschützt, noch ist die Präventionsarbeit so wirksam, wie sie sein müsste. Wir sehen die dringende Notwendigkeit, jüdisches Leben in Berlin und in ganz Deutschland besser zu schützen, sichtbarer zu machen und gegen Antisemitismus jeder Form konsequent vorzugehen – auf der Straße, in Institutionen und im digitalen Raum.

 

Deshalb fordern wir:

 

Flächendeckende Antisemitismus-Bildung in Schulen, Universitäten, öffentlichen Einrichtungen und Sicherheitsbehörden. Diese Bildung muss regelmäßig, verpflichtend und mit der Perspektive der Betroffenen gestaltet werden.

 

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen, Gedenkorte und kulturelle Veranstaltungen. Dazu gehört auch die finanzielle Förderung für Sicherheitsmaßnahmen, Schutzkonzepte und Polizei-Präsenz, wo nötig und gewünscht.

 

Stärkere Strafverfolgung antisemitischer Taten. Polizei und Justiz müssen personell und inhaltlich besser aufgestellt werden, um antisemitische Straftaten klar zu benennen, konsequent zu verfolgen und angemessen zu ahnden.

 

Klare und sichtbare Solidarität mit jüdischem Leben – von staatlichen Akteur*innen, Parteien, Zivilgesellschaft und auch den demokratischen Jugendorganisationen. Schweigen oder Relativierungen sind keine Option.

 

Digitale Verantwortung übernehmen: Plattformen müssen verpflichtet werden, antisemitische Inhalte schneller zu löschen. Die Europäische Union muss sozialen Netzwerken in die Pflicht nehmen, um Hate Speech effizient zu bekämpfen und digitale Schutzräume zu schaffen.

 

Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsstrukturen wie RIAS, OFEK oder jüdischen Selbstorganisationen. Betroffene antisemitischer Gewalt müssen psychosoziale, rechtliche und finanzielle Unterstützung erhalten – unbürokratisch und solidarisch.

 

Erinnerungskultur stärken und erneuern. Gedenkarbeit soll verständlich und niedrigschwellig sein. Wir fordern die verstärkte Förderung von Projekten, die Erinnerung lebendig machen und junge Menschen für die Realität jüdischen Lebens heute sensibilisieren.

 

Antisemitismus ist nicht nur ein Problem der Vergangenheit, sondern der Gegenwart. Als Jusos stehen wir in der Verantwortung, jüdisches Leben in Deutschland nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv zu schützen und zu stärken. Wer „Nie wieder“ sagt, muss heute handeln – klar, mutig und unmissverständlich.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme (Konsens)