Psychische Gesundheit darf nicht am Geld scheitern – auch nicht auf Seiten derer, die helfen wollen. Wer in Deutschland Psychotherapeuti*n werden will, muss sich nach dem Masterstudium durch eine mehrjährige, schlecht oder gar nicht bezahlte Weiterbildungsphase kämpfen. Damit versperrt unser Gesundheitssystem jedes Jahr Tausenden jungen Menschen den Einstieg in ihren Beruf – und verhindert gleichzeitig, dass dringend benötigte psychotherapeutische Versorgung bei den Patient*innen ankommt. Besonders betroffen sind dabei wieder einmal junge Menschen ohne wohlhabende Eltern, ohne Rücklagen, ohne sichere Alternativen.
Mit der Reform des Psychotherapeutengesetzes im Jahr 2019 wurde das Studium der Psychotherapie grundlegend umgestellt: Seither absolvieren angehende Psychotherapeutinnen ein polyvalentes (vielwertiges) Bachelor- und Masterstudium mit klinischem Schwerpunkt und schließen dieses mit der Approbation ab. Doch um im ambulanten oder stationären Bereich tätig zu werden, müssen sie eine mehrjährige berufsbegleitende Weiterbildung absolvieren – mit hohem Praxisanteil in Kliniken oder Praxen, vielen hundert Stunden Supervision und einem intensiven Theoriecurriculum. Diese Weiterbildung ist jedoch bislang nicht gesetzlich finanziert – insbesondere im ambulanten Bereich fehlen Strukturen, die eine faire Bezahlung ermöglichen. Während Ärzt*innen in Weiterbildung (nach § 75a SGB V) über pauschal finanzierte Stellen versorgt werden, müssen viele psychotherapeutische Nachwuchskräfte auf Mindestlohnniveau arbeiten oder sogar für ihre Weiterbildung zahlen.
Die Deutsche Psychotherapeutinnenvereinigung (DptV) schätzt, dass derzeit deutschlandweit mehr als 6.000 Masterabsolventi*nnen auf den Berufseinstieg warten, jedoch nur rund 1.000 geeignete Weiterbildungsstellen bereitstehen – die Mehrheit davon im stationären Bereich. Im ambulanten Bereich, wo ein Großteil der psychotherapeutischen Versorgung stattfindet, fehlen solche Stellen fast vollständig.
Die Folge: Zahlreiche junge Therapeut*innen verschieben ihre Weiterbildung, suchen sich andere Berufsfelder oder brechen den Berufswunsch ganz ab – obwohl ihre Hilfe dringend gebraucht wird. Denn nach wie vor fehlen laut Gutachten des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) aus dem Jahr 2018 mindestens 2.400 zusätzliche psychotherapeutische Kassensitze in Deutschland – ohne Ausbildung gibt es keine Versorgung.
Diese Situation ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, sondern auch eine massive Gefahr für die psychische Gesundheitsversorgung der kommenden Jahrzehnte. Der Fachkräftemangel ist bereits Realität. Gleichzeitig steigen die Bedarfe kontinuierlich: Die Zahl psychischer Erkrankungen in Deutschland nimmt seit Jahren zu, insbesondere unter jungen Menschen. Laut der COPSY-Studie zeigen über 70 % der Kinder und Jugendlichen psychische Belastungssymptome, gleichzeitig steigen Depressionen, Essstörungen und Angsterkrankungen auch bei jungen Erwachsenen stark an.
Deswegen fordern wir:
- Eine gesetzlich geregelte, faire Bezahlung für die Weiterbildung zur Psychotherapeut*in auf Bundes- wie auf Landesebene, wofür der Bund entsprechend finanzielle Mittel bereitstellen soll
- Dabei soll sich an den Kassenärztlichen Vereinigungen orientiert werden und eine Mindestvergütung von 4.500 € brutto im Monat bei tariflicher Anbindung und voller sozialer Absicherung angestrebt werden.
- Ein eigenes Berliner Landesförderprogramm mit einem monatlichen Zuschuss von mindestens 2.500 € für Praxen, die Therapeut*innen weiterbilden
- Dabei sollen kurzfristig bezahlte ambulante Weiterbildungsstellen geschaffen werden, insbesondere in sozial benachteiligten Kiezen.
- Insgesamt sollen 200 neue und dauerhafte Weiterbildungsplätze geschaffen werden, davon ein substanzieller Anteil im ambulanten Bereich.
Darüber hinaus braucht es eine deutliche Erhöhung der Kassensitze, da sonst trotz mehr Weiterbildung zu wenig Therapiekapazität entsteht. Auch wenn mehr Psychotherapeut*innen fertig ausgebildet wären, könnten sie nicht alle in der vertragspsychotherapeutischen Versorgung arbeiten, weil die Zahl der Kassensitze gedeckelt ist
