Wir fordern die MandatsträgerInnen der Berliner SPD auf Bezirks- und Landesebene auf, die im Folgenden dargestellten Maßnahmen zur Verbesserung der schulischen Situation von jungen Geflüchteten zu unternehmen. Für uns ist es zum ersten essentiell, dass das Recht auf Schulbildung von Anfang an auch für Geflüchtete gleichermaßen umgesetzt wird, um Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dafür sind die nötigen Voraussetzungen in der Verwaltung, in den Unterkünften und in den Schulen zu schaffen. Zum zweiten muss der Schulbesuch für junge Geflüchtete Perspektiven für die spätere Lebensgestaltung schaffen, also klare Aufstiegschancen bieten statt eine reine Verwahrung darzustellen. Zum dritten müssen innovative Projekte gestartet werden, um neue Wege für die Inklusion junger Geflüchteter zu beschreiten. Dadurch soll langfristig die Perspektive weg von einer Integration in Form von Sonderklassen hin zu einer vollumfänglichen Inklusion und Gleichberechtigung von Geflüchteten im Bildungssystem verschoben werden.
Für alle diese Aufgaben muss ein Steuerungsgremium zwischen den Senatsverwaltungen für Soziales und für Bildung eingerichtet werden, das die erforderlichen Maßnahmen koordiniert.
1. Recht auf Beschulung verwirklichen
Ausländische Kinder und Jugendliche, denen auf Grund eines Asylantrags der Aufenthalt in Berlin gestattet ist oder die hier geduldet werden, unterliegen der allgemeinen Schulpflicht.“ (§41 Absatz 2 Berliner Schulgesetz) Um diesen Rechtsanspruch zu verwirklichen, fordern wir die Umsetzung folgender Maßnahmen:
Die Vergabe von Schulplätzen muss zentral koordiniert werden. Die Anzahl und der Wohnort von in Berlin registrierten asylsuchenden Schulpflichtigen müssen direkt von der Aufnahmebehörde (LaGeSo) an die Bildungsverwaltung weitergeleitet werden, um eine wohnortnahe Beschulung zu ermöglichen. Das LaGeSo muss zur Bewältigung dieser Aufgabe mit ausreichend finanziellen und personellen Mitteln von der Senatsverwaltung ausgestattet werden. Dass viele Schulpflichtige erst in den Bezirken erfasst werden, die bezirklichen Schulämter dann Bedarfe feststellen und für Schulplätze sorgen, führt zu langen Verzögerungen. Hier ist ein stringentes Verfahren zu entwickeln. Durch die Senatsschulverwaltung muss in enger Absprache mit den bezirklichen Schulämtern festgelegt werden, wie viele Schulplätze nach Schulart und Klassenstufe in welchem Bezirk einzurichten sind. Zudem ist die personelle Ausstattung sicher zu stellen. Unterricht außerhalb von Regelschulen, zum Beispiel in den Sammelunterkünften, darf es nicht geben.
Die Senatsverwaltung für Soziales teilt der Senatsverwaltung für Bildung aktuelle Prognosen zur Entwicklung der Geflüchtetenzahlen mit. Diese fließen in die Prognosen der Senatsschulverwaltung für die Entwicklung der Schüler*innenzahlen ein. Die Bezirke sind angehalten, angesichts steigender Geflüchtetenzahlen und mit Hilfe der Prognosen neue Schulentwicklungsplanungen zu erstellen. Darin muss bei der Gebäude- und Schulplanung die Beschulung von geflüchteten Kindern berücksichtigt werden, um auch kurzfristig genügend Raum für Lerngruppen für Neuzugänge bereit zu halten.
Schüler*innen, die im Zuge des Asylverfahrens innerhalb Berlins ihren Wohnort wechseln, erhalten die Möglichkeit, an ihrer bisherigen Schule zu bleiben. Schulwechsel sollten nach Möglichkeit zum Schuljahresanfang stattfinden. Schulausbildungen dürfen durch verfahrensbedingte Wohnortwechsel nicht unterbrochen werden.
Das Steuerungsgremium auf Senatsebene entwickelt Perspektiven für minderjährige Geflüchtete, die nach geltender Rechtslage keinen Anspruch auf einen Schulplatz mehr haben, zum Beispiel weil sie bis zum 20. Lebensjahr prognostisch keinen Schulabschluss erreichen werden. Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus setzt sich für gesetzliche Änderungen ein, um allen jungen Geflüchteten das Erlangen eines Schulabschlusses zu ermöglichen.
2. Klaren Weg in Regelklassen zeichnen
Das Ziel der Beschulung von geflüchteten Kindern ist die schnelle Inklusion in die Regelklassen und das Erreichen schulischer Abschlüsse. Dafür sind folgende Maßnahmen erforderlich:
Die Unterrichtung von geflüchteten Kindern muss professionalisiert werden. Es sind in den Bezirken differenzierte Lerngruppen einzurichten, einerseits für die Alphabetisierung, andererseits für den fortgeschrittenen Spracherwerb. Um diese verschiedenen Lernstände abzubilden, werden in den betreffenden Schulen immer mindestens zwei Lerngruppen eingerichtet. Für die verschiedenen Phasen innerhalb des Spracherwerbs sind sprachdidaktische Konzepte zu entwickeln, die an den Schulen zur Anwendung kommen. Lehrer*innen in den entsprechenden Lerngruppen müssen adäquat ausgebildet sein bzw. Fortbildungen erhalten, um die sprachdidaktischen Konzepte umzusetzen. Daher müssen in den Willkommensklassen prioritär Personen eingesetzt werden, die ein abgeschlossenes Lehramtsstudium vorweisen können und dementsprechend die nötige didaktische Grundausbildung mitbringen. Entsprechend der besonderen Bedürfnisse ist zusätzlich sonderpädagogisches Personal in den Lerngruppen einzusetzen. Die unterrichtenden Lehrer*innen der Lerngruppen bzw. Willkommensklassen dürfen nicht mehr befristet eingestellt werden. Die Qualität des Unterrichts wird durch die Senatsverwaltung für Bildung kontrolliert.
Für die Lerngruppen für Neuzugänge werden verbindliche Standards festgelegt. Inbegriffen sind auch Vorgaben zur sukzessiven Inklusion der Kinder in den Regelunterricht. Insbesondere in Sport, Musik und Kunst kann zeitnah inklusiv unterrichtet werden. Über den vollständigen Übergang in die Regelklasse entscheiden die zuständigen Lehrkräfte anhand einer individuellen, qualitativen Einschätzung des Sprachniveaus. Dies soll zum schnellst möglichen Zeitpunkt geschehen. Auch nach dem Übergang in die Regelklassen muss weiterhin eine schulische Sprachförderung stattfinden.
Zur Inklusion von geflüchteten Kindern in die Regelklassen gehört auch die Einbeziehung in die Ganztags- und Ferienangebote. Die betreffenden Kinder erhalten unbürokratisch den Superferienpass, um sich an Aktivitäten einfacher beteiligen zu können. Projekte (wie z. B. Pat*innenschaften), in denen sich alle Beteiligten an den Schulen aktiv an der Inklusion beteiligen, sind anzuregen und zu fördern. Außerdem müssen Lernmaterialen, wie beispielsweise Lehrbücher, Schreibutensilien und Sportbekleidung kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Zudem ist ein individueller Zugang zu Medien sicherzustellen. Eine Hausaufgabenbetreuung sowie Orte zum selbstständen Lernen und Arbeiten müssen zur Verfügung gestellt werden.
Um die Kinder aus Geflüchtetenfamilien in das Schulsystembesser einzubinden, sind besondere Infrastrukturmaßnahmen unabdingbar. Es müssen bessere und vor allem sichere Verkehrsverbindungen entwickelt werden. Die geographische Nähe von Schulen zu Geflüchtetenunterkünften wäre zielführend. Allgemein ist die Notwendigkeit neue Schulen in Berlin zu schaffen ziemlich groß, da die jetzigen Schulen überlastet sind. Bei bestehenden Schulen muss das Personal aufgestockt werden.
Der Leitfaden zur schulischen Integration von der Senatsschulverwaltung muss dahingehend angepasst werden. Der Leitfaden erhält Verbindlichkeit. Die Schulen mit Lerngruppen für Neuzugänge werden aufgefordert, für ihre spezifische Situation Konzepte zu erstellen, wie die Lerngruppen innerhalb ihrer Schule gestaltet, in den Schulalltag einbezogen und der Übergang in die Regelklassen ermöglicht werden. Zwischen den Schulen findet ein fachlicher Austausch statt, um voneinander zu lernen und die Qualität des Unterrichts zu verbessern.
3. Neue Wege beschreiten
Langfristig muss es das Ziel sein, Inklusion in Berlin in Bezug auf alle Kinder zu denken. Jedes Kind soll entsprechend seiner Fähigkeiten gleichberechtigt gefördert werden. Dafür werden folgende Initiativen vorgeschlagen:
Es wird ein Pilotprojekt zur sofortigen Inklusion von geflüchteten Kindern in Regelklassen gestartet. Inklusion ist an einigen Berliner Schulen gelebte Praxis. Schulen, die sich der Herausforderung der sofortigen Inklusion von geflüchteten Kindern in Regelklassen annehmen wollen, erhalten dafür eine finanzielle und ideelle Unterstützung seitens der Senatsverwaltung für Bildung. Voraussetzungen sind unter anderem ein Beschluss der Schulkonferenz sowie die Entwicklung eines entsprechenden Konzeptes an der jeweiligen Schule. Die Senatsverwaltung entwickelt konzeptionelle sowie strukturelle Standards, die Schulen erfüllen müssen, um eine Förderung für das Projekt zu erhalten. Die Umsetzung der Inklusion von geflüchteten Kindern wird von einer Kommission begleitet, die sowohl Betroffeneninitiativen, wie beispielsweise den Berliner Flüchtlingsrat, als auch wissenschaftliche Expertise mit einbringt und die Empfehlungen für die weitere Beschulung von geflüchteten Kindern ableitet. Ziel ist die Vermeidung von Sonderbeschulung und die Erprobung einer möglichst frühen Einbeziehung von geflüchteten Kindern in die Regelschule, um ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu verwirklichen. Neben der gängigen Praxis der Lerngruppen für Neuzugänge (Willkommensklassen), deren Erfolg bisher nicht überprüft wurde, müssen wie hier vorgeschlagen weitere Modelle erprobt werden.
Die Senatsverwaltung für Bildung wird zudem dazu aufgefordert, im Rahmen des Europaschulen-Programms die Einbeziehung von geflüchteten Kindern in bilinguale Bildungsgänge aktiv zu erproben. Das kann konkret bedeuten, einen deutsch-arabischen Bildungsgang einzuführen. Schulen können sich dafür bewerben, einen solchen Bildungsgang im Rahmen des Europaschulen-Programms einzurichten. Die Senatsverwaltung soll prüfen, ob auch andere Sprachen entsprechend der Nachfrage in das Programm bilingualer Bildungsgänge einbezogen werden können. Sie soll außerdem prüfen, inwieweit geflüchtete Kinder in die bereits vorhandenen Bildungsgänge (zum Beispiel deutsch-französisch) einbezogen werden können. Ziel dieses Vorhabens ist es, die Mehrsprachigkeit von jungen geflüchteten Kindern zu fördern, die sowohl die deutsche Sprache erlernen als auch ihre Erstsprache festigen sollen. Die Sprachforschung betont die Bedeutung der Erstsprache für das Erlernen einer Fremdsprache. Auch dieses Projekt soll wissenschaftlich begleitet werden, um Empfehlungen für die Sprachbildung von geflüchteten Kindern abzuleiten.