Antrag 57/III/2016 Sofort abschaffen: Sanktionen für „sozialwidriges Verhalten“

Wir fordern, dass die Verschärfungen der ALG II-Sanktionen sofort zurückgenommen und Sanktionen generell unverzüglich abgeschafft werden. Wir setzen uns dafür ein, dass der Regelsatz zeitgleich mindestens auf das vom Paritätischen Wohlfahrtsverband geförderte Maß angehoben wird. Die Große Koalition und insbesondere das Bundesarbeitsministerium muss ihr sozialwidriges Verhalten gegenüber ALG II-Empfänger*innen sofort einstellen. Beim Umgang mit Erwerbslosen sind momentan keine sozialdemokratischen Leitlinien mehr zu erkennen. Schlussendlich hilft nur eine Grundsatzreform, die das Hartz IV-Paradigma endgültig beseitigt. Diese Forderung muss Teil des Wahlprogramms der SPD 2017 sein.

 

Politik gegen sozialdemokratische Grundsätze

Die ALG II-Sanktionen verstießen schon gegen gerechte sozialstaatliche Grundsätze, als sie mit der Agenda 2010 eingeführt wurden. Ein für das Leben notwendiger Grundbedarf darf weder ganz, noch um 60% oder 30% abgesenkt werden – auch nicht um 10%. Der ALG II-Satz entspricht aber noch nicht einmal einer soziokulturellen Grundsicherung. Das jetzige Niveau schließt Menschen bewusst von gesellschaftlicher Teilhabe aus und hält sie so in ihrer Abhängigkeit gefangen. Diese Sanktionspraxis weiter zu verschärfen, ist ein – gemessen an sozialdemokratischen Grundsätzen – erbärmlicher Schritt der Arbeitsministerin Andrea Nahles.

 

Weitere Verschärfungen und ein System doppelter Bestrafung

Nahles führte das Konzept der doppelten Bestrafung ein: Das Jobcenter kann nicht nur den Regelsatz kürzen oder streichen (§31 SGB II), sondern auch für vermeintliche Vergehen während des Bezugszeitraums (§34 SGB II) gezahltes Geld und selbst gewährte Essensgutscheine zurückfordern. Bisher war diese Praxis nur für unterstelltes Fehlverhalten vor dem Bezugszeitraum möglich.

 

Bedürftigkeit als „sozialwidriges Verhalten“ – statt gesellschaftlicher Ursachen

Der Ungeist von Hartz IV weht weiterhin durch das Arbeitsministerium und die Bundesagentur für Arbeit. Er wird sogar wieder stärker. Die Devise bleibt: Schuld an der Erwerbslosigkeit habe der*die Leistungsbezieher*in selbst. Nach den gesellschaftlichen Ursachen von Erwerbslosigkeit in einer kapitalistischen Gesellschaft wird nicht ansatzweise gefragt. Die neoliberale Linie Fordern ohne Fördern wird dogmatisch weitergefahren. Ein konsequenter Bruch muss her. Hilfesuchenden Menschen ein „sozialwidriges Verhalten“ zu unterstellen, zeigt die gesetzlich festgeschriebene Verachtung für sie.

 

Klassistische Praxis der Bundesagentur für Arbeit

Das Konstrukt „Sozialwidriges Verhalten“ bündelt eine ganze Reihe an klassistischen Stereotypen und brandmarkt die Betroffenen. Die Beispiele der Agentur für Arbeit sind entlarvend: Der Kraftfahrer*, der wegen Trunkenheit seinen Führerschein verliert, soll nicht aufgefangen, sondern noch einmal bestraft werden – ganz abgesehen davon, dass Alkoholismus als Krankheit die Ursache sein könnte. Die alleinerziehende Mutter, die den Vater des Kindes nicht offenlegen möchte, wird nicht geschützt, sondern unter Druck gesetzt. Die Agentur geht so weit, dass sie berufliche Umorientierung, die keine neue Erwerbsarbeit brachte, unter Strafe stellt. Sie droht somit Menschen, die den sozialen Aufstieg versuchen.

 

Arbeitsministerium erhöht weiter den Druck

Das Arbeitsministerium und die Ministerin in der ersten Reihe setzten damit eine autoritäre Staatstradition fort, die soziale Ungleichheit festschreibt und diejenigen, die Hilfe suchen knebelt, sodass sie sich weder selbst aus ihrer Lage befreien, noch wehren können. Die daraus folgende Botschaft sendet das Ministerium immer nach außen: Arbeitnehmer*innen akzeptiert prekäre Beschäftigung, sonst habt ihr auch die Hoffnung auf bessere Arbeitsverhältnisse verspielt. Um diese willkürliche Praxis abzusichern, schränkte die Große Koalition zusätzlich die rechtliche Gegenwehr ein.

 

Betroffenen Handlungsmöglichkeiten genommen

Gegen Bescheide des Jobcenters zu klagen, ist seit diesem Sommer noch schwerer geworden. Diesen Schritt begründete das Ministerium ausgerechnet mit den vielen Klagen. Dass die Zahl der fehlerhaften Bescheide hoch ist und viele Betroffene erfolgreich klagen, wird kurzerhand verschwiegen. Dieser Umgang mit den Rechten Betroffener ist einer Regierung mit SPD-Anteil unwürdig. Damit fördert sie eine weitere Entsolidarisierung unserer Gesellschaft, die nur einem hilft: rechtspopulistischen Kräften, die von einer funktionierenden Demokratie nichts halten.

 

Empfehlung der Antragskommission:
Erledigt bei Annahme 79/III/2017 (Konsens)